von Katja Bruisch

  |  

17. März 2018

„Past errors to blame for Russia’s peat fires” titelte am 12. August 2010 die Online-Ausgabe der New York Times. Während des ungewöhnlich heißen Sommers litten Millionen Menschen in Moskau und angrenzenden Regionen unter dem Rauch von Torf- und Waldbränden im Osten der Stadt (Abb. 1). In vielen Teilen Russlands fielen Felder und Wohnsiedlungen den Flammen zum Opfer, während dürrebedingte Ernteausfälle und ein von der russischen Regierung vorübergehend verhängter Exportstopp die internationalen Getreidemärkte in Aufruhr versetzten.

Luftverschmutzung in Moskau infolge von Torfbränden (Katja Bruisch, 2010)

Auch wenn das Ausmaß der Ereignisse von 2010 ungewöhnlich war: Brände auf Flächen, die einst für die Agrar-, Forst- oder Energiewirtschaft trockengelegt wurden, sind in Russland alles andere als eine Ausnahmeerscheinung. Mitunter entstehen sie sogar im Winter, wenn der Boden von Schnee bedeckt ist. Was sagt uns das über das Verhältnis von sozialem und ökologischem Wandel in der jüngeren Geschichte Russlands? Sind die Brände ein Erbe des Sozialismus? Warum ist dieses Problem so ausgeprägt in Russland, obwohl Moore auch in anderen Ländern trockengelegt und intensiv genutzt wurden? Und wie verhält sich die russische Regierung dazu?

In Russland gehörte der Eingriff in die Ökologie von Feuchtgebieten seit dem späten 19. Jahrhundert zu den regulären Instrumenten staatlicher Agrar- und Energiepolitik. In den 1870er Jahren startete die zarische Regierung eine großflächige Drainagekampagne zur Belebung der Land- und Forstwirtschaft in den nördlichen und westlichen Regionen des Russischen Reichs. Im 20. Jahrhundert erreichten solche Maßnahmen einen Höhepunkt während der Amtszeit Leonid Breschnews, als ambitionierte Meliorationsprojekte mit der Hoffnung auf eine Anhebung des ländlichen Wohlstands verbunden wurden. Seit der späten Zarenzeit waren Moore zudem Ressourcenreservoirs der wachsenden Energiewirtschaft. Kurz nach der Revolution machten die sowjetischen Machthaber den Torfabbau dann zu einer Säule ihres Elektrifizierungsprogramms. Obwohl Kohle und später Öl und Gas als Energieträger eine deutlich wichtigere Rolle spielten, verzeichnete die sowjetische Torfförderung über Jahrzehnte kontinuierliche Zuwächse. Am Beginn der 1980er Jahre stammten mehr als 90 Prozent des weltweit geförderten Torfs aus der Sowjetunion.

Die Brände des Jahres 2010 verweisen auf eine grundlegende Verschiebung in der Beziehung zwischen Staat und Natur. Zumindest im Hinblick auf Sumpflandschaften sind der über ein Jahrhundert verfolgten Vision, die Gebiete innerhalb der Staatsgrenzen einer möglichst umfassenden Nutzung zuzuführen, der institutionelle Rückhalt und die Ressourcen abhandengekommen. Nachdem Moore ein Jahrhundert unter Aufsicht und mit Mitteln des Staates intensiv bewirtschaftet wurden, kamen die ambitionierten Meliorationsprogramme und die Torfindustrie seit den 1980er Jahren weitgehend zum Stillstand. Inzwischen liegen zahlreiche der einst trockengelegten Flächen brach, während die Bevölkerung viele der von der Torfindustrie eingerichteten Arbeitersiedlungen verlassen hat (Abb. 2). Stillgelegte Torfabbaustätten und einst entwässerte, inzwischen aber ungenutzte Agrarflächen sind besonders anfällig für die Entstehung von Feuern und deren Übergreifen auf angrenzende Waldgebiete. Extreme Hitzeperioden verwandeln dieses Brandrisiko dann in eine unmittelbare Gefahr. Nicht die Trockenlegung allein, sondern die spezifische Abfolge von Drainage, Nutzung und anschließender Brache im Kontext des globalen Klimawandels erklären demnach das Ausmaß der Brände von 2010.

Verlassene Siedlung in einem ehemaligen Torfabbaugebiet in der Nähe von Sankt Petersburg (Katja Bruisch, 2014)

Die großflächige Transformation von Moorlandschaften durch Trockenlegung und Torfabbau ist ein globales umweltgeschichtliches Phänomen und ein wichtiges Kapitel in der Geschichte des anthropogenen Klimawandels. Obwohl Moore nur drei Prozent der Erdoberfläche ausmachen, binden sie gut 30 Prozent des insgesamt im Boden gelagerten Kohlenstoffs. Ihre Trockenlegung setzt große Mengen an Treibhausgasen frei und beeinträchtigt Moore in ihrer Funktion als aktive Kohlenstoffsenken. Brände beschleunigen den Emissionsprozess zusätzlich. Auch wenn Russland das Land mit den größten gegenwärtig bekannten Torfvorkommen der Welt ist und acht Prozent seines Territoriums von Mooren bedeckt sind – die umfassenden Eingriffe in diese Ökosysteme hatten ihren Preis. Im Hinblick auf Emissionen von zerstörten Torfmooren rangierte der europäische Teil Russlands 2008 an zweiter Stelle weltweit, übertroffen nur von Indonesien, wo tropische Feuchtgebiete in großem Maßstab trockengelegt und in Plantagen umgewandelt werden. Moorschutz und Klimaschutz sind folglich daher zwei Seiten einer Medaille.

Die Haltung der russischen Regierung zu diesen Problemen ist ambivalent. Während es heute in Russland kaum explizite Moorschutzgebiete gibt, sind Moore häufig indirekt, z. B. als Teil von Naturschutzgebieten einer ökonomischen Nutzung entzogen. Zugleich führen wissenschaftliche Institutionen mit Unterstützung des Staates und NGOs Programme zur Wiedervernässung durch, die nach den Bränden von 2010 deutlich ausgeweitet wurden. Dem gegenüber steht allerdings die von der Regierung geförderte Wiederbelebung der Torfwirtschaft. Seit einigen Jahren aktiv als ein lokaler Energieträger beworben, wurde der Torf kürzlich sogar als erneuerbare Energiequelle definiert, um dem Wirtschaftszweig einen grünen Anstrich zu verpassen. Dass Torfmoore regelmäßig zum Ziel illegalen Raubbaus werden, macht die Situation zusätzlich kompliziert.

Die Brände auf trockengelegten Flächen verdeutlichen die unmittelbare ökologische Relevanz staatlicher Herrschaft. Während der Zentralstaat durch die großflächige Transformation von Moorlandschaften ein Umweltproblem von globaler Tragweite schuf, stellten sein Rückzug und das anschließende Vakuum von Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten ein nicht minder großes Problem dar. Dass Versuche zur Renaturierung gegenwärtig mit einem Revival der Torfindustrie einhergehen, ist nicht zuletzt eine Folge der unentschiedenen Rolle Russlands auf dem Gebiet der Klimapolitik. Während die russische Führung die rhetorische Unterstützung internationaler Abkommen als diplomatisches Faustpfand oder zum Ausweis des eigenen umweltpolitischen Verantwortungsbewusstseins nutzt, bleiben verbindliche Zusagen und konkrete Maßnahmen häufig aus. Sollte sich die künftige Regierung zur bislang aufgeschobenen Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens entschließen, ließe sich aus dem ökologischen Problem trockengelegter Moore klimapolitisch Kapitel schlagen: Da Renaturierungs- und Wiedervernässungsprogramme von Mooren seit einigen Jahren als Maßnahmen des Klimaschutzes anerkannt werden, bietet die Intensivierung entsprechender Initiativen eine verhältnismäßig einfache Möglichkeit zur Einlösung klimapolitischer Verbindlichkeiten. Es bleibt zu hoffen, dass die zukünftige russische Regierung in dieser Ironie eine Chance erkennt.