Im Januar 2023 veröffentlichte der umstrittene und für seinen vehementen Antisemitismus weit über Frankreich hinaus bekannte Komiker Dieudonné M’Bala M’Bala einen offenen Brief im französisch-israelischen, dezidiert zionistisch ausgerichteten Israël Magazine. Darin bat er alle um Vergebung, die er durch seine „künstlerischen Gesten verletzt“ habe, insbesondere seine „Landsleute der jüdischen Community“. Schien dieser Zug durchaus überraschend, wurde er bereits im darauffolgenden August durch ein Interview mit der rechtsextremen Wochenzeitung Rivarol ad absurdum geführt, als er darin behauptete, das „jüdische Volk“ könne nicht verzeihen und Personen, die man als „Antisemiten“ verunglimpfe, verteidigten sich nur gegen „eine arrogante, verlogene, menschenverachtende Mafia“. Letzteres fügt sich nahtlos ein in frühere Aussagen, in denen er etwa erklärte, in Frankreich habe „der Zionismus alles unter Kontrolle“ oder er sich fragte, warum es keine internationale militärische Invasion gegen Israel, „das kriminellste Land der Welt“, gäbe. Generell radikalisierte sich Dieudonné in den letzten zwanzig Jahren zusehends, immer wieder wurde er aufgrund seiner zahlreichen holocaustrelativierenden, antisemitischen und anderweitig hetzenden Äußerungen auch gerichtlich verurteilt oder es ihm untersagt, als Komiker öffentlich aufzutreten.[1] Wer aber ist Dieudonné und wie lässt sich die Radikalisierung eines einst populären Komikers erklären und zeitgeschichtlich einordnen?
Vom antirassistischen Komiker zum antisemitischen Hetzer
Berichteten französische Mainstream-Medien zunächst noch ausführlich über Dieudonnés diverse Provokationen und Verurteilungen, wird er darin mittlerweile so gut wie nicht mehr besprochen – mit Ausnahme seines „Entschuldigungsbriefes“, dem erneut mediale Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde. In diesem spielte er – sei es aus „Spaß“, sei es aus dem Wunsch nach erneuter öffentlicher Wahrnehmung – auf eine Haltung an, mit der er in den 1990er Jahren zu Bekanntheit und großer Beliebtheit gelangt war: 1966 im Vorort Fontenay-aux-Roses bei Paris geboren (seine Mutter stammt aus der Bretagne, sein Vater aus dem Kamerun), erlebte Dieudonné in seinen Dreißigern einen steilen Karriereaufstieg. Politisch war er im linken, antirassistischen Spektrum zu verorten – bis 1997 trat er zumeist mit seinem jüdischen Kollegen Elie Semoun auf, wobei sich ihre Stücke auf humorvolle Weise sowohl gegen Rassismus als auch gegen Antisemitismus aussprachen. Im selben Jahr kandidierte er, wenn auch erfolglos, mit der von ihm gegründeten Partei Les Utopistes bei der französischen Parlamentswahl im Wahlkreis Dreux, insbesondere als Reaktion auf den in der Region starken, rechtsextremen Front National. Zugleich begann er sich vermehrt für Migrant:innen ohne Aufenthaltsgenehmigung und für Palästina zu engagieren. Hieran wird auch ein erster Kipppunkt in seiner beginnenden politischen Agitation deutlich – 2002 trat er erneut bei den Parlamentswahlen an, dieses Mal im achten Wahlkreis des Departements Val-d‘Oise gegen den amtierenden sozialistischen Abgeordneten Dominique Strauss-Kahn. Diesem warf er aufgrund seiner jüdischen Herkunft vor, die Interessen Israels zu unterstützen, dem palästinensischen Volk jedoch keine Hilfe zukommen zu lassen. Weitere, ähnlich gelagerte Äußerungen verweisen auf die in dieser Phase entstehende, für Dieudonné bis heute spezifische Gemengelage von (vermeintlich) antirassistischen und antisemitischen Elementen: Mit Referenz auf seine kamerunischen Wurzeln deklarierte er sich nun als Sprachrohr der „wahren Opfer“, womit sowohl die Opfer des gegenwärtigen Rassismus gemeint waren als auch jene des französischen Kolonialismus und Sklav:innenhandels. Hinzu kommen die Palästinenser:innen als Opfer eines neuen, israelischen „Kolonialismus“. Den „Opferstatus“ der jüdischen Bevölkerung stellte er hingegen zunehmend in Frage, seien „die Zionisten“ doch, wie er absurderweise behauptete, als ehemalige Sklav:innenhändler die eigentlichen Drahtzieher hinter dem „Martyrium der Schwarzen“ gewesen. Heute wiederum hätten sie aus ihrem „Kult um die Shoah“, den sie allen aufgezwungen hätten, enormen finanziellen und politischen Nutzen gezogen.[2]
Zeitlich fällt an dieser Neuausrichtung und Radikalisierung Dieudonnés vor allem auf, dass sie parallel zum Aufflammen eines so genannten „neuen Antisemitismus“ verlief: Im Zuge des Ausbruchs der Zweiten Intifada in Israel ab dem Jahr 2000 kam es in Frankreich (wie auch in anderen westeuropäischen Staaten) zu einer deutlichen Zunahme an antisemitischen Einstellungen und Vorfällen. Als „neu“ wurde dieser Antisemitismus auch deshalb erachtet, da er vielfach von neuen Trägergruppen, unter anderem von (oftmals muslimischen) Jugendlichen mit maghrebinischem oder subsaharisch-afrikanischem Hintergrund aus sozial prekären Vororten bzw. Banlieues französischer Großstädte ausging, die sich verstärkt mit den Palästinenser:innen solidarisierten. Zwar handelt es sich bei der Solidarisierung mit Palästina keineswegs um ein neues Phänomen, sondern es war gerade unter der französischen radikalen Linken seit den späten 1960er Jahren bzw. dem „Sechstagekrieg“ in Israel stark ausgeprägt. Eine neue Gestalt erhielt dies jedoch insofern, als dass seit den 2000er Jahren – nun unter anderem befeuert durch islamistische Diskurse – französische Jüdinnen und Juden kollektiv mit Israel identifiziert und aus diesem Grund attackiert wurden bzw. nach wie vor werden. Parallel hierzu entluden sich Spannungen auch auf erinnerungskultureller Ebene: Ausgehend von einem seit den 1990er Jahren staatlich verankertem, institutionalisiertem Gedenken an die Shoah begannen zunehmend Angehörige anderer Minderheiten in Frankreich, insbesondere Personen mit (nord-)afrikanischem Hintergrund, eine öffentliche Anerkennung auch der Traumata ihrer Vorfahr:innen (im Kontext des Kolonialismus oder Sklav:innenhandels) einzufordern. Überschattet wurde dies teilweise dadurch, dass die Shoah im Gegenzug und zur Abschwächung relativiert und das Gedenken an sie in Frage gestellt wurde oder (bis heute weit verbreitete) Gleichsetzungen von kolonialer, nationalsozialistischer und israelischer Politik geäußert wurden.[3]
Dieudonné verstand es gekonnt, diese Stimmung für sich zu nutzen, zumal es sich bei vielen seiner damaligen Fans selbst um Personen mit postkolonialem Hintergrund bzw. oftmals Jugendliche aus den Banlieues handelte. Zur Frage, wie viele Anhänger:innen Dieudonné in den Banlieues oder unter der muslimischen Bevölkerung Frankreichs tatsächlich hat(te), liegen keine Zahlen vor. Als generelle Orientierung kann aber beispielsweise eine aktuelle Studie des unabhängigen französischen Thinktanks Fondapol (Fondation pour l’innovation politique) herangezogen werden: Die von Dieudonné über Jahre hinweg verbreitete Meinung, die Erinnerung an die Shoah sei im öffentlichen Raum zu präsent und andere Erinnerungen, insbesondere an den Kolonialismus (bzw. an Kolonialverbrechen) und die Sklaverei kämen zu kurz, wurde hierbei von 35 % der befragten französischen Bevölkerung geteilt, darunter 59% der Befragten mit muslimischem Hintergrund.[4] Jedenfalls entwickelte Dieudonné ein besonderes Gespür dafür, die Grenzen des Sagbaren nach und nach auszudehnen und als Humor getarnte antisemitische Inhalte zu seinem neuen Markenzeichen zu machen. Vielfach arbeitete er hierbei mit sprachlichen Codes, die dazu dienten, jüdische NS-Opfer und die Shoah ins Lächerliche zu ziehen. Besonders beispielgebend ist seine Wortkreation „Shoananas“: Zunächst tauchte der Begriff in einem von Dieudonné in seinen Comedy-Programmen vorgetragenen Lied mit gleichlautendem Titel auf, wobei im Text der Begriff „Juden“ durch „Ananas“ ersetzt und die Deportation und Ermordung der Früchte beklagt wird. Bis heute nutzt Dieudonné diese Verklausulierung oder auch Begriffe wie „Barbecue“ (in Anspielung auf die Krematorien der NS-Vernichtungslager), um sich über die Shoah lustig zu machen und vermarktet dies obendrein mittels seiner Webseite dieudosphere.com, wo er diverse Produkte mit Ananas-Aufdrucken u. ä. zum Verkauf anbietet.
Das Fruchtsymbol beschränkt sich allerdings nicht auf Dieudonné selbst, sondern hat sich in schriftlicher oder bildlicher Form als Meme in diversen Online-Diskursen verbreitet. So findet man etwa schon über eine kurze Suche unter dem Hashtag „Shoananas“ diverse einschlägige Inhalte. Zumeist wird darin entweder Unmut über die (vermeintlich zu präsente) Shoah-Erinnerungskultur geäußert oder diese nach Dieudonné-Manier ins Lächerliche gezogen. Auf die Spitze trieb letzteres der rechtsextreme Zeichner und Bekannte Dieudonnés Joe Le Corbeau (mit bürgerlichem Namen Noël Gérard): Seine 2012 entstandene, an Geschmacklosigkeit kaum zu überbietende Bildparodie „Shoasis Ananas“ (in Anspielung auf die Getränkemarke Oasis) wirbt mit dem Versprechen „sans goyim“ („ohne Gojim“ bzw. ohne „Nichtjuden“) und der „Inhaltsgarantie“ sechs Millionen und „Zyklon-B-Geschmack“:
Allianzen mit Rechtsextremisten und Islamisten
Die Verbindung zwischen Le Corbeau und dem Komiker verweist zudem auf einen weiteren wesentlichen Aspekt der Agitation Dieudonnés: Seine verbalen Entgleisungen entfernten ihn spätestens Mitte der 2000er Jahre vom Diskurs der französischen Mehrheitsgesellschaft und ebneten ihm den Weg zu Allianzen mit politischen Extremisten, die seine antisemitischen Positionen teilten und ihn zugleich selbst weiter radikalisierten: Insbesondere betrifft dies ab 2004 seine Freundschaft zum rechtsextremen Akteur Alain Soral, der bald zu einer Art Mentor des Komikers avancierte (mittlerweile hat Dieudonné sich allerdings mit ihm überworfen). Soral bezeichnet sich selbst nicht nur als antizionistisch, sondern offen als „judophob“, sieht in Israel den „wahren Beherrscher der Welt“, die Finanzwelt „in den Händen der Juden“ und in Auschwitz „die zentrale Lüge, die die jüdische Verschwörung zusammenhält“. Seine konspirativen Parolen richten sich dabei gezielt auch an junge Menschen aus den Banlieues bzw. vor allem junge muslimische Männer.[5]
Über Soral – bis 2009 Mitglied des Front National – kam Dieudonné in engeren Kontakt mit dessen Parteispitze, nachdem sie gemeinsam 2006 das jährliche Fête des Bleu-blanc-rouge der Partei besucht hatten und er dort auf den damaligen Vorsitzenden Jean-Marie Le Pen und dessen Stellvertreter Bruno Gollnisch (beide auch bekannt für ihre holocaustrelativierenden Äußerungen) getroffen war. Le Pen und weitere Parteimitglieder besuchten im Gegenzug wiederholt Aufführungen Dieudonnés – im Dezember 2008 auch eine, zu der dieser den bekannten französischen Holocaust-Leugner Robert Faurisson als Gast eingeladen hatte. Hierbei bekundete Faurisson seine „freundschaftliche Komplizenschaft“ mit dem Komiker und beklagte, er würde in Frankreich wie ein „Palästinenser im eigenen Land“ behandelt ergo von „den Juden“ in seiner Meinungsfreiheit eingeschränkt werden; von Teilen des Publikums waren daraufhin „Es lebe Palästina“-Rufe zu hören.
Im selben Jahr ließ Dieudonné seine Tochter von Philippe Laguérie – einem katholisch-traditionalistischen Priester mit Nähe zur extremen Rechten – taufen und wählte Le Pen als Taufpaten. Neben den offenkundigen ideologischen Überschneidungen in Bezug auf Antisemitismus, Holocaust-Verharmlosung oder auch auf ihre Homophobie sahen französische Politolog:innen in der Annäherung der beiden auch eine gemeinsame, wohl kalkulierte Strategie, einerseits Dieudonné neue mediale Aufmerksamkeit zu verschaffen, andererseits Le Pen eine Gelegenheit zu bieten, seine Partei als nicht rassistisch gegenüber Menschen mit afrikanischem Hintergrund darzustellen und dadurch mögliche neue Wähler:innen zu gewinnen.[6] Den Kontakt pflegte Dieudonné weiterhin auch zu Faurisson, dem er 2011 eine Gastrolle (als er selbst) in Dieudonnés erstem Spielfilm L‘Antisémite („Der Antisemit“) verschaffte. Dieser handelt von einem „krankhaften Antisemiten“ (gespielt von Dieudonné), der von seiner krebskranken Frau gebeten wird, sich mit Hilfe eines jüdischen Therapeuten von seinem Antisemitismus heilen zu lassen. Nicht nur stellt die von Dieudonné als „Komödie über den Holocaust“ betitelte Produktion einen Höhepunkt im Lächerlich-Machen und in der Relativierung der Shoah sowie von Antisemitismus an sich dar, auch wird an ihr eine weitere politische Verbindungslinie offenkundig: So hatte der Iran unter dem damaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad den Film kofinanziert, Anfang 2012 wurde er am internationalen Filmfestival von Teheran präsentiert. Dieser Entwicklung ging eine ab 2004 zu beobachtende Annäherung Dieudonnés an verschiedene islamistische – und ideologisch ebenfalls als zutiefst rechts einzustufende – Kreise in Frankreich voran, beispielsweise an das Hamas-nahe Collectif Cheikh Yassine sowie an Gruppierungen mit Nähe zum iranischen Regime. Wichtigster Kontaktmann war hierbei der Franko-Algerier Yahia Gouasmi, Leiter des pro-iranischen Centre Zahra France in Grande-Synthe und der Fédération des chiites de France sowie Gründer der israelfeindlichen Partei Parti antisioniste. Bezeichnenderweise traten für letztere sowohl Dieudonné als auch Alain Soral bei den Europawahlen 2009 als Kandidaten an. (Alle drei Vereinigungen wurden 2019 aufgelöst, nachdem der damalige französische Innenminister Christophe Castaner ihnen die Unterstützung des bewaffneten Djihad zur Last gelegt hatte.) Hierzu passen auch Äußerungen des bekennenden Katholiken Dieudonné in islamistischen Online-Portalen, in denen er für eine Allianz von Islam und Christentum gegen den „gemeinsamen zionistischen Feind“ eintrat oder „die Zionisten“ als das „satanische Böse“ und „Verfolger des Propheten Mohammed“ bezeichnete.[7]
Während sich für Dieudonné sowohl im klassisch rechtsextremen als auch im islamistischen Spektrum zahlreiche Anknüpfungspunkte und dadurch Möglichkeiten, öffentlich zu provozieren, ergaben, gelang ihm ein Anschluss an die neue Parteilinie des Front National bzw. inzwischen Rassemblement National unter Marine Le Pen nicht mehr. Diese läutete 2011 einen Kurs der „Dediabolisierung“ ein, distanziert sich seither offiziell von Antisemitismus und positioniert sich eher pro-israelisch. Mehr noch erklärte sie sich etwa 2014, um wiederum islamfeindliche Diskurse zu bedienen, zum „einzigen Schutzschild“ der französischen Juden und Jüdinnen vor dem heutigen „muslimischen Antisemitismus“. Dementsprechend hielt sie auch zu Dieudonné von Anfang an Distanz, lehnte ein von Parteikollegen vorgeschlagenes Treffen mit ihm ab und gab sich vielmehr schockiert über seine antisemitischen Aussagen.[8] Jenseits etwaiger persönlicher Überzeugungen scheint Marine Le Pen gerade in strategischer Hinsicht erkannt zu haben, dass Dieudonné – in der öffentlichen Meinung inzwischen zur extremistischen persona non grata geworden – dem von ihr angestrebten Image einer mehrheitsfähigen Rechtspopulistin wesentlich mehr schaden als nützen würde.
Wirkung bis heute?
Abschließend stellt sich die Frage, welche Wirkung heute noch von Dieudonné ausgeht. Angesichts zahlreicher Auftrittsverbote, die ab 2014 unter dem damaligen Innenminister Manuel Valls angeregt wurden, verlagerte er sich in den letzten zehn Jahren verstärkt in den Online-Bereich, ist aber auch hier zusehends mit Einschränkungen konfrontiert: Seit 2020 sind seine Inhalte auf Facebook, Instagram und YouTube, wo er zuletzt jeweils rund eine halbe Million Follower:innen aufwies, auf unbestimmte Zeit gesperrt. Neben seiner Webseite finden seine Ideen jedoch nach wie vor in weniger regulierten sozialen Netzwerken wie TikTok, Twitter, Telegram, im russischen VKontakte oder in Odysee (eine Videoplattform, die sich vor allem im verschwörungsmythologischen Milieu Popularität erfreut) Verbreitung. In diesen Medien bedient er weiter aktuelle Themen der Rechten, wie Impfgegnerschaft, Verständnis für die Agitation von Wladimir Putin, die Ablehnung von LGBTQ bzw. die Verteidigung „traditioneller Werte“ und der „traditionellen Familie“. Seit dem 7. Oktober 2023 fokussiert Dieudonné zudem erneut verstärkt auf die Palästinenser:innen – die israelische Militäroffensive in Gaza als Reaktion auf die brutalen Massaker der Hamas bezeichnete er wiederholt als Genozid und sprach in diesem Kontext von einem „hysterischen israelischen Hass“, der die ganze Region bedrohe.
Hieran wird vor allem sichtbar, dass Dieudonné sich im Gegensatz zu den frühen 2000er Jahren heute keineswegs mehr abhebt, sondern er nur noch Phrasen wiedergibt, die auch auf zahlreichen anderen, einschlägigen Kanälen zu finden sind. Zwar versucht er hierüber nach wie vor ein möglichst breites Publikum zu erreichen – sowohl Personen mit Affinität zur extremen Rechten und sogenannte „Querdenker:innen“, für die vor allem die „freie Meinungsäußerung“ und „Anti-System-Haltung“ Dieudonnés anziehend wirkt als auch Menschen aus dem pro-palästinensischen und postkolonialen Milieu. Allerdings scheint er einigen seiner einstigen Fans in den letzten Jahren zu extrem (oder auch nicht mehr einfallsreich genug) geworden zu sein, aus dem Mainstream-Diskurs wurde er mehr oder weniger verbannt. Deutlich wird an seinem Fall aber das Potenzial zu antisemitischer und rechtsextremer Radikalisierung, das seiner Agitation zugrunde liegt und dessen Auswüchse sich über das Teilen von Videos, Memes u. ä. nach wie vor manifestieren. Das darin vermittelte Gedankengut steht den Werten einer offenen, pluralen Gesellschaft diametral entgegen und ist in seiner demokratiegefährdenden Wirkung nicht zu unterschätzen.
[1] Siehe zu den folgenden Ausführungen etwa Helga Embacher, Bernadette Edtmaier, Alexandra Preitschopf, Antisemitismus in Europa. Fallbeispiele eines globalen Phänomens im 21. Jahrhundert, Wien 2019, S. 69-74 sowie die Dissertation der Autorin: Alexandra Preitschopf, „Umkämpfter Raum“. Palästina-Solidarität, Antizionismus und Antisemitismus unter MuslimInnen im zeitgenössischen Frankreich, Salzburg 2016, S. 221-224 und S. 284-302.
[2] Siehe etwa Teresa Nentwig, Von Klößen, einem Elefantengesicht und Pornografie. Die unglaubliche Welt des Dieudonné, in: INDES – Zeitschrift für Politik und Gesellschaft 2 (2014), S. 96-105.
[3] Siehe hierzu etwa Sven Korzilius, Erinnerungsforderungen von descendants d’esclaves – Berechtigtes Anliegen oder Missbrauch der Geschichte?, in: Dietmar Hüser (Hg.), Frankreichs Empire schlägt zurück. Gesellschaftswandel, Kolonialdebatten und Migrationskulturen im frühen 21. Jahrhundert, Kassel 2010, 217-25.
[4] François Legrand / Anne-Sophie Sebban-Bécache / Simone Rodan-Benzaquen / Dominique Reynié, Radiographie de l’antisémitisme en France, Paris 2022, S. 7.
[5] Zit. nach Pierre Jourde, „Naulleau vs Soral“, in: Le Nouvel Observateur vom 01.11.2013.
[6] Siehe Briganti / Déchot / Gautier, La galaxie Dieudonné, S. 87
[7] Zu Dieudonnés Iran-Beziehungen siehe ebd., S. 114 und 149.
[8] Siehe hierzu näher etwa Daniel Stockemer, The Front National in France. Continuity and Change Under Jean-Marie Le Pen and Marine Le Pen, Cham 2017 sowie Embacher / Edtmaier / Preitschopf, Antisemitismus in Europa, S. 49 f. und S. 71.