„Es gab während des NS-Regimes 10.000 Widerstandskämpfer, und zwei Millionen davon lebten später in der DDR."
(Jurek Becker)
Am 13. Dezember 1988 eröffnete der Präsident der 43. Generalversammlung der Vereinten Nationen, Dante Caputo,[1] das 77. Treffen wie folgt:
The President: „Before we turn to the item on our agenda I wish to welcome all delegations to these meetings of the forty-third session of the General Assembly on the question of Palestine, being held in Geneva."[2]
Die politische Reaktion auf die Proklamation – Solidarität nach Plan
Vor dem Hintergrund der Ereignisse im Nahen Osten erscheint eine Debatte der Vereinten Nationen „on the question of Palestine“ als nicht ungewöhnlich.[3] Der dreitägigen Konferenz von Genf war jedoch ein brisanter außenpolitischer Schritt der Palästinensischen Befreiungsorganisation[4] vorausgegangen: Knapp einen Monat zuvor, am 15. November 1988, hatte die PLO den freien Staat Palästina proklamiert und somit für eine Zäsur im Konflikt mit Israel gesorgt. Eine Debatte der Staatengemeinschaft über die Anerkennung der palästinensischen Unabhängigkeit schien unausweichlich – vor allem, da die Proklamation folgende Passage enthält: „Im Rahmen seines Kampfes um Frieden ruft der Staat Palästina die Vereinten Nationen auf, ihre besondere Verantwortung gegenüber dem palästinensisch-arabischen Volk und seiner Heimat wahrzunehmen.“[5] Diese eingeforderte Verantwortung lag unter anderem auch bei der Bundesrepublik und der DDR. Letztere, seit 1973 Mitglied der Vereinten Nationen, war ein solcher Beitrittsprozess unter anderen Vorzeichen aus ihrer eigenen Geschichte präsent.[6] Entsprechend solidarisch klingen dann auch die einführenden Worte des DDR-Gesandten Heinz-Dieter Winter, stellvertretender Minister für Auswärtige Angelegenheiten:
Mr. Winter, German Democratic Republic: „The trend towards improved international relations is encouraging to all those who are committed to the use of political means in the pursuit of just settlements for international disputes in the interests of all parties concerned and in the interests of regional security and international peace. The Palestine Liberation Organization (PLO) has made it perfectly clear that it ranks among those forces."[7]
Aus Sicht der DDR-Führung ähnelte die PLO einer friedlichen Bewegung, die im Interesse regionaler Sicherheit und internationalen Friedens agiere – so der Stand Ende 1988. Ein Blick auf die Entwicklung der diplomatischen Beziehungen beider Akteure macht indes deutlich, dass diesem status quo ein längerer Prozess des Lavierens und Auslotens vorausging: Der ostdeutsche Staat taktierte zunächst mit äußerster Vorsicht gegenüber Palästina und ermöglichte so auch einen Blick auf die eigene widersprüchliche Vergangenheitsbewältigung.
Insgesamt gründete das außenpolitische Handeln der DDR auf drei grundlegenden Prämissen: 1. Als Mitglied des Warschauer Paktes orientierte sich das Land an den Handlungsmaximen der Sowjetunion, welche beispielsweise die Sicherung der Grenzen oder den Ausbau der Beziehungen zu anderen sozialistischen Staaten einforderte.[8] 2. Besonders die Außenpolitik bot Gelegenheit, sich gegenüber der Bundesrepublik zu positionieren und auf diese Weise für die eigene internationale Anerkennung zu werben. 3. Vor dem Hintergrund des sozialistischen Selbstverständnisses durften Internationalismus und internationale Solidarität neben politischer Taktik auch als echte ideologische Anliegen gelten.[9] Diese fanden jedoch im Verlauf der Geschichte unterschiedliche Auslegungen.
Noch die 1960er Jahre lassen sich – anders als die kommenden Dekaden – als ein Jahrzehnt „höflich-reserviert[er]“ Diplomatie gegenüber Palästina beschreiben.[10] Zum einen bewertete die Sowjetunion die Befreiungsorganisationen zunehmend als terroristische Vereinigungen, zum anderen gehörte es auch zur Politik der SED, das Existenzrecht Israels nicht in Frage zu stellen. Erst im folgenden Jahrzehnt entwickelten sich klare Beziehungen zur PLO in Form von Kooperationen inoffizieller Organisationen (Rotes Kreuz und Roter Halbmond) und mittels eines offiziellen Büros der PLO in Ost-Berlin 1974. Diese Institutionen dienten nicht zuletzt dazu, die PLO-Führung hinsichtlich ihrer Vorstellung über die eigene Souveränität nach ostdeutschen Maximen zu beeinflussen, um die Eigenstaatlichkeit weniger extremistisch und mit ,realistischererʻ Haltung zu fördern. Zentraler Ansprechpartner war zu dieser Zeit der umstrittene palästinensische Wortführer im Freiheitskampf, Jassir Arafat,[11] der – den Ausführungen Winters zufolge – zum Gesicht der palästinensischen Unabhängigkeitsbewegung werden sollte:
Mr. Winter, German Democratic Republic: „All the more incomprehensible is the attempt to prevent, in violation of the Headquarters Agreement between the United States and the United Nations, the participation of the leading representative of the Palestine Liberation Organization, Yasser Arafat, in the debate on the question of Palestine."[12]
Diese Passage, die die Vorbehalte der USA gegenüber Jassir Arafat verurteilt, enthält auch einen Hinweis auf die Instrumentalisierung der Vorgänge im Nahen Osten durch die DDR: Die Proklamation des Jahres 1988 bot eine ideale Gelegenheit, die Kontraste zum „kapitalistischen Klassenfeind“ schlechthin, den USA, und einem ihrer engsten Verbündeten, Israel, zu akzentuieren. In solidarischem Selbstverständnis positionierte sich der westlichste Satellit der Sowjetunion auf der Seite der ,Guten‘, als Unterstützer einer gerechten und friedlichen Sache:[13]
Mr. Winter, German Democratic Republic: „Since it is the fundamental position of principle of the German Democratic Republic that conflicts – whatever the region and whatever the States and peoples involved – must be solved exclusively by peaceful means, my country was highly appreciative of the decisions taken at Algiers. […] Now the ball is in the court of all those who have so far opposed such a solution, and Israel, in particular."[14]
Schon Mitte der 1970er Jahre hatte sich die DDR mit den Palästinensern solidarisiert: „Die SED bekräftigte, daß sie auch in Zukunft die [PLO] […] in ihrem gerechten Kampf für die nationalen Rechte des palästinensischen Volkes aktiv unterstützen wird.“[15] Neben solchen ostentativen Treuebekundungen vermied es die ostdeutsche Führung jedoch, bei Konflikten der Palästinenser mit arabischen Staaten öffentlich Stellung zu beziehen: Bündnispartner sollten nicht vor den Kopf gestoßen werden. Die Folgezeit war geprägt von militärischer, humanitärer und wirtschaftlicher Hilfe, während das Büro der PLO ab 1980 einen diplomatischen Status erhielt. In den 1980er Jahren intensivierte sich das Verhältnis weiter, was sich auch an den zahlreichen Besuchen Arafats in Ost-Berlin ablesen lässt:[16] Nach zwei Aufenthalten Anfang der 1970er Jahre war der PLO-Führer zwischen 1980 und 1988 alleine fünf Mal in der Hauptstadt, um sich vor allem mit Staatsoberhaupt Erich Hoenecker zu treffen.[17] Insgesamt zeigt sich die außenpolitische Beziehung zu Palästina als komplexes diplomatisches Geflecht. Zwar unterstrich die SED-Führung nicht selten ihre antiisraelische Haltung,[18] das Existenzrecht des Staates Israel selbst wurde indes nie angefochten. Jegliche Form von Terrorismus wurde – offiziell[19] – rundheraus abgelehnt,[20] ein bewaffneter Befreiungskampf hingegen als legitim angesehen. Demnach spiegelt die Entwicklung, vom vorsichtigen Taktieren und Abwägen über die forcierte Einflussnahme auf die Belange der PLO hin zum Auftreten als offener Fürsprecher des palästinensischen Volkes, die angeführten Prämissen der DDR-Außenpolitik in allen Facetten wider.
Die zunehmend freundschaftliche und unterstützende Beziehung zwischen der DDR und der PLO lässt das Fragezeichen hinter der Phrase ,Brüder im Geisteʻ verblassen. Heinz-Dieter Winter wählt in diesem Kontext folgerichtig auch das typische propagandistische Vokabular der sozialistischen Außenpolitik:
Mr. Winter, German Democratic Republic: „Our solidarity with the struggle of the Palestinian people is unwavering."[21]
Das Stichwort Solidarität fällt bei sozialistischen Staaten vor allem dann, wenn es darum geht, einen Bündnispartner ideologisch zu unterstützen. Wie das zeitweise sozialistisch ausgerichtetete Ägypten[22] war auch Palästina bestimmt kein mustergültiger Verfechter des Sozialismus. Doch musste dies nicht zwingend ein unüberwindbares Hindernis darstellen, insofern sich außenpolitische Ziele überschnitten.[23] Angesichts der Unterstützung Palästinas durch die DDR, etwa in der Ausbildung militärischer Führungskräfte,[24] der geopolitischen Nähe zur Sowjetunion und der Beteiligung Israels an dem Konflikt[25] ist die Wortwahl Winters wenig verwunderlich: Ein zukünftiger Staat Palästina wäre im Jahr 1988 als Teil der sowjetischen Einflusssphäre betrachtet worden. Daher mussten die DDR und Palästina in ihrer Außenwirkung als verbündete, ideologisch konforme Partner inszeniert werden.
Auch die nach außen vermittelten Ziele waren weitgehend deckungsgleich formuliert: friedliche Koexistenz, Bekämpfung des Imperialismus, nationale Unabhängigkeit und das Selbstbestimmungsrecht der Völker.[26] Ob die DDR und Palästina jedoch auch in Bezug auf ihr Verhältnis zu Israel als ,Brüder im Geisteʻ bezeichnet werden können, wird noch zu klären sein. Was außenpolitisch formuliert wird, ist mitunter innenpolitisch deutlich schwerer zu vermitteln, zumal hier der Faktor der Vergangenheitsbewältigung eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte. Dies belegt nicht zuletzt die mediale Resonanz auf die Proklamation.
Die Reaktion der Medien auf die Proklamation – Antiisraelismus für das Volk
Gerade weil die Medien in der DDR wie das Neue Deutschland oder die Neue Zeit unter der Anleitung und Kontrolle des SED-Zentralkomitees standen,[27] vermitteln sie interessante Hintergrundinformationen zum Selbstverständnis und zu den Zielen der DDR-Führung – so auch in Bezug auf die Proklamation von 1988. Selbst wenn sie es faktisch nicht waren, so galten sie doch offiziell als frei – daher konnten in ihnen die Ansichten der politischen Elite direkter, vom diplomatischen Ballast befreit, in die Öffentlichkeit getragen werden, um Legitimität herzustellen. In der Sache selbst herrschte bereits Konsens:
Mr. Winter, German Democratic Republic: „The Palestinian people can continue to count on the solidarity of the German Democratic Republic in its efforts to achieve its rights and justice."[28]
Der stellvertretende Außenminister forderte demnach Gerechtigkeit für Palästina. Die Schlagzeilen der DDR-Presse folgten, wenig überraschend, im Gleichklang: Während die Neue Zeit „Ein Volk nimmt sein Recht wahr“ titelte, hieß es im Neuen Deutschland „Zäsur im gerechten Kampf des Palästinenser-Volkes“; die Berliner Zeitung wiederum überschrieb ihren Aufmacher zusammenfassend mit „DDR begrüßt Ergebnisse der Tagung von Algier“.[29] Warum dem so war, vermittelte Irmtraud Gutschke, in den 1970er und 1980er Jahren Redakteurin für das Neue Deutschland, in einem Zeitzeugeninterview 2011: „Da ist nichts, was man bewahren könnte. […] Sagen Sie einfach, das ND war Zentralorgan in einer Diktatur. Fertig.“[30] Aber auch ein Zentralorgan transportiert Meinungen, die vermutlich zwischen den Zeilen stehen – aus der diplomatischen Reaktion Winters sind sie allerdings schwieriger herauszufiltern.
So veröffentlichte die Berliner Zeitung direkt unter dem bereits zitierten Artikel zur Proklamation eine Danksagung der jüdischen Gemeinden der DDR unter dem Titel „Wärme und Geborgenheit in unserer Gesellschaft“.[31] Damit sollte offenbar suggeriert werden, dass die Unterstützung eines möglichen Staates Palästina mitnichten die unumstrittene Bedeutung der jüdischen Mitbürger beeinflusse. Der Staat Israel und das Judentum wurden dabei bewusst voneinander abgegrenzt – Antiisraelismus, absichtsvoll und offen betrieben, sollte im „antifaschistischen“ Staat unter keinen Umständen öffentlich mit Antisemitismus gleichgesetzt werden.[32] Gerade im ausgehenden Jahrzehnt der 1980er Jahre war die SED außenpolitisch darum bemüht, eine positive Beziehung zum Judentum zu präsentieren – und dies aus verschiedenen Gründen: Neben potentiellen Wirtschaftshilfen aus den USA und der Unterstützung der deutschen Zweistaatlichkeit seitens der jüdischen Gemeinschaft darf auch das Aufpolieren der außenpolitischen Reputation als ein Grund genannt werden.[33]
Mr. Winter, German Democratic Republic: „Israel’s action in the occupied Palestinian territories has provoked justified public indignation in almost all countries. Those who place their hopes in the time factor or in a gradual recognition of the status quo have not understood the signs of our time."[34]
Jene Worte Winters, die das israelische Verhalten im besetzten (!) palästinensischen Gebiet als inakzeptabel einstufen,[35] weisen Israel eindeutig die Rolle des Aggressors zu und formulieren damit auch eine direkte Schuldzuweisung. Deutlich schärfer noch, als es die Sprache der Diplomatie zulässt, ist ein Kommentar in der Neuen Zeit formuliert: Dass Palästina aktuell nicht wie ein eigentlicher Staat funktionieren könne, liege an der „fortwährenden israelischen Besetzung“. Der Wahlsieg der „rechtsextremen“ Kräfte wiederum mache jede Hoffnung zunichte, Israel könnte „die ausgestreckte Hand der PLO ergreifen“, sprächen doch die „polizeilichen Maßnahmen in den besetzten Gebieten [...] für sich“.[36]
Auch im Neuen Deutschland sind die Sympathien klar verteilt. Dort heißt es – unscheinbar in einem Nebensatz versteckt –, Jerusalem sei fortan die Hauptstadt Palästinas.[37] Der emotionalste Streitpunkt des Nahost-Konfliktes wurde so zu einer ebenso lapidaren wie indiskutablen Nebensache.
Damit zeichnen die ersten Reaktionen in den meinungsbildenden Printmedien der DDR im Vergleich mit Winter ein prägnanteres Bild des Aggressors Israel, unterscheiden sie sich auch nicht in ihrer positiven Aufnahme der Proklamation. Nach außen wie nach innen trat die DDR gegenüber einem denkbaren unabhängigen Palästina demnach als ,Bruder im Geisteʻ auf – wenngleich die ostdeutsche Republik das Existenzrecht des Staates Israel nicht anfocht. Doch intendierte die angestrebte Anerkennung des Staates Palästina in Konsequenz auch eine Diffamierung der jüdischen Religion?
Die Anerkennung Palästinas als Spiegelbild der ostdeutschen Vergangenheitsbewältigung?
Die bisherigen Befunde verweisen auf das problematische und von Widersprüchen nicht befreite Verhältnis der DDR zu ihrer Vergangenheit beziehungsweise auf antisemitische Tendenzen.[38] Sowohl die exemplarische Untersuchung der politischen als auch der medialen Reaktion auf die Proklamation vermittelt zwar ein tendenziell antiisraelisches Bild, doch waren sowohl Heinz-Dieter Winter wie auch die Autorinnen und Autoren der angeführten Zeitungsartikel stets penibel darum bemüht, einen antisemitischen Eindruck zu vermeiden. Überhaupt darf die Kritik am Handeln Israels nicht mit Antisemitismus verwechselt werden. So konstatierte auch Werner Bergmann, Professor für Soziologie am Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin, in einem Interview kurz nach der Jahrtausendwende, eine „Gleichsetzung der israelischen Politik mit ,den Juden‘“ sei „eine antisemitische Grenzüberschreitung“.[39] Angebracht ist es in diesem Zusammenhang, eher von einem eingeschränkten Antizionismus zu sprechen, der sich gegen die Heimatbestrebungen des Judentums richtete – dennoch argumentierte Winter auf den ersten Blick für parallel existierende Staaten:
Mr. Winter, German Democratic Republic: „[A]ll problems of the region should be considered in their diversity and interdependence […] including both the recognition of the Palestinian people’s right to self-determination and respect for Israel’s right to exist."[40]
Zwar betonte der Diplomat die israelische Existenzberechtigung, ergänzte aber, dass dieses Recht für die palästinensischen Gebiete keine Gültigkeit habe. Auf eben diese Territorien bestand jedoch Israel – inklusive der Hauptstadt Jerusalem, die insbesondere vor dem Hintergrund der zionistischen Bewegung von immenser Bedeutung war. Eben dieser eingeschränkte Antizionismus erklärt sich aus den Bemühungen der DDR, die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten: Im Selbstverständnis eines „besseren“ Deutschlands verzichtete das Land östlich der innerdeutschen Grenze darauf, moralische oder materielle Verantwortung für die Zeit des Nationalsozialismus zu übernehmen.[41] Folge dieser ausbleibenden Vergangenheitsbewältigung war nicht nur das Leugnen eigener Schuld, sondern, wie es der Zeithistoriker Horst Möller auf den Punkt bringt, auch eine gefährliche Umkehr des Geschehenen: „Die DDR […] nahm für sich in Anspruch, die Linien des – kommunistischen – Widerstands gegen Hitler zu verlängern.“[42] Die Reaktion der DDR auf die Proklamation Palästinas 1988 ist folglich weniger Spiegelbild der eigenen, sondern Ausdruck einer ausgebliebenen Vergangenheitsbewältigung, die sich zu einem moralisch anklagenden Antiisraelismus verdichtet.
Eine Proklamation am Rande der Zeit – Die DDR zwischen Ideologie und Diplomatie
The PRESIDENT: „We turn now to the final draft resolution on which we must take action today, draft resolution A/43/L.54. A roll-call vote has been requested.
In favour [in Auswahl]: Afghanistan, Albania, Bulgaria, China, Cuba, Czechoslovakia, Egypt, German Democratic Republic, Hungary, Iran, Iraq, Laos People´s Democratic Republic, Pakistan, Poland, Romania, Saudi Arabia, Syria, Turkey, Ukrainian Soviet Socialists Republic, Union of Soviet Socialists Republic, United Arab Emirates
Against: Israel, United States of America
Abstaining [in Auswahl]: Australia, Austria, Belgium, Canada, Denmark, Finland, France, Germany, Federal Republic of, Greece, Iceland, Ireland, Italy, Japan, Luxembourg, Netherlands, New Zealand, Norway, Portugal, Spain, Sweden, United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland."[43]
Das Abstimmungsergebnis über die Staatlichkeit Palästinas in der 82. Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen am Ende des Jahres 1988, in der die DDR durch Heinz-Dieter Winter einen prominenten internationalen Auftritt hatte, spiegelte die Blockbildung des Ost-West-Konflikts en detail wider, änderte die Souveränitätsproblematik jedoch nicht. Vielmehr durften sich die PLO und – wenn auch eher ungewollt – Israel der Aufmerksamkeit der internationalen Staatengemeinschafft gewiss sein. Unter dem Deckmantel der Solidarität bot sich die ideale Gelegenheit, gemeinsam mit den „Bruderstaaten“ gegen den „Klassenfeind“ und sein Spiegelbild Israel Stärke zu demonstrieren – und sich gleichzeitig Gerechtigkeit auf die Fahnen zu schreiben. Folgerichtig stimmten alle „sozialistischen“ Länder geschlossen für einen eigenen Staat Palästina – ergänzt durch die muslimisch geprägten Länder, deren Abstimmungsverhalten wohl eher religiös motiviert war. Einzig Israel und die Vereinigten Staaten votierten dagegen. Der übrige Teil der „westlichen“ Welt enthielt sich. Die DDR symbolisierte dadurch ihre Zugehörigkeit zur östlichen Hemisphere einer bipolaren Welt. Ein Zusammenbruch der Sowjetunion in naher Zukunft – wenn das Konstrukt auch schon an einigen Stellen bröckelte – lässt diese Generalversammlung der Vereinten Nationen jedenfalls nicht vermuten: Sie vermittelt vielmehr einen einzigartigen Einblick in die Wirklichkeit des 15. Dezember 1988, ermöglicht eine Zeitreise in die Diplomatie und Außen- wie Innenpolitik von Ost und West. In dieser Gegenwart protokolliert der Schriftführer in Genf Winters Worte mit der Schreibmaschine, während die internationale politische Elite den Übersetzungen mit Kopfhörern folgt. Die Mauer in der Mitte Europas stellt eine Realität dar, die eher Schulterzucken als Empörung auslöst. 1988 stehen sich ein geopolitisch isoliertes Israel und Palästinenser ohne richtige Heimat genau so gegenüber wie zwei Supermächte, deren Atomraketen mittlerweile traditionell aufeinander zielen.
[1] Damals Außenminister Argentiniens (1983–89).
[2] Protokoll der 77. Sitzung der 43. Generalversammlung der UN vom 13. Dezember 1988. Der folgende Text beinhaltet verschiedene Zitate aus Originalprotokollen der UN-Generalversammlungen zum Thema Palästina. Zur deutlichen Abgrenzung werden diese Einschübe durch den anderen Schrifttypus gekennzeichnet.
[3] Ebd.
[4] Im folgenden Text als PLO abgekürzt, abgeleitet vom Englischen Palestine Liberation Organisation. Ausführliche Hintergrundinformationen zur PLO liefert u.a. Joseph Croitoru, Hamas. Auf dem Weg zum palästinischen Gottesstaat. 2. Aufl. München 2010, hier Kapitel 3: Die Geburt der Hamas aus dem Geist der Intifada, S. 65–107.
[5] Unabhängigkeitserklärung des Staates Palästina vom 15. November 1988, S. 3.
[6] Wilhelm Bruns, Die Uneinigen in den Vereinten Nationen. Die Bundesrepublik Deutschland und DDR in der Uno. Köln 1980, S. 19–22 und Ulrich Eisele, „Von Mitte nach Manhattan. Der UN-Beitritt der DDR 1973“, in: Marcus Böick (Hg.), Aus einem Land vor unserer Zeit. Eine Lesereise durch die DDR-Geschichte. Berlin 2012, S. 79–89. Siehe auch Peter Dietze, „Was bleibt? Zur Mitgliedschaft der DDR in den Vereinten Nationen“, in: Daniel Küchenmeister (Hg.), Berlin und Bonn in New York. Die beiden deutschen Staaten in den Vereinten Nationen. Potsdam 2004, S. 19–33.
[7] Protokoll der 80. Sitzung der 43. Generalversammlung der UN vom 14. Dezember 1988, S. 29.
[8] Einschränkend ist an dieser Stelle zu bemerken, dass sich die DDR – ähnlich wie andere „Bruderstaaten“ – im Zuge von Glasnost und Perestroika außenpolitisch zunehmend von der Sowjetunion distanzierte, was im Kontext der Palästinafrage aber eine eher untergeordnete Rolle spielt. Hier sollte sich noch einmal der geschlossene „Ostblock“ präsentieren. Vgl. Werner Müller, „Ein Ableger der Sowjetunion? Die DDR als Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte“, in: Eckhard Jesse (Hg.), Eine normale Republik? Geschichte – Politik – Gesellschaft im vereinigten Deutschland. Baden-Baden 2012, S. 33–55, hier S. 40f.
[9] Klaus Polkehn, „Die DDR und Palästina“, in: APuZ, Jg. 38 (1999), H. 99, S. 32–39, hier S. 32. Besonders zum letzten Punkt vgl. auch Amit Das Gupta, „Ulbricht am Nil. Die deutsch-deutsche Rivalität in der Dritten Welt“, in: Udo Wengst/Hermann Wentker (Hg.), Das doppelte Deutschland. 40 Jahre Systemkonkurrenz. Berlin 2008, S. 111–133, hier S. 115–119.
[10] Polkehn, Die DDR und Palästina (wie Anm. 9), S. 32.
[11] Hintergründe zum komplexen Werdegangs Arafats vom Terroristen zum Staatsmann lassen sich u.a. nachvollziehen in Martin Schäuble/Noah Flug, Die Geschichte der Israelis und Palästinenser. Mit Karten, Zeittafel und Medienhinweisen. München 2009, S. 90–96; zur ambivalenten Haltung Arafats gegenüber DDR und Bundesrepublik siehe Lutz Maeke, „Arafats doppelte Deutschlandpolitik“, in: Tribüne, Jg. 51 (2012), H. 204, S. 135–145; aus DDR-Perspektive, das frühe Verhältnis zusammenfassend, siehe Paul Scholz, „20 Jahre DDR. 20 Jahre Freundschaft und Solidarität mit dem arabischen Volk“, in: Institut für Internationale Beziehungen (Hg.), 20 Jahre DDR. 20 Jahre Friedenspolitik. Berlin 1969, S. 132–142.
[12] Protokoll der 80. Sitzung der 43. Generalversammlung der UN vom 14. Dezember 1988 (wie Anm. 7), S. 29.
[13] Siehe auch David G. Tompkins, „Israel as Friend and Foe: Shaping East German Society through Freund- und Feindbilder“, in: Mary Fulbrook/Andrew Port (Hg.), Becoming East German. Socialist Structures and Senibilities after Hitler. New York/Oxford 2013, S. 219–236.
[14] Protokoll der 80. Sitzung der 43. Generalversammlung der UN vom 14. Dezember 1988 (wie Anm. 7), S. 30f.
[15] Angelika Bator/Wolfgang Bator, Die DDR und die arabischen Staaten. Dokumente 1956–1982. Berlin 1984, S. 242, A. 3; siehe auch Lutz Maeke, „Vom Zauber des Anfangs. Die Palästinensische Befreiungsorganisation und die DDR“, in: Tribüne, Jg. 51 (2012), H. 203, S. 155–164; siehe auch Angelika Timm, „The Middle East Policy of East Germany“, in: Haim Goren (Hg.), Germany and the Middle East. Past, Present and Future. Jerusalem 2003, S. 245–62, hier S. 255: „While relations with Arab countries in the 1970s and 1980s were based mainly on economic interests, political motives were dominant in East German cooperation with the Palestinians.“
[16] Grundlegende Informationen zur Entwicklung der diplomatischen Beziehungen aus Polkehn, DDR und Palästina (wie Anm. 9), S. 33–38.
[17] Ebd., A. 31. Hier findet sich darüber hinaus eine Auflistung verschiedener diplomatischer Reisekontakte zwischen DDR und PLO.
[18] Siehe dazu Hermann Wentker, Außenpolitik in engen Grenzen. Die DDR im internationalen System 1949–1989. München 2007, S. 283. So stellte sich DDR-Außenminister Winzer nach einer Nahost und Nordafrika-Reise ideologisch auf die Seite der traditionell antiisraelisch geprägten Staaten: „Winzer hielt nach seiner Rückkehr fest, daß in allen von ihm besuchten Staaten ,[…] die Haltung der DDR in der Israelfrage und im antiimperialistischen Befreiungskampf […] mit Dankbarkeit anerkanntʻ werde.“
[19] Einschränkend ist hier zum Beispiel die Unterstützung der RAF seitens der DDR zu erwähnen. Siehe dazu Tobias Wunschik, „Baader-Meinhof international?“ In: APuZ, Jg. 57 (2007), H. 40-41, S. 23–29, hier S. 27–29.
[20] An dieser Stelle sei vor allem auf die dramatischen Ereignisse der Olympischen Spiele 1972 in München verwiesen: „Offizielle Kreise in der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik verurteilen dieses verabseheuungswürdige Verbrechen auf das allerschärfste. Die DDR lehnt den Terror als Mittel zur Erreichung politischer Ziele entschieden ab.“ Zitiert aus: „Terroranschlag im olympischen Dorf unterbrach die Spiele“, in: Neues Deutschland, vom 6. September 1972, Titelseite.
[21] Protokoll der 80. Sitzung der 43. Generalversammlung der UN vom 14. Dezember 1988 (wie Anm. 7), S. 36.
[22] Siehe vor allem Rainer A. Blasius, „,Völkerfreundschaft‘ am Nil. Ägypten und die DDR im Februar 1965. Stenographische Aufzeichnungen aus dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten über den Ulbricht-Besuch bei Nasser“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 46 (1998), H. 4, S. 747–805.
[23] Zwar hat ein Großteil der arabischen Länder die DDR anerkannt, aber weniger aus ideologischen, sondern vor allem aus wirtschaftlichen Beweggründen; vgl. hierzu Wentker, Außenpolitik (wie Anm. 18), S. 282–287.
[24] Klaus Stockmann, Geheime Solidarität. Militärbeziehungen und Militärhilfen der DDR in die „Dritte Welt“, Berlin 2012, S. 397f.
[25] Vgl. Michael Wolffsohn, Israel. Geschichte, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft. 7. Aufl. Wiesbaden 2007, hier Kapitel V.5.g: Von der „dritten Kraft“ zum Partner der USA? (1981–1989), S. 234–236.
[26] Palästina: Unabhängigkeitserklärung des Staates Palästina vom 15. Nobember 1988; DDR: Protokoll der 80. Sitzung der 43. Generalversammlung der UN vom 14. Dezember 1988 (wie Anm. 7), S. 29-36.
[27] Anke Fiedler/Michael Meyen, „Jenseits von Gleichförmigkeit und Propaganda: Warum es sich lohnt, DDR-Zeitungen zu untersuchen“, in: Anke Fiedler/Michael Meyen (Hg.), Fiktionen für das Volk: DDR-Zeitungen als PR-Instrument. Fallstudien zu den Zentralorganen Neues Deutschland, Junge Welt, Neue Zeit und Der Morgen. Berlin 2011, S. 7–23, hier S. 9 Abb. 2.
[28] Protokoll der 80. Sitzung der 43. Generalversammlung der UN vom 14. Dezember 1988 (wie Anm. 7), S. 36.
[29] Neue Zeit, vom 17. November 1988, S. 2; Neues Deutschland, vom 17. November 1988, S. 2; Berliner Zeitung, vom 16. November 1988, S. 1.
[30] Fiedler/Meyen, Jenseits von Gleichförmigkeit (wie Anm. 27), S. 7.
[31] Berliner Zeitung, vom 16. November 1988, S. 1.
[32] Detlef Joseph, Die DDR und die Juden. Eine kritische Untersuchung. Berlin 2010, S. 62.
[33] Alexander Muschik, „Die SED und die Juden 1985–1990. Eine außenpolitische Charmeoffensive zur Rettung der DDR“, in: Deutschland Archiv, Jg. 45 (2012), H. 2, S. 256–264, hier S. 256.
[34] Protokoll der 80. Sitzung der 43. Generalversammlung der UN vom 14. Dezember 1988 (wie Anm. 7), S. 33.
[35] Die Wortwahl Winters („occupied“) ist in diesem Zusammenhang wichtig. Er spricht Israel hier das Anrecht auf die betroffenen Gebiete ab.
[36] „Ein Volk nimmt sein Recht wahr“, in: Neue Zeit, vom 17. November 1988, S. 2.
[37] „Unabhängiger Staat der Palästinenser proklamiert“, in: Neues Deutschland, vom 16. November 1988, S. 1.
[38] Eine solche Lesart tendenziell unterstützend: Angelika Timm, „Zionismus. Neue Sicht auf eine umstrittende Ideologie“, in: Horizont-International (1990), H. 19, S. 37–39, hier S. 37: In der DDR habe sich hinter Antizionismus alter und neuer Antisemitismus verborgen. Siehe dazu auch Dies., Hammer, Zirkel, Davidstern. Das gestörte Verhältnis der DDR zu Zionismus und Staat Israel. Bonn 1997; Konrad Weiß, „Antisemitismus und Israelfeindschaft in der DDR“, in: Der Fall der Berliner Mauer. Die deutsche Revolution und die folgenden zwei Jahrzehnte. Dokumentation ausgewählter Vorträge einer internationalen Konferenz, 21.–22. Januar 2009, Universität Haifa. Jerusalem 2009, S. 37–59. Eher skeptisch äußern sich dagegen: Joseph, DDR und Juden (wie Anm. 32), hier das Kapitel: Von der vorgeblichen Identität von Antisemitismus und Antizionismus, S. 93–115. Der Autor bringt verschiedene Argumente an, die die These, die DDR sei antisemitisch gewesen, entkräften sollen. Vgl. auch die Aufsatzsammlung Mohse Zuckermann (Hg.), Zwischen Politik und Kultur. Juden in der DDR. Göttingen 2002.
[39] Interview mit Bergmann, „Die Täter als Opfer“, in: Neues Deutschland, vom 17. Juni 2002.
[40] Protokoll der 80. Sitzung der 43. Generalversammlung der UN vom 14. Dezember 1988 (wie Anm. 7), S. 35.
[41] Joachim Scholtyseck, Die Aussenpolitik der DDR. München 2003, S. 117f.
[42] Horst Möller, „Demokratie und Diktatur“, in: APuZ, Jg. 57 (2007), H. 3, S. 3–7, hier S. 4.
[43] Protokoll der 82ten Sitzung der 43ten Generalversammlung der UN vom 15. Dezember 1988.