von Andreas Ludwig

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1. Mai 2016

Wer die Sonderausstellung des Berliner Werkbundarchiv/Museum der Dinge zur Gebrauchsgrafik in der DDR besucht, wandert zunächst durch die Präsentation der Geschichte des Industriedesigns in Deutschland seit der Wende zum 20. Jahrhundert. Derart historisch situiert, wird in "Masse und Klasse" die DDR-spezifische Form des Nützlichen und des Schönen exemplarisch herausgearbeitet und zugleich eine Revision der Sammlungsbestände des Museums vorgenommen.
Bereits in ihrem Eröffnungsvortrag hat die Kuratorin Florentine Nadolny auf diese doppelte Perspektive verwiesen: Gebrauchsgrafik steht im Spannungsfeld von künstlerischem Anspruch bei der Gestaltung alltäglicher, massenhaft verbreiteter Dinge und ihrer Wiedererkennbarkeit und ästhetischen Prägung auf dem Feld der Konsumkultur. Diese kulturelle wie, bei aller Einschränkung in einer Zentralplanwirtschaft, kommerzielle Seite zeigt sich auch in der Zweiteilung der Ausstellung. Einerseits finden sich Theaterplakate, als kooperativer Arbeitsprozess für ein "Corporate Design" der jeweiligen Spielstätten entwickelt, Buchgestaltungen, hier repräsentiert von Lothar Rehers Covergestaltungen für die Buchreihe "Spektrum" des Verlags Volk & Welt, Zeitschriften und, bisher kaum beachtet, Gestaltungen für Schallplattenhüllen, die für das Feld der Kultur stehen. Andererseits gibt es Produktverpackungen, Flaschenetiketten und Typographie für die Gebrauchsgrafik in der Wirtschaft. Beide stehen sich in der Ausstellung räumlich gegenüber und verweisen damit auf getrennte Sphären: hier die künstlerische Auseinandersetzung, die kommunikativ, experimentell und provokativ das Erscheinungsbild der Kultur prägt, dort funktionale Lösungen für eine nicht-distinktiv interpretierte Produktkultur des Alltags.

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Masse und Klasse. Gebrauchsgrafik in der DDR. Ausstellung im Museum der Dinge/Werkbundarchiv © Andreas Ludwig

 

Masse und Klasse. Gebrauchsgrafik in der DDR. Ausstellung im Museum der Dinge/Werkbundarchiv
© Andreas Ludwig

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Während die Gestaltungen für den Kultursektor weitgehend auf Bekanntes zurückgreifen und an frühere Ausstellungen und Publikationen anschließen, zeigt die Abteilung über Gebrauchsgüterverpackungen die Spannungen, die die Vorstellungen über einen "sozialistischen Konsum" in der DDR prägten. In der Ausstellung dominieren funktionale Lösungen, die auch ästhetisch überzeugen. Verpackungen von Klaus Wittkugel für Dekopan-Filme[1], die Gestaltung der Produkte des Film- und Tonbandherstellers ORWO, Folien für Getränkeverpackungen und Kartons für Kugelschreiber zeugen von typographisch und farblich dominierten Lösungen, die durch Raster und serielle Muster an die Moderne der 1920er Jahre anschließen. Auffallend ist, dass das Foto als Gestaltungsmittel selten ist. Ihnen werden ambitioniert-dekorative Verpackungsgestaltungen gegenübergestellt, die, so suggeriert die Ausstellung, vor allem bei Kosmetika dominierten. Diese Gegensätzlichkeit lässt sich im Übrigen, in der Ausstellung nicht gezeigt, auch in Werbeanzeigen finden, die zwischen dem sogenannten "Neuen Kurs“[2] und dem Beginn der 1970er Jahre in Zeitschriften publiziert wurden. Lässt sich daraus so etwas wie ein Kulturkampf zwischen Massengeschmack und Gestaltungsstrategie ablesen? In Fachzeitschriften wie "form + zweck", "Die Verpackung" oder "Kultur im Heim" wurde der pädagogische Impetus einer Erziehung zum Geschmack immer wieder formuliert, vor allem in den späten 1950er und den 1960er Jahren. Die Ausstellung zeigt, wie die entsprechenden Lösungen ausgesehen haben, und ihre Präsentation, seriell, isoliert, gleichsam künstlich, unterstreicht diese Vorstellungen von einer funktionalen Moderne.

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Masse und Klasse. Gebrauchsgrafik in der DDR. Ausstellung im Museum der Dinge/Werkbundarchiv © Andreas Ludwig

 

Masse und Klasse. Gebrauchsgrafik in der DDR. Ausstellung im Museum der Dinge/Werkbundarchiv
© Andreas Ludwig

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Dies ist nicht nur sehenswert, weshalb der Besuch der Ausstellung unbedingt zu empfehlen ist, sondern verdeutlicht im Zusammenhang mit der Dauerausstellung des Museums der Dinge auch die längeren Entwicklungslinien in der Gestaltung von Alltagsgütern. Zugleich provoziert die Ausstellung den Einwand, dass hier gute Lösungen in der Gebrauchsgrafik herausgehoben und gewissermaßen erneut ästhetisiert und distinktiv markiert werden: Das Erscheinungsbild der Produkt-, Verpackungs- und Werberealität in der DDR war weitaus weniger klar, das "gute Design" musste in der Masse der "bösen Dinge" - so eine frühere Ausstellung des Museums über Hässlichkeiten - erst einmal gefunden werden.

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Masse und Klasse. Gebrauchsgrafik in der DDR. Ausstellung im Museum der Dinge/Werkbundarchiv © Andreas Ludwig

 

Masse und Klasse. Gebrauchsgrafik in der DDR. Ausstellung im Museum der Dinge/Werkbundarchiv
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Für Historiker/innen bedauerlich ist die fehlende (wirtschaftlich-)geschichtliche Kontextualisierung in der Ausstellung. Hintergründe über die Wendungen der Konsum- und Exportpolitik, Kombinatsstrategien, technologische Entwicklungen oder über die Widersprüche zwischen Versorgungsanspruch und Konsumorientierung fehlen gänzlich. Das ist schade, denn die Objekte sind klug ausgewählt und könnten diese Kontexte mühelos repräsentieren. Dies zeigt sich zum Beispiel in einer kleinen Abteilung über Etiketten für Getränkeflaschen, bei der die Etiketten im Vordergrund stehen, jedoch - unbeachtet? - die Flaschen selbst Beispiele für die Normierung und Typisierung von Verbrauchsgütern liefern. Es wäre klug, solche Kontexte in einem Katalog herauszuarbeiten. Für die Besucher/innen ist "Masse und Klasse" die Aufforderung, sich mit der Gestaltung der Alltagsästhetik als eher beiläufige Begleitung von Lebensverhältnissen auseinanderzusetzen, und das ist anregend.

 

Masse und Klasse. Gebrauchsgrafik in der DDR
Ausstellung im Museum der Dinge/Werkbundarchiv: Oranienstr. 25, 10999 Berlin (Kreuzberg), bis 3.7.2016, geöffnet: Do-Mo 12 - 19 Uhr.

 

[1] „Deko“ steht hier für den Firmennamen Kodak, unter dem in den 1950er Jahren die Dekopan-Rollfilme unter anderem in der Filmfabrik Köpenik hergestellt wurden.
[2] Die Politik des Neuen Kurses wurde im Juni 1953 offiziell in der DDR verkündet und ging auf Initiative der sowjetischen Führung zurück. Im Rahmen dieser Politik wurden einige in der Bevölkerung der DDR sehr unpopuläre Maßnahmen zurückgenommen. Die hohen Arbeitsnormen wurden bei gleichbleibend niedrigen Gehältern jedoch beibehalten, was schließlich den Volksaufstand auslösen sollte.