von Thomas Meyer

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7. September 2018

„Auf das richtige Pferd habe ich gesetzt, aber nicht gewonnen.“ Dieser Satz, ebenso wie sein Ausspruch zum Kommunismus: „Also, wenn's die nicht schon gäbe, wa, die Weltanschauung, dann hätt' ich da auch selber drauf kommen können“, sind gängige Bonmots des Liedermachers Gerhard Gundermann in den Kritiken der Feuilletons des nun seit zwei Wochen laufenden Films „Gundermann“ von Andreas Dresen.
Gundermann war, im Film wie in der Realität, manchmal anarchisch, manchmal widerspenstig. Vor allem aber seine Lieder lassen die ZuschauerInnen weich werden und erzeugen große Sympathien für den facettenreichen und konfliktliebenden Baggerfahrer aus der Lausitz. Der Film weckt ein spezielles Wir-Gefühl. Ein Gefühl, mit dem Gundermann selbst noch in den frühen 1990er Jahren vermochte, das Publikum auf seine Seite zu ziehen, wenn er Lebensgefühl und Erfahrungen in der DDR und in der Nachwendezeit wie kein Zweiter zu spiegeln wusste. Gundermann zieht auch zwanzig Jahre später seine ZuschauerInnen in seinen Bann.

 

„Jedes Urteil von heute ist ein Vor-Urteil von morgen.“

Zeitgleich zum Film erschien der Band „Gundermann“, der persönliche Dokumente Gundermanns zusammenträgt, in denen seine Frau Conny, frühere Mit-Musiker und Weggefährten sowie die FilmemacherInnen zu Wort kommen, und der das Bild Gundermanns noch erheblich weitet.[1] So offenbart etwa das Interview mit dem Regisseur des Films, Andreas Dresen, dessen wichtigstes Anliegen: die Rückeroberung der biographischen Deutungshoheit der Menschen im Osten. Die Klammer hierfür bilden zwei wichtige Phasen im Leben des Kohlearbeiters und Familienmenschen: die späten 1970er Jahre und die Verstrickung Gundermanns als Stasi-Zuträger und die seines Bekenntnisses als IM in den 1990er Jahren.

Während „Das Leben der Anderen“ aus dem Jahr 2006 (Regie: Florian Henckel von Donnersmarck) seine Protagonisten von ihrer Schuld entlastet, will Dresen genau diese Schuld in den Mittelpunkt seines Films stellen. Zu Recht schließlich blieben nach dem Outing Gundermanns im Jahr 1995 erst einmal viele Fragen offen. Fragen, denen sich Opfer und Täter gleichermaßen stellten, die von den Tätern jedoch selten beantwortet wurden. Ähnlich wie im Fall des Lyrikers Sascha Anderson in der Ostberliner Literatenszene im Prenzlauer Berg oder jenem der Berliner „Untergrund“-Band Freygang, in der Sängerin und Gitarrist zugleich Zuträger der Stasi waren, blieb Gundermann anfänglich Antworten auf Fragen nach seinen Motiven schuldig.

Dresens Film spricht eine zentrale Forderung an die Täter aus: die nach der Übernahme von Verantwortung. Gundermann selbst tat dies zunächst nur zögerlich. Ob er tatsächlich sämtliche Details aus acht Jahren Zuträgerschaft an die Stasi vergessen hat, darüber lässt sich heute nur spekulieren. Gundermann hat nach 1995 in mehreren Interviews mit dem Musikjournalisten Hans-Dieter Schütt versucht, Stellung zu beziehen.[2] In diesen Gesprächen wird deutlich, wie er anfangs zögerlich, zum Teil widersprüchlich, später selbstkritisch bis ablehnend mit der Erinnerung an seine Stasi-Zeit umgegangen ist. Es lässt sich erahnen, wie tief die Einsicht in die Konsequenzen seines Tuns wurde, wenn er über seine „Petzberichte“ spricht, die entweder aus seiner persönlichen Situation resultierten oder aus reinem Geltungsbedürfnis verfasst wurden. Zwischen seiner auch im Film gezeigten Rechtfertigungserzählung und einer erstaunlich präzisen Erinnerung an die Herkunft seines Decknamens „Grigori“ (in Anlehnung an Grigori Kossonossow, einer Figur von der Jazz-Lyrik-Prosa-Platte Manfred Krugs von 1968) liegt viel Interpretationsspielraum. In den Gesprächen mit Schütt wird Gundermann klar, wie groß der Verrat und damit seine Schuld war. Ent-schuldigt werden wollte er gleichwohl nie. Konkrete Vorwürfe, ob nun von unmittelbar Betroffenen oder von befreundeten Musikerkollegen, machten ihn eher sprachlos, als dass er sich mit Rechtfertigungen gewehrt hätte. Der Film zeigt dieses Erschrecken Gundermanns über sich selbst, das schließlich in Selbsthass mündete. Nicht Schuld-los sein zu können, wie es sich im Film und den Gesprächen spiegelt, dieser Gedanke, der sich auf zahlreiche Biografien – nicht nur im Osten – bezieht, erzeugt eine Verbindung zum Publikum und trägt vielleicht zum Verständnis für das Leben in der DDR bei.
Schütt dokumentiert die Reue Gundermanns, der am Ende passiv auf das Geschehen um sich herum blickt. Er will diese Gegenwart nur noch hinnehmen, um sich selbst von zukünftiger Schuld fernzuhalten, weil „Jedes Urteil von heute […] ein Vor-Urteil von morgen“ sei.

 

Die Rückeroberung der Deutungshoheit

Die Kinosäle waren in den Vorstellungen von „Gundermann“ gut gefüllt, am Ende des Films gab es Applaus. Man fragt sich, wem er galt: den Protagonisten, dem Regisseur, dem Drehbuch, der Musik? Die Neuinterpretation der Lieder Gundermanns durch Alexander Scheer und die Musiker des Liedermachers Gisbert zu Knyphausen[3] tragen den Film und die Emotionen der Zuschauer. Gundermanns Texte vermochten eindringlich, und für Liedtexter der DDR recht gängig, die Verhältnisse in eine DDR-typische Bildsprache zu übersetzen und sie damit der Zensur zu entziehen. Einen Namen hat Gundermann sich auch als Texter des Albums FEBRUAR der gerne als Staatsrocker bezeichneten Band Silly im Jahr 1989 gemacht. Die Melancholie des gemeinsam mit Silly eingespielten Titels „Gras“, mit dem der Film beginnt, begleitet die ZuschauerInnen durch den gesamten Film und nimmt sie mit auf eine Zeitreise, zurück in die 1970er- und 1990er-Jahre. Dies gelingt nicht nur durch die Musik, denn Gundermann hat in seinen Texten vor allem die Verstörungen, die Enttäuschungen und auch die Wut seiner Zeit auszusprechen gewusst. Er hat sich gerne als Sprachrohr jener „da unten“ verstanden. Aus seinem Selbstbild als „Arbeiter“ rührte sein Idealismus und seine beinahe störrisch anmutende Beharrlichkeit, mit der er Missstände im Lausitzer Braunkohletagebau ansprach. Wenn er von den „harten Hände(n)“ und „harten Herzen“ singt, offenbart er eine tiefe Menschenliebe und die genaue Kenntnis des grauen Alltags in der DDR. Eindringliche Bilder des untergegangenen Landes erscheinen im Kinosaal und wahrscheinlich auch in den Erinnerungen des Publikums, das mit Applaus dafür dankt.

 

Tankstelle für Verlierer

Gundermann bezeichnete sich in seinem eigenen Lebensrückblick Mitte der 1990er Jahre als „Tankstelle für Verlierer“[4]. Die ostdeutsche Erfahrung war geprägt von einem politischen und wirtschaftlichen Totalumbruch, die alte DDR war von der Karte getilgt. Allerdings war es die große Mehrheit der DDR-Bürger selbst, die am 18. März 1990 in der letzten Volkskammerwahl den eigenen Staat abgewählt hatte. Aus dem „Wir sind DAS Volk“ wurde schnell „EIN Volk“, und Deutschlandfahnen bestimmten schon im Herbst 1989 unmittelbar nach Kohls Zehn-Punkte-Plan das Erscheinungsbild der Montagsdemonstrationen. Eine der DDR eigene Sozialisation und der Hang zu „innerer Emigration“ schufen einen anderen Umgang mit Problemen als dies inzwischen in der von zivilgesellschaftlichen Gruppen geprägten Bundesrepublik der Fall war. Der Rückzug ins Private, in dem eher hinter der Gardine oder vorgehaltener Hand Kritik laut wird, war der jahrzehntelang erprobte Umgang mit gesellschaftlichen Konflikten. Dieses Verhalten hat sich in den Nachwendejahren wieder Bahn gebrochen; eine Form der Kritik, die übrigens auch im Buch zum Film im Interview mit der Drehbuchautorin Laila Stieler aufscheint, wenn sie meint, heute werde wie vor 1989 wieder vorgegeben, wie man Dinge zu sehen habe. Am Ende mündet der angestaute Frust plötzlich in Gewalt, wie beispielsweise in den Ausschreitungen in Hoyerswerda 1991. Hier waren Vertragsarbeiterheime und Flüchtlingsunterkünfte rassistisch motivierten Übergriffen ausgesetzt. Der ehemalige Hoyerwerdaer Volker Braun[5] missbilligte die ausländerfeindliche Gewalt der AnwohnerInnen und war sich zugleich bewusst, dass die Enge in der ehemaligen DDR hier einen erheblichen Anteil hatte. Gundermann wiederum empfand ein, heute irritierendes, Verständnis für die „Wut“ des deutschen Industriearbeiters.

Die Ambivalenz Gundermanns bietet Anknüpfungspunkte für Debatten um die Stasi und ihre Aufarbeitung, den wirtschaftlichen und politischen Umgang mit der DDR in den Nachwendejahren bis hin zu der Tatsache, dass sich viele Ostdeutsche als Opfer sehen fremdbestimmt durch Politik und Medien. Der Wunsch Dresens, die BürgerInnen der ehemaligen DDR mögen die Deutungshoheit über ihre Biographien wieder erlangen, ist legitim und bietet tatsächlich die Chance, noch einmal neu auf das Kapitel DDR und auf die Nachwendezeit zu blicken. Gundermanns Scheitern bietet dafür genügend Spielraum. Dresens Verdienst ist es, gelebte Widersprüche zu Tage zu fördern. Die Widersprüchlichkeit Gundermanns schmälert sein Werk nicht, Werk und Künstler lassen sich nicht voneinander trennen, das eine hätte es ohne den anderen nie gegeben.

 

 

 

 

[1] Gundermann. Von jedem Tag will ich was haben, was ich nicht vergesse. Hrsg. v. Andreas Leusink, Berlin 2018.
[2] Erstmals erschienen in Gerhard Gundermann, Hans-Dieter Schütt: Rockpoet und Baggerfahrer, Berlin 1999. Die Gespräche mit Gundermann sind nun neu erschienen: Hans-Dieter Schütt, Tankstelle für Verlierer, Berlin 2018.
[3]Die Website des Liedermachers Gisbert zu Knyphausen. [5] Volker Braun war ebenso wie Gundermann in „HoyWoy“ in der Kohleverarbeitung im Kraftwerk Schwarze Pumpe tätig und zählte später zu den wichtigsten Dramatikern der DDR.