von Annette Vowinckel

  |  

1. Januar 2013

Auf der Liste der Intellektuellen, die es irgendwann ins Kino schaffen würden, ist Hannah Arendt in den vergangenen zwanzig Jahren stetig nach oben gerutscht.
Margarethe von Trotta hat sich nun ihrer angenommen und zeigt damit ihre seit Mitte der siebziger Jahre ungebrochene Affinität zu starken Frauenfiguren. Angesichts des seit den 1990er Jahren anhaltenden deutschen Arendt-Booms verwundert es zudem kaum, dass der Film eine deutsche Produktion ist – und keine amerikanische oder israelische.

Es ist sicher kein einfaches Unterfangen, einen Film über Hannah Arendt zu drehen, deren physische und intellektuelle Präsenz (fast möchte man sagen: Hyperpräsenz) die Aufnahme des Fernsehinterviews mit Günter Gaus aus dem Jahr 1964 höchst eindrücklich dokumentiert.
Daher scheint die Idee, weder die Heidegger-Beziehung noch die ganze Biografie zu verfilmen, sondern dasjenige von Arendts Werken, das sich dramaturgisch am einfachsten mit ihrem Leben verbinden lässt, zunächst plausibel. Gegenstand des Filmes sind die Jahre 1960 bis 1964, in denen sich Arendt entschloss, dem Jerusalemer Prozess gegen Eichmann als Korrespondentin beizuwohnen, in denen sie ihren Bericht erst als Serie im New Yorker und dann als Buch veröffentlichte, woraufhin sich einige ihrer besten Freunde von ihr abwandten, während andere – allen voran Mary McCarthy – sich engagiert für sie einsetzten.

Margarethe von Trotta hat in verschiedenen Interviews keinen Hehl aus ihrer Parteinahme für Hannah Arendt gemacht. Mit missionarischem Eifer versucht sie auch das Publikum von der Richtigkeit der Argumente Arendts zu überzeugen. Es liegt in der Natur der Sache, dass dabei die Geschichte der Eichmann-Kontroverse verkürzt wird. Deutlich wird dies nicht zuletzt in einer Szene, in der Mary McCarthy mit intellektueller Brillanz und beißendem Humor Arendts Kritiker Norman Podhoretz attackiert. Gleichwohl wird gerade das Missionarische des Films der Arendtschen Leidenschaft für den Austausch von Argumenten nicht wirklich gerecht. Hätte sich Arendt etwa darüber gefreut, dass ihre Person und ihre Freunde im Film als unangefochtene Sieger dastehen? Oder hätte sie sich nicht vielmehr gewünscht, dass dem Zuschauer erklärt wird, warum so viele ihrer Zeitgenossen sich durch ihre Darstellung Eichmanns, oder das, was sie darüber gehört hatten, angegriffen oder verletzt fühlten?

Mit mehr als fünfzig Jahren Abstand zum Geschehen ist die Wut so vieler Zeitgenossen und Freunde Hannah Arendts über deren Eichmann-Report kaum noch zu vermitteln. Es ist jedoch eine Tatsache – und keine Fiktion – dass viele, sogar einige der engsten Freunde Arendts, nach der Veröffentlichung mit ihr brachen. Arendt hatte unter dem Eindruck des Prozessgeschehens darauf hingewiesen, dass in den von Nazis besetzten Niederlanden, wo relativ viele Juden untertauchen konnten, die Überlebenschancen besser waren als in Deutschland oder Polen, wo Judenräte Listen von Gemeindemitgliedern herausgaben in dem Glauben, dadurch gewalttätige Übergriffe verhindern zu können. Viele von Arendts Lesern waren der Meinung, sie habe damit den Judenräten eine Mitschuld am Holocaust zugeschoben. Dass Arendt einigen dieser Kritiker nachsagte, selbst Teil des jüdischen „Establishments“ gewesen zu sein, hat die Sache nicht vereinfacht – ebenso wenig wie die Tatsache, dass sie Eichmann einen „Hanswurst“ nannte, der nicht dämonisch, sondern einfach nur dumm war.

Heute verursacht eine Darstellung der Debatte oft ratloses Kopfschütteln. Den Zuschauer (wohl mehrheitlich: die Zuschauerin) von Arendts Integrität zu überzeugen, ist im Kino deshalb ein Leichtes. Darzustellen, warum seinerzeit die Debatte eine riesige intellektuelle Community über Jahre hinweg in Aufruhr versetzte, wäre mit den Mitteln des Kinos indes nur schwer zu bewerkstelligen, besonders dann, wenn Arendts Kritiker entweder als verwirrt oder als Fatzkes dargestellt werden.

Man gönnt Arendt, die von Barbara Sukowa gut gespielt wird, dass sie als überlegen und souverän aus dem Kinoabend hervor geht. Die Botschaft der Regisseurin, dass sie eine der beeindruckendsten Denkerinnen des zwanzigsten Jahrhunderts war, kommt an. Aufschlussreich sind auch die dokumentarischen Aufnahmen des Eichmann-Prozesses, um den es indes nur am Rande geht. Es bleibt die Frage: Hätte eine Biografie am Ende nicht doch weniger Komplexitätsreduktion bei größerem Unterhaltungswert garantiert?

 

Material zu Hannah Arendt und zum Eichmann-Prozeß
(Rezensionen, Tagungsberichte, ZOL, Zeithistorische Forschungen, Presse)

Ausgewählt von Jan-Holger Kirsch (Stand: 4.2.2013)

Rezensionen:

Althaus, Claudia: Erfahrung Denken. Hannah Arendts Weg von der Zeitgeschichte zur politischen Theorie, Göttingen 2000 [Annette Vowinckel, 3.6.2001] http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=2119

Arendt, Hannah; Fest, Joachim: Eichmann war von empörender Dummheit. Gespräche und Briefe. Herausgegeben von Ursula Ludz und Thomas Wild, München 2011 [Peter Krause, 2.9.2011]
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-3-132

Cesarani, David: Adolf Eichmann. Bürokrat und Massenmörder – Biografie, Berlin 2004 [Peter Krause, 9.2.2005]
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-1-106

Heuer, Wolfgang; Heiter, Bernd; Rosenmüller, Stefanie (Hg.): Arendt-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart 2011 [Elisabeth Gallas, 24.7.2012]
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-3-055

Krause, Peter: Der Eichmann-Prozess in der deutschen Presse, Frankfurt a.M. 2002 [Nina Leonhard, 5.3.2003]
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-1-125

Meints, Waltraud; Klinger, Katherine (Hg.): Politik und Verantwortung. Zur Aktualität von Hannah Arendt, Hannover 2004 [Wolfgang Heuer, 11.4.2005]
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-2-022

Stangneth, Bettina: Eichmann vor Jerusalem. Das unbehelligte Leben eines Massenmörders, Hamburg 2011 [Peter Krause, 2.9.2011]
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-3-131

Wojak, Irmtrud: Über Eichmanns Memoiren. Ein kritischer Essay, Frankfurt a.M. 2001 [Susanne Benöhr, 22.4.2002]
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/NS-2002-013

 

Tagungsberichte:

The Eichmann Trial in International Perspective: Impact, Developments and Challenges, 24.-26.5.2011, Berlin [Ferenc Laczó, 5.7.2011]
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3707

Hannah Arendt und die Frankfurter Schule, 11.1.2010, Frankfurt a.M. [Elisabeth Gallas, 6.2.2010]
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2988

Verborgene Tradition – Unzeitgemäße Aktualität? Hannah Arendt 1906–2006, Teil II, 5.-7.10.2006, Berlin [Stefanie Rosenmüller/Marianne Zepp, 12.11.2007]
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1423

Hannah Arendt in the 21st Century: A Global Discourse, 9.11.2006, Waco, Texas [Amanda King, 1.1.2007]
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1435

Hannah Arendt weitergedacht – Ein Symposium zum 100. Geburtstag der Namensgeberin des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, 21.-23.9.2006, Dresden [Eik Welker/Sebastian Koch, 1.11.2006]
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1349

Critical Assessment of the Writings of Hannah Arendt, 24.-27.7.2006, Dresden [Amanda King, 30.8.2006]
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1295

 

Beitrag bei Zeitgeschichte-online:

Elisabeth Gallas, Hannah Arendt und der Eichmann-Prozess. Eine doppelte Überschreibung, in: Zeitgeschichte-online, November 2011.

 

Beitrag aus den Zeithistorischen Forschungen:

Peter Krause, Kann das Böse „banal“ sein? Hannah Arendts Bericht aus Jerusalem, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 6 (2009), S. 153-158.

 

Ausgewählte Presseartikel zum Film „Hannah Arendt“:

Elke Schmitter, Angemessen beunruhigend. Ihre These von der „Banalität des Bösen“ machte Hannah Arendt berühmt und angreifbar. Jetzt hat Margarethe von Trotta der Philosophin ein überragendes Spielfilmporträt gewidmet, in: Spiegel, 7.1.2013, S. 120f.

Die Kunst, das Denken zu spielen. Barbara Sukowa und Margarethe von Trotta über ihren Film „Hannah Arendt“, den Freiheitsgeist und die Gegner der Philosophin, in: Tagesspiegel, 8.1.2013, S. 19 (Interview).

Bert Rebhandl, Selbst denken macht Freunde. Margarethe von Trotta setzt ihre Folge von Filmen über große Frauen mit „Hannah Arendt“ fort, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.1.2013, S. 25.

Rainer Gansera, Gedanken im Brennspiegel. Der Dialog ist die Action – Margarethe von Trottas neuer Film „Hannah Arendt“ mit Barbara Sukowa ist wortlastig, aber dramatisch ist er trotzdem, in: Süddeutsche Zeitung, 10.1.2013, S. 10.

Micha Brumlik, „Hannah Arendt“ im Kino. Die Leidenschaft des Denkens. Margarethe von Trottas Film über die jüdische Philosophin Hannah Arendt ist unbedingt sehenswert. Auch wenn er einige Geschehnisse verharmlost, in: taz.de, 10.1.2013.

Thomas Assheuer, Ist das Böse wirklich banal? Die Filmregisseurin Margarethe von Trotta huldigt der Philosophin Hannah Arendt – und verschleiert ihre Irrtümer, in: ZEIT, 10.1.2013, S. 49.

Selbst denken schafft nicht Freunde, sondern macht einsam. Ein Gespräch mit Edna Brocke, der Großnichte von Hannah Arendt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.1.2013, S. 35.

Barbara Sukowa über Denken, in: Süddeutsche Zeitung, 12.1.2013, S. V2/10 (Interview).

Christoph David Piorkowski, Maskenspiele. Wird Margarethe von Trottas Film Hannah Arendts Mythos gerecht?, in: Süddeutsche Zeitung, 17.1.2013, S. 12 (online unter dem Titel „Wie ein Fels im Shitstorm“).