von Florian Völker

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6. Januar 2023

Popmusik rückt die Welt nicht nur näher zusammen, ihr grenzübergreifender Charakter wirkt auch auf Identitäten. Sogar als ‚fremd‘ wahrgenommene und deklarierte Kulturen werden mittels popkultureller Produkte und Massenmedien für das Subjekt erfahrbar und Teil der alltäglichen Lebenswelt. Dies geschieht nicht nur durch die Rezeption ausländischer Bands, sondern vielfach auch durch Thematisierungen und Inszenierungen ‚fremder‘ Kulturen in der deutschen Popmusik. Diese Darstellungen gehören in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts über den Schlager hinaus zum Standardrepertoire deutscher (d. h. deutschsprachiger oder in den beiden deutschen Staaten produzierten) Popmusik.

In meinem Forschungsprojekt untersuche ich diese Konstruktionen in der deutschen Popmusik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ihre Akteur:innen und Rezeptionsgeschichte sowie ihren Einfluss auf die Gesellschaft der Bundesrepublik und der DDR.

 

Die Akteur:innen

In der Arbeit differenziere ich zwischen ursprünglich und vermeintlich ausländischen, in beiden deutschen Staaten aktiven Musiker:innen sowie als ‚deutsch‘ wahrgenommenen bzw. präsentierten Musiker:innen, die in ihren Songs ‚fremde‘ Kulturen thematisieren. Dies betrifft im Schlager seit den 1950er Jahren zunächst die Romantisierung der nach dem Krieg als Urlaubsziele beliebten Länder Frankreich und Italien, in der frühen Bundesrepublik etwa von der damaligen Deutsch-Italienerin Caterina Valente („Ganz Paris träumt von der Liebe“, 1954). Mit großem Einfluss wirkten in diesem Zusammenhang aber auch Akteure wie der gebürtige Berliner Hans Rolf Rippert, der als vermeintlich russischer Sänger Ivan Rebroff Erfolge feierte. 

Frontcover des Albums „Mein Russland, du bist schön“ (1971) von Ivan Rebroff

Insbesondere seit den frühen 1970er Jahren casteten deutsche Produzenten für ihre „exotischen“ Musikprojekte häufig nicht-deutsche Künstler:innen und solche, die sie mit passender Kostümierung als ‚fremdkulturell‘ inszenierten, wie die von Frank Farian geführte Disco-Gruppe Boney M. („Bahama Mama“, 1980), Ralph Siegels Eurovision-Ensemble Dschingis Khan („Moskau“, 1979), Eurodance-Acts wie Mr. President („Coco Jamboo“, 1996) und Bellini („Samba de Janeiro“, 1997). 

Nicht selten waren es Angehörige der vermeintlich ‚fremden‘ Kultur selbst, die dem „biodeutschen“ Publikum idealisierte und stereotypische Bilder ‚ihrer‘ Heimat und Kultur in deutschsprachigen Songs präsentierten, beispielsweise die griechischen Sänger:innen Nana Mouskouri („Weiße Rosen aus Athen“, 1961) und Costa Cordalis („Der Wein von Samos“, 1979) sowie der in Tunesien geborene, kubanisch-deutsche Sänger und Schauspieler mit dem auffälligen Künstlernamen Roberto Blanco („Der Puppenspieler von Mexiko“, 1972). Eine besondere Rolle in diesem Komplex kommt nicht zuletzt den Produzent:innen und anderen sogenannten Kulturanbieter:innen wie Marketing- und Vertriebsabteilungen, A&R-Manager:innen, Musikredakteur:innen zu, die für die Künstler:innen gezielt verkaufsfördernde Images entwickelten.[1] 

Marcia Barrett (später Sängerin bei Boney M.) und die Schlagersänger Roberto Blanco, Karel Gott und Bata Illic beim Olympia-Ball 1971 im Kieler Schloss, Friedrich Magnussen, via Wikimedia Commons

 

Die Inhalte

Was wann, wo und warum als ‚fremd‘ wahrgenommen oder definiert wird, unterliegt stets dem jeweiligen historischen Kontext. Daher periodisiere ich im Forschungsprojekt die popmusikalischen Thematisierungen und Inszenierungen ‚fremder‘ Kulturen unter Einbeziehung der (gesellschafts‑)politischen Ebene und internationaler Prozesse. Veränderungen dieser popmusikalischen Konstruktionen brachten aber auch die sich wandelnden Bilder der Massenmedien, der internationale Austausch und transnationale Kulturtransfers, die Globalisierung sowie der Massentourismus. Das Spektrum der popmusikalischen Thematisierung als ‚fremd‘ konstruierter Kulturen reicht von Inszenierungen stereotypischer und nicht selten rassistischer Bilder, über Idealisierungen dieser ‚Fremdkulturen‘ zu romantischen Sehnsuchtsorten und Fluchtwelten, bis zu ironischen Brechungen dieser Motive und kritischen Auseinandersetzungen mit der Lebenswirklichkeit von Angehörigen der ‚fremden‘ Kulturen in Deutschland. Deutlich wird hier die politische Dimension, die sich in den popmusikalischen Konstruktionen ‚fremder‘ Kulturen ausdrückt.
Untersucht werden daher unter anderem ausländische, auf Deutsch singende Künstler:innen wie die Griechin Nana Mouskouri, die sich gegen die griechische Militär-Junta engagierte und in ihren Stücken ein romantisches Ideal Griechenlands anpries, oder der österreichische Sänger Udo Jürgens, der in seinem Schlager „Griechischer Wein“ (1974) von der Sehnsucht- und dem Heimweh griechischer „Gastarbeiter“ sang, die in der Bundesrepublik stets ‚Fremde‘ bleiben würden.

 

Obwohl der Fokus der Arbeit auf der bundesdeutschen Popmusik liegt, untersuche ich auch Akteur:innen, Popmusikprodukte und die Entwicklung der DDR. Unter anderem wird etwa die Rolle und das Wirken des in die DDR emigrierten, US-amerikanischen Country- und Rock-Musikers Dean Reed beleuchtet, der als „Johnny Cash of Communism“[2] dem Publikum Bilder „des anderen Amerikas“ zu vermitteln suchte. Der deutsch-deutsche Vergleich lohnt insofern, als dass dadurch Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede beim popmusikalischen Umgang mit vermeintlich ‚fremden‘ Kulturen deutlich werden. Da die DDR in bundesdeutschen Medien in unterschiedlicher Intensität als ‚fremde‘ Kultur markiert wurde, umfasst die Analyse ebenso Songs westdeutscher Musiker:innen über die DDR, etwa Udo Lindenbergs „Sonderzug nach Pankow“ (1983), „Kebabträume“ von DAF (1980) oder Rainhard Fendrichs „Frühling in Berlin“ (1985). In mancherlei Hinsicht scheinen sich deutsch-deutsche Prozesse des Otherings nach 1990 sogar noch intensiviert zu haben, wurden „Ostdeutschland“ und „Westdeutschland“ doch aufgrund der direkten Begegnung seit Ende 1989 noch einmal verstärkt für die jeweilige Gegenseite zu ‚unvertrauten‘ Kulturen. [3] Insofern wäre danach zu fragen, ob und wie sich nach dem Fall der Mauer das gegenseitige Unverständnis in der Popmusik ausdrückte.

 

Die Rezeption und Wirkung

Schließlich untersuche ich in meiner Arbeit die verschiedenen popmusikalischen Reaktionen und Artikulationen der vermeintlichen und tatsächlichen Repräsentant:innen von als ‚fremd‘ markierten Kulturen in Deutschland. Dazu zählen etwa das Anprangern von rassistischen Anfeindungen und struktureller Diskriminierung, die dazu führten, dass sich die Künstler:innen als „Fremd im eigenen Land“ (Advanced Chemistry, 1992) fühlen, sowie die Entwicklung eigener popmusikalischer Konstruktionen ‚fremder‘ Kulturen, die in diesen Fällen sowohl die als ‚fremd‘ markierte ‚deutsche‘ als auch die als ebenso ‚fremd‘ empfundene Kultur der (Groß‑)Eltern bilden können. Seit den frühen 1990er Jahren begannen viele Deutschrap-Musiker:innen, die aufgrund ihrer Hautfarbe als ausländisch wahrgenommen wurden oder eine familiäre Migrationsgeschichte besaßen, sich vorherrschende Stereotype bewusst zunutze zu machen, sie subversiv zu überzeichnen und/oder mit Brüchen zu versehen. Dadurch suchten die Musiker:innen, diesen oftmals rassistischen Ressentiments entgegenzuwirken und eine beispielsweise afrodeutsche oder deutschtürkische Identität zu formulieren. Dennoch greifen auch diese minoritären Identitätskonstruktionen auf jene hegemonialen Stereotype zurück, welche die rassistische Ikonografie bestimmen.[4]

Da popkulturelle Vorstellungen des ‚Fremden‘ auf den ersten Blick positive und nicht selten nostalgische Bilder vermitteln, frage ich danach, inwiefern diese Darstellungen auf die gesamtgesellschaftliche Transformation von Bewertungsmustern des ‚Fremden‘ einwirken. Vielen Menschen bieten diese popmusikalisch idealisierten ‚Fremdkulturen‘ als Unterhaltungsobjekt eine Möglichkeit zum kurzzeitigen Ausbruch aus dem Alltag. In der ‚Popmoderne‘ (Jochen Bonz) erlauben sie aber auch Formen des ‚Anderssein‘, deren negative Konnotation sich im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend wandelte. In der Folge bekamen die popkulturellen Bilder des ‚Fremden‘ eine mitunter identitätsbildende Funktion, etwa wenn einzelne Elemente oder die verklärte ‚Fremdkultur‘ im Ganzen als Teil der eigenen Identität internalisiert und in die vermeintlich ‚einheimische‘ Kultur integriert werden. Einen bedeutenden Teil der Analyse nehmen daher die Aneignungsweisen der Rezipient:innen ein sowie das Wechselspiel zwischen Musiker:innen, Kulturanbieter:innen und Medien auf der einen und dem Publikum auf der anderen Seite. Hier geht das Projekt über die bisher erschienenen Untersuchungen zu deutschen „White Negros“ (Norman Mailer, 1957) hinaus, die sich sowohl das imaginierte Verhalten als auch die gesellschaftspolitischen Kämpfe von Afroamerikaner:innen aneigneten,[5] und widmet sich häufig übersehenen Momenten der Globalgeschichte auf deutschem Boden. Angesichts der Brisanz aktueller Debatten liefert das Forschungsprojekt im Sinne einer ‚Geschichte der Gegenwart‘ damit einen wichtigen Beitrag zur Vorgeschichte der diskutierten Formen kultureller Aneignung als auch rassistischer Stereotypisierungen.

 


[1] Zu den Kulturanbieter:innen siehe Nathaus, Klaus: „Auf der Suche nach dem Publikum. Popgeschichte aus der ‚Production of Culture‘-Perspektive“, in: Geisthövel, Alexa / Mrozek, Bodo (Hrsg.): Popgeschichte. Band 1. Konzepte und Methoden, Bielefeld 2014, S. 127-153.
[2] Markham, James M.: „U.S. Folk Hero For Soviet Bloc“, in: The New York Times, 10. Januar 1984, S. 11.
[3] Vgl. Stenger, Horst: „Deutungsmuster der Fremdheit“, in: Münkler, Herfried (Hrsg.): Furcht und Faszination. Facetten der Fremdheit, Berlin 1997, S. 159-221.
[4] Vgl. hooks, bell: Black looks: Race and representation, Boston 1992, S. 49 sowie Mayer, Ruth / Terkessidis, Mark: „Retuschierte Bilder. Multikulturalismus, Populärkultur und Cultural Studies, Eine Einführung“, in: dies. (Hg.): Globalkolorit. Multikulturalismus und Populärkultur, St. Andrä/Wördern 1998, S. 7-23, hier S. 11.
[5] Siehe Ege, Moritz: Schwarz werden. „Afroamerikanophilie“ in den 1960er und 1970er Jahren, Bielefeld 2007, Siegfried, Detlef: „White Negroes: The Fascination of the Authentic in the West German Counterculture of the 1960s“, in: Davis, Belinda [u. a.] (Hrsg.): Changing the World, Changing Oneself: Political Protest and Collective Identities in West Germany and the U.S. in the 1960s and 1970s, New York 2010, S. 191–213 sowie Mrozek, Bodo: Jugend – Pop – Kultur. Eine transnationale Geschichte, Berlin 2019.