von Mascha Stähle

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1. Februar 2012

Am 18. Juli 1937 erstrahlte München in glamourösem Pomp. Hitler lud zu einem Ereignis, das ihm persönlich sehr am Herzen lag. In seiner Festrede anlässlich der Eröffnung der Großen Deutschen Kunstausstellung (GDK) ließ Hitler deutlich werden, dass diese Ausstellung auf nichts Geringeres abziele als darauf, „eine Wende herbeizuführen in der Entwicklung des gesamten deutschen kulturellen Schaffens.“[1] „„Bis zum Machtantritt des Nationalsozialismus“, hatte der Diktator bei der Eröffnung erklärt, „hat es in Deutschland eine sogenannte ‚moderne‘ Kunst gegeben, das heißt also, wie es schon im Wesen dieses Wortes liegt, fast jedes Jahr eine andere. Das nationalsozialistische Deutschland aber will wieder eine ‚deutsche Kunst‘, und diese soll und wird wie alle schöpferischen Werte eines Volkes eine ewige sein.““[2] Mit dieser „eher dürren Definition“ habe Hitler die „Basis für den Mythos von der so genannten „nationalsozialistischen Kunst““ geschaffen, so Welt online.[3] Die Großen Deutschen Kunstaustellungen stellten einen „Versuch (dar), eine nationalsozialistische Kunst erstmals zu definieren, Erziehung und Vorbild zu sein.“[4] Der propagandistische Aufwand zur Erreichung dieses erzieherischen Ziels war enorm. Auf den zwischen 1937 und 1944 jährlich im Haus der Deutschen Kunst in München stattfindenden Großen Deutschen Kunstausstellungen wurden Porträts, Akte, Historiendarstellungen, Genreszenen, Stillleben, Tierdarstellungen, realistisch gemalte Landschaften und Werke gezeigt, auf denen der Führer, die Partei oder die SA verewigt wurden. Damit entsprach die hier präsentierte Kunst stilistisch dem konservativen Akademismus.[5] „Diese Ausstellung muß eine Wende bringen gegenüber dem erlebten künstlerischen, bildhauerischen und malerischen Verfall“,[6] proklamierte Hitler in seiner Eröffnungsrede in der „Ehrenhalle“ des Hauses der Deutschen Kunst am 18. Juli 1937. Eben dieser vermeintliche „Verfall“ wurde in der als Gegenstück zur GDK konzipierten, im benachbarten Archäologischen Institut in München untergebrachten Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt, die am 19. Juli 1937, nur einen Tag nach der Eröffnung der ersten GDK, eröffnet wurde. Diese Ausstellung diente allein dem Zweck, die Werke von modernen Künstlern wie Otto Dix, Paul Klee oder Franz Marc als vermeintliche „Ausgeburt des Wahnsinns“ und „Ausdruck des Chaos“ zu diffamieren; Ende des Jahres 1937 ging sie als Wanderausstellung auf Reisen und wurde in vielen größeren deutschen Städten gezeigt.[7]

Die als Verkaufsausstellungen konzipierten GDK waren ein großer Erfolg, sowohl im Hinblick auf die Besucherzahlen von jährlich mehreren hunderttausend Besuchern, als auch in finanzieller Hinsicht.[8] Für die Künstler bedeutete die Aufnahme in die GDK einen Karriereschub, der sich nicht nur gewinnbringend auf die Verdienstmöglichkeiten (der Hauptkäufer war übrigens Adolf Hitler selbst), sondern vor allem in der offiziellen Anerkennung als Kunstschaffende niederschlug.[9]Dennoch konnten die Künstler den Ansprüchen der NS-Führungsriege, allen voran Joseph Goebbels, die in der Kunst einen Multiplikator des nationalsozialistischen Weltbildes sehen wollten, nicht erfüllen. Angesichts des Umstands, dass aufgrund der Kunst- und Kulturpolitik des Regimes nahezu alle bedeutenden Künstler Deutschland verlassen hatten oder in die innere Emigration gegangen waren, war dies nicht allzu verwunderlich.[10]

Die Behandlung der „politisch aufgeladenen, banal-bösen Bildwelten der NS-Kunst“ lag seit der Nachkriegszeit weitgehend jenseits des kunsthistorischen Interesses.[11] Dennoch ist eine „Mystifizierung dieser Gattung“ bis heute weit verbreitet, wie Iris Lauterbach vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZI) in München konstatiert.[12] Dies zu ändern und den „Entmystifizierungsprozess der NS-Kunst einzuleiten“, ist das erklärte Ziel von Iris Lauterbach und ihrem Institutskollegen Christian Fuhrmeister.[13] Vor diesem Hintergrund entstand die Website GDK Research, deren Freischaltung im Oktober 2011 von einer aus diesem Anlass einberufenen, internationalen Tagung begleitet wurde. Die Website bietet einen Onlinekatalog mit unbekannten fotografischen Dokumenten zu den Großen Deutschen Kunstausstellungen. Das von der DFG unterstützte Projekt des Münchner Zentralinstituts für Kunstgeschichte, das in Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum in Berlin und dem Haus der Kunst in München innerhalb von zwei Jahren realisiert wurde, versteht sich als quellenbasierte Forschungsplattform, die mit der Bereitstellung digitalisierter historischer Bildzeugnisse die kritische gesellschaftliche und kunstgeschichtliche Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Kunst sowie der Kunst- und Kulturpolitik fördern möchte. Folgt man dem Link auf die Website des Zentralinstituts, so lassen sich nach einigen Klicks nähere Informationen zu dem Projekt „GDK Research“ finden.

Das Zentralinstitut für Kunstgeschichte will die Bilddatenbank als „virtuelle Rekonstruktion der GDK“ verstanden wissen.[14] Die Grundlage für die Datenbank bilden neben den Beständen aus dem sogenannten  „NS-Archiv“ der Fotothek des Zentralinstituts, in denen sich über 2000 Raumaufnahmen von den Großen Deutschen Kunstausstellungen befinden, sechs Alben mit einer fotografischen Dokumentation der Ausstellungssäle, welche die Kunstsammelstelle der amerikanischen Militärregierung, der Central Collecting Point, dem Zentralinstituts nach Kriegsende übergeben hatte. Erschlossen wurden visuelle und schriftliche Quellen, etwa die Ausstellungskataloge der GDK, aus den Beständen mehrerer Institutionen, wobei die Datenbank die Herkunft des Quellenmaterials durch die Angabe der jeweiligen Archive (vor allem die Bestände des Hauses der Kunst und des Deutschen Historischen Museums) transparent macht. Mit der systematischen Digitalisierung des Quellenmaterials stellt die Datenbank die Forschung auf eine neue Grundlage. Angeboten werden Bilder und kunsthistorische Informationen zu den ca. 11.000 auf den insgesamt acht GDK gezeigten Werken der Gattungen Malerei, Grafik und Plastik, sowie Kurzbiographien der Künstler, der Käufer und der dargestellten Personen. Zu jedem Kunstwerk bietet die Datenbank Kurzinformationen, mit einem Klick auf das Fotomaterial lassen sich alle Abbildungen eines Werkes sowie eine ausführliche Beschreibung aufrufen.[15] Des Weiteren werden Informationen zur Fotosignatur, zum Fotografen und zum Aufnahmejahr des jeweiligen Fotos sowie zu dessen Besitzer geliefert. Über Weblinks werden weiterführende Informationen anderer Anbieter miteinbezogen. Ein Großteil der nationalsozialistischen Kunstwerke war der Öffentlichkeit bis dahin nicht bekannt. Nun erlaubt die systematische Suche den Zugriff auf diesen Teil der bislang unbekannten Werke der GDK und eröffnet damit ein breites Quellenangebot für unterschiedlichste Forschungsvorhaben rund um nationalsozialistische Kunst und Kunstpolitik. Die systematische Suchfunktion kann mitunter zu verblüffenden Erkenntnissen führen – etwa zur Identifizierung heute noch immer öffentlich ausgestellter Kunstwerke als genuiner Bestandteile der GDK – womit sich sogleich die Frage nach dem Umgang mit dieser Kunst stellt. Ein virtueller Rundgang durch die einzelnen Ausstellungsräume der jeweiligen GDK aus den Jahren zwischen 1937 und 1944 ermöglicht darüber hinaus die Erkundung der Exponate und ihrer Darbietung in der originalen Anordnung. Die verschiedenen Filter erlauben eine zielgenaue Suche.[16] Mittels virtueller Fotoalben kann in den Ausstellungsdokumentationen geblättert werden, die auf der Website für jedes Jahr als visueller Rundgang durch die einzelnen Ausstellungsräume der jeweiligen GDK angelegt sind.

Auf der Startseite der GDK Research erklärt das Zentralinstitut, es sei sich der mit der Veröffentlichung einhergehenden „Verantwortung zum gewissenhaften Umgang mit problematischem, zum Teil zweifelhaftem und in jedem Fall kontroversem Material“ durchaus bewusst.[17] Abgesehen von diesem knappen Statement findet sich auf der Website jedoch lediglich ein kurz gefasster, allgemeiner Verweis auf die „herausragende Bedeutung (der Großen Deutschen Kunstausstellungen, M.S.) für die nationalsozialistische Kunst- und Kulturpolitik.“[18] „In den Großen Deutschen Kunstausstellungen manifestierte sich das Selbstverständnis des „Dritten Reiches“ als Kulturnation ebenso wie die Kunstauffassung des Nationalsozialismus. Nur künstlerische „Höchstleistungen“, so der Katalog von 1937, die „(…)der Größe der aus Blut und Boden, aus nationalsozialistischer Haltung und Weltanschauung geborenen neuen Zeit“ Ausdruck verleihen, sollten präsentiert werden.[19] Darüber hinaus erfolgt keinerlei kritisch-reflektierende Einordnung der hier offerierten NS-Kunst – diese wird auf die Forschungsgemeinschaft jenseits der Internetpräsenz gdk-research.de verlagert. Zwar versteht sich das Webangebot lediglich als Onlinedatenbank, die der Forschung als Grundlage dienen soll. Unter diesem Aspekt ist die freie Zugänglichkeit des Internetangebots GDK Research überaus förderlich. Damit wird die „Kunst der NS-Zeit [...] weiter enttabuisiert, der Zugang zu ihr über das Internet demokratisiert“, bemerkte Welt online.[20] Für die historische Bildungsarbeit wäre angesichts der Brisanz der Thematik eine kritische Kommentierung der nationalsozialistischen Kunstexponate dennoch hilfreich, ebenso wie einige, etwas detailliertere Informationen zu den staatlich gelenkten GDK und der Diffamierung und Unterdrückung moderner Kunst durch die Politik der Nationalsozialisten, zu dem hier präsentierten Idealbild nationalsozialistischer Kunst und Kultur, zu dem propagierten nationalsozialistischen Weltbild insgesamt. Denn ohne diese Kommentierung und kontextuelle Verortung wird ein hohes Maß an historischem Vorwissen vorausgesetzt. Allerdings hätte eine ausführliche Kommentierung der einzelnen Exponate zugleich einen enormen Aufwand bedeutet, in zeitlicher, personeller und damit ökonomischer Hinsicht. Als eine Art Kompromisslösung wäre beispielsweise die künftige Publikation der aus dem Quellenfundus resultierenden Forschungsergebnisse auf der Webseite denkbar. Ergänzend hierzu wäre die Verlinkung auf die Website des Projektes „Haus der Deutschen Kunst. 1937-1945 – eine Dokumentation“ (http://www.hausderdeutschenkunst.de) sinnvoll, denn diese Website leistet genau das, was bei GDK Research fehlt – eine Beleuchtung der Hintergründe der Großen Deutschen Kunstausstellungen.

 

Unterstützt wird das Projekt GDK Research von den Bildarchiven der Bayerischen Staatsbibliothek und des Bayerischen Hauptstaatsarchivs und von der Fotosammlung des Stadtarchivs München.

 


[1] URL: http://www.hausderdeutschenkunst.de/geschichte/vorbereitung-grosse-deutsche-kunstausstellung.html (Stand: 24.01.2012).

[2] Stefan Koldehoff, Hitlers Mythos der Nazi-Kunst – freigeschaltet, in: Welt online (20.10.2011). URL: http://www.welt.de/kultur/history/article13669404/Hitlers-Mythos-der-Nazi-Kunst-freigeschaltet.html (Stand: 24.01.2012).

[3] Ebd. (Stand: 24.01.2012).

[4] URL: http://www.hausderdeutschenkunst.de/geschichte/vorbereitung-grosse-deutsche-kunstausstellung.html (Stand: 24.01.2012).

[5] Ebd. (Stand: 24.01.2012).

[6] Zitiert nach URL: http://www.hausderdeutschenkunst.de/geschichte/vorbereitung-grosse-deutsche-kunstausstellung.html (Stand: 24.01.2012).

[7] URL: http://www.hausderdeutschenkunst.de/geschichte/entartete-kunst.html (Stand: 24.01.2012).

[8] URL: http://www.hausderdeutschenkunst.de/geschichte/vorbereitung-grosse-deuts... (Stand: 24.01.2012).

[9] URL: http://www.hausderdeutschenkunst.de/kuenstler/kuenstler-und-kunst-im-nationalsozialismus.html (Stand: 24.01.2012).

[10] Ebd. (Stand: 24.01.2012)

[11] Erik K. Franzen, Brutal trifft banal. NS-Kunst online: Die neue Datenbank „GDK Research“ (4.11.2011). URL: http://www.artnet.de/magazine/nskunst-online-die-neue-datenbank-gdkresearch/ (Stand: 24.01.2012).

[12] Ebd. (Stand: 24.01.2012).

[13] Ebd. (Stand: 24.01.2012).

[14] URL: http://www.zikg.eu/main/projekte.htm#gdk (Stand: 24.01.2012).

[15] Künstler/Urheber, Material/Technik/Maße, Ausstellung, Dargestellte Person/Geographie, Dargestelltes Bauwerk, Schlagworte, Käufer auf der GDK, Kaufpreis, Heutiger Verwalter, Permalink.

[16] Filterauswahl: 1. Themen und Motive, 2. Künstler, 3. Käufer, 4. Dargestellte Person, 5. Dargestellte Geographie, 6. Dargestellte Bauwerke, 7. Technik, 8. Kaufpreis (Reichsmark).

[17] URL: http://www.gdk-research.de/db/apsisa.dll/ete (Stand: 24.01.2012).

[18] URL: http://www.gdk-research.de/db/apsisa.dll/ete?action... (Stand: 24.01.2012).

[19] Ebd. (Stand: 24.01.2012).

[20] Stefan Koldehoff, Hitlers Mythos der Nazi-Kunst – freigeschaltet, in: Welt online (20.10.2011). URL: http://www.welt.de/kultur/history/article13669404/Hitlers-Mythos-der-Nazi-Kunst-freigeschaltet.html (Stand: 24.01.2012).