Die Filmzensur hat viele Gesichter. Meistens sind sie grimmig, manchmal triumphiert am Ende aber auch das Lachen. So wie im Fall von Jirí Menzels „Lerchen am Faden“ („Skrivánci na nítich“) – ein satirisches Meisterwerk, das 1969 in der ČSSR zunächst im Giftschrank landete und dann 21 Jahre später, nach der „Samtenen Revolution“, doch noch öffentlich gezeigt werden konnte. Der Film gewann im Februar 1990 sogar einen „Goldenen Bären“ in Berlin – ein später Triumph für die Filmkunst. Die Auszeichnung für Menzels Film war damals gewiss auch eine politische Entscheidung, zumal im Jahr 1990 auf der Berlinale auch die zahlreichen Verbotsfilme der DEFA von 1965/66 gezeigt wurden und das Festival, das erstmals in beiden Teilen von Berlin stattfinden konnte, ohnehin stark von den politischen Ereignissen der zurückliegenden Monate geprägt war. Doch „Lerchen am Faden“ hatte den Preis auch unter künstlerischen Gesichtspunkten mehr als verdient, denn er war erstaunlich wenig gealtert und noch immer hochaktuell, wie einige Journalisten damals anmerkten – ein Urteil, das man auch heute noch unterschreiben kann, nachdem der Film in der Reihe „Berlinale Classics“ in einer digital restaurierten Fassung wieder auf der großen Leinwand zu sehen war.
Schonungslose Satire
Dass „Lerchen am Faden“ 1969 nicht aufgeführt werden konnte, verwundert heute nicht. Es grenzt eher an ein Wunder, dass der Film nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ und dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Prag, überhaupt noch fertig gestellt werden konnte, ehe er der Zensur zum Opfer fiel, denn Menzel wirft darin einen bitterbösen Blick zurück auf den „Aufbau des Sozialismus“ in den 1950er Jahren. Auf einem Schrottplatz müssen vermeintliche Staatsfeinde die Hinterlassenschaften der bürgerlichen Vergangenheit beseitigen: Schreibmaschinen, christliche Kreuze und allerhand anderen „Müll“, aus dem „friedlicher Stahl“ gewonnen werden soll, um ihn den „imperialistischen Kriegstreibern in den Rachen zu schütten“ – wie es auf einem der diversen Propagandaplakate heißt. Nebenan werden auch Frauen durch Strafarbeit „umerzogen“, offenbar nachdem sie bei Fluchtversuchen geschnappt wurden.
Die Häftlingskleidung und die Unterkünfte der Strafarbeiter*innen auf dem Schrottplatz erinnern nicht grundlos an ein Konzentrationslager, auch wenn Menzel so klug war, die stalinistischen Verhältnisse so stark zu überzeichnen, dass man das Ganze auch als groteske Übertreibung deuten könnte – vielleicht in der Hoffnung, dadurch die Zensur irgendwie umgehen zu können. Doch den zuständigen Behörden dürfte das Lachen im Halse steckengeblieben sein, zumal auch die Parteifunktionäre im Film eher wie unbeholfene Clowns auftreten und eher bemitleidenswert wirken. Ein Gewerkschaftsfunktionär, der auf dem Schrottplatz erscheint, muss sich beispielweise erstmal seinen Schlips abnehmen und seinen Hut gegen eine Arbeitermütze tauschen, damit er seine „Rolle“ glaubhaft spielen kann. Trotzdem nimmt ihn niemand ernst. Die Ironie, mit der Menzel in dieser und anderen Szenen die Scheinheiligkeit der politischen Ordnung entlarvt, besticht noch immer – nicht zuletzt, weil sich an den Selbstinszenierungen mancher Politiker bis heute wenig geändert hat.
Menschenliebe oder realer Sozialismus
Seine Satire betreibt der Film sehr konsequent, bis zum bitteren Ende. Eine positive Lösung bietet Menzel dem Publikum nicht an, im Gegenteil. Nach und nach werden die „Staatsfeinde“, die sich der sinnlosen Arbeit verweigern oder durch leisen Widerspruch auffallen, vom Geheimdienst abgeholt und an einen noch düsteren Ort verfrachtet. Insofern spiegelt „Lerchen am Faden“ auch die enttäuschten Hoffnungen auf einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, die viele Menschen – nicht nur in der ČSSR – mit der Niederschlagung der Reformbewegung unter Alexander Dubček endgültig verloren hatten. Von den Verheißungen einer sozialistischen Gesellschaft bleibt im Film wenig übrig, so als hätte Menzel geahnt, dass der „Prager Frühling“ kein gutes Ende nehmen würde. Der Film basiert auf Kurzgeschichten von Bohumil Hrabal, die 1965 in Prag erstmal schienen waren – dann jedoch – wie der Film – von den neuen Machthabern verboten wurden.
Als Gegenentwurf zu den politischen Verhältnissen entwirft Menzel im Film eine zaghafte Liebesgeschichte zwischen einem jungen Mann und einer Frau, die sich bei der Strafarbeit auf dem Schrottplatz kennenlernen. Den beiden wird sogar eine Hochzeit gestattet, aber auch diese kann nur unter grotesken Umständen stattfinden. Die Liebesgeschichte ist Menzels Versuch, sich seinen humanistischen Blick auf die Gesellschaft zu bewahren, trotz alledem. Das individuelle Glück erscheint als Fluchtmöglichkeit in einem ansonsten trostlosen Umfeld, das sich nur mit einem Lachen auf den Lippen ertragen lässt. Wie in vielen anderen Filmen von Menzel, ist die Komik auch in „Lerchen am Faden“ sein Stilmittel, um das Publikum schonend an die schwierige Thematik heranzuführen.[1] Dass das Lachen hier mehr und mehr von einer melancholischen Stimmung verdrängt wird, ist Teil von Menzels künstlerischem Kalkül. Die Komik ist nur ein Umweg, um die Tragik der Geschichte zu vermitteln.
Filmgeschichte als Wiederentdeckung
Es ist ein großes Glück, dass es mit den „Berlinale Classics“ eine Sektion auf der Berlinale gibt, in der man – neben der traditionellen Retrospektive – filmische Werke neu oder wiederentdecken kann, die in Berlin Filmgeschichte geschrieben haben. Menzels Film zählt definitiv zu den Highlights des diesjährigen Programms. Die in brillanter Qualität digital restaurierte Fassung wird hoffentlich bald auf DVD erscheinen und der Film selbst seinen Weg zurück in einige Kinos finden. Er hätte auch heute noch – mehr als 50 Jahre nach seinem Verbot – im Internationalen Wettbewerb locker bestehen können.
[1] Vgl. Christiane Brenner: Große Geschichten, kleine Leute. Zum Werk des tschechischen Regisseure Jirí Menzel. (zuletzt: 15.2.2022)