von Alina Müller

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13. Juni 2022

Maxi Zimmermann ist Restauratorin im Filmarchiv der Deutschen Kinemathek und hat die Restaurierung von Werner Hochbaums Film 'Brüder' betreut. In seinem ersten Film von 1929 vergegenwärtigt Hochbaum im Auftrag der Gewerkschaft der Hafenarbeiter und mit finanzieller Unterstützung der SPD den Hamburger Hafenarbeiterstreik von 1896/97.

 

Wie groß ist das Team, das an einem solchen Projekt wie der Restaurierung eines Films arbeitet?

Maxi Zimmermann: Seitens der Kinemathek habe ich das allein gemacht. Wir arbeiten aber generell mit Dienstleistern zusammen. Diese erstellen zum Beispiel Untertitel für die Produktionen. Die Vorbereitung für die Restaurierung und die Kommunikation mit den Dienstleistern habe jedoch ich übernommen.

Wenn man den Film 'Brüder' im Internet sucht, findet man eine Fassung auf Youtube. Im Abspann wird deutlich, dass diese Fassung des Films 1991 im NDR ausgestrahlt worden ist. Was unterscheidet die von Ihnen bearbeitete neue Fassung von dieser Version?

Als Grundlage für unsere Arbeit haben wir uns nach einer Materialrecherche für drei Nitrokopien des Films entschieden, die im Bundesarchiv lagern. Davon lief eine bereits 2018 bei einer Retrospektive der Berlinale. Eine der drei Nitrokopien muss auch dieser NDR-Ausstrahlung als Vorlage gedient haben.
Im Gegensatz dazu habe ich versucht, den Film zu vervollständigen, um ein möglichst schönes Bild zu erhalten. Manche Szenen waren beschädigt. Klebestellen haben Szenen gekürzt, andere Szenen waren sehr stark verschrammt, verstaubt oder verkratzt. In diesen Fällen konnten wir auf eine der anderen beiden Kopien zurückgreifen. Außerdem konnten wir alle Zwischentitel, die laut Zensurkarte vorhanden waren, in der neuen Kopie darstellen und alle Viragen übernehmen.
Der Unterschied ist jetzt, dass das Bild vollständiger ist, viel beruhigter anmutet und dass die Viragen stimmen.

Was sind Viragen?

Viragen sind eine Vorform des Farbfilms. Teilweise haben Sie vielleicht gesehen, dass die Hafenszenerien bläulich sind oder am Ende des Films die Fahne rot ist. Dafür hat man einfach komplette Szenen in ein Farbbad gelegt und die Szenen blau eingefärbt. Beim 'Wachsfigurenkabinett' (Spielfilm von Paul Leni, 1924) gibt es bis zu vier oder fünf Farben. Die Farben sollen jeweils verschiedene Dinge ausdrücken, wie Angst, Abendstimmung, Morgenstimmung, Aufruhr. In 'Brüder' geht es um einen Streik und die rote Fahne bei einem proletarischen Film hat natürlich Symbolcharakter. Deswegen ist es wichtig, diese wieder rot zu sehen, wie das im Original war.

Blaue Hafenszene, Filmstill aus 'Brüder' von Werner Hochbaum (1929), Quelle: Deutsche Kinemathek, © Deutsche Kinemathek / Filmarchiv Austria.

Welche Herausforderungen traten bei der Restaurierung für diesen Film auf?

Eine möglichst vollständig an die Uraufführung angelehnte Fassung herzustellen, das war die Grundherausforderung. Mit Hilfe einer Exceltabelle habe ich aus allen drei Fassungen die Szenen aufgeschlüsselt, was dann digital nachvollzogen wurde. Hinzu kam, dass diese Aufgabe in einer bestimmten Zeit bewältigt werden musste, weil der Komponist das fertige Material rechtzeitig brauchte, um die Filmmusik bildgenau zu komponieren.
Die zweite Herausforderung waren die Viragen. Es war uns wichtig, dass diese zeitgemäß wirken. Dafür konnten wir die Nitrokopien im Vergleich heranziehen und uns angucken, wie die Farben in den Nitrokopien wirken. Eigentlich soll man trotz Digitalisat eine realistische Vorstellung davon bekommen, wie die 35mm Kopie 1929 aussah.
Bei der digitalen Retusche gab es so viel zu tun, dass man sich entschieden hat, nicht alle Schäden zu beheben. Gestalterisch ist das Ziel ohnehin, nur grobe Schäden wie Schrammen mitten im Bild zu retuschieren, damit das für die Zuschauer*innen nicht störend ist beim Filmgucken.

Wie viel Zeit verbringen Sie mit Recherchen rund um ihr Material? Haben Sie sich beispielsweise erforscht, wie der Film seinerzeit rezipiert wurde? Wie viel historisches Wissen ist für so eine Restaurierung notwendig?

Diese Recherchen wurden im Vorfeld durchgeführt, um den Antrag für die FFA (Filmförderungsanstalt) zu schreiben und um eine gute Begründung zu liefern, warum genau dieser Film restauriert werden soll. Das heißt, diese Aufgabe fiel mir dann gar nicht mehr zu. Ich habe mich trotzdem zu Werner Hochbaum belesen, weil wir noch zwei weitere Hochbaum-Filme restaurieren, 'Schleppzug' und 'Razzia in St. Pauli', die jetzt gerade in der Endfertigung sind.

Julia Wallmüller, die Leiterin des Restaurator*innenteams im Filmarchiv der Deutschen Kinemathek, spricht in einem Interview, das wir vor zwei Jahren mit ihr geführt haben von Kriterien, die ausschlaggebend dafür sind, welche Filme restauriert werden. Welche Kriterien trafen auf 'Brüder' zu? Warum hat die Kinemathek sich für diesen Antrag entschieden?

Vor allen Dingen war es im Fall von 'Brüder' ein konservatorisches Interesse. Um den Film dem Verleih wieder zugänglich zu machen, sollte dieser in einer möglichst vollständigen Fassung digitalisiert werden. Von 'Brüder' ist kein Negativ mehr überliefert. Nur diese drei Nitrokopien konnten recherchiert werden. Nitratkopien unterliegen dem Zerfall und müssen zudem besonders gelagert werden. Sie fallen unter das Sprengstoffgesetz, weil sich der Filmträger bei zu hohen Temperaturen entzünden könnte.
Hinzu kam die Koproduktion mit ZDF und arte. Diese haben für den Film eine neue Filmmusik in Auftrag gegeben. Bei der diesjährigen Berlinale wurde 'Brüder' dann in digitaler, restaurierter Form sowie mit neu komponierten Musik im Friedrichstadtpalast uraufgeführt.

Heißt das, dass diese Sender den Film auch zeigen werden?

Es gibt die Bestrebungen, dass der Film vermutlich im November oder Dezember im arte Stummfilmprogramm läuft. Darüber hinaus wird er auf jeden Fall durch die Kinemathek vertrieben werden. Das bedeutet, dass Kinos und Spielstätten den Film über den Kinematheksverleih buchen und dann zeigen können.

Was macht den Film besonders?

Für mich persönlich war wichtig, dass 'Brüder' in die Kategorie proletarischer Film fällt. Auch wie der Film geschnitten ist, ist interessant: Stichwort Sergej Eisenstein. Die Stilelemente kommen dem russischen Kino der Zeit sehr nahe. Hochbaum hat ebenfalls fast ausschließlich mit Laiendarsteller*innen gedreht und auf eine außergewöhnliche Art und Weise 1929 ein Thema behandelt, das eigentlich 1896 spielt. Gleichzeitig ist das Thema heute immer noch aktuell. Auch wie die Wiege der Gewerkschaftsarbeit hervorgehoben wird, sticht gegenüber anderen Filmen heraus, die aus dieser Zeit restauriert wurden.
Dennoch ist der Regisseur Werner Hochbaum nicht bekannt geworden. Er war nach dem Krieg in Ostdeutschland recht populär, womöglich gerade, weil er proletarische Filme gemacht hat. Wiederentdeckt wurde er eigentlich erst in den 1970er Jahren in Österreich, als das Filmarchiv Austria ihm auf der Viennale 1976 eine Retrospektive gewidmet hat.

Person mit Streikschild, Filmstill aus Brüder von Werner Hochbaum (1929), Quelle: Deutsche Kinemathek, © Deutsche Kinemathek / Filmarchiv Austria.

In einem Artikel über Werner Hochbaum heißt es, er sei ein "unglückliches Opfer der Geschichte" geworden. Warum wurde er vergessen?

Dafür, dass er diese proletarischen Filme gemacht hat, die Arbeitskämpfe zeigen, ist er als Privatperson so gar nicht aufgetreten. Deswegen wird er womöglich auch als unglücklich bezeichnet. Offiziell hat er für das, was er in seinen Filmen abbildet, nicht gekämpft, sondern ist eher unter dem Radar geblieben. Er hat sich nicht groß für etwas eingesetzt.

Wie wichtig sind solche Retrospektiven heute bei Filmfestivals wie der Berlinale?

Ich persönlich finde, dass die Retrospektiven die Filme zeigen sollen, die noch auf Film sind. Solange es möglich ist, diese analogen Filme, also Filmkopien, in den wenigen Spielstätten, die dafür noch existieren, zu zeigen, sollten wir das tun. Dass die Zuschauer*innen das erleben können, finde ich wichtig. Ich kann mir vorstellen, dass die Retrospektive bei der Berlinale die einzige Sektion ist, die noch analoge Kopien zeigt. Unsere Restaurierungen sind ja auch digital, deshalb finde ich die Retrospektive als Wissenstransfer wichtig.

Das Gespräch mit Maxi Zimmermann führte Alina Müller online am 16.02.2022.

Brüder, Werner Hochbaum, Deutschland 1929, 78‘