Berlinale Premieren haben den Vorteil, dass diese in Anwesenheit des Produktionsteams stattfinden. Das war auch bei der Aufführung der ersten beiden Folgen der im Sommer erscheinenden Serie „The narrow road to the deep north“ der Fall. Im anschließenden Gespräch mit dem Regisseur Justin Kurzel erfuhr das Publikum, was die Motivation hinter der Verfilmung von Richard Flanagans Bestseller-Roman von 2013 war.
Australische Kriegsgefangenschaft im Zweiten Weltkrieg – ein nationales Trauma
Richard Flanagan schrieb zwölf Jahre an dem Roman „The narrow road to the deep north“, der biografische Elemente der Geschichte seines Vaters Archie verarbeitet. Wie auch der Hauptcharakter der Story, Dorrigo Evans, geriet Archie Flanagan im Zweiten Weltkrieg in japanische Kriegsgefangenschaft und musste 1943 unter tödlichen Bedingungen Zwangsarbeit am Bau der sogenannten Eisenbahn des Todes (Thailand-Burma-Eisenbahn) leisten. Regisseur Justin Kurzel berichtete, dass die Serie in enger Abstimmung mit dem Autor Flanagan stattfand. Beide teilen eine ähnliche familiäre Kriegsgeschichte. Der Schatten des Krieges und der Gefangenschaft war ihnen beiden aus ihren Familien bekannt. Den Schmerz und das Leid als Folge der japanischen Gefangenschaft in vielen australischen Familien präsentierte Flanagan vor über zehn Jahren in seinem Buch. Kurzel und sein Team sahen eine Dringlichkeit, dieses Thema auch noch einmal filmisch zu verarbeiten.
Australische Soldaten in japanischer Kriegsgefangenschaft – Worum geht es?
Im deutschen Bewusstsein wird die Geschichte des Zweiten Weltkriegs meistens verengt auf die europäischen Kriegsschauplätze, Hitlers Vernichtungskrieg in Osteuropa oder die Kriegswende in Stalingrad und das Vorrücken der Alliierten. Aus dem Blick gerät dabei der Krieg im Pazifikraum. In der asiatisch-pazifischen Region kämpften die Briten gemeinsam mit Australiern, Kanadiern und US-Amerikanern gegen das kaiserlich-imperialistische Japan. Ab 1942 wurden die australischen Streitkräfte in den Pazifikraum beordert, um sich der nach Südostasien ausgreifenden japanischen Großmannssucht entgegenzustellen. In Folge der „Schlacht von Singapur“ gerieten viele Australier in japanische Kriegsgefangenschaft. Um die Ereignisse ab 1943 besser zu verstehen, ist es wichtig zu wissen, wie die Japaner militärkulturell auf das Phänomen der Gefangenschaft blickten: Die Japaner waren überzeugt davon, dass, wer in Gefangenschaft gerät, nicht bis zum Tode gekämpft habe und damit in Schande lebe. Daraus leiteten sie die Doktrin der Gefangenen als „minderwertige“ Menschen ab, weswegen sie auch zu „niederen Arbeiten“ wie dem Bau einer Eisenbahnstrecke beordert werden durften. Wenn sie dabei umkamen, ein Schicksal, das zehntausende Soldaten beim Bau der „Eisenbahn des Todes“ ereilte, war das lediglich ein logistisches und kein menschliches Problem.
In diesem Kriegskontext lernen wir in der Serie den jungen medizinischen Offizier Dorrigo Evans, gespielt von Jacob Elordi, kennen. Evans ist ein feinsinniger, nachdenklicher Mann, der selbst nicht zum Bau der Eisenbahnstrecke herangezogen wird, sondern sich um die Versorgung der Kranken und Verwundeten kümmern soll. Die Serie ist weniger ein klassischer Kriegsplot, in dem es Schützengräben, Waffen und Panzer zu sehen gibt. Es ist vielmehr ein Zeugnis über die unmenschliche Zwangsarbeit, die die Australier in japanischer Gefangenschaft leisten mussten. Das Kriegsverbrechen des „Tods durch Arbeit“ ist hier präsent und evident.
Die Serie arbeitet mit vielen Zeitsprüngen. Aus dem Kontext der Zwangsarbeit landet man plötzlich in einem luxuriösen Anwesen, im Jahr 1989, des gealterten Evans, der von Ciarán Hinds gespielt wird. In seinem Büro versucht er das Trauma der Kriegsgefangenschaft zu verarbeiten. In einer Szene wird der widerwillig als Arzt und Kriegsheld berühmt gewordene Evans von einer jungen Journalistin im Interview nach seinen Erfahrungen gefragt. Evans ist dabei sehr erbost, dass die Journalistin seine Kriegserfahrungen und sein Trauma nicht angemessen würdigt und stattdessen in einem Whataboutism auf die Millionen japanischen Opfer der amerikanischen Atombombenabwürfe rekurriert. In dieser Sequenz wird das australische Trauma der Kriegsgeneration sichtbar, die sich nicht verstanden fühlt: „You know nothing about the war“ bindet Evans das Interview schließlich ab.
In den Sprüngen in andere Zeiten erfahren wir mehr über die Geschichte, bevor Evans in den Krieg zog. Es ist der zweite Erzählstrang, der hier aufgemacht wird. In diesem wird die Liebesaffäre Evans mit der Ehefrau seines Onkels, gespielt von Odessa Young, gezeigt. Über Szenen, die die Gegenwart zeigen, erfährt man, dass diese Affäre jahrzehntelang, bis ins hohe Alter der Liebenden, Bestand hat.
Körper und Körperlichkeit – Krieg und Liebe
Besonders auffällig bei der Betrachtung der Serie ist die Darstellung der Körper und der Körperlichkeit. In beiden Erzählsträngen – im Krieg wie in der Liebesaffäre – wird das deutlich.
Der Krieg und die Gefangenschaft sind den australischen Männern in die Körper eingeschrieben. Zum Beginn sind sie noch kräftig und vital, mit muskulöser Tatkraft, wenn auch im Zwangskontext, machen sie sich an die Rodung einer Schneise für die Bahnstrecke. Später sehen wir die Körper in ausgemergeltem und geschundenem Zustand. Dem medizinischen Offizier Dorrigo Evans kommt dabei eine besondere Rolle zu. Er arbeitet leidenschaftlich und doch mit kühlem Kopf, um den Schmerz seiner Kameraden zu lindern. Gleichzeitig versucht er erleichternde Arbeitsbedingungen bei der Militärführung zu erwirken. Einer der Gefangenen ist ein begabter Künstler. Von diesem lässt er sich Skizzen zu den Krankheitsbildern (Wunden, Körperverfasstheit) erstellen. Später sieht man, dass er dieses Skizzenbuch bis ins hohe Alter in Ehren hält. Die Erfahrung in diesem Zwangskontext, die Kameraden als schicksalshafte Freunde, die Entbehrungen – all das hat sich psychisch in den Körper des Überlebenden Evans eingeschrieben.
Auf einer weiteren Ebene wird deutlich: die Körper der Gefangenen sind für die japanischen Militärs bloßes „Werkzeug“ zur Umsetzung ihres gigantischen Bauvorhabens – 17 Monate bauten die Zwangsarbeiter an der Errichtung der Bahnstrecke. Der Mensch in dem Körper ist nichts mehr wert. Die Kriegsgefangenen setzen ihre Körper bis zur Erschöpfung und zum Tod ein. Das alles, um überhaupt eine Chance zu haben, zu überleben.
Auch die Liebesaffäre des Dorrigo Evans, in jungen Jahren in den 1940ern sowie im Alter in den 1980er Jahren, zeugt von Körperlichkeit. In verschiedenen Kontexten wird viel getanzt, woran sich meist der Liebesakt anschließt. Jacob Elordi, der den jungen Evans spielt, ist mit seinen fast zwei Metern Körperlänge in jeder Szene eine imposante Erscheinung. Seine nachdenkliche, zurückhaltende Art verleiht ihm eine Sinnlichkeit, die er mit Amy, der Frau seines Onkels, auslebt.
Der Einsatz der Körper – in der Liebe wie im Krieg – das ist es, was in der Serie betont werden soll. Justin Kurzel setzt das in seinem ganzen Panorama von sinnlich-erotisch bis brutal-gewaltvoll beeindruckend in Szene.
Die beiden Folgen der fünfteiligen Serie, die im Sommer auf Sky und dem Streamingdienst WOW zu sehen sein wird, sind ein großes Versprechen. Flanagans Roman wird in imposanter Manier auf die Leinwand gebracht.
Credits:
The narrow road to the deep north – fünfteilige Serie, Regie: Justin Kurzel, Produktion: Alexandra Taussig, Australien 2025.