Leipzig, Frühjahr 1988. Die junge Franka verliebt sich in den Krankenpfleger Stefan, der Kontakt zu einer oppositionelle Umweltgruppe hat. Im Schutz der Kirche organisiert er zusammen mit ein paar Freund*innen Friedensgebete, um auf die Luftverschmutzung und andere gravierenden Umweltprobleme in der Stadt aufmerksam zu machen. Franka kommt aus einem linientreuen Elternhaus, Kritik am Staat ist zu Hause nicht erwünscht. Aber die westliche Musik, die die Jugendlichen hören, das selbstbestimmte Leben im verfallenen Altbau und das Gefühl, selbst etwas bewirken zu können, strahlen eine große Anziehungskraft aus. Sie schließt sich der Gruppe an und wird bald selbst zur treibenden Kraft, als es darum geht, den Protest aus der Kirche in die Öffentlichkeit zu tragen.
Konfliktscheue Inszenierung
Frankas Geschichte, die im neuen ARD-Eventfilm „Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“ (frei nach dem gleichnamigen Sachbuch von Peter Wensierski) erzählt wird, kommt einem von der ersten Minute an sehr vertraut vor. Seit der Verfilmung von Erich Loests Roman „Nikolaikirche“ (1995, Regie: Frank Beyer) hat man sie so oder so ähnlich schon in diversen Spielfilmen, Dokumentationen oder Serien über die DDR-Vergangenheit gesehen. Ungewöhnlich ist lediglich, dass sich der Film auf die Vorgeschichte der Friedlichen Revolution konzentriert und – ganz zeitgemäß – die Umweltproblematik in den Blick nimmt. Dass man solche Akzentsetzungen bereits als etwas Besonderes wahrnimmt, sagt indes weniger über die künstlerische Qualität des Films aus als über die abgestumpfte Erwartungshaltung gegenüber fiktionalen Inszenierungen der DDR-Geschichte im Fernsehen. Man freut sich schon über Kleinigkeiten, wie etwa die Tatsache, dass sich der Film auf die Perspektive der Jugendlichen einlässt, um ein Gespür für ihre Lebenssituation am Ende der 1980er-Jahre zu entwickeln.
Die meiste Zeit bewegt sich „Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“ allerdings im seichten Fahrwasser eines konventionellen Unterhaltungsfilmes. Die gradlinige Inszenierung vermeidet größere Probleme, ästhetisch und inhaltlich mutet man dem Publikum keine Experimente zu. Das gilt vor allem für die Liebesbeziehung von Stefan und Franka, die von der ersten Begegnung an ohne jeden Zweifel verläuft. Entsprechend blass bleiben die beiden Hauptfiguren. Und das gilt leider auch für die Konflikte innerhalb der Oppositionsbewegung, die der Film zwar gelegentlich anreißt, dann aber schnell wieder aus den Augen verliert. Auch die harten Auseinandersetzungen mit der Kirchenleitung deutet der Film nur am Rande an. Das Potenzial, spannende Widersprüche detailliert zu schildern, verschenkt der Film zugunsten einer konfliktscheuen Inszenierung, die die Friedliche Revolution geradezu spielerisch erscheinen lässt.
Eine unheimlich leichte Revolution? Die Grundstimmung des Films entspricht den Rückblicken der Zeitzeugen, die Peter Wensierski für sein 2017 erschienenes Buch befragt hat. Darin wird aber stets deutlich, dass es sich um Erinnerungen im Abstand von fast 30 Jahren handelt. Im Wissen darum, dass die Revolution geglückt und am Ende tatsächlich friedlich verlaufen ist, mögen manche Konflikte und Probleme tatsächlich kleiner erscheinen, als sie es wirklich waren. Solche Perspektiven kritisch zu hinterfragen, wagt der Film nicht. Er vermischt stattdessen die Erinnerungen verschiedener Zeitzeugen (weder Stefan noch Franka hat es in dieser Form gegeben) und verwurstet sie zu einer spannungsarmen Geschichte. Heimlich stehlen die Jugendlichen Spargel auf dem Feld, feiern ausgelassen am Badesee und singen revolutionsromantische Lieder auf der Gitarre, die Idee zum öffentlichen Protest gegen die Verschmutzung der Pleiße entsteht eher beiläufig. In die Spielfilmhandlung werden gelegentlich dokumentarische Fernsehaufnahmen eingebunden, – eines der beliebtesten filmästhetischen Mittel, um eine fiktionale Erzählung möglichst realistisch wirken zu lassen. Das Problem daran ist, dass sich das Bild von der „unheimlichen Leichtigkeit der Revolution“ nur bedingt mit den historischen Ereignissen in Einklang bringen lässt. Dass die Revolution friedlich bleiben würde, war damals keineswegs ausgemacht. Ein gewaltsames Einschreiten des Staates nach chinesischem Vorbild stand immer zur Diskussion, bis zum 9. Oktober 1989 waren brutale Übergriffe auf die Demonstranten nicht nur in Leipzig allgegenwärtig. Man braucht sich nur dokumentarische Aufnahme aus dieser Zeit zum Beispiel in „Leipzig im Herbst“ (1989, Regie: Gerd Kroske und Andreas Voigt) anzuschauen, um ein Gefühl für die Dramatik zu bekommen. Von alldem merkt man in „Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“ wenig. Die Jugendlichen agieren mit einer Siegesgewissheit, die damals niemand haben konnte.
Zwischen 68er Hippie-Kultur und Fridays-for-Future-Bewegung
Die Leichtigkeit, die der Film aufzeigen möchte, ist kein realistisches Abbild der Vergangenheit, sondern Ausdruck einer gegenwartsbezogenen Erinnerungskultur. Sie zielt darauf ab, die DDR-Opposition mit anderen Formen widerständigen Verhaltens ins Verhältnis zu setzen. In der Leipziger Umweltgruppe, die im Film im Mittelpunkt steht, werden sich daher wahrscheinlich nur wenige Zeitzeugen wiederfinden. Die DDR-Jugendlichen wirken – in der Sprache, in ihrer Kleidung, im gesamten Habitus – wie eine Mischung aus 68er-Hippiekultur, westdeutscher Umweltbewegung und vor allem zeitgenössischen Fridays-for-Future-Protesten. Dem Presseheft zum Film kann man entnehmen, dass das durchaus so beabsichtigt war. Die Fokussierung auf die Umweltproblematik soll dem Film eine größere Anschlussfähigkeit an aktuelle Debatten ermöglichen, wie Johanna Kraus (Redaktionsleiterin Fernsehfilm beim MDR) betont. Der konkrete Jugendprotest in Leipzig, den man im Film sieht, – die Organisation des ersten „Pleiße-Gedenkmarsches“ im Sommer 1988 – stehe zwar für sich, weise aber trotzdem Parallelen zur Gegenwart auf: „Die tote Pleiße war auf jeden Fall ein starker Antrieb zu handeln. Und wir erleben es heute genauso: Die Umweltproteste werden dort stark und laut, wo der Anlass ist. Ich denke dabei zuletzt an die Proteste und den Widerstand gegen den Ausbau der A 49 und die Rodung des Dannenröder Forsts. Oder an ‚Fridays for Future‘ als eine Bewegung der jungen Menschen, weil es für sie ein extrem konkreter Anlass ist, wenn die Welt über 1,5 Grad Celsius wärmer wird. Wir haben bei der Entwicklung des Films mehr über Umweltthemen gesprochen als über Zeitgeschichte.“[1]
Etwas mehr zeithistorisches Bewusstsein wäre aber sicher nicht verkehrt gewesen, denn so naheliegend die Parallelen auf den ersten Blick erscheinen, so wenig lässt sich die Situation von 1989 auf die Gegenwart übertragen. Die Anhänger*innen der Fridays-for-Future-Bewegung können – zum Glück – vor anderen gesellschaftlichen Hintergründen agieren als die Oppositionellen in der DDR, die sich nicht auf ihre Demonstrations- oder Meinungsfreiheit berufen konnten – beides musste erst erkämpft werden. Umweltthemen waren für die DDR-Opposition von zentraler Bedeutung. Sie dienten zugleich aber auch als Ventil für eine versteckte Kritik am Staat, die auf anderen Wegen nicht öffentlich gemacht werden konnte, im Gegensatz zu heute. Hinzu kamen zahlreiche andere Themen und Forderungen – demokratische Wahlen, wirtschaftliche Reformen, Reisemöglichkeiten etc. –, die nicht weniger wichtig für die Entstehung der Opposition waren. Diese Aspekte bleiben im Film zwangsläufig unterbelichtet, da die Umweltprobleme zum eigentlichen Antriebsmotor für die Friedlichen Revolution stilisiert werden. „Um die Umwelt zu retten, mussten sie den Staat stürzen“[2], so die zugespitzte Prämisse des Films, und das klingt beinahe so, als habe es für die Jugendlichen in der DDR keine anderen Motive gegeben, um auf die Straße zu gehen. Die Grenzen zur Gegenwart verschwimmen, als Franka am Ende des Films – vor Beginn der ersten Montagsdemonstration am 4. September 1989 – direkt in die Kamera blickt und einen pathetischen Apell ans Publikum richtet: „Wir können uns nicht aussuchen, in welche Zeit oder Welt wir geboren werden. Was uns aber freisteht, ist zu entscheiden, wie wir ihr entgegentreten. Wir haben mit Umweltthemen angefangen, aber ihr habt uns nicht gehört. Wenn ihr uns nicht zuhört, heißt das noch lange nicht, dass wir aufhören. Ganz im Gegenteil: Ab jetzt geht es um Grundsätzlicheres.“
Fragwürdige Parallelen
Es ist sicher spannend und richtig, dass ein Film über die Anfänge der Friedlichen Revolution die Frage aufwirft, welche Bedeutung die Ereignisse von damals heute noch haben. Problematisch ist jedoch, wenn dabei die historischen Hintergründe unscharf werden. Ob die Bezüge zur Gegenwart eher anbiedernd wirken oder die Chance eröffnen, ein jüngeres Publikum zu erreichen, darüber lässt sich sicher streiten. In einer anderen Szene zeugt der Film jedoch von einem geradezu fahrlässigen Umgang mit geschichtlichen Verweisen: Die Jugendlichen aus der Umweltgruppe drucken ein Flugblatt, das zu einer Protestkundgebung aufruft. Franka will die Zettel auch in ihrer Schule verteilen und schleicht sich nachts heimlich ins Gebäude. Sie deponiert die Flugblätter in den Klassenräumen und auf den Gängen, zum Schluss wirft sie einen Stapel mit Zetteln durchs Treppenhaus. Die Kamera filmt die Szene senkrecht von unten.
Die ikonische Einstellung erinnert an „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ (2005, Regie: Marc Rothemund). Ein Zufall? Wohl kaum, denn die bildlichen Überschneidungen sind so prägnant, dass sich der Vergleich aufdrängt. Aber welche Assoziationen wollten die Filmemacher damit provozieren? Sollten die (fiktiven) oppositionellen DDR-Jugendlichen um Franka und Stefan in eine Traditionslinie mit dem (realen) NS-Widerstand eingereiht werden? Spielt es keine Rolle, um welches totalitäre System oder welchen inhaltlichen Protest es geht? Es ist erstaunlich, dass man – 75 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur und 30 Jahre nach dem Zusammenbruch des SED-Regimes – noch immer darauf hinweisen muss, dass man beide Systeme nicht bedenkenlos über einen Kamm scheren kann. Der Protest gegen einen millionenfachen Völkermord und einen verbrecherischen Angriffskrieg unter Inkaufnahme der sicheren Todesstrafe wie im Fall von Sophie Scholl und der „Weiße Rose“ lässt sich nicht mit dem öffentlichen Aufbegehren oppositioneller Jugendlicher am Ende der DDR gleichsetzen. Wohin solche fahrlässigen Vereinfachungen schlimmstenfalls führen, konnte man zuletzt bei den diversen „Querdenker“-Demonstrationen beobachten, wo sich manche selbst ernannten „Widerständler“ im Kampf gegen die Corona-Schutzmaßnahmen auch mit Sophie Scholl oder gar Anne Frank verglichen haben.
DDR-Opposition als Projektionsfläche
Die kitschige Reminiszenz an „Sophie Scholl“ ist nicht nur unnötig, sie verweist zugleich auf ein grundsätzliches Problem im filmischen Umgang mit der DDR-Vergangenheit. Der unmotivierte Vergleich zum NS-Widerstand ergibt zusammen mit den schrägen Querverweisen auf die gegenwärtigen Umweltproteste ein schwammiges Geschichtsbild, in dem die DDR-Opposition primär als Projektionsfläche für widerständiges Verhalten dient, egal um welchen Kontext es eigentlich geht. Würde man ein paar Details der Handlung austauschen, könnte die gleiche Geschichte auch in einem anderen zeitlichen Umfeld erzählt werden. Spezifisch für die Darstellung der SED-Diktatur erscheint am Ende nur die Überwachung durch die Staatssicherheit, die auch in diesem Film nicht fehlen darf.
„Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“ ist dabei anfangs durchaus mutig und zeigt die Stasikontrolle als allgegenwärtige, aber letztlich sinnlose Maßnahme, die auch von den Jugendlichen kaum noch ernst genommen wird. In einer Szene bringt ein Mädchen aus der Umweltgruppe den Stasi-Leuten, die sie vom Auto aus beobachten, sogar ein paar Stullen vorbei. Doch diese ironische Perspektive hält der Film nicht lange durch. Nach dem Pleiße-Gedenkmarsch wird Stefan verhaftet und von einem niederträchtigen Stasi-Mann verhört. Mit seinem biederen Anzug und seiner schlecht sitzenden Frisur verkörpert er die hässliche Willkür der Staatsmacht. Der Film bedient damit das wohl wirkmächtigste Klischee filmischer DDR-Inszenierungen, selbst wenn es am Ende punktuell aufgebrochen wird. Die Verhör-Szene wirkt geradezu grotesk, weil der Stasi-Mann Stefan auffordert, sich ein Stück Stoff in die Unterhose zu stecken, damit man eine Geruchsprobe von ihm nehmen kann, um eine Vergewaltigung aufzuklären, die man ihm in die Schuhe schieben will. Selbst wenn man davon absieht, dass solche Geruchsproben vom MfS in der Regel konspirativ angefertigt wurden (die Verhörten sollten davon schließlich nichts wissen), wirkt die Szene unsinnig und plakativ. Doch damit nicht genug: Ein Schäferhund „erschnüffelt“ Stefan tatsächlich kurze Zeit später aus großer Entfernung, sodass dieser aus lauter Angst keinen anderen Ausweg weiß, als Hals über Kopf in den Westen zu flüchten.
Spätestens mit solchen stereotypen Darstellungen unterläuft „Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“ jeden Anspruch, neue Akzente innerhalb der filmischen Erinnerungen an die DDR zu setzen. Dazu hätte es ohnehin einer ambivalenteren Dramaturgie bedurft, die sich nicht damit begnügt, die Umweltproblematik als thematischen Aufhänger für einen oberflächlichen Blick auf oppositionelle Jugendliche in der DDR zu nutzen.
Die Unheimliche Leichtigkeit der Revolution
(Regie: Andy Fetscher, Deutschland 2021)
Trailer
Ab dem 21.4. für drei Monate in der ARD-Mediathek.
[1] Interview mit Johanna Kraus (MDR), Redaktionsleitung Fernsehfilm, und Volker Herres, Programmdirektor (ARD). In: Presseheft „Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“, S. 6.
[2] Der Drehbuchautor Thomas Kirchner soll das Anliegen des Films so zusammengefasst haben. Vgl. ebd., S. 5.