von Martina Bitunjac

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24. Januar 2025

Am 27. Januar dieses Jahres gedenken wir zum 80. Mal der Opfer des Nationalsozialismus und der Befreiung des größten nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch sowjetische Truppen. Schätzungsweise 7000 kranke, unterernährte und entkräftete Menschen fanden die Soldaten im winterlichen Januar 1945 vor, als sie das im Jahr 1940 errichtete Todeslager betraten. Etwa 1,1 Millionen Menschen, davon ca. 1 Million Jüdinnen und Juden, wurden hier industriell mit Zyklon B bzw. durch Erschießung ermordet. Tausende starben an den grausamen Folgen von Krankheiten, Folter, Menschenversuchen und Zwangsarbeit. Als die Nationalsozialisten das Vordringen der Roten Armee nach der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Majdanek kommen sahen, deportierten sie bis Ende Januar 1945 etwa 65 000 Häftlinge in Konzentrationslager und andere Standorte im Deutschen Reich. Es wird angenommen, dass bis zu 15 000 Menschen auf diesen qualvollen sogenannten Todesmärschen umgebracht wurden.

In Anbetracht des Ausmaßes von Menschheitsverbrechen, die in Auschwitz begangen wurden, verwundert es nicht, dass sich im Zusammenhang mit diesem Konzentrations- und Vernichtungslager kaum kollektive Narrative über Humanität, Solidarität und Empathie verankert haben. Dabei gab es nicht nur unter vielen Häftlingen tägliche Hilfeleistungen, meist unter Verwandten oder gegenüber den Schwächeren, die nicht mehr in der Lage waren zu gehen oder sich Essen zu beschaffen. Auch um die 1200 Menschen, stille Helferinnen und Helfer aus Oświęcim und Umgebung, standen Häftlingen von Auschwitz selbstaufopfernd zur Seite. Zwar konnten diese Menschen die Ermordung der Häftlinge nicht verhindern, aber durch ihre mutigen Taten erleichterten sie einigen von ihnen für einen Moment das Hungerleid und gaben ihnen manchmal auch den Glauben an die Menschlichkeit zurück. So besorgten beispielsweise die polnischen Jugendlichen Janina Paszek und Alojzy Klaja in dieser Zeit heimlich Essen für die Häftlinge oder übermittelten Nachrichten für sie. Nach der Befreiung von Auschwitz erfolgte eine geregelte Unterstützung für die ehemaligen Insassinnen und Insassen durch das sowjetische Militär, durch polnische humanitäre Organisationen, aber auch durch Privatpersonen.

 

Medizinische Versorgung und Hilfe für (ehemalige) Auschwitz-Häftlinge

Was insbesondere im Kontext des Gedenkens an die Befreiung von Auschwitz unerwähnt bleibt, ist, dass sich polnische Helferinnen und Helfer bereits vor dem Erscheinen der sowjetischen Soldaten auf das Gelände des Auschwitz-Lagerkomplexes wagten, um sofortige Hilfe für die verbliebenen Häftlinge zu leisten.[1] Andere gingen dorthin, um sich ein Bild von der Situation zu machen oder nach Familienangehörigen und Bekannten zu suchen. Dieses Handeln war mit vielerlei Risiken verbunden, etwa mit der Gefahr der Ansteckung mit Krankheiten, die einigen Nichthäftlingen das Leben kosteten. Es kam auch vor, dass einige Polinnen und Polen beim Betreten des Lagers vor dem 27. Januar 1945 von den noch patrouillierenden SS-Soldaten erschossen wurden – denn sie gingen davon aus, alle Deutschen hätten Auschwitz verlassen. Andere Polinnen und Polen nahmen in diesen Tagen hochtraumatisierte, kranke, ausgehungerte und von Läusen befallene Kinder zu sich, die sie mit viel Geduld pflegten, bis diese zu Kräften kamen. Auch gab es Frauen, die den Kindern ihre Muttermilch zur Verfügung stellten. Einige dieser Kinder wurden von den polnischen Familien später sogar adoptiert.

Die organisierte Hilfeleistung für Auschwitz-Häftlinge wurde im Voraus geplant: Nach der Befreiung Krakaus am 18. Januar 1945 trafen sich unter anderem Vertreter der sowjetischen Armee und des Polnischen Roten Kreuzes sowie polnische Politiker im dortigen Hotel Francuski, um die Koordination der Versorgung der Häftlinge in Auschwitz zu besprechen. Als dann die sowjetische Armee Auschwitz befreit hatte, sorgten die Soldaten umgehend für die medizinische Hilfe und Versorgung der Menschen, darunter etwa 750 Kinder und Jugendliche, mit Essen, Decken und Kleidung. An mehreren Standorten gründeten sie Militärlazarette. Zusammen mit dem Polnischen Roten Kreuz errichteten sie im Stammlager (Auschwitz I) ein Spital, in dem die Schwachen und Kranken, die Auschwitz nicht verlassen konnten, gepflegt wurden.[2] Zum medizinischen Personal gehörten neben den Sowjets und polnischen freiwilligen Fachkräften auch katholische Ordensschwestern aus der Umgebung sowie ehemalige Häftlinge. Auf Initiative des Polnischen Roten Kreuzes entstanden zudem provisorische Krankenhäuser in Oświęcim und – in Zusammenarbeit mit dem Zentralen Wohlfahrtsrat – in Brzeszcze. In beide Orte kamen lokale Ärztinnen und Ärzte sowie Einheimische zur Unterstützung. Neben der medizinischen Versorgung gab es ferner Spendenaktionen für die ehemaligen Häftlinge. Dennoch starben mehrere Hundert Menschen nach der Befreiung an den Folgen des Terrors von Auschwitz.

 

Umgang mit Helferinnen und Helfern

Die Wahrnehmung polnischer Unterstützerinnen und Unterstützer, die den Häftlingen vor und nach der Befreiung von Auschwitz zu Hilfe kamen, wurde insbesondere infolge der Glorifizierung des Militärs bzw. der Roten Armee an den Rand der Geschichtsschreibung gedrängt. Bei Gedenkveranstaltungen in Deutschland und anderswo bleiben die Helferinnen und Helfer aus Polen daher meist unerwähnt. Die Propaganda der Sowjets trug maßgeblich zur Verbreitung des heroischen Bildes der Roten Armee bei. So waren beispielsweise in der von März 2023 bis Ende Januar 2024 gezeigten Ausstellung „Flashes of Memory. Fotografie im Holocaust“[3] im Museum für Fotografie in Berlin historische Filmaufnahmen zu sehen, die die Sowjets im Zuge ihrer propagandistischen Arbeit mit ehemals gefangenen Kindern und sowjetischen Soldaten nachgestellt hatten.

Zudem erzählten die wenigsten Helferinnen und Helfer von sich aus etwas über ihr Engagement für die (ehemaligen) Auschwitz-Häftlinge vor und nach der Befreiung. Das Wesen derjenigen, die Menschen gerettet hatten, war eher von Zurückhaltung geprägt. Außerdem überlebten nicht alle den Zweiten Weltkrieg. Die bis Ende 2023 regierende PiS-Partei tat ihnen keinen Gefallen, als sie generalisierend die polnischen Bürgerinnen und Bürger als ein „Volk von Judenrettern“[4] instrumentalisierte, obwohl es auch im besetzten Polen reichlich Menschen gab, die mit den Nationalsozialisten freiwillig oder durch Zwang kollaborierten und sich am Elend der verfolgten Jüdinnen und Juden materiell bereicherten. Das Pogrom von Kielce von 1946 wurde ohnehin zum Tabuthema.

Trotz des schwierigen Umgangs mit der Vergangenheit bleibt das humanitäre Handeln der Helferinnen und Helfer von Oświęcim und Umgebung, des Polnischen Roten Kreuzes und anderer Organisationen ein wichtiger Bestandteil der Befreiungsgeschichte. Denn in den gefährlichen Zeiten des Umbruchs, der sich vor 80 Jahren ereignete, halfen sie den ehemaligen Häftlingen von Auschwitz und retteten dadurch Menschenleben. Aus diesem Grund gebührt ihnen Anerkennung und Aufmerksamkeit in der stark umkämpften Erinnerungskultur und -politik.   

 


[1] Kubica, Helena: Geraubte Kindheit. In Auschwitz befreite Kinder, Oświęcim 2021, S. 38.
[2] Lachendro, Jacek: Evacuation and Liberation of Auschwitz (Letzter Aufruf: 11.01.2025).
[3] Informationen über die Ausstellung (Letzter Aufruf: 11.01.2025).
[4] Lesser, Gabriele: Ein Volk von Judenrettern? Wie Nationalpopulisten in Polen die Geschichte des Holocaust umschreiben wollen, in: Jüdische Allgemeine (23.07.2022), (Letzter Aufruf: 11.01.2025).