von Susanne Schattenberg

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6. März 2025

Als im Februar 2022 Russland den Vollangriff auf die Ukraine begann, zeigten sich viele Kommentatoren nicht nur entsetzt, sondern auch überzeugt, dass dies der Anfang vom Ende des russischen Präsidenten Wladimir Putins sei. Diesen Völkerrechtsbruch und die Zerstörung der Friedensordnung in Europa werde er international nicht überleben und eines Tages auch von seiner eigenen Bevölkerung dafür abgestraft werden. Drei Jahre lang hat die Ächtung Putins gehalten; nun hat der US-Präsident Donald Trump ihn rehabilitiert und zu Friedensverhandlungen eingeladen. Er stellt damit die Verhältnisse auf den Kopf: Putin ist sein Verhandlungspartner, während er die europäischen Staaten mit Nichtachtung straft. Über die Telefonate mit dem Kreml hat er sie erst nachträglich informiert; von den Verhandlungen in Saudi-Arabien hat er sie ausgeschlossen; wieweit die Ukraine daran beteiligt sein darf, ist noch ungewiss.

 

Europas Dornröschenschlaf

Diese "zweite Zeitenwende", das Ende der transatlantischen Zusammenarbeit und der Schulterschluss mit Putin, hat die europäischen Staaten offenbar vollkommen unvorbereitet getroffen. Dabei hatte Trump vor seiner Wahl angekündigt, er werde den Krieg in der Ukraine in einem Tag beenden. Dass seine "Blitzdiplomatie" unter Ausschluss Europas funktionieren würde, hätte man an einer Hand abzählen können. Auch wenn Trump nach seiner Wahl einräumte, der Friedensschluss werde womöglich 100 Tage dauern, verkündete er Anfang Februar, er habe mehrfach mit Putin telefoniert – ohne die Europäer oder Selenskyj zu informieren. Die New York Post zitierte ihn mit den Worten: "Lasst uns diese Treffen in Gang bringen. Sie wollen sich treffen. Jeden Tag sterben Menschen. Junge, gut aussehende Soldaten werden getötet." Gleichzeitig fabuliert er, die Ukraine könne eines Tages russisch sein, er aber wolle die US-Hilfen zurückerstattet bekommen. Die wenigen Sätze offenbaren Trumps Denken und Prioritäten, wenn sie nicht ohnehin längst bekannt waren: Er hält sich an Äußerlichkeiten fest – "gut aussehende Soldaten"; die vermeintlichen finanziellen Interessen der USA haben für ihn absolute Priorität, und er glaubt, dass sich alle Probleme in einem Gespräch zwischen zwei mächtigen Männern lösen lassen.

 

Verhandlungsziel: Krieg

Hatten die Vertreter der sogenannten realistischen Denkschule also doch Recht, dass alle Staaten, auch Russland, die gleichen Prioritäten hinsichtlich Sicherheitsdenken, Wirtschaftswachstum und Volkswohl haben? Lagen die Vertreter von bedingungslosen Friedensverhandlungen richtig, dass man mit Putin nur sprechen müsse, weil auch er diesen Krieg nicht wolle? Leider hat sich auf Seiten Putins nichts in diesem Sinne geändert, wie er selbst sofort verlautbaren ließ: Die „Ursachen“ für den Krieg müssten beseitigt werden. Diese „Ursachen“ sind in seinen Augen aber die Unabhängigkeit der Ukraine, die demokratisch gewählte Regierung in Kiew und deren Souveränität, nach eigenem Gutdünken (Militär-)Bündnissen beitreten zu können. Kurz, Putin setzt die Auslöschung der Ukraine weiterhin über das Wohl seiner eigenen Bevölkerung und Wirtschaft. Zudem ist der Krieg in den drei Jahren zur tragenden Säule seiner Herrschaft geworden: Auf ihn ist die gesamte Wirtschaft eingestellt, mit ihm rechtfertigt er den immer repressiveren Polizeistaat und über das ihm zugrunde liegende Großmachtdenken legitimiert er sich.

 

Trumps Geschenke

Wenn sich aber weder Putins Kriegsziele noch seine Einstellung zum Krieg geändert haben, warum lässt er sich dann auf Gespräche mit Trump ein? Weil zum einen allein diese Rehabilitierung ein Triumph ist und zum anderen Trump bereits zur Hälfte seine Forderungen erfüllt hat: keine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, keine NATO-Truppen zur Friedenssicherung, keine Rückgabe der durch Russland besetzten Ostukraine. Vermutlich waren diese Punkte Gegenstand der mehrfachen Telefonate zwischen Trump und Putin und vermutlich hat sich Putin nur durch diese Zugeständnisse überhaupt zu Verhandlungen bereit erklärt. Was Verhandlungsmasse in Gesprächen sein sollte, verschenkte Trump, um sich Putins Verhandlungsbereitschaft zu erkaufen. Dabei ist ein wesentlicher Kollateralschaden dieses Deals noch gar nicht benannt: Mit dem Ausschluss der Europäer von den Verhandlungen bestätigt Trump Putin in seiner Weltsicht, die europäischen Staaten seien nur „Vasallen“ oder „Satelliten“ der USA, die lediglich ausführten, was die USA anwiesen. Die Aufwertung Putins ist also genauso verheerend wie die Abwertung der EU.

 

Szenario 1: Die Verhandlungen scheitern

Was ist nun von diesen Verhandlungen zu erwarten? Die erste Möglichkeit ist, dass Putin die Verhandlungen so lange wie möglich hinzieht, um sie am Ende scheitern zu lassen. Verhandlungen geben ihm Zeit, gleichzeitig militärisch Fakten zu schaffen und darauf zu setzen, dass angesichts eines vermeintlich nahenden Friedensschlusses die Ukraine weniger Waffen und andere Unterstützung erhält, wie es sich bereits jetzt abzeichnet. Die Schuld für das Scheitern wird Russland auf die Ukraine und die EU, ggf. auch auf die USA, schieben, die nicht zustimmen werden, dass die Ukraine auch die nicht-okkupierten Teile der Ostukraine abgibt, und weder Neuwahlen noch eine Entmilitarisierung der Ukraine hinnehmen werden. In jedem Fall werden die Verhandlungen ein strategischer Vorteil und deren Scheitern ein Propagandaerfolg für Putin sein.

 

Szenario 2: Ein Hitler-Stalin-Pakt 2.0

Die zweite Möglichkeit ist, dass Putin und Trump eine Einigung erzielen und die Ukraine sich gezwungen sieht, Bedingungen wie Gebietsabtritte, Neuwahlen und den Verzicht auf die NATO-Mitgliedschaft anzunehmen. Das wäre international eine Einladung an alle Potentaten, sich mit Gewalt Gebiete einzuverleiben, weil sie hinterher mit internationaler Anerkennung rechnen können. Für die Menschen in den annektierten Gebieten bedeutete das keinen Frieden, sondern eine Legitimierung der jetzt schon dort herrschenden Russifizierung, von willkürlichen Verhaftungen und Folter. Wahlen, die laut ukrainischem Recht nur in Friedenszeiten stattfinden können, wären ein Einfallstor für russische Manipulationen und Versuche, endlich eine Marionettenregierung, ähnlich wie in Belarus, zu installieren. Während die große Frage ist, ob die EU in der Lage wäre, die rund 2000 Kilometer lange Grenze zwischen Russland und der Ukraine zu sichern, wird Russland europäischen Friedenstruppen an seiner Grenze ohnehin nicht zustimmen, weil dann einträte, wovor er seit Kriegsbeginn in seiner Propaganda warnt und weshalb er angeblich diesen Krieg nur begonnen hat: dass nämlich „der Westen“ die Ukraine als Aufmarschgebiet nutzt, um von hier aus Russland anzugreifen. Es werden sich also allenfalls Blauhelmsoldaten aus Drittstaaten in der Ukraine finden. Währenddessen wird Putin weiter aufrüsten, die Ukraine – wie es zur Zeit der Minsker Abkommen an der Tagesordnung war – weiter beschießen lassen und früher oder später einen Vorwand suchen, um das Land ganz zu besetzen. Die etwaige Motivation Putins für ein solches Abkommen wäre ähnlich der Strategie Hitlers 1939, der mit dem Hitler-Stalin-Pakt Stalin halb Polen, das Baltikum und Bessarabien überließ, wohl wissend, dass er all diese Gebiete ohnehin zwei Jahre später überrennen würde, eine Art Hitler-Stalin-Pakt 2.0.

 

Beispiel Nordkorea oder Afghanistan?

Dass diese Verhandlungen zu wirklichen Friedenszeiten sowohl für die besetzten Gebiete als auch für die freie Ukraine führen, ist unter Putin so gut wie ausgeschlossen. Zudem gibt es nach Trumps erster Amtszeit zwei Beispiele, die nicht zuversichtlich stimmen: So wie er jetzt verkündet, er werde den Krieg in der Ukraine beenden, hatte er damals verkündet, er werde die atomaren Ambitionen von Nordkoreas Staatschef Kim Jong-Un beenden. Doch ihr drittes Treffen brach Trump 2019 entnervt ab, weil es, wie alle Beobachter vorausgesagt hatten, keinerlei Bewegung auf Seiten Nordkoreas gab. Das einzige Ergebnis waren ein paar Tage Weltöffentlichkeit und schöne Fotos für einen geächteten Diktator. Das entspricht ungefähr dem Szenario eins, wie die Treffen mit Putin ausgehen könnten. Das zweite Beispiel aus Trumps erster Amtszeit sind die Verhandlungen, die seine Regierung über den Abzug der US-Soldaten aus Afghanistan mit den Taliban ohne Beteiligung der demokratisch gewählten afghanischen Regierung führte. Das Ergebnis ist bekannt: Die US-Soldaten zogen ab und die Taliban übernahmen die Macht im Land. Das entspricht ungefähr, was mit Szenario zwei zu erwarten ist: Hat Putin erstmal einem Deal zugestimmt, wird sich Trump nicht mehr dafür interessieren, ob der sich an die Abmachungen hält.

 

Ein "amerikanisches Vietnam" oder ein "sowjetisches Afghanistan"

Während die Europäer nicht wahrhaben wollten, dass Trump lieber mit Potentaten als mit ihnen spricht, war als einziger der ukrainische Präsident Wolodymyr Selensky darauf eingestellt, dass man Trump Geschäfte anbieten muss, wenn man etwas von ihm will. Bereits im Herbst 2024 hatte er ihm daher ukrainische seltene Erden als Gegenleistung für Sicherheitsgarantien angeboten. Dass er trotzdem von Trump vor vollendete Tatsachen gestellt, von ihm öffentlich gedemütigt werden und statt Sicherheitsgarantien zu erhalten, die Militärhilfen gestrichen bekommen würde, hat offenbar auch er nicht kommen sehen. Die europäischen Staatschefs müssen nun dringend alles, was sie an Druckmitteln gegenüber den USA haben, auf den Tisch bringen, wollen sie sich die europäische Sicherheitsarchitektur nicht von Trump und Putin diktieren lassen. Als 2002 die Bundeswehr in Afghanistan Dienst tat, erklärte der damalige Verteidigungsminister Peter Struck, die deutsche Sicherheit werde auch am Hindukusch verteidigt. Ähnlich klar müsste die EU formulieren, dass die europäische Sicherheit in der Ukraine verteidigt wird. Der einzig Weg zu einem wirklichen Frieden ist nach wie vor, dass Putin ein "amerikanisches Vietnam" oder ein "sowjetisches Afghanistan" erlebt: Die Großmacht muss ihre Truppen zurückziehen, weil sie einsieht, dass sie dies Land nicht besiegen kann und der Überfall ein Fehler war. Putin muss begreifen, dass die europäischen Staaten nicht die „Vasallen“ der USA sind, sondern die Verbündeten der Ukraine, an denen er scheitern wird.