von Rebecca Wegmann

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21. Juni 2022

Möwengeschrei, Meeresrauschen, hunderte Gesichter blicken freudig winkend vom Deck eines Schiffes, das in einen Hafen einfährt. Diese Aufnahme ist Teil des Films Vittnesbördet (Schweden, 1945)[1], der im April 1945 im Rahmen der Rettungsaktion der Weißen Busse des Schwedischen Roten Kreuzes die Ankunft befreiter Häftlinge aus nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern im Hafen von Malmö audiovisuell festhält. 2020 wurde der 22-minütige unter der Regie von Nils Jerring produzierte Film als Teil des nationalen Filmerbes vom Schwedischen Filminstitut und der Schwedischen Nationalbibliothek digital restauriert und online frei zur Verfügung gestellt. Die Aufnahmen aus V halten die ersten Schritte der Häftlinge in Freiheit außerhalb der Lager fest.

Fasziniert von den anonymen Gesichtern der ankommenden Menschen, die auf den V-Sequenzen zu sehen sind, macht sich der schwedische Regisseur Magnus Gertten zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf die Suche nach ihnen. In unterschiedlichen Teilen der Welt, Israel, Südafrika, den Vereinigten Staaten und auch Schweden findet Gertten einige der Überlebenden. In umfangreichen Interviews mit den Zeitzeug:innen konfrontiert der Filmemacher die Überlebenden sieben Jahrzehnte später mit den Archivbildern ihrer Ankunft in Malmö. Die audiovisuelle Zusammenführung von Zeitzeug:innen und Archivfilm ist charakteristisch für die Montage[2] der dokumentarischen Trilogie Hoppets hamn (Schweden, 2011)[3], Every Face has a Name (Schweden, 2015)[4] und Nelly & Nadine (Schweden, 2022)[5] des schwedischen Regisseurs Magnus Gertten.

 

Ein Zeugnis für die (Nach-)Welt

Im Rahmen der Rettungsaktion der Weißen Busse durch das Schwedische Rote Kreuz filmte der schwedische Fotograf und Kameramann Gustaf Boge (1891–1958) die Ankunft verschiedener Schiffsfähren im Hafen von Malmö am 28. April 1945 auf 35mm-Negativfilm in Schwarz-Weiß. An Bord waren neben dem Schiffspersonal und den Mitarbeiter:innen des Roten Kreuzes 1948 Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen in verschiedenen nationalsozialistischen Konzentrationslagern inhaftiert waren. Die Mehrheit der über 15.000 im Frühjahr 1945 Geretteten[6] waren politische Häftlinge aus Norwegen und Dänemark. Aber auch tausende KZ-Insassen, die anderen Häftlingsgruppen oder Nationalitäten angehörten, konnten durch die Aktion der Weißen Busse aus den Lagern befreit werden.

Film still: Überlebende aus deutschen Konzentrationslagern am 28. April 1945 am Hafen von Malmö  aus Nelly & Nadine von Magnus Gertten. Rosetta Achmed (links), Nadine Hwang (Mitte), Elsie Ragusin (rechts) und Mary O’Shaugnessy (hinten). Foto: Nils A. Blanck. ©  Auto Images

Am 7. Mai 1945 wurden Boges Aufnahmen im Rahmen der Premiere des Films V in Stockholm vor schwedischem Publikum uraufgeführt. Dabei zeigt V kleinteilig den Prozess des Ankommens: Die in den Hafen einfahrenden Fähren, auf denen hunderte Menschen freudig als Ritual der Ankunft im Hafen winken, das Verlassen der Schiffe, die ersten Schritte auf schwedischen Hafenboden, sowie die humanitäre und sanitäre Versorgung der Häftlinge. Die Filmaufnahmen zeigen die Ankommenden als Opfer nationalsozialistischer Verbrechen, die meisten mit rasierten Köpfen, einige immer noch in gestreifter Häftlingskleidung, teilweise vollkommen ausgemergelte, fast verhungerte, kranke, verwundete Körper, die zu schwach zum Laufen sind. So veranschaulicht der mittlere Teil des Kurzfilms die Erstversorgung der Häftlinge durch Mitglieder des Schwedischen Roten Kreuzes und der Marine. Im letzten Drittel konzentriert sich der Film auf die Geschehnisse nach der unmittelbaren Ankunft und Versorgung: die Wiedereinführung der Menschen in ein Leben in Freiheit. Boge hält die äußerliche, visuelle Transformation vom Häftling zum Überlebenden mit seiner Kamera fest. Der Filmtitel Vittnesbördet, deutsch für „Das Zeugnis“, manifestiert bereits den bezeugenden Charakter der Filmaufnahmen Boges als audiovisuelle Quelle, die ein gegenwärtiges Ereignis, die Ankunft im Hafen von Malmö, für die Nachwelt dokumentiert. Der Film über die Rettungsaktion dient so bis heute auch der nationalen „Selbstlegitimierung“, der „Rechtfertigung und Überhöhung der schwedischen Neutralitätspolitik“[7] in Geschichte des Zweiten Weltkriegs.

 

Bilder aus der Vergangenheit – Kompiliertes Archivmaterial

Anstoßgebend für die drei Filme des schwedischen Regisseurs waren die Aufnahmen aus V. Besonders faszinieren den Regisseur jene V-Sequenzen, die die Gesichter der Ankommenden im Detail zeigen. Deshalb stellt Gertten diese Passagen in den Mittelpunkt seiner Filme, wobei die Auswahl der jeweiligen Sequenzen mitunter variiert und ihre Neuorganisation unterschiedlich gestaltet ist. Demgegenüber werden inhaltliche Sinnzusammenhänge und der historische Kontext zur Rettungsaktion, die in V zentral sind, in Gerttens Filmen eher hintergründig fokussiert. Beispielweise wird Initiator Folke Bernadotte, dominierende Figur in der geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Weißen Bussen und dem Schwedischen Roten Kreuz, in Gerttens Filmen nicht problematisiert.[8]

Da der Regisseur in seinen Filmen das V-Archivmaterial in der Gegenwart neu interpretiert und es gemeinsam mit anderen Archivmedien wie Briefen oder Fotografien sowie neu produzierten Aufnahmen arrangiert, erfüllen die drei Dokumentationen die konventionellen Gattungskriterien des Kompilationsfilms.[9]

„Die Bedeutung, die dabei eine veränderte Komposition für den Aussagewert eines Bildes haben kann, sollte nicht zu gering bemessen werden, denn neue Kontexte analysieren das Filmmaterial, das sie integrieren, in einem veränderten Sinne.“[10]

Die 35mm-Negativfilm-Aufnahmen in Schwarz-Weiß erscheinen den Zuschauer:innen der Trilogie selbst historisch und verleiten sie zu dem Eindruck, dass die Filmbilder von damals die Vergangenheit authentisch darstellen, genauer gesagt ein authentisches Zeugnis der Vergangenheit seien, damit eine vergangene Wirklichkeit konstruierten. Vor dem Hintergrund dieses Begriffsverständnisses von Kompilationsfilmen muss angemerkt werden, dass unabhängig von der Deklaration fiktiv, real oder dokumentarisch, Filmbilder immer inszeniert sind.[11]  

In der europäischen Geschichte des Kompilationsfilms setzen Alain Resnais Nuit et brouillard (Frankreich, 1956) und Erwin Leisers Den blodiga Tiden (Schweden, 1960) filmästhetische Maßstäbe für die Neuorganisation historischen Bildmaterials der Shoah. So dient Den blodiga Tiden dem Filmhistoriker Frieß als Standardbeispiel, um Funktionen historischer Bilder in Kompilationsfilmen herauszuarbeiten.[12] Audiovisuelles Archivmaterial aus der Zeit des Nationalsozialismus wie zum Beispiel der Westerbork-Film aus dem niederländischen Durchgangslager Westerbork[13] wird in gegenwärtigen Studien u.a. dafür benutzt, unbekannte Personen auf den historischen Filmbildern identifizieren.[14] Die Opfer nationalsozialistischer Verbrechen aus der Anonymität des Opfertums herauszuholen, ihnen Namen und Lebensgeschichten zurückzugeben, ist nicht nur Ziel diverser Projekte wie #everynamecounts der Arolsen Archives oder die Halle der Namen in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem, sondern Agenda des schwedischen Regisseurs. Über 75 Jahre nach der Ankunft der Häftlinge im Hafen von Malmö, ließen Gertten die vielen Gesichter der Ankommenden im Film V nicht los. Aus dieser Motivation heraus sind Interviews mit Zeitzeug:innen zweites wichtiges und grundlegendes Element seiner Filmkompositionen.

Filmbanner Every face has a Name von Magnus Gertten © Auto Images

 

Stimmen der Gegenwart – Interviews mit Zeitzeug:innen

Auf seiner Suche nach den Menschen, die sich hinter den Gesichtern aus V verbergen, bereiste Gertten Kontinente und kam mit verschiedenen Personen ins Gespräch. In den fertigen Filmen haben über zwanzig Personen mit unterschiedlichen Rollenfunktionen das Wort. Zu sehen sind auf der einen Seite Dialoge, Gruppen- sowie Familiengespräche, bei denen die Beteiligten, meistens Kinder und Enkel der zeitgenössischen Akteur:innen von 1945, im privaten Raum miteinander über die Lebens- und Familiengeschichten ihrer Angehörigen sprechen. So variieren auch die dargestellten Gesprächsformate. Neben Aufnahmen aus dem Alltag der Menschen, werden die Befragten in der Regel in der Detailaufnahme auf ihrem Gesicht im Interview arrangiert. Beides vermittelt dem Publikum eine unmittelbare Nähe zu den Menschen vor der Kamera und erhöht auf diese Weise auch die Emotionalität des Erzählten. In allen dargestellten Sprechformaten ist Gertten zwar als Regisseur anwesend, bleibt aber als Interviewender hinter der Kamera audiovisuell unsichtbar. Seine Befragungen zielen auf die individuellen Lebensgeschichten der Personen ab. Dabei autorisiert die bezeugende Person als Träger:in von Erfahrungen eine bestimmte Sicht auf die Vergangenheit.[15] Historiker Martin Sabrow macht den Zeitzeugen[16] in seiner Begriffsdefinition zum wandernden Vermittler zwischen der Welt der Vergangenheit und der Gegenwart:

„[D]er Zeitzeuge [stellt] nicht nur die Brücke zwischen Heute und Damals her, sondern passt auch die Vergangenheit in die Gegenwart ein und dient als Mittler zwischen beiden. Um als Wanderer zwischen diesen Welten dienen zu können, übernimmt er von der Vergangenheit die Erinnerung, von der Gegenwart aber die Wertemaßstäbe, das kulturelle Rahmenformat, in dem er das Vergangene memoriert und zugleich aktualisiert.“[17]

Die vierzehn Zeitzeug:innen, die in Gerttens Filmen zu Wort kommen und inszeniert werden, berichten vor der Kamera über ihre subjektiven Erinnerungen an das Ereignis der Ankunft in Malmö im Frühjahr 1945. Die von Gertten interviewten Personen können altersspezifisch zugeordnet werden: Zwar waren sie aus variierenden Gründen in unterschiedlichen nationalsozialistischen Lagern inhaftiert, jedoch befanden sie sich bei ihrer Ankunft in Malmö in der ersten Hälfte ihres Lebens, sie waren damals noch Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene.[18] Zwischen der Ankunft im Hafen von Malmö und der Aufnahme der Filminterviews mit den Zeitzeug:innen liegt eine Zeitspanne von mindestens 66 (2011) bis maximal 77 Jahren. Das Ereignis, über das die Zeitzeug:innen sprechen, ist lange vergangen. Gleichzeitig ist es jedoch für ihre Lebensgeschichten ein vermutlich sehr einschneidendes Erlebnis gewesen, an das sie in der Konstruktion ihrer autobiografischen Ich-Erzählung oft zurückdenken. Die Zeizeug:innen sind im Produktionszeitraum der Filminterviews zwischen 2011 und 2022 alle hochbetagt. Über das Medium des Interviews hält Gertten die subjektiven Erinnerungen der Zeitzeug:innen fest, aus denen sich audiovisuelle Erfahrungsgeschichten[19] über die Ankunft in Malmö generieren.

Ältere Generationen der Zeitzeug:innen kommen vor allem deshalb nicht selbst zu Wort, weil die meisten wie zum Beispiel Charlotte Jackson (1889–1968), Nelly Mousset-Vos (1906-1987) oder Nadine Hwang (1902-1972) bereits lange Zeit verstorben waren. Diese Leerstelle konfrontiert und mit dem Aussterben der Zeitzeug:innen.

 

Wiedersehen im Archivfilm – Momente der Identifikation

Drittes Charakteristikum der dreiteiligen Dokumentation sind Momente der Identifikation, in denen jeweils ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Personen auf den Filmbildern aus der Vergangenheit (kompilierte V-Sequenzen) und den gegenwärtig Interviewten (Interviews mit Zeitzeug:innen 2010/11, 2014/15, und 2021/22) hergestellt wird. Dabei werden die Namen und weitere biografische Informationen über Sequenzen der V-Aufnahmen oder die Zeitzeug:innen in der Gegenwart eingeblendet. Auch hier variiert die ästhetische Ausgestaltung der Originalaufnahme, sowie der Schriftzug und Farbgebung der biografischen Information. Diese Zeitgestaltung „zielt auf ein Zusammentreffen der beiden Stränge in einem Punkt und ist gerade durch diese Finalität spannungserzeugend.“[20] Inhaltlich fokussieren sich zwar alle drei Filme auf die Lebensgeschichten der am 28. April 1945 am Hafen von Malmö Ankommenden, jedoch setzt Gertten sowohl in der filmästhetischen Neuorganisation des Archivmaterials als auch in Rahmen- und Binnenerzählungen der jeweiligen Teile divergierende Schwerpunkte.  

a) Hoppets hamn: Im ersten Teil der Trilogie sind die V-Aufnahmen nicht nur auf visueller, sondern auf narrativer Ebene substanziell für Gerttens Filmkomposition.[21] Dabei hält die Ankunft in Malmö als Rahmenhandlung die in der Binnenhandlung auffächernden, individuellen Erfahrungsgeschichten der einzelnen Zeitzeug:innen zusammen. Mit wenigen Unterbrechungen stellen V-Sequenzen, beinahe unverändert wiederveröffentlicht, die ersten zehn Minuten von Hoppets hamn.

Auch wenn Gertten die ursprüngliche Sequenzreihenfolge aus V in weiten Teilen beibehält, kontextualisiert er diese vorwiegend über den Ton neu: Aus dem Off sprechen verschiedene Personen während die Filmbilder von damals gezeigt werden. Dazwischen sind Fotografien hineinmontiert. Die Archivmaterialien dienen hier vielmehr der Illustration des Gesprochenen, als dass sie das Publikum zur Reflexion des Gezeigten anregen. Später im Film sind die Aufnahmen aus V zwischen die neu produzierten Aufnahmen der Personen-Gespräche, den Alltagsszenen und Zeitzeug:innen-Interviews montiert. Nacheinander werden die Zeitzeug:innen Irene Krausz-Fainman, Stig Kinnhagen, Ewa Kabacinska Jansson, Joe Rozenberg und Bo Fröberg vorgestellt. Meistens aus dem Off berichten sie Minuten lang über ihre Erfahrungen während kompiliertes Archivmaterial auf Bildebene ablaufen, bis sie viel später in der Gegenwart (2010/2011) als ältere, betagte Personen auch visuell gezeigt werden. Dabei bezeugen sie variierende Perspektiven auf die Ankunft in Malmö: Während die beiden Schweden Stig Kinnhagen und Bo Fröberg aus der Sicht des Schwedischen Roten Kreuzes über die Rettungsaktion erzählen, sprechen Irene Krausz-Fainman, Ewa Kabacinska Jansson und Joe Rozenberg aus Perspektive der ankommenden, befreiten Häftlinge. Die Lebensgeschichten der Helfer:innen des Schwedischen Roten Kreuzes und Ankommenden befreiten Hänflinge sowie Überlebenserzählungen sind mit- und ineinander verwoben. So lässt Gertten den ersten Teil der Trilogie in einem Happy End aufgehen: Ein Telefonat zwischen Stig und Bo, die sich 1945 während der Rettungsaktion kennenlernten, anfreundeten und nach über fünfundsechzig Jahren in der Gegenwart 2011 wieder zusammenfinden.

Every face has a Name: Vier Jahre nach der Produktion des ersten Teils der Dokumentation verortet Gertten die Rahmenhandlung von Every Face has a Name in der Gegenwart 2014 am südsizilianischen Hafen von Pozzallo. Ebenso wie Boge siebzig Jahre vor ihm, filmt Gertten die Ankommenden, insbesondere Geflüchtete aus Syrien, die in Europa Zuflucht suchen. So stellt Gertten im zweiten Teil seiner Trilogie Bilder der „Flüchtlingskrise“ Bildern der Ankunft in Malmö gegenüber.

 Auch im zweiten Teil bleiben die Gesichter Faszinosum: Der Titel ist intentionale Sentenz des Filmprojektes. Dabei nimmt Gertten selbst die Rolle der »Stimme der Geschichte« ein und führt als suchender Ich-Erzähler aus dem Off durch den historischen Vergleich der Ankommenden 1945 in Malmö und 2014 in Pozzallo. Gertten inszeniert sich selbst als stillen Akteur vor der Kamera, als Suchenden bei der Recherche vor einer Wand, an der dutzende Standbilder aus V hängen.

Film still: Regisseur Magnus Gertten am Schreibtisch aus seinem Film Every face has a Name. © Auto Images

Im starken Kontrast zur Neuorganisation der V-Aufnahmen in Hoppets hamn, bei der Gertten nahe an der ursprünglichen Reihenfolge bleibt und die historischen Filmbilder weitestgehend unbearbeitet wiederveröffentlicht, greift Gertten bei der Komposition des zweiten Teils stärker in die V-Aufnahmen ein. Wie bereits erwähnt, werden diese nicht nur als Standbildfotografien an der Wand und als Fotografien in der Nahaufnahme abgefilmt, sondern auch auf einem Laptop-Bildschirm als Bild im Bild inszeniert. Daher kann die Komposition des zweiten Teils als Remontage begriffen werden: „Das Prinzip der »Remontage«“ geht über eine „erneute Distribution der Bilder“ hinaus. „Remontage bedeutet auch eine Aktualisierung und eine Reflexion über die Perspektive der Bilder und deren Veränderung in der erneuten Aufarbeitung.“[22] Gerttens Remontage besteht aus ineinandergreifenden Mechanismen: 1) Beschnitt des Formates der Originalsequenz, 2) Zoom in die Originalsequenz, 3) Erneutes Abfilmen der Sequenz in horizontaler oder vertikaler Kamerafahrt oder Schwenk, 4) Darstellung der Originalsequenz in Slow Motion, 5) Wiederholung verschiedener Ausschnitte einer Originalsequenz direkt hintereinander. Diese Mechanismen erlauben es den Zuschauer:innen auf der einen Seite gezielt über das visuell Dargestellte zu reflektieren, sind jedoch auf der anderen Seite ein gezieltes Eingreifen in die Aufmerksamkeitsökonomie der Lesbarkeit der V-Aufnahmen. Gertten lenkt den Blick seines Publikums hin zu einer selektiven Rezeption der Aufnahmen. Auch durch die kommentierenden und bewertenden Aussagen der Zeitzeug:innen, die im Interview in der Gegenwart die Aufnahmen aus der Vergangenheit beurteilen, lenkt der Regisseur sein Publikum. Im Unterschied zum ersten Teil montiert Gertten in Every Face has a Name nicht die gegenwärtigen Stimmen aus dem Off über die V-Aufnahmen, sondern inszeniert eine Art Gegenüberstellung vergangener und gegenwärtiger Filmbilder: Eine sekundenschnell-dynamische Montage im Schuss-Gegenschuss-Prinzip spitzt die Zusammenführung der Bilder aus der Vergangenheit (Ausschnitte aus V-Sequenzen auf einem Laptop) und der Stimmen der Gegenwart (Interviews mit Zeitzeug:innen 2014/15 vor einem Laptop) zu. Die Reaktionen der Zeitzeug:innen in der Detailaufnahme, ihre Gestik und Mimik, auf die historischen Filmbilder aus V werden dem Publikum so übermittelt.

Film stills: Elsie Ragusin erkennt sich im Archivfilm Vittnesbördet wieder aus Every face has a Name von Magnus Gertten © Auto Images

Für den zweiten Teil sprach Gertten mit einer Ausnahme – einer der Befragten Philip Jackson ist der Sohn einer bereits verstorbenen Ankommenden – ausschließlich mit Zeitzeug:innen, die als Ankommende in den V-Aufnahmen zu sehen sind. Im Unterschied zum ersten Teil, in dem nur Irene Krausz-Fainman sich und andere Menschen in den historischen Aufnahmen wiedererkennt, gibt es im zweiten Teil zahlreiche Momente der Identifikation.

Nelly & Nadine: Im dritten und letzten Film der Trilogie sind die Aufnahmen aus V nicht mehr fundamentaler Bestandteil der Filmkomposition, sondern Hinleitung zur Binnenerzählung der Liebesgeschichte zwischen Nelly Mousset-Vos und Nadine Hwang, die sich als Häftlinge in Ravensbrück kennen und lieben lernen. Alina Müller bespricht in ihrer Rezension des dritten Teils „Will there be a life for us?“ die lesbische Überlebensgeschichte des Liebespaares Nelly & Nadine.

Nadine Hwangs Gesicht wird in allen drei Filmen über eine V-Sequenz, die in der Nahaufnahme die Gesichter von vier Frauen festhält, dargestellt, und als ehemalige Insassin des Konzentrationslagers Ravensbrück identifiziert. Während in den ersten zwei Teilen darüber gemutmaßt wird, wie Hwangs Leben nach ihrer Befreiung 1945 weiterging, widmet sich der dritte Teil dem Rätsel hinter ihrem Gesicht, das für Gertten eines der prägnantesten Gesichter der V-Aufnahmen ist. Die V-Sequenzen werden in Nelly & Nadine nur zu Beginn und auf dem klimatischen Höhepunkt des Films montiert. Abgespielt in Slow Motion startet der Film mit V-Sequenz, die winkende Ankommende auf dem Schiff zeigt. Darüber spricht Gertten aus dem Off und identifiziert zwei Überlebende: Trien de Haan Zwagermann und Lola Sylman. In einer Halbnahen-Einstellung schauen dutzende Gesichter die Zuschauer:innen freudig aufgeregt vom Deck eines Schiffes an. Bei der Kamerafahrt über die Gesichter der Ankommenden führt Regisseur Magnus Gertten als Sprecher aus dem Off erneut in seinen Film ein. Auch hier nimmt er selbst, jedoch nur aus dem Off ohne eigenes Gesicht, die Rolle der »Stimme der Geschichte« ein. Protagonistin des dritten Teils ist Sylvie Bianchi, Enkelin von Nelly Mousset-Vos, einer belgischen Sängerin, die wegen Spionage als politischer Häftling ab 1944 erst in Ravensbrück inhaftiert war und später nach Mauthausen deportiert wurde. Binnenerzählung des letzten Films ist die Überlebensgeschichte von Nelly Mousset-Vos und ihrer versteckten homosexuellen Liebesbeziehung zu Nadine Hwang. Thematisch fokussiert die Dokumentation den Umgang mit den Erinnerungen an die Zeit im Lager sowie die unausgesprochene Homosexualität der Großmutter in der Familiengeschichte. Als Enkelin, die wenig über die Vergangenheit ihrer 1987 verstorbenen Großmutter weiß, versucht Sylvie mithilfe von hinterlassenen Kisten voller Akten, Alben und Dokumenten, die blinden Flecken im Leben ihrer Großmutter nachzuvollziehen und nachzuerzählen. Im Nachlass der Großmutter findet Sylvie auch ein Briefwechsel der beiden Liebenden aus der Zeit des Lagers. Bruchstücke dieser Korrespondenzen werden aus dem Off von professionellen Schauspielerinnen Anne Coesens (Nelly) und Bwanga Pilipili (Nadine) vorgelesen. In der Regel werden währenddessen gegenwärtige Schwarz-Weiß-Aufnahmen von dem Bauernhof, auf dem Sylvie mit ihrem Mann Christian wohnt, und dessen landwirtschaftliche Umgebung gezeigt. Ein dramatischer Höhepunkt ist ein Skype-Gespräch zwischen Irene Krausz-Fainman und Enkelin Sylvie. Via Skype berichtet die Überlebende der Enkelin davon, wie Nadine ihrer Mutter Rachel und ihr zur Mitfahrt in den Weißen Bussen verhalf, ihnen damit das Leben rettete und Irene deshalb ihre erste Tochter nach Nadine benannt hat.

Im ersten Teil wird die Konfrontation der Zeitzeug:innen mit den Aufnahmen ihrer Vergangenheit nur auf unmittelbar auditiver Ebene inszeniert. Im zweiten Teil verlagert sich Gerttens filmästhetische Strategie. Hier montiert er die Zeitebenen Vergangenheit und Gegenwart stärker ineinander. Dabei dienen die historischen Filmbilder als Illustration zu den Erzählungen der Zeitzeug:innen oder fungieren in Auseinandersetzung mit den sie betrachtenden Zeitzeug:innen als Erinnerungsspeicher. Das Zusammenführen von Zeitzeug:innen und V-Aufnahmen ist nur über die Szenen unmittelbar dargestellt, in denen die Zeitzeug:innen vor oder neben einem Laptop inszeniert werden, auf dem die Aufnahmen ablaufen. In allen anderen Szenen ist die Konfrontation mittelbar montiert.

Während die Stimmen der Vergangenheit in den ersten zwei Teilen noch selbst zu Wort kommen, versucht Gertten im dritten Teil der Dokumentation Lösungen für das Problem des Aussterbens der Überlebenden nationalsozialistischer Verbrechen zu finden. Die Erfahrungen der Zeitzeug:innen werden durch die nächsten Generationen weitervermittelt, also mittelbarer. Dadurch wird eine mediale Transformation der unmittelbaren Erinnerung der Zeitzeug:innen evident. Die Darstellung der Erfahrungsgeschichten der Zeitzeug:innen ist über verschiedene filmästhetische Instrumente für das Publikum unmittelbar und nahbar, wodurch hohe Emotionalität und Empathie gegenüber den Zeitzeug:innen erzeugt wird.

Gertten ist still und unsichtbar hinter der Kamera. Im Unterschied zu anderen Regisseur:innen, die im Filminterview mit Zeitzeug:innen sprechen und sich als Akteur des Interviews mit hervortreten, erscheint Gertten in der Inszenierung seiner Filminterviews lediglich als suchender Ich-Erzähler. Seine Fragen an die Zeitzeug:innen bleiben Leerstellen. Welche Rolle der Regisseur für den Erinnerungsprozess der Zeitzeug:innen einnimmt, ist daher für die Rezipient:innen nicht nachvollziehbar.

 

Inszenierte Zeitzeugin – Irene Krausz-Fainman

Irene Krausz-Fainman ist der figurale rote Faden der Trilogie. Neben Nadine Hwang ist sie die Einzige, die in allen drei Filmen identifiziert wird und im ersten und letzten Teil selbst als Zeitzeugin zu Wort kommt. Gleichzeitig ist sie – zum Zeitpunkt des ersten Filminterviews 76 Jahre alt – die einführende Zeitzeugin in Hoppets hamn, die als erste aus dem Off die V-Sequenzen kommentiert und sich in einer bestimmten Sequenz wiedererkennt.

Über die V-Aufnahmen, die eine Gruppe junger Mädchen zeigt, die gerade das Schiff verlassen haben, beginnt Irene Krausz-Fainman aus dem Off auf Englisch zu erzählen: „Da. Nein, einen Schal hatte ich nicht. Ich dachte, das bin ich. Hat ein bisschen so ausgesehen. War ich aber nicht. Ich wäre ja bei meiner Mutter gewesen. Wenn ich sie sehe, finde ich auch mich.“ Währenddessen werden drei V-Sequenzen gezeigt, die Frauen und junge Mädchen zeigen, wie sie vom Schiff hinuntergehen. Zu diesem Zeitpunkt kann das Publikum die Frauenstimme nicht lokalisieren, geschweige denn die Stimme einer Person zuordnen. Weitere V-Aufnahmen folgen, die verschiedene Frauengruppen im Getümmel der Ankommenden im Hafen von Malmö zeigen. Nach dem ersten Moment der Irritation, wundert sich Irene Krausz-Fainman – weiterhin aus dem Off – über die Kleidung der gezeigten Ankommenden, und referiert auf die eigentlich gestreifte Häftlings-Uniform. Nach einer kurzen Sprechpause erzählt Irene Krausz-Fainman immer noch aus dem Off: „Meine Mutter hat mir immer die Augen zugehalten, mich beschützt. Auch noch Jahre später, fast bis zu ihrem Tod. Sie hat einfach nicht vom Krieg geredet. Sie sagte, an was du dich nicht erinnern kannst, das weißt du nicht.“ Währenddessen erscheinen hintereinander drei V-Aufnahmen: Die erste zeigt das Abstrich-Nehmen bei einer bekleideten jungen Frau, die mittlere zeigt Frauen auf einer Bahre, und die dritte zeigt zwei nackte Frauenkörper in der Detailansicht. Zunächst ohne die Köpfe zu zeigen, halten die beiden Frauen jeweils ihren linken Unterarm, auf denen Nummern eintätowiert zu erkennen sind, in die Kamera, dann schwenkt die Kamera auf die Gesichter der Frauen. Erneut folgt eine wenige Sekunden lange Sprechpause. Verschiedene Szenen folgen, die Untersuchungen von unbekleideten Frauen in einem Sanitätszelt, das Duschen und Anziehen nach der Untersuchung zeigen. Aus dem Off ruft Irene Krausz-Fainman in das Geschehen: „Das ist meine Mutter! Die ganz vorne. Die mit dem Rücken da, mit dem braunen Haar.“ In einer Gruppe unbekleideter Frauen, die in einer Schlange zum Entlausen stehen, erkennt sie zunächst ihre Mutter Rachel wieder. In der darauffolgenden Sequenz steht die Frau, die Irene Krausz-Fainman aus dem Off als ihre Mutter identifiziert hat im gleichen Setting, unbekleidet frontal zur Kamera. Neben ihr steht in der Bildmitte dieser Sequenz ein kleines, blondes, unbekleidetes Mädchen, das den Kopf hinunterbeugt, um sich die Haare mit einem Entlausungsmittel einsprühen zu lassen. Danach reicht ein maskierter Mann in Uniform, der ihr zuvor die Haare eingesprüht hat, dem Mädchen die Hand. Das Mädchen schüttelt die Hand, richtet sich auf, lacht in die Kamera, auch die Mutter links lacht in die Kamera und bedeckt mit Händen ihre Brust, während sie ihre Schultern hochzieht. Aus dem Off sagt Irene Krausz-Fainman: „Und das bin ich. Ja, das bin ich.“ Darauf folgt eine Detailaufnahme in Farbe auf Augen und Nase von Irene Krausz-Fainman in der Gegenwart 2011, über die ihr Name und Informationen zu ihrer Lagerinhaftierung eingeblendet werden. Erst hier können die Zuschauer:innen der Stimme aus dem Off ein Gesicht zuschreiben. Auf den Moment des Wiedererkennens der Off-Stimme von Irene Krausz-Fainman folgt der Sprung in die Gegenwart.

Verschiedene Szenen aus dem Irene Krausz-Fainmans Wohnhaus, weitere V-Sequenzen und Schwarz-Weiß-Fotografien, die in den Wochen nach ihrer Ankunft entstanden, veranschaulichen das gesprochene Wort der Zeitzeugin, die über die ersten Wochen Malmö berichtet.

In der Inszenierung von Irene Krausz-Fainmans Wiedererkennungsmoment ist auffällig, dass ihre Reaktion auf die V-Aufnahmen nur auditiv stattfindet, visuell jedoch unsichtbar für die Zuschauer:innen bleibt. Erst nach der Sequenz, in der sich Irene Krausz-Fainman in der V-Aufnahme wiedererkennt, wird sie auch für das Publikum als Off-Stimme erkenntlich. Für die Rezipient:innen offenbart sich ein mehrdimensionales Wiedersehen: Sie können sowohl das kleine Mädchen auf den V-Aufnahmen, als auch die ältere, betagte, blonde, kurzhaarige Frau in den Farbaufnahmen als Bilder von Irene Krausz-Fainman im Film erkennen. Bis auf die beiden Momente der Identifikation, in denen Irene Krausz-Fainman aus dem Off ihre Mutter und sich selbst erkennt, stehen die V-Filmbilder und die weibliche Stimme aus dem Off relativ unverbunden als auditive und visuelle Ebene des Films nebeneinander. Zwar ist durch die ersten Worte von Irene Krausz-Fainman deutlich, dass sie auf den historischen Filmbildern etwas sucht, doch in den darauffolgenden Sequenzen bezieht sich ihr gesprochenes Wort nur lose semantisch auf die gezeigten Bilder. Auffällig ist, dass weder die konkreten Handlungen, sei es das Abstrich-Nehmen, das Entkleiden oder auch das Duschen, noch die Nacktheit der gezeigten Personen thematisiert werden. Demgegenüber ist Nacktheit ein Grundbaustein der Geschichte der audiovisuellen Darstellung der Opfer nationalsozialistischer Verbrechen.

„Die zentrale Szene der Shoah impliziert das Bild nackter Menschen. Drängt einerseits der historische Vorgang selbst zu Reflexion auf das Thema der Nacktheit, so sind andererseits das überlieferte, dokumentarische Bildmaterial sowie die filmischen Reinszenierungen des Geschehens, durch die das Thema bis heute im öffentlichen Bewusstsein aktualisiert wird.“[23]

Holocaust-Historiker Raul Hilberg definiert den Massenmord an den europäischen Juden als eine „maschinery of destruction“[24]. Das Entkleiden der Opfer und damit verbunden „confiscation of personal effects“[25] sind wichtige funktionelle Schritte innerhalb der Vernichtungsmaschinerie und dienen ihrer „Tötungs- und Verwertungseffizienz“[26]. Die Nacktheit der Frauen und Kinder, die in den V-Aufnahmen zu sehen sind, bleibt bei Gertten unkommentiert. So werden die Zuschauer:innen mit dem „schamlosen Blick“[27], den auch die Neuorganisation der V-Aufnahmen in Hoppets hamn nicht verbergen kann, unmittelbar konfrontiert. „Meist provoziert die Darstellung unbekleideter Menschen emotionale Reaktionen bei den Rezipienten, weil das Thema von zahlreichen Tabus umstellt ist“[28]. So könnten die V-Aufnahmen, die Nacktheit sowie auch der Deformation und Krankheit zeigen, „als schockästhetisches Bildelement“[29] gedeutet werden. Diese historischen Filmbilder evozieren beim Publikum starke Assoziationen: Ekel, Scham aber auch Mitleid und emotionale Teilhabe. Vor allem aber überwältigen diese V-Aufnahmen ihre heutigen Betrachter:innen.

 

Herausfordernde Quellen

Der Archivfilm V fungiert in Gerttens Trilogie als Hilfsmittel, das auch verdrängte Erinnerungen wieder ins Gedächtnis ruft. Momente der Identifikation geben den Opfern nationalsozialistischer Verbrechen ihre Namen zurück. In Momenten des Wiedersehens werden die Überlebensgeschichten der Häftlinge aus nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern auch für zukünftige Generationen lesbar audiovisuell festgehalten. Die Zuschauer:innen können sich die Personen und ihre Überlebensgeschichten einprägen.

In der Rückkehr zur Ankunft über die Konfrontation von Zeitzeug:innen mit filmischem Archivmaterial im Interview zeigen sich paradoxe, methodische Herausforderungen, die uns die Quellen der Mediengesellschaft des 21. Jahrhunderts auch zukünftig stellen werden. 

 


[1] Nils Jerring: Vittnesbördet (Schweden, 1945), vom Schwedischen Filminstitut 2020 digital restaurierte Fassung, [zuletzt abrufen am 21. Juni 2022].
[2] „[D]ie Montage (›editing‹) [verbindet] verschiedene Einstellungen miteinander, indem die Schnittstellen verschiedener Einstellungen zusammengeklebt werden.“ Knut Hickethier: Film- und Fernsehanalyse. Stuttgart 2012. S.141.
[3] Magnus Gertten: Hoppets hamn (Schweden, 2011), deutsche Synchronfassung: „Hafen der Hoffnung“, absolut MEDIEN GmbH 2012, [zuletzt abrufen am 21. Juni 2022].
[4] Magnus Gertten: Every Face has a Name (Schweden, 2015), Originalfassung mit englischen Untertiteln, Auto Images 2015, [zuletzt abrufen am 21. Juni 2022].
[5] Magnus Gertten: Nelly & Nadine (Schweden, 2022), Originalfassung mit englischen Untertiteln, Auto Images 2022, [zuletzt abrufen am 21. Juni 2022]. Deutscher Kinostart am 24. November 2022.
[6] Offizielle Zahl aus einem Bericht des Schwedischen Roten Kreuzes (Stand 2000), [zuletzt abrufen am 21. Juni 2022].
[7] Claudia Lenz: Vom Heldentum zum moralischen Dilemma. Die »Weißen Busse« und ihre Deutungen nach 1945. In: Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland.  Band 10: Hilfe oder Handel? Rettungsbemühungen für NS-Verfolgte. Hrsg. von Herbert Diercks. Bremen 2007. S.72.
[8] Vgl. Lenz: Heldentum. S.70f. Während die Perspektive des ersten Films noch am ehesten mit der schwedischen Geschichtsschreibung einhergeht, eröffnen die anderen Teile der Trilogie transnationale Perspektive der Überlebensgeschichten.
[9]  Filmhistoriker Jörg Fries definiert den Begriff wie folgt: „Der konventionelle Kompilationsfilm [...] montiert foto- und kinematografisches Bildmaterial, das – erstens – zu einem früheren Zeitpunkt belichtet wurde und insofern historisch ist, das – zweitens – vorgefunden, also nicht von einem eigenen Aufnahmeteam hergestellt wurde und das – drittens – unterschiedlichen Quellen entstammt. Dieses historische, vorgefundene, heterogene Bildmaterial wird – viertens – neu arrangiert und – fünftens – von einem unsichtbaren Sprecher kommentiert. Jeder dieser fünf Aspekte besitzt rhetorische Funktionen und ist an der Vergegenwärtigungsarbeit, die ein Kompilationsfilm zu leisten vermag, wesentlich beteiligt.“ Jörg Frieß: Filme aus Filmen, Filme über Filme. Zur Rhetorik historischen Bildmaterials in Filmen über die Shoah. In: Die Shoah im Bild. Hrsg. von Sven Kramer. München 2003. S.204.
[10] Ebd. S.207.
[11] Vgl. Hickethier: Film- und Fernsehanalyse. S.8.
[12] Vgl. Frieß: Filme aus Filmen. S.210.
[13] 1944 beauftragte der damalige Lagerkommandant Albert Konrad Gemmeker den deutsch-jüdischen Fotografen Rudolf Breslauer mit Filmaufnahmen des Lagers. Über mehrere Monate filmte der gelernte Fotograf Alltagsszenen aus dem Durchgangslager. Breslauers Aufnahmen, die bereits 2017 Teil des UNESCO-Welterbes wurden, beinhalten auch die vermutlich einzige audiovisuelle Dokumentation eines abfahrenden Deportationszuges, der seine Insass:innen über einen Zwischenstopp im Lager Theresienstadt nach Auschwitz-Birkenau in den Tod brachte. Vgl. Der Westerbork-Film. In: Herinneringscentrum Kamp Westerbork, [zuletzt abrufen am 21. Juni 2022].
[14] Vgl. Koert Broersma und Gerard Rossing: Kamp Westerbork gefilmd. Het verhaal over een unieke film uit 1944. Assen 2021, [zuletzt abrufen am 21. Juni 2022].
[15] Martin Sabrow: Der Zeitzeuge als Wanderer zwischen zwei Welten. In: Die Geburt des Zeitzeugen nach 1945. Hrsg. von Norbert Frei und Martin Sabrow. S.14.
[16] Bei seiner Begriffsvorstellung bezeichnet Sabrow den Begriff, ohne zu gendern. Da ich mich auf seine Begriffsanwendung an dieser Stelle berufe, habe ich an dieser Stelle bewusst den nicht-gegenderten Begriff Sabrows übernommen.
[17] Sabrow: Der Zeitzeuge als Wanderer zwischen zwei Welten. S.27.
[18] So sind beide Überlebende Piotr Gorskí (1945 in Ravensbrück geboren) und Ryszard Lagemo (1945 in Ravensbrück geboren) nur wenige Monate alt, als sie mit ihren Müttern nur in Stoffbündel gewickelt in Malmö ankommen. Die jüdischen Überlebenden Bernhard Kempler (1936 in Krakau geboren), Anita Lobel (1934 in Krakau geboren), Irene Krausz-Fainman (1935 in Rotterdam geboren) und Fredzia Marmur (1935 in Lodz geboren) waren nicht einmal zwölf Jahre alt, als sie zum Teil als Waisen in Malmö ankamen. Die dritte Altersgruppe der interviewten Zeitzeug:innen kann dem jungen Erwachsenenalter zugeordnet werden, zu dieser gehören: Judith Popinski (1923 in Lodz geboren), Elsie Ragusin (1921 in New York geboren) und Nurit Stern (1931 in Bratislava geboren).
[19] Zum Begriff der Erfahrungsgeschichte siehe Alexander von Plato: Verarbeitung politischer Umbrüche in Deutschland: Methode und Geschichte von Erfahrungswissenschaften. In: DDR-Studien zur Geschichte eines untergegangenen Staates. Kurseinheit 5: Erfahrungsgeschichte. Hrsg. von Alexander von Plato. Hagen 1999. S.8–32, sowie Dorothee Wierling: Alltags- und Erfahrungsgeschichte. In: Handbuch der Geschichtsdidaktik. Hrsg. von Klaus Bergmann, Klaus Fröhlich, Annette Kuhn, Jörn Rüsen und Gerhard Schneider. Seelze-Velber fünfte überarbeitete Auflage 1997. S.233–235.
[20] Hickethier: Film- und Fernsehanalyse. S.137.
[21] Hoppets hamn beginnt mit Schwarz-Weiß-Sequenzen eines über See fahrenden Schiffes, über die aus dem Off ein Dialog mit zwischen Schiffspersonal und Häftlingen gelegt ist [Hoppets hamn 00:00:00-00:02:14]. Es ist unklar, ob diese Aufnahmen zum Rohmaterial des V-Films gehören. Sie sind jedoch nicht im 22-minütigen V-Film enthalten.
[22] Florian Krautkrämer: Sichtbares Lesen und Unsichtbares zeigen. Harun Farockis Remontage in seinem Film AUFSCHUB. In: Aufschub. Das Lager Westerbork und der Film von Rudolf Breslauer/ Harun Farocki. Hrsg. von ebd. Berlin 2018. S.10/11.
[23] Kramer: Nacktheit in Holocaust-Filmen. S.225.
[24] Raul Hilberg: The Destruction of the European Jews. New Haven London 3rd Edition 2003. S.1064. Hilberg: The Destruction of the European Jews.
[25] Hilberg unterscheidet in drei Basisschritte „Definition – Concentration (or seizure) – Annihilation“ und ergänzend drei „additional steps“ des modernen Vernichtungsapparates „Definition – Dismissals of employees and expropriation of business firms – Concentration (or seizure) – Exploitation of labor and starvation measures – Annihilation – Confiscation of personal effects“. Vgl. ebd. S.1065.
[26] Kramer: Nacktheit in Holocaust-Filmen. S.225.
[27] Vgl. ebd. S.227/228.
[28] Vgl. ebd. S.245.
[29] Vgl. ebd. S.244/45.