Seitdem der französische Präsident Emanuel Macron Ende 2017 in einer Rede vor Studierenden in Ouagadougou, Burkina Faso ankündigte, dass "[…] innerhalb von fünf Jahren die Bedingungen hergestellt sind für endgültige oder vorübergehende Restitutionen des afrikanischen Kulturgutes aus französischen Museen an Afrika […]" ist eine enorme Dynamik in die Diskussion über und den Umgang mit kolonialer Raubkunst gekommen.[1] Es folgten der von Macron in Auftrag gegebene Bericht Rapport sur la restitution du patrimoine culturel africain (Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter) von Felwine Sarr und Bénédicte Savoy und erste Rückgaben – nicht nur aus Frankreich.[2] Im November 2021 verließen dann 26 Kunstschätze des Königreichs Dahomey, die 1892 von französischen Kolonialtruppen geraubt worden waren, Paris, um nach Benin zurückzukehren. Dieser Rückkehr wohnt die Regisseurin Mati Diop in ihrem Dokumentarfilm Dahomey bei und gibt der vielstimmigen Debatte um die Bedeutung dieser Restitutionen einen filmischen Raum.
Als die Rückgabe der Figuren und weiterer Kunstgegenstände an Benin verkündet wurde, schrieb Diop zuerst einen Spielfilm, da sie sich nicht vorstellen konnte, dass es zu einem schnellen Vollzug kommen würde. Sie habe es „[…] bloß in der Zukunft sehen können, weil [ihre] Imagination nicht darauf konditioniert war, es sich als möglich vorzustellen. Sie müssen eine ganze Reihe innerer Barrieren überwinden, um zu träumen zu wagen. Zu wagen, etwas, das gerecht und legitim ist, zu fordern.“[3] Als es dann tatsächlich zur Restitution kam, war Diop zur Stelle, um diese in ihren einzelnen Etappen von Paris nach Benin zu begleiten.
Dabei setzt Diop konsequent auf eine der französischen entgegengesetzte Perspektive. Statt mit Bildern des französischen Präsidenten setzt der Film mit den flimmernden Statuetten des Eifelturms ein, die von meist aus Afrika stammenden Händler*innen an die Tourist*innen verkauft werden, bevor sich die Kamera in das Musée du Quai Branly begibt. Dort streift sie durch die Katakomben des Museums, wohnt dem Abbau und der Verladung der zur Restitution vorgesehenen Kunstgegenstände bei. Zum Hauptprotagonisten wird dabei die Statue des Königs Gezo, die im Kontext der Rückgabe als Nummer 26 bezeichnet wurde. Die Zuschauer*innen können verfolgen, wie sie aus der Verankerung in der Vitrine gelöst und mit einem Kran aus dieser herausgehoben und transportiert wird, um dann in ihre Transportkiste verladen zu werden. Dabei prägen sich einige Bilder besonders ein: die um König Gezos Hals gelegte Transportschlinge, die an eine Windel erinnernde Verpackung seines Unterkörpers, die fast schon medizinische Zuwendung an einen gebrechlichen Körper, als ein Teil der Skulptur an ihrem Bein besonders fixiert werden muss. Dann folgt die Dunkelheit, als die Kamera gemeinsam mit König Gezo in der Kiste eingeschlossen wird und man das Festziehen der Schrauben hören kann.
Die Figur von König Gezo ist jedoch nicht bloß passives Objekt, das auf Reisen geschickt wird. Immer wieder schaltet sich seine Stimme aus dem Off ein, das Objekt zum Subjekt verwandelnd. Der Text stammt vom Haitianischen Schriftsteller Makenzy Orcel und wird in Fon, der Sprache Dahomeys, vorgetragen. König Gezo wundert sich, warum er statt mit seinem Namen mit der Nummer 26 adressiert wird, äußert seine Verwunderung und Zweifel angesichts der Rückkehr in ein Land, das nicht mehr das ist, das er vor rund 130 Jahren verlassen musste. Seiner Stimme wird von den Sound Designern Corneille Houssou, Nicolas Becker und Cyril Holtz eine elektronisch verzerrte Tonlage verliehen, die sie wie aus einer anderen Welt in unsere hinüberreichen lässt. Die Monologe König Gezos sind recht kurze Einschübe, unterlegt von der schwarzen Leinwand während des Transports, unterlegt mit Einstellungen, die den Garten des Präsidentenpalasts und Ansichten der Stadt Cotonou bei Nacht zeigen. Die verschiedenen, in Widerstreit stehenden Zeitebenen und Räume werden in diesen Monologsequenzen zusammengebunden.
Die Ankunft in Cotonou fällt euphorisch aus, die Kisten werden in Lastwagen verladen, die Bilder der zurückkehrenden Kunst- und Kultgegenstände zeigen. Die Straßen sind von jubelnden und tanzenden Menschen gesäumt. Im Präsidentenpalast von Cotonou werden die Artefakte ausgepackt und für ihre neuerliche Präsentation für die Öffentlichkeit, diesmal derjenigen Benins, in den Vitrinen zur Aufstellung gebracht. Der Kurator Calixte Biah trägt dabei die Datenblätter der Objekte vor, womit zum einzigen Mal der Modus des westlichen ethnologischen Museums bedient wird. Einige Zuschauende mögen mehr Informationen zu den Objekten an sich vermissen, jedoch ist diese Perspektive keine unterrepräsentierte, sondern die seit über 100 Jahren dominante.[4]
Stattdessen stellt Diop die Rezeption des Aktes der Rückgabe in das Zentrum ihres Films. In langen Einstellungen sehen die Zuschauer*innen die Besucher*innen der Ausstellung an den Vitrinen in Cotonou vorbeiflanieren, dabei bleibt mir vor allem ein kleiner Junge in Erinnerung, der fasziniert durch das Glas auf die zurückgekehrten Kultgegenstände blickt. Kernstück des Films ist jedoch eine Debatte von Studierenden der Universität von Abomey-Calavi, die das ganze Spektrum der Reaktionen auffächert. Einige der Studierenden bezeichnen die Rückgabe von bloß 26 der rund 7000 geraubten Objekte als „brutale Beleidigung“ – eine Position, die auch Diop, die im Rahmen der Pressekonferenz zum Film weitere Rückgaben forderte, vertritt –, andere kritisierten sie als politisch vorteilhaften Akt für Präsident Macron und Präsident Patrice Talon. Andere Stimmen in der Diskussion sahen die Rückkehr der 26 Objekte als ersten Schritt und kleinen Erfolg. Eine Studentin ruft in den Saal: „Man hat mir gesagt, ich würde von Sklaven abstammen, aber ich stamme von Amazonen ab!“ Die erregte Debatte zeigt auf, dass die Rückgabe – egal von wie vielen Objekten – erst der Anfang ist und komplexe Prozesse in den Gesellschaften, aus denen die Objekte geraubt worden sind, in Gang setzt. Eine im Ausstellungssaal interviewte Person, die aus Haiti angereist ist, um die zurückgekehrten Objekte zu sehen, verknüpft diesen Vorgang sogar mit einer möglichen Remigration aus der Diaspora. In der Darstellung dieses Meinungsspektrums, das in der Berichterstattung über Restitutionen in den europäischen Medien in dieser Breite meist nicht präsent ist, liegt der große Gewinn dieses Films.
Mit dieser Perspektive bringt sich Diop auch stark in den filmhistorischen Diskurs um die Translokation afrikanischer Kulturgegenstände ein. Im Jahr 1953 zeigten Alain Resnais, Chris Marker und Ghislain Cloquet in ihrem dreißigminütigen Essayfilm Auch Statuen sterben die Effekte auf, wenn diese Kultgegenstände und weiteren Objekte unter den Bedingungen des Kolonialismus aus ihren Herkunftsgesellschaften herausgelöst und der Metropole musealisiert werden.[5] Dabei inszenierten sie diese Gegenstände in ästhetisierender Weise und stellten sie dokumentarischem Bildmaterial und einem kritischen Voice-Over-Kommentar gegenüber. Diop verzichtet auf diese Ästhetisierung ihrer materiellen Protagonisten. Der antikolonialen Kritik des Klassikers stellt sie die Komplexität der postkolonialen Situation gegenüber. Diese Komplexität fängt sie konzis in 67 Minuten ein und überlässt das Schlusswort König Gezo. Als am Ende des Tages die Lichter im Präsidentenpalast ausgeschaltet werden und die Vitrinen ins Dunkel fallen, erhebt sich seine Stimme: „Ich bin das Gesicht der Metamorphose. 26 existiert nicht. In mir klingt die Ewigkeit nach.“
Nachdem mit Auf der Adamant ein Dokumentarfilm auf der letztjährigen Berlinale den Goldenen Bären erringen konnte, zeigt Dahomey, dass die Berliner Filmfestspiele gut daran täten, ihre Linie, kraftvolle Dokumentationen auch herausgehoben in das Programm des Wettbewerbs zu integrieren, fortzuführen.
Diops Film ist stark in seiner Botschaft und stark in seiner künstlerischen Umsetzung, womit seine prominente Position mehr als gerechtfertigt wurde. Es ist kein Wunder, dass dieser Film als Gewinn für den doch eher mauen Wettbewerb gefeiert wird und 2024 den Goldenen Bären gewinnt. Die neue Festivalleitung wird hoffentlich die richtigen Schlüsse daraus ziehen.
Dahomey, Regie: Mati Diop, Frankreich/Senegal/Benin 2024, Laufzeit: 67 Min.
Datenblatt der 74. Berlinale zum Film
[1] Jörg Häntzschel, Gebt sie zurück!, in: Süddeutsche Zeitung, 21. November 2018, abgerufen am 19. Februar 2024.
[2] Felwine Sarr, Bénédicte Savoy, Rapport sur la restitution du patrimoine culturel africain. Vers une nouvelle éthique relationelle, Paris 2018; dies., Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter, Berlin 2019.
[3] Zitiert nach Zac Ntim, Mati Diop on Her Berlin Title „Dahomey“ Switching from Fiction to Documentary and Why France Must Do More to Return Looted Colonial-Era Art, in: Deadline, 18. Februar 2024.
[4] Jens Hinrichsen, Restitutionsfilm „Dahomey“. Die Rückkehr des Königs, in: Monopol, 19. Februar 2024.
[5] Alain Resnais, Chris Marker, Ghislain Cloquet, Les statues meurent aussi, Frankreich 1953.