„Immer wieder wächst das Gras / wild und hoch und grün / bis die Sensen ohne Hass / Ihre Kreise ziehn.“ Mit diesen Liedzeilen lässt Regisseur Andreas Dresen seinen Protagonisten Gundermann den gleichnamigen Film beginnen. In Nahaufnahme singt Gerhard „Gundi“ Gundermann, gespielt von Alexander Scheer, in die Kamera – so eindringlich und melancholisch schön, dass selbst die um die Biografie des Musikers wissenden Zuschauer Sympathie für diese doch so ambivalente Figur empfinden. „Immer wieder wächst das Gras / klammert all die Wunden zu / manchmal stark und manchmal blass / so wie ich und du“, heißt es in dem Song weiter. Gundermann singt ihn 1992, nach dem Ende der DDR, in dem Jahr der Geburt seiner Tochter Linda, nach der Öffnung der Stasi-Akten. Und tatsächlich wächst das Gras immer wieder. Die Frage, ob all die Wunden „zugeklammert“ werden konnten, die der Liedermacher als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit womöglich anderen zugefügt hat, muss hingegen offen bleiben.
Wer also war Gerhard Gundermann? Musiker, Poet, Familienvater, verstoßener Sohn, Igelretter, Melancholiker, Kommunist, Idealist und nicht zuletzt: Baggerfahrer. Andreas Dresen hat sich in seinem Film (Drehbuch: Laila Stieler) der Biografie des ostdeutschen Liedermachers, der bis zu seinem frühen Tod 1998 in der Oberlausitz lebte, behutsam und liebevoll genähert. Auf zwei wechselnden Zeitebenen, den 1970er und 1990er Jahren, erzählt er die Geschichte eines Mannes, der als Baggerfahrer im Lausitzer Braunkohlerevier als Sprachrohr der ‚kleinen Leute‘ galt, prekäre Arbeitsbedingungen anprangerte und mit seinem Singeklub in „Hoywoy“ Hoyerswerda als Musiker zunehmend erfolgreich wurde. Zugleich zeigt der Film aber auch die Geschichte eines überzeugten Kommunisten, der um den Eintritt in die SED kämpft („Also, wenns die nicht schon gebe, wa, die Weltanschauung, dann hätt ich da auch selber drauf kommen können.“) und der sich letztlich als IM der Stasi verpflichtet. Parteimitgliedschaft und Spitzeltätigkeit scheitern jedoch an genau jener Überzeugung, die sich bei Gundermann auch aus einem scheinbar unerschütterlichen Gerechtigkeitssinn und mitunter naiven Idealismus speist. 1984 wird er aus der Partei ausgeschlossen, und auch die Staatssicherheit beendet die Zusammenarbeit: Zu eigensinnig ist dieser singende Arbeiter.
Keine Heldengeschichte
Da ist also der IM „Grigori“ Gerhard Gundermann, der beinahe acht Jahre Informationen an die Stasi weitergibt, gelockt auch durch einen durchaus väterlich auftretenden Führungsoffizier (Axel Prahl) und die Aussicht, endlich gemeinsam mit dem Singeklub im westlichen Ausland auftreten zu dürfen. Doch Gundermann ist nicht in eine Schublade zu stecken. Da ist ebenso der tiefsinnige, kluge und engagierte Mann, da ist die sehr romantische Liebe zwischen ihm und seiner Musikerkollegin und späteren Ehefrau Conny (Anna Unterberger), und da ist der Vater Gerhard Gundermann, der seine Tochter auf der Bühne mit den Worten „Du bist in mein Herz gefallen“ besingt.
Die Biografie des Liedermachers erzählt keine Täter-, Opfer- oder gar Heldengeschichte. Und genau dieser, auf den ersten Blick durchaus widersprüchlich erscheinende Lebensweg macht Dresens Film so sehenswert. Denn er ist das, was ein Essener Paar bei der dortigen Premiere sogar verleitete zu sagen, nun hätten sie die DDR verstanden[1]: Ein Film über ein Leben in der DDR. Die Filmkritik ist nicht zuletzt aus diesem Grund sehr wohlwollend mit Gundermann.[2] Weder zu klamaukig noch mit Hang zur Schwarz-Weiß-Malerei zeichnet das Biopic eine Figur, wie sie durchaus sinnbildlich für das untergegangene Land stehen kann, da sie sich – wenngleich von Dresen äußerst positiv dargestellt – einer eindeutigen Bewertung entzieht. Ob allerdings die DDR durch Dresens Film für unwissende westdeutsche Bundesbürger oder nachgeborene Generationen besser zu verstehen ist, erscheint fraglich, da die Kategorie des Verstehens hier wohl kaum greifen kann. Gerhard Gundermanns Geschichte ist facettenreich, die Musik, die er macht, ist (ganz subjektiv betrachtet) schön, an- und berührend – auch dieser Umstand trägt den Film ganz wesentlich. Während seine Texte für viele ehemalige DDR-Bürger Wiedererkennungswert haben, knüpfen sie ebenso an gegenwärtige Singersongwriter-Hörgewohnheiten an. Was für ein Glück für Andreas Dresen, dass Alexander Scheer auch noch im Gundermannschen Sinne singen kann und dies auch im gesamten Film tut.
Die untergegangene Welt der Kumpel
Darüber hinaus betrachtet Gundermann jedoch noch eine weitere, bisher filmisch so noch kaum dargestellte Welt: jene des Kohletagebaus und ihrer Arbeiter in der DDR. Nicht nur, dass Gerhard Gundermann diese Welt zum Dichten braucht, seine Lieder quasi auf dem Sitz des sogenannten Takraf-Baggers entstehen, auch vermag es der Film, einen Blick auf diesen ganz eigentümlichen Kosmos der Kumpel zu werfen, der nach dem Mauerfall in Ostdeutschland zunehmend verschwand. Die gefluteten Landschaften um Bitterfeld und in der Lausitz, wo nur ein Teil des Braunkohlereviers noch aktiv genutzt wird, ließen nicht nur die Gruben im Wasser untergehen, sondern auch die beruflichen Existenzen vieler Tagebau-Arbeiter. Gundermanns Ausbildung zum ‚Facharbeiter‘ in der DDR etwa wird in der Bundesrepublik nicht anerkannt, 1997 muss er seinen Beruf aufgeben.
Künstlerisch verarbeitet der Musiker den Verlust mit seiner späteren Band, die den bezeichnenden Namen „Seilschaft“ trägt.
„Ich habe aufs richtige Pferd gesetzt, aber es hat nicht gewonnen“
Seilschaften sind es dann auch, die Gundermann nach dem Mauerfall einholen und ein Bekenntnis fordern. Bereits in einer der ersten Szenen des Films offenbart sich seine Vergangenheit als IM, wenn ein nicht weiter benannter, wohl aber von Gundermann denunzierter Puppenspieler (Thorsten Merten) den Liedermacher mit seiner Spitzel-Tätigkeit konfrontiert. Anders als der charismatische Musiker und Tagebau-Arbeiter bleibt die Figur Gerhard Gundermann hier gewollt blass. Nebulös ist die Erinnerung an jene Vergangenheit, zu der er sich zunächst vor Freunden und schließlich sogar öffentlich bei einem Konzert bekennt, die Konsequenzen dieses Bekenntnisses aber scheinbar kaum zu überblicken vermag. Die Frage, ob Gundermann in all jenen Jahren jemandem ernsthaft durch seine Weitergabe von Informationen geschadet hat, schwebt über dem gesamten Film und ist doch absurd, da die Folgen damals nicht absehbar sein konnten und eine Bewertung heute grundsätzlich schwierig ist. Das Ausmaß seiner Spitzeltätigkeit wird Gerhard Gundermann nur allmählich und erst in den 1990er Jahren vollends bewusst. Und es ist ihm durchaus abzunehmen, als er meint, er könne sich selbst nicht verzeihen. Der Zuschauer hingegen kann es dafür umso mehr. Denn Andreas Dresen mag die Figur des Gundermanns sehr. Es ist ein Herzensprojekt, jener Film, der bis in die kleinste Rolle sehr gut besetzt ist (etwa mit Milan Peschel als Kumpel-Kollege Volker). Und das scheint Alexander Scheer, der zur Premiere mit Dresen in ganz Deutschland auf der Bühne steht und Gundi Gundermanns Lieder singt, genauso zu empfinden.
„Ich war Kommunist“, so Gundermann gegenüber einem Angestellten der „Gauck-Behörde“, worauf dieser erwidert: „Man kann auch Kommunist sein, ohne ein Schwein zu sein.“ In derartigen Kategorien denkt aber der Musiker, Weltverbesserer, Idealist nicht. So kämpft er auf seine Weise für eine DDR, die es nicht gibt, nie geben wird und muss schließlich feststellen: „Ich habe aufs richtige Pferd gesetzt, aber es hat nicht gewonnen“.
"Gundermann"
Drehbuch: Laila Stieler, Regie: Andreas Dresen (Deutschland 2018)
Website
....läuft seit dem 23. August in den Kinos
[1] Vgl. dazu die Rezension im Tagesspiegel von Kerstin Decker: Gerhard Gundermann – Baggerfahrer, Rockstar, Verräter (23.08.2018) Aufruf am 23.08.2018
[2] Vgl. z.B. die Rezensionen im Tagesspiegel (23.08.2018), Spiegel-Online (21.08.2018), Frankfurter Rundschau (24.08.2018).