von Magdalena Saryusz-Wolska

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7. Januar 2019

Auf den ersten Blick ist es ein Liebesfilm: Der Musiker Wiktor (Tomasz Kot) verliebt sich in die Volksliedsängerin Zula (Joanna Kulig). Der Titel „Cold War“ bezieht sich eher auf die Gefühlsausbrüche zwischen den beiden Protagonist*Innen als auf die historischen Ereignisse. Das Narrativ wurde schon unzählige Male in der Filmgeschichte erzählt, die zahlreichen Preise, die der Film erhielt (u.a. in Cannes und Seville/European Film Award), müssen daher aus anderen Gründen verliehen worden sein.  

Der Regisseur Paweł Pawlikowski folgt mit „Cold War“ der Schwarz-Weiß-Ästhetik, die sich bereits in „Ida“ bewährt hat.[1] Manche Motive wiederholt er sogar in einer Form, die beide Filmwelten nahezu verschmelzen lässt: Die Frau, die betrunken auf dem Rand der Badewanne sitzt, ein Auto, das an einer Kreuzung sandiger Dorfstraßen hält, und schließlich: Die müde Sängerin aus dem Nachtlokal. Es entsteht der Eindruck, als würde der Regisseur ihre Geschichte im tristen Polen der Nachkriegszeit weitererzählen wollen.

 

Love Story zwischen polnischer Provinz und Pariser Bohème

Im Winter 1949 reist Wiktor durch Polen auf der Suche nach Talenten für ein staatliches Ensemble, das die polnische Volkskultur verbreiten soll. In einem der Dörfer begegnet er Zula.  Drei Jahre später, während einer Tournee nach Ostberlin, flieht er in den Westen, doch sie weigert sich, ihm zu folgen. Erst einige Jahre danach treffen sie sich wieder in Paris, wo sie nun als Paar das Leben der Pariser Bohème genießen. Zusammen nehmen sie ein Album auf, das in den französischen Musikkreisen gefeiert wird. Doch dann kehrt Zula unerwartet nach Polen zurück. Wiktor darf nicht hinterherreisen, denn er ist inzwischen staatenlos. Er steigt trotzdem in den Zug und reist nach Polen, wo er verhaftet wird. Als er aus dem Arbeitslager entlassen wird, sind seit seiner ersten Begegnung mit Zula fünfzehn Jahre vergangen. Die Liebe zwischen beiden ist dennoch nicht erkaltet.

So banal diese Geschichte klingen mag, so bedeutsam sind aus zeithistorischer Perspektive vor allem die Ereignisse, die sich im Hintergrund der Liebesgeschichte abspielen, und all das, was zwischen den einzelnen Szenen passiert. Pawlikowski arbeitet „elliptisch“ – wie es polnische Kritiker*Innen nannten.  Wir sehen nur kurze Ausschnitte aus dem Leben der Protagonist*Innen. Die Lücken dazwischen, die manchmal mehrere Jahre umfassen, müssen wir selbst füllen. Durch die fragmentarischen Geschichten werden drei rote Fäden gezogen: die Spaltung Europas zwischen Ost und West, die Emigration und schließlich: die Musik. Der polnischen Provinz der 1950er Jahre, in der ein Musiker bestenfalls mit Volksmusik und Parteiliedern aufsteigen kann, wird das florierende Leben der Pariser Künstler gegenübergestellt.

 

Die aussichtslose Emigration

Die Emigration bildet den Kulminationspunkt der Handlung. Das Motiv weckt Assoziationen zur polnischen Emigrationsbewegung nach Frankreich im 19. Jahrhundert, als Polen zwischen Preußen, Russland und Österreich-Ungarn geteilt war, und mit der Nachkriegszeit ab Mitte des 20. Jahrhunderts. In Paris arbeiteten namhafte Musiker wie Fryderyk Chopin, Literaten wie der Nationaldichter Adam Mickiewicz und Intellektuelle wie der Gründer der Pariser Zeitschrift „Kultura“, Jerzy Giedroyc. Sie alle versuchten aus der Emigration heraus die polnische Kultur zu prägen. Als ein Beamter der polnischen Botschaft Wiktor zur informellen Mitarbeit zu überreden versucht, ist vor allem die polnische Exil-Bohème das Ziel der Überwachung.

Noch bevor Wiktor ahnt, mit welchen Problemen er als Emigrant wird kämpfen müssen, erkennt Zula die aussichtslose Situation. Sie fühlt sich nicht wohl in der fremden Stadt und in der fremden Sprache. Schon früher griff sie gelegentlich zu einem Glas Wodka – nun trinkt sieflaschenweise. In einem Interview für die Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ fasste Pawlikowski dieses Gefühl des nicht Heimisch-werdens zusammen: „Du wanderst ins Ausland aus und bist jemand anders, nicht mehr so selbstsicher. Du kannst nicht mehr so lustig sein wie bei dir zuhause. Du musst dich bei Leuten einschmeicheln. Du musst eine andere Person spielen.“[2] Der Regisseur, der über dreißig Jahre lang in Großbritannien lebte und gegenwärtig zwischen Warschau und London pendelt, spricht aus eigener Erfahrung. Auch der Co-Autor des Drehbuchs, der im Jahr 2017 verstorbene Schriftsteller Janusz Głowacki, lebte lange in den USA: Sein bekanntes Drama Antigone in New York aus dem Jahr 2015 spielt im Milieu der New Yorker obdachlosen Immigranten aus Osteuropa.

 

Folklore unter dem Druck der Geschichte

Dem fragmentarischen Charakter des Films zum Trotz sorgte vor allem der Tonregisseur Maciej Pawłowski für die Kontinuität der Handlung. Die fließenden Übergänge zwischen polnischen Volksliedern und ambitionierten Jazz-Kompositionen rahmen die Bilder in eine kohärente Filmerzählung ein. Pawlikowski und Pawłowski knüpfen an das Erbe des Jazz- und Filmkomponisten Krzysztof Komeda an.
Komeda wurde sehr bekannt durch den Film „Das Messer im Wasser“ von Roman Polański aus dem Jahr 1962. Der Filmkritiker Grzegorz Brzozowski meint sogar, die unberührte Folklore in „Cold War“, die unter den „Druck der Geschichte“ gerät, sei das eigentliche Thema des Films.[3] So fiel das Genre zunächst der Politik zum Opfer, später sollen moderne Neubearbeitungen Wiktors Karriere in Paris beflügeln.

Im Vergleich zu den Liebeserklärungen vor dem Hintergrund des Eiffelturms wirkt die Darstellung der polnischen Volkskultur unerwartet frisch und authentisch. Im Schwarz-Weiß-Film sind die prallen Farben der Trachten zwar nicht zu erkennen, doch auf der Tonebene wird der Zuschauer mit Volksmusik und regionalen Sprachformen konfrontiert.
Im Zuge der Migrationsbewegungen der Nachkriegszeit wurde die polnische Sprache homogenisiert, allerdings behielt die Kriegsgeneration ihre eigenen Dialekte bei. Wenn also Zula, die aus Zentralpolen stammt, ein goralisches Lied fehlerfrei singt, dann wissen wir: Diese Sängerin hat ein außergewöhnliches Ohr. Es überrascht daher nicht, dass sie in Paris blitzschnell Französisch lernt.

 

Banale Figuren und meisterhafte Ästhetik

Was vor dem musikalisch anspruchsvollen Hintergrund von „Cold War“ fehlt, ist eine mutige Geschichte. Nach den Kontroversen, die „Ida“ hervorgerufen hatte, scheint es, als ob Pawlikowski dieses Mal Debatten vermeiden wollte. Die Figuren im Film sind vorhersehbar: Der Parteifunktionär ist abstoßend, Wiktor möchte lieber verhaftet werden, als seine Kollegen zu denunzieren, und Zula, die schöne Polin, erweckt Mitleid, obwohl sie ihren Liebhaber bespitzelt. Polnische Kritiker*Innen betonen die künstlerische Kontinuität zwischen Pawlikowski und den polnischen Regisseuren der 1950er und 1960er Jahre: dem frühen Roman Polański, Wojciech Jerzy Has (u.a. „Die Kunst geliebt zu werden“, 1962) oder Jerzy Kawalerowicz (u.a. „Der Nachtzug“, 1959). [4] Zwar lassen sich angesichts der Schwarz-Weiß-Bilder, des nichtkontinuierlichen Erzählens und der ambitionierten Musik tatsächlich einige Vergleiche ziehen, doch der Handlung des Films fehlt der kritische Bezug, den die Künstler*Innen ihrer Epoche zu Politik und Gesellschaft herstellten.  

Der Film läuft derzeit noch in den deutschen Kinos, beispielsweise in den Yorck Kinos Berlin

Cold War - Der Breitengrad der Liebe (Polen, Großbritannien, Frankreich, 2018), Regie: Paweł Pawlikowski, Drehbuch: Paweł Pawlikowski, Janusz Głowacki, Kamera: Łukasz Żal, Ton: Maciej Pawłowski.
Trailer
Die DVD des Films erscheint im April 2019


[1] Magdalena Saryusz-Wolska, Geschichtspolitik in Polen. Die Debatten um den preisgekrönten Film "Ida" von Pawel Pawlikowski, in: Zeitgeschichte-online, November 2015, URL: https://zeitgeschichte-online.de/film/geschichtspolitik-polen
[2] Mamy wszystko, czego potrzeba do robienia dobrych filmów. Interview mit Paweł Pawlikowski, Gazeta Wyborcza 19.05.2018. (zuletzt am 6.1.2019)
[3] Grzegorz Brzozowski: Spustoszona historia, „Kultura Liberalna“ 26 (2018). (zuletzt am 6.1.2018)
[4] Beide Filme bespreche ich in dem Kapitel „Starke Frauen und schwache Männer oder die Paradoxien der Rollenverteilung“, in: Konrad Klejsa, Schamma Schahadat, Margarete Wach (Hg.): Der Polnische Film. Von seinen Anfängen bis zur Gegenwart, Schüren: Marburg 2013, S. 185-203.