von Monika Magić Kovač

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1. November 2010

Im Zusammenhang mit dem Besuch des serbischen Staatspräsidenten Boris Tadić in Vukovar wurde der Film „Vukovar – The Final Cut“ erneut in Serbien ausgestrahlt. Frau Monika Magić Kovač führte das Interview mit dem Produzenten des Films, Veran Matić, im November 2010.

Veran Matić ist serbischer Journalist, langjähriger Direktor und Chefredakteur des Radio- und Fernsehsenders B92. Zehn Jahre lang war er Vorsitzender der Vereinigung Unabhängiger Elektronischer Medien (ANEM). Er studierte Literatur an der Philologischen Fakultät der Universität in Belgrad. Seit 1984 ist er im journalistischen Bereich tätig. Im Mai 1989 gründete er den ersten unabhängigen Radiosender in Serbien, der trotz mehrerer Verbote die serbische Öffentlichkeit umfassend über die politischen Ereignisse informierte. Für seine Leistungen und für den Kampf um die Pressefreiheit wurde er mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem „Jahrespreis des New Yorker Komitees zum Schutz von Journalisten“.

ZOL: Herr Matić, über Vukovar sind inzwischen viele Filme gedreht worden, aber "Final-Cut" ist der erste Dokumentarfilm, der in serbisch-kroatischer Kooperation entstanden ist. Wie kam es zur Zusammenarbeit? Wer hat das ganze Projekt finanziert?

Matić: Der Film ist im Rahmen des Projektes „Unabhängig für die Wahrheit“ entstanden, welches ich nach den Veränderungen im Jahr 2000 in Gang setzte. Wir haben zwei internationale Konferenzen zu den Themen: "Wahrheit, Verantwortung und Versöhnung" und über den "Umgang mit Krieg und Kriegsverbrechen aus globaler Perspektive" veranstaltet. Der gemeinsame Nenner all dieser Erfahrungen ist die Einsicht in die Notwendigkeit, die Verbrechen aufzuklären, die Opfer zu identifizieren und die Täter zu verurteilen, um auf diese Weise Möglichkeiten für eine Versöhnung zu schaffen. Die komplette Zerstörung Vukovars und die Ermordung seiner Bewohner habe ich als Symbol für das Wesen des Krieges gedeutet. In den ersten Tagen des Krieges in Kroatien geschah in Vukovar all das, was sich auch später in Bosnien und im Kosovo ereignete. Das waren Kriege gegen Zivilisten, gegen alles Lebendige, das waren die Verwüstungen der Städte, die Zerstörungen von all dem was Menschen geschaffen haben, mit einem enormen Hass gegenüber allem was als feindlich erklärt wurde. Außerdem ist Vukovar sowohl ein kroatisches als auch ein serbisches Trauma: Ein kroatisches, weil unter den Bewohnern das Gefühl herrschte, die Stadt alleine verteidigen zu müssen, ohne Hilfe aus Zagreb, und ein serbisches, weil ein furchtbares Verbrechen begangen wurde. Als ich das Konzept für die Dreharbeiten verfasste, wollte ich, dass wir einen Film drehen, der in Kroatien wie auch in Serbien Glaubwürdigkeit genießen würde. Deshalb war es notwendig, das beste Journalisten-Team aus Serbien und Kroatien zu finden sowie einen guten Leiter des Teams. Wir haben den Weg zu dem Journalisten Drago Hedl gefunden, der ein Zeitzeuge der Ereignisse in Vukovar war, ein exzellenter Forscher und Analytiker. Zudem hatten wir einen sehr guten und stark motivierten Regisseur, Janko Baljak. Andere Journalisten wollten ebenfalls mit großem Eifer an dem Projekt teilnehmen. Das Geld haben wir von verschiedenen Organisationen gesammelt.

ZOL: Die Dokumentation ist aus dem Jahr 2006, das heißt genau 15 Jahre nach dem Fall von Vukovar. Hatte die historische Distanz von 15 Jahren eine besondere Bedeutung bei der Entstehung des Films?

Matić: In diesem Fall zeigte sich das als richtig; uns ist es gelungen einen Film zu drehen, nach dem es nicht mehr möglich ist, eine ideologisierte Version zu produzieren. Dieser Film wird es ermöglichen, ziemlich leicht eine Lüge, eine Unterstellung, eine Funktionalisierung etc. zu erkennen, weil er meiner Meinung nach umfassend informiert: Er spricht über die Ursachen und er verfolgt die Ereignisse mit Genauigkeit, dokumentarisch, ohne einzelne Elemente auszulassen.

ZOL: Den Menschen in der ganzen Region fällt es noch immer schwer sich mit der Kriegsvergangenheit auseinanderzusetzen. Welche Motive hatten Sie für das Drehen des Films? Welche Botschaften wollten Sie dadurch vermitteln?

Matić: Jeder Film, den wir über die Kriegsverbrechen gemacht haben, beinhaltet sowohl beunruhigende als auch versöhnende Elemente. Ich habe das Publikum in Zagreb und in Belgrad beobachtet; es gab viele Menschen, Kroaten und Serben, die die Hölle von Vukovar überlebt haben. Bei allen habe ich Beunruhigung gesehen, während sie noch einmal das Unheil, das sie erfahren hatten, durchlebten. Dennoch habe ich den Eindruck, dass danach  Erleichterung herrschte, die darauf  beruhte, dass es für diese Hölle, dieses Unheil nun eine Form gab, die das Vergessen unmöglich macht. Auch diejenigen, die davon nichts wussten wurden informiert. Wenn sie das Unheil selbst erleben, haben sie oft weder die Zeit noch den Raum sich zu distanzieren und die Ereignisse objektiv zu betrachten. Menschen neigen dazu ganz verschiedene Rechtfertigungen für Verbrechen zu finden; aber erst wenn sie die Maschine, die zu den Verbrechen geführt hatte, demontieren, wenn sie den Mechanismus dokumentieren, der das Unheil und den Hass produziert hatte, wenn sie die Lügen in den Medien, die Hetze und die Fälschungen enthüllt haben, dann kann dies eine überzeugende Lektion für alle Bürger sein, damit sie sich weigern bedingungslos an nationalistische, vielleicht charismatische Führer zu glauben, die Hass verbreiten und Institutionen missbrauchen, von den Medien bis hin zur Kirche. Ich glaube, dass uns das mit diesem Film gelungen ist. Ich empfinde Zufriedenheit darüber, dass fünf Jahre nach der Ausstrahlung des Films die Präsidenten von Kroatien und Serbien nach Ovčara und nach Paulin Dvor gekommen sind, dass ein Teil der Verbrecher für die Taten in Vukovar und in Ovčara in Den Haag und in Belgrad verurteilt wurde. Nicht zuletzt bin ich zufrieden, dass wir diese Filme haben, die in diesen Tagen wieder ausgestrahlt wurden, wodurch die Gesten der beiden Präsidenten einen tiefen und klaren Sinn erhielten.

ZOL: Der Film zeigt uns keine einseitige Geschichte. Es wurden beide Seiten einbezogen, sowohl die Opfer, als auch die Täter. Auf welche Schwierigkeiten sind Sie bei der Durchführung von Gesprächen mit den Zeitzeugen gestoßen?

Matić: Es war sehr schwer, die Beteiligten, Opfer, aber insbesondere die Täter zu überreden am Projekt teilzunehmen. Vor allem, wenn es sich um eine unabhängige Institution, wie B92 handelt, die auch während der Kriege ein klares Anti-Kriegs-Profil hatte und die mit ihrem Programm sehr stark den Prozess der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit unterstützt. Das heißt, dass die Teilnehmer bereits im Vorfeld wussten, was auf sie zukommt. Es gab einige, die es abgelehnt haben, und auch einige, die sogar am Film teilnehmen wollten, als wir uns in der letzten Phase der Dreharbeiten befanden. Es gab diejenigen, die sich auf eigene Initiative bei uns meldeten, um uns die Dokumente zu überreichen. Am schwierigsten allerdings war es mit den Opfern, weil wir sie zwangen, noch einmal die Erinnerung an das Unheil zu durchlaufen. Andererseits war das für uns auch eine schwierige Situation, weil wir uns mit ihrem Leiden identifizierten und solidarisierten. Jedoch beschwerte sich keiner, niemand hatte am Ende Einwände gegen das, was wir produziert haben, sogar die Kritiken waren positiv. Das ist der beste Beweis, dass wir die Fallstricke der historischen Betrachtung erfolgreich bewältigt haben.

ZOL: Die Dokumentation wurde auf zahlreichen Filmfestivals ausgestrahlt, u.a. auf dem Dokumentarfilmfestival in Zagreb, auf dem Belgrader FEST und auf dem Filmfestival in Sarajevo, wo sie mit dem Menschenrechtspreis („Human Rights Award“) ausgezeichnet wurde. Wie waren die Reaktionen des kroatischen und serbischen Publikums?

Matić: Ich habe bereits erwähnt, dass die Reaktionen des Publikums überall ähnlich waren. Es wurden sehr viele Emotionen gezeigt, Tränen, Schockzustände, Sprachlosigkeit. Die Autoren bekamen Anerkennung für ihre Objektivität, ihre Zurückhaltung, ihre Professionalität und für die Einbindung aller Beteiligter. Für alle war unsere Absicht deutlich. Als wir den Film und die Serie auf unserem Sender TV B92 ausstrahlten, hatten wir sehr gute Einschaltquoten von einer Million dreihunderttausend Zuschauern (die Sendezeit hatten wir absichtlich nach den zwei Sendungen mit hohen Quoten „Big Brother“ und „Wer wird Millionär“ angesetzt). Die gleiche Situation konnten wir auch bei den Wiederholungen beobachten. Damals kamen auch viele negative Reaktionen, an erster Stelle von denen, die permanent ein Gleichgewicht suchen und erwarten, dass man gleichzeitig über die Verbrechen auf allen Seiten spricht. Allerdings gab es keine Person, die versucht hätte, Fakten zu verleugnen.

ZOL: Außer in Ex-Jugoslawien konnte den Film auch das Publikum im Ausland sehen, beispielsweise in München und Amsterdam. Wie wurde der Film dort aufgenommen?

Matić: Die Menschen neigen zum schnellen Vergessen, was auch daran liegt, dass sich nach Vukovar die Zahl der Kriegsverbrechen drastisch erhöhte. Die Wiederbelebung der Geschichte Vukovars erinnerte viele an etwas, was schon unterdrückt war, es gab sehr viele die Vukovar nicht erlebt hatten, für die diese Geschichte ganz neu war und das ist auch wichtig; je mehr glaubwürdige Dokumente dieses Typs vorhanden sind, desto eher kann dies den Nachgeborenen helfen zu verstehen.

ZOL: Wie schätzen Sie die Rolle der inländischen Medien ein, wenn es um die Frage von Kriegsverbrechen und Kriegsschuld geht? Was planen Sie als Sender in Bezug auf das Thema der Auseinandersetzung mit der Kriegsvergangenheit?

Matić: Die Medien können im gleichen Maße in dem sie die Bedingungen und die Atmosphäre geschaffen haben, dass sich brutale Verbrechen ereignen konnten, gerade mit solchen Projekten eine große Rolle bei der Versöhnung spielen. Wir haben mehr als zwanzig Filme und ein paar Serien über verschiedene Aspekte des Krieges gedreht. Einige Filme enthüllten Verbrechen und führten zu Verhaftungen und Verurteilungen von Tätern in Den Haag und in Belgrad. Das sind Themen mit denen unser ganzes Programm sensibel umgeht. Unsere Gesellschaft bezahlt nämlich noch heute einen hohen Preis, weil sie den Prozess der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nicht konsequent verfolgt hat und weil in unserem öffentlichen, wirtschaftlichen und kriminellen Leben noch immer Personen präsent sind, die Teil des Mechanismus waren, welcher in den 1990er Jahren Verbrechen ermöglichte.

ZOL: Wie sehen Sie die Chancen für eine zukünftige Verständigung zwischen Serben und Kroaten? Gibt es  gemeinsamen Projekte auf diesem Gebiet? Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die EU im Verständigungsprozess?

Matić: Es wäre sehr wichtig die Erfahrungen der Vergangenheitsbewältigung zwischen Deutschland und Frankreich zu nutzen. Es ist notwendig, institutionelle Voraussetzungen für die Kommunikation zu schaffen, den Austausch von Projekten aus den Bereichen der Kultur, des Jugendaustausches, der Bildung anzuregen. Wir stehen uns sehr nah als Völker, Kulturen, Gemeinschaften etc. und ich bin mir sicher, dass es nicht schwer ist, Formen der Kommunikation und der fruchtbaren Zusammenarbeit wiederherzustellen. Natürlich muss man dabei ständig diejenigen im Auge behalten, die diese Beziehungen schädigen, die Hass und Phobien verbreiten, da noch immer ein fruchtbarer Boden für solche Stimmungen vorhanden ist.