Hannah Arendt zum 50. Todestag

Am 4. Dezember 1975 starb Hannah Arendt in ihrer Wohnung am New Yorker Riverside Drive an einem Herzinfarkt. In ihrer Schreibmaschine fand sich ein Blatt, auf das sie nur den Epigraphen für ein neues Buch geschrieben hatte: „Victrix causa deis placuit, sed victa Catoni.“ („Die siegreiche Sache gefiel den Göttern, die besiegte aber gefiel Cato.“)[1]

Das Buch, das Arendt schreiben wollte, war ein philosophisches, kein historisches. Und doch wirft das Epigraph ein Schlaglicht auf Fragen der Geschichtsschreibung, die uns umtreiben, seit Herodot in seinen Historien von den großen Taten „der Griechen und der Barbaren“ berichtete: Haben Sieger das Recht, Geschichte aus ihrer Perspektive zu schreiben? Schreibt man sie besser vom Zentrum oder von der Peripherie aus? Was ist Multiperspektivität? Wie verhalten sich die „großen Taten“ zu den weniger großen Taten, zum Alltag, zur Gesellschaft, zu Wirtschaft, Kunst und Kultur?

Hannah Arendt war bekanntlich keine Historikerin, sondern Philosophin und – so die Selbstauskunft – politische Theoretikerin. Gleichwohl sind einige ihrer wichtigsten Bücher auch Beiträge zu einer Geschichtsschreibung, deren theoretischen und methodischen Debatten sie gleichzeitig hinterherhinkte und um Meilen voraus war.

Wir nehmen Hannah Arendts Todestag zum Anlass, Beiträge (neu) zu präsentieren, die in den vergangenen Jahren auf den Portalen von Zeitgeschichte digital sowie auf H-Soz-Kult veröffentlicht wurden. Die Texte sind so heterogen wie die Perspektiven auf eine streitbare Intellektuelle, deren Thesen auch im 21. Jahrhundert zum Teil noch oder wieder erschreckend aktuell sind. Nach der ersten Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten 2016 stieg der Absatz von The Origins of Totalitarianism auf ein Vielfaches des Vorjahres an, und auch im Kontext der russischen Invasion in der Ukraine ist häufig auf dieses Werk verwiesen worden.[2]

Hannah Arendts Werke erscheinen seit 2018 in einer Kritischen Gesamtausgabe im Wallstein-Verlag und online.

zeitgeschichte|online

Auf Besuch in Arendts Welten, Zum Dokumentarfilm Hannah Arendt. Denken ist gefährlich (2025), Elena Stingl.

Hannah Arendt und der Eichmann-Prozess, Eine doppelte Überschreibung, Elisabeth Gallas.

Totalitarismus 2.0, Mit Hannah Arendt auf Putins Russland blicken, Annette Vowinckel.

Hannah Arendt im Kino, Materialsammlung, Annette Vowinckel.

H-Soz-Kult

Rezensionen zu Schriften von Hannah Arendt

Arendt, Hannah: Wir Juden. Schriften 1932 bis 1966. Zusammengestellt und herausgegeben von Marie Luise Knott und Ursula Ludz, München: Piper 2019
[Annette Vowinckel, 22.4.2020]

Arendt, Hannah: The Modern Challenge to Tradition. Fragmente eines Buchs, hg. von Barbara Hahn, Ingo Kieslich, James McFarland, Ingeborg Nordmann, Göttingen: Wallstein 2018 (Kritische Gesamtausgabe Bd. 6)
[Alfons Söllner, 16.4.2019]

Arendt, Hannah; Fest, Joachim: Eichmann war von empörender Dummheit. Gespräche und Briefe. Herausgegeben von Ursula Ludz und Thomas Wild, München: Piper 2011
[Peter Krause, 2.9.2011]

Rezensionen zur Biographie und zum Werk von Hannah Arendt

Gleichauf, Ingeborg: Hannah Arendt und Karl Jaspers. Geschichte einer einzigartigen Freundschaft, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2021
[Sebastian Huhnholz, 4.3.2022]

Meyer, Thomas: Hannah Arendt. Die Biografie, München: Piper 2023
[René Schlott, 19.3.2024]

Renz, Werner: ad Hannah Arendt. Eichmann in Jerusalem. Die Kontroverse um den Bericht „von der Banalität des Bösen“, Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 2021
Söllner, Alfons: ad Hannah Arendt. Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 2021
[Lutz Fiedler, 18.8.2022]

Ausstellungsrezension

Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert, Deutsches Historisches Museum, Berlin, 11.5. – 18.10.2020
[Anna Corsten, 4.7.2020]

Tagungsberichte

Hannah Arendt und die Frankfurter Schule (Frankfurt a.M., 11.1.2010)
[Elisabeth Gallas, 6.2.2010]

Hannah Arendt in the 21st Century: A Global Discourse (Waco, Texas, 9.11.2006)
[Amanda King, 1.1.2007]

Hannah Arendt weitergedacht – Ein Symposium zum 100. Geburtstag der Namensgeberin des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung (Dresden, 21.–23.9.2006)
[Eik Welker/Sebastian Koch, 1.11.2006]

Critical Assessment of the Writings of Hannah Arendt (Waco, Texas, 24.–27.7.2006)
[Amanda King, 30.8.2006]

Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History

Chorley-Schulz, Miriam: Anti-Monolingualism of Hannah Arendt – or, the Thesis of Taytsh. Thinking about German through Yiddish, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 20 (2023), S. 225-246

Krause, Peter: Kann das Böse „banal“ sein? Hannah Arendts Bericht aus Jerusalem, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 6 (2009), S. 153-158

Docupedia

Dan Diner, Kaleidoskopisches Denken. Überschreibungen und autobiographische Codierungen in Hannah Arendts Hauptwerk,
Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 30.05.2011

ZD-Books

Annette Vowinckel, Totalitarismus 2.0. Mit Hannah Arendt auf Putins Russland blicken, in: Maike Lehmann/Annette Schuhmann (Hg.), Die Wirklichkeit ist angekommen …. Ein Dossier aus Anlass des russischen Überfalls auf die Ukraine, Potsdam 2024 

[1] Lukan, Pharsalia (Bellum civile), Buch I, 128. Bei Arendts Buch handelte es sich um den dritten Teil der Trilogie The Life of the Mind (Judging), der posthum von Mary McCarthy veröffentlicht wurde. Zum Begriff und Konzept des Besiegten siehe Heft VI/2 (Frühjahr 2012) der Zeitschrift für Ideengeschichte.
[2] Zum Beispiel Sean Illing, „A 1951 book about totalitarianism is flying off the shelves. Here’s why“, in: Vox, 28.06.2017, updated 30.01.2019, (14.11.2025); Jan Claas Behrends, „Putins persönliche Diktatur“, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 30.04.2023, Nr. 17, S. 38.