von Florian Völker, Nikolai Okunew, Tom Koltermann

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6. Januar 2023

Pop hatte in der Geschichtswissenschaft lange Zeit einen schweren Stand. Dabei lässt sich die Gesellschaftsgeschichte seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ohne die Geschichte und Ausprägungen der Popkultur nur ungenügend nachvollziehen. Denn Pop ist nicht nur Spiegel gesellschaftlicher Wandlungsprozesse, sondern auch ihr Motor. Pop wirkt etwa am Wandel von Vorstellungen über Körper und Gender, am Konsumverhalten und auch an der Formung von Subjektivität mit. Dabei ist Pop per se keine politische Ausrichtung eingeschrieben: Pop ist ein Produkt der liberalen Gesellschaften und des deregulierten Kapitalismus, aber auch Diktaturen bedienen sich zur Herrschaftsstabilisierung seiner Techniken. Bezeichnenderweise sind es jedoch vor allen Pop-Phänomene liberaler Gesellschaften, die langanhaltende globale Wirkung entfalten, während der staatlich dirigierte Pop aus autoritären Systemen meist nur Fremdschämen und Belustigung hervorruft.

Standen zu Beginn der Popgeschichtsforschung noch der Beginn der Popkultur in den 1950er Jahren, deren Verknüpfungen zu den politischen/gegenkulturellen Umbrüchen in den 1960er Jahren und die ersten musikalischen wie ideologischen Brüche innerhalb der Rockmusik seit dem Ende der 1970er Jahre im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, nehmen neuere Studien zunehmend die 1990er Jahre in den Blick. Pophistoriker*innen sehen sich hier allerdings mit einigen Schwierigkeiten konfrontiert. Da das erste Jahrzehnt nach dem „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) generell im Fach bisher eher stiefmütterlich behandelt wurde, ist eine Anbindung an übergreifende Fachdiskussionen über Forschungstermini wie „Amerikanisierung“, „Wertewandel“ oder „Liberalisierung“, wie in der ersten Welle der Popgeschichtsforschung noch häufig geschehen, für diese Periode noch nicht möglich.

Eine über populär-, musik- oder kulturwissenschaftliche Objektdarstellungen hinausgehende Popgeschichtsschreibung sucht stets die Verzahnung mit anderen Fachdisziplinen bei gleichzeitigem Fokus auf die zeitgenössischen Quellen. Der Zugang zu Letzteren stellt die Popgeschichte allerdings immer wieder vor Probleme: Da viele Pop-Produzent*innen und Kulturanbieter*innen wie Verleger*innen und A&R-Manager*innen privatwirtschaftlich arbeiten, existieren nur selten Archive, in denen sich deren Aktivitäten und dahinterstehende Motivationen nachspüren lassen. Auch die Zugänglichkeit von popkulturellen Erzeugnissen, etwa Printmedien, ist alles andere als optimal, da einzigartige Archive wie das Berliner Archiv der Jugendkulturen permanent prekär finanziert sind und öffentliche Bibliotheken auch auflagenstarke Zeitschriften mit Pop als Thema nicht als Teil ihres Sammlungsauftrags verstehen. Die Popgeschichte der DDR ist, aufgrund der frei zugänglichen Überlieferungen in den Archiven, vergleichsweise gut erforscht. Die Quellenlage für die Bundesrepublik hingegen, ist wesentlich lückenhafter.

Die hier gesammelten Beiträge orientieren sich an einem breiten Pop-Begriff, der sowohl Subkultur als auch Massenkultur, neonazistische Musik als auch Charthits und poppige Zeitschriften wie die SuperIllu umfasst. Gemein ist allen Projekten die Untersuchung des für Pop essentiellen Komplexes aus Image und Identität, der auch auf vielen gesellschaftlichen Ebenen derzeit heiß diskutiert wird. Die hier versammelten Beiträge nähern sich daher dem Spannungsverhältnis zwischen wirtschaftlichen und ideologischen Interessen der Pop-Produzent*innen und den kontingenten Aneignungsprozessen durch die Nutzer*innen.

 

Florian Völker

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