von Julius Redzinski

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21. März 2023

Filme, die sich mit der Gewalt in Mexiko auseinandersetzen, scheinen mittlerweile zum festen Programm der Berlinale zu gehören: sei es der Spielfilm Robe de Gems von Natalia López Gallardo über drei Frauenschicksale vor dem Hintergrund des Drogenkrieges im Wettbewerb des letzten Festivaljahrgangs, oder die Dokumentationen Tempestad (2017, Regie: Tatiana Huezo), Narco Cultura (2013, Regie: Shaul Schwarz) oder La libertad del diablo (2017, Regie: Everardo González). David Zonana reiht sich mit seinem zweiten Spielfilm Heroico zum einen in diese Abfolge ein, fügt aber mit seinem Zugang zum Thema auch etwas Neues hinzu.

Der Film beginnt mit der Musterung des aus der indigenen Volksgruppe der Nahua stammenden Kadetten Luis Núñez, gespielt von Santiago Sandoval Carbajal, für die nationale Militärakademie Mexikos, dem Heroico Colegio Militar. Bereits die Befragung zu seiner sexuellen Orientierung und Missbrauchserfahrungen wie auch die medizinische Untersuchung als Teil dieses Prozesses zeigen die Entmenschlichung auf, die über die Länge des Films weiter vorangetrieben wird. Die Motivation, diesen Karriereweg einzuschlagen, kommt nicht von ungefähr: Die mit dem Militärdienst einhergehende Krankenversicherung erlaubt es, die Behandlung der chronisch kranken Mutter zu finanzieren, die sonst für die Familie nicht zu bezahlen wäre. Zudem ist der Vater ebenfalls Soldat, hat seinem Sohn schon früh das Schießen beigebracht. Núñez folgt also auch der eigenen Familientradition.

In der Folge begleitet das Publikum Nuñez durch die Ausbildung an der Akademie, die weitgehend den Genrekonventionen für den Militärfilm folgt; die Mechanismen der Erniedrigung sind aus Klassikern wie Full Metal Jacket wohlbekannt. Núñez wird vom Ausbilder Eugenio Sierra – stark verkörpert durch Fernando Cuautle – unter seine Fittiche genommen, der sich in dem jungen Kadetten wiederzuerkennen scheint. Er schützt Núñez nicht nur vor den erniedrigendsten Momenten wie der Initiation, sondern fordert ebenso dessen Loyalität ein, indem er seinen engsten Freund unter den Kadetten schlagen soll, ihn mit an den Kopf gesetzter Pistole zum Töten eines Hundes zwingt und ihn in seine kriminellen Machenschaften, die er am Wochenende für seine Auftraggeber außerhalb des Militärs erfüllt, einbindet. Dies alles findet statt vor der Kulisse der Militärakademie, einem Komplex, dessen auf die Azteken verweisende Architektur dem Brutalismus des Systems räumliche Entsprechung liefert.

Die Rituale der Gewalt bleiben den Zuschauer:innen dabei weitgehend erspart: Man hört nur die Tonspur der Gewaltpornos und Missbrauchsdarstellungen auf den Smartphones der Höherrangigen, die auch ihre Untergebenen zum Zuschauen einladen oder zwingen. Als einer der Kadetten erst in den Duschen mit einer Eisenstange verprügelt wird und dann verschwindet, hält die Kamera nicht drauf, stattdessen werden dem Publikum periphere Eindrücke des Geschehens und die Geräuschkulisse des Gewaltexzesses dargeboten. Als Núñez wie von seinem Ausbilder aufgefordert, seine Freundin beim Sex zuhause würgen will, zieht er die Hand zurück, als diese ihm zu verstehen gibt, nicht damit einverstanden zu sein. Der Verzicht auf das Hinabgleiten in die Pornographie der Gewalt, den sich Zonana auferlegt zu haben scheint und der etwa im Gegensatz zu ihrer Darbietung in der dystopischen Klassenkampfdarstellung in Nuevo Order (2020) von Michael Franco, der an Heroico als Produzent beteiligt ist, steht, erleichtert es dabei dem Publikum nicht unbedingt.[1] Die korrosiven Kräfte alltäglicher Gewalt für eine Gesellschaft bleiben durchaus schmerzhaft erfahrbar.

Film still: Santiago Sandoval Carbajal als Luis Núñez und andere Kadetten des Heroico Colegio Militär in Heroico. Regie von David Zonana, Mexiko, Schweden 2023. © Teorema

Dass dies dem Film gelingt, liegt an mehreren Faktoren. Zum einen wird deutlich spürbar, dass Zonana intensiv im Gespräch mit ehemaligen Kadetten recherchiert hat. Für die Schauspieler greift er unter anderem auf diese zurück. So wird Núñez von einem ehemaligen Kadetten gespielt, der zuvor keine Schauspielerfahrung hatte. Dies gibt dem Film eine Anmutung von Realismus, die insbesondere in den Szenen der militärischen Ausbildung, aber auch des Umgangs der Rekruten untereinander zum Ausdruck kommt und zum Teil an einen Dokumentarfilm erinnert. Dazu tragen auch die von Kamerafrau Carolina Costa eingefangenen Bilder bei: Lange, intensive Einstellungen und der Verzicht auf den üblichen Wechsel von Schuss und Gegenschuss brechen mit den üblichen Sehgewohnheiten für einen Spielfilm. Damit greift Zonana auf Mittel zurück, die etwa in den dokumentarischen Arbeiten des mexikanischen Regisseurs Nicholas Pereda, der sich von dort aus in Richtung des Fiktionalen vortastet, Verwendung finden, nähert sich diesem aber vom Plot eines Thrillers aus. Ich musste insbesondere an Tales of Two Who Dreamt (2016) denken, in dem Pereda und Andrea Bussmann eine Familie in einem Hochhaus in Toronto, in dem Sinti und Roma auf die Bearbeitung ihrer Asylanträge durch die kanadischen Behörden warten, begleiten. Innerhalb dieses dokumentarischen Settings lassen die beiden Regisseur:innen von Kafka inspirierte Geschichten aufscheinen, womit die Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion ins Schwimmen gerät.

Zum anderen fühlen sich sowohl die Räumlichkeiten als auch albtraumhafte Sequenzen kafkaesk an und schaffen es so, im Publikum ein Gefühl des Unwohlseins auszulösen, das sich weniger leicht abschütteln lässt als offensive Gewaltdarstellungen.

Daneben legt Zonana die Mechanismen offen, die diese Gewalt am Laufen halten. Als Núñez die Akademie verlassen will, gibt ihm seine Mutter zu verstehen, dass es seine Verantwortung sei durchzuhalten und für sie zu sorgen. Während er traumatisiert ist, sieht seine Freundin beim Besuch der Akademie nur die schillernde Fassade der zur Marschmusik performenden Soldaten. Als er sich in Sorge um seinen verschwundenen Kameraden an den ebenfalls indigenen General wendet, erklärt dieser ihm, dass nur eine Institution wie das Militär ihnen beiden den Aufstieg innerhalb der Gesellschaft ermöglichen würde. Die heeren Worte über das Verteidigen der Menschenrechte, die der Dozent an die Klasse richtet und die der General bei der Verabschiedung eines Ausbildungsjahrgangs spricht, werden angesichts eines komplett von Gewalt zerfressenen Systems als hohle Propaganda entlarvt.

 

 

Am Ende des Films gelingt es Núñez, sich aus diesem Kreislauf der Gewalt nur durch einen gewalttätigen Akt zu befreien, womit sich das Rad doch nur weiterdreht. In der Kombination des fiktionalen Plots mit aus dokumentarischen Formen bekannten filmischen Elementen ergibt sich ein intensiver Kommentar zur gesellschaftlichen Lage in Mexiko, der seinem Publikum auch nicht die Flucht in die Hoffnung auf eine Wende zum Besseren anzubieten bereit ist.

 

Heroico, Regie: David Zonana, Mexiko/Schweden 2023, Laufzeit: 88 Min.

 


[1] Vgl. Jessica Kiang, „New Order“: Class War, Dismissed, in: Rolling Stone, 26. Mai 2021 [zuletzt abgerufen 6. März 2023].