Götterdämmerung am Alten Markt: Das Potsdam Museum kleidet seine Fassade in eine schwarz-weiße Ruinenlandschaft unter dramatischem Wolkenhimmel, die im Frühjahr 2018 so gut in das Szenario aus frisch gegossenem Betonbarock und auf Abriss gestellten DDR-Beton passt. Geworben wird für die Ausstellung „Potsdam, ein Paradies für meine Kamera“ mit Fotografien von Max Baur, der hier zwischen 1934 und 1953 gelebt und gearbeitet hat.
Zu sehen ist das Bild einer Stadt in der Mitte des 20. Jahrhunderts, wie es sich die Besucherinnen und Besucher, die an einem heißen Vormittag vorbeischauen, konzentriert und in lebhaftem Austausch vergegenwärtigen. Ihr Interesse gilt dem „alten Potsdam“, das im April 1945 durch den Bombenkrieg zerstört wurde und an dessen Rekonstruktion seit Jahren gearbeitet wird. Der Neubau des Stadtschlosses als Brandenburgischer Landtag, daneben der Neubau des Palais Barberini als Kunstmuseum und Ausstellungshaus, die geplante kleinteilige Bebauung in Nachbarschaft zum Schloss, die Auseinandersetzungen um die Wiedererrichtung der kriegszerstörten und 1968 endgültig gesprengten Garnisonkirche sind der kommunalpolitische Hintergrund, die die Ausstellung brisant machen. Hier wird ein, offenbar mehrheitsfähiges, städtebauliches Leitbild verfolgt, das der Rekonstruktion des Alten verpflichtet ist, und dieses Alte ist die neben Berlin wichtigste preußische Residenzstadt. Man mag sich fragen, welche politischen Vorstellungen hinter diesem Leitbild stehen, ob und wie Geschichte, auch die Funktion Potsdams in dieser Geschichte, reflektiert werden. Die Fotografien Max Baurs verhelfen bei diesen Fragen zu aufschlussreichen Erkenntnissen.
Auf den ersten Blick zeigen seine Bilder eine fast verträumt wirkende Stadt des 18. Jahrhunderts, eingebettet in eine elegische Parklandschaft. Baur war von Potsdam fasziniert, wie seine in Ausstellung und Katalog zitierten Briefe und eben auch der Ausstellungstitel verraten. Was er unter Potsdam verstand, zeigt die Auswahl seiner Motive: das Stadtschloss und seine unmittelbare Umgebung sowie die Schlösser und Parks der Residenzlandschaft. Die weiter entfernt liegenden Stadtviertel der barocken Planstadt, auch das fotogene Holländische Viertel, interessierten ihn kaum, schon gar nicht die 1939 eingemeindete Industriestadt Nowawes (heute Babelsberg). Die Bilder suggerieren ein Leben „sans souci“. Man meint, eine Fortsetzung der „Blauen Bücher“ des Langewiesche-Verlags vor sich zu haben, in denen zwischen den 1920er und 1950er Jahren „Das schöne Deutschland“ (1925) publiziert worden war.
Foto: Max Baur, Panorama von der Heiligengeistkirche, 1934-1936 Lichtbild-Archiv Max Baur © Lichtbild-Archiv Max Baur, mit freundlicher Genehmigung.
Dieser erste Eindruck trügt nicht, denn Baur war in seiner Bildästhetik von der Landschaftsfotografie der zwanziger Jahre beeinflusst, die Landschaft als malerische Kulisse interpretiert. Diese Vorstellung übertrug Baur auf seine Stadtbilder: Gebäude und Örtlichkeiten werden in Szene gesetzt, erhalten einen malerischen Vordergrund, werden im Spiel von Licht und Schatten inszeniert und sind überzeitlich, da jegliche Hinweise auf den Entstehungszeitraum des Bildes fehlen. Postkartenmotive also. In der Tat hat Baur viele seiner Fotografien als Postkarten vermarktet. Er betrieb einen Verlag, der als Vertriebsnetz seine Fotos bekannt machte und ihm den Lebensunterhalt sicherte, und publizierte sie in Buchform („Potsdam. Ein Bilderwerk“, 1937). Was in der Ausstellung zu sehen ist, sind also Idealbilder, die, um ihre Wirkung zu erzielen, mit fototechnischen Mitteln einerseits überhöht wurden (der Gelbfilter hebt die Wolkenbildung am Himmel und das Spiel der Kontraste von Licht und Schatten hervor), auf denen andererseits alles Störende von Baur retuschiert worden ist. In der Ausstellung findet sich ein einziges Bild, auf dem auch Autos zu sehen sind, und dies zeigt nicht das „schöne alte Potsdam“ der friderizianischen Zeit, sondern das neobarocke Amtsgebäude der Bezirksregierung Potsdam aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Menschen sind kaum, Fahnen oder Reklamen gar nicht zu sehen. Die Ausstellung verweist auf diese Nachbearbeitungen, zeigt aber leider keine Beispiele. Dabei hätte eine solche zeithistorische Kontextualisierung die suggestive Wirkung der Bilder erklären können. Es handelt sich, so die Vermutung des Rezensenten, auch um eine Art Autosuggestion, der der Fotograf und sein kaufendes Publikum erlagen.
Auf jeden Fall passte die Bildsprache Baurs in die Zeit. Seine Fotos wurden von der Stadt Potsdam für ihre Tourismuswerbung eingesetzt - das im Vorfeld der Berliner Olympiade entstandene Faltblatt von 1935 trägt den Titel „Stadt Friedrichs des Großen – Geburtsstätte des Dritten Reiches“, und Baur wurde von Albert Speer in seiner Funktion als Generalbauinspektor der Reichshauptstadt engagiert. Er fotografierte die Neue Reichskanzlei und das Olympiagelände - und produzierte daraus wiederum Postkarten.
Foto: Max Baur, Ruinen des Alten Rathauses und des Palastes Barberini am Alten Markt Potsdam, 1946–1948, Potsdam Museum © Lichtbild-Archiv Max Baur, mit freundlicher Genehmigung.
Der Bruch erfolgte 1945. Baur kehrte nach einem einjährigen Aufenthalt in Bayern im Oktober 1945 nach Potsdam zurück und sah die kriegszerstörte Stadt. In seinen Fotografien wiederholte er die zentralen Motive, die sich nun als Ruinen präsentierten und die er mit den gleichen Mitteln portraitierte wie zuvor. Im Ausstellungskatalog, der mit Beiträgen von Barbara Lauterbach, Judith Gramzow und Rolf Sachsse viel Hintergrundwissen und auch eine kritische Kommentierung vermittelt, wird dies als Darstellung „erhabener Mahnmale vergangener Größe“ (S. 20) treffend charakterisiert. Durch die Kulissenhaftigkeit der Ruinenlandschaft und die Dramatisierung des Himmels entsteht eine Art visuelle Hyperrealität, wie sie nun an der Fassade des Potsdam Museums zu sehen ist.
Baur wollte sich, wie andere auch, mit der Zerstörung des nostalgischen Traums einer heilen Welt offenbar nicht abfinden. Noch 1963 veröffentlichte er erneut seine Potsdam-Fotografien der Vorkriegszeit („Potsdam, wie es war. Ein Bildwerk“), und er stand damit nicht allein. Der für seine Fotos des Nachkriegs-Berlin bekannte Fotograf Fritz Eschen hatte schon 1948 den Bildband „... so sah ich Potsdam“ publiziert, und noch 1990 wurden die unmittelbar vor 1933 entstandenen Fotografien Martin Hürlimanns von Hans-Joachim Giersberg, damals Direktor der Potsdamer Schlösser, herausgegeben.
Welches Narrativ wird damit vermittelt? Sollen die Besucherinnen und Besucher eine Verlusterfahrung nachvollziehen, sich also einfühlen? Geht es um eine Darstellung der Sinnlosigkeit von Krieg? Geht es um Aufklärung über die Einstellung und Arbeitsweise des Fotografen? Oder um die Produktion beziehungsweise Kritik eines von Nostalgie geprägten Potsdam-Bildes? Die Ausstellung hinterlässt hier eine gewisse Ratlosigkeit. Einerseits wird die kritische, ja abweisende Haltung Baurs gegenüber den Wiederaufbaubemühungen in den Nachkriegsjahren deutlich. Er hatte von der Stadtverwaltung den Auftrag erhalten, den baulichen Wiederaufbau fotografisch zu dokumentieren, und kommentierte seine Haltung in folgender Weise: „Grob verputzte Fassaden kann ich nicht mit Licht beschönigen, wie ich es bei Architekturaufnahmen gewöhnt bin.“ Ungewollt dokumentiert dieser Satz die Haltung des Fotografen: Die Kulisse versagte angesichts der ernüchternden Realität.
Es gehört zu den Vorzügen der Ausstellung im Potsdam Museum, dass solche Zitate gezeigt werden und damit die konservative Grundhaltung des Fotografen verdeutlicht wird. So verwundert es nicht, dass Baur 1953 Potsdam Richtung Bundesrepublik verließ, ein Weggang, der seit 1947 systematisch geplant worden war. Baur wird hier, wie auch an anderen Stellen, als Persönlichkeit klar portraitiert. Was man an der Ausstellung vermisst, sind zeitgeschichtliche Kommentierungen der Fotos, die trotz aller Retuschebemühungen immer wieder auch kleine Hinweise auf solche Kontexte enthalten. So muss der Besucher die Gleise der Trümmerbahn auf den Fotografien des zerstörten Stadtschlosses selbst entdecken. Die Mühen der Aufräumarbeiten in den ersten Nachkriegsjahren hat Baur offenbar nicht portraitiert.
Für alle diejenigen, die die derzeitige Rekonstruktion der Potsdamer Innenstadt interessiert verfolgen, sei abschließend auf das Foto eines Modells des Wiederaufbaus des Potsdamer Stadtzentrums von (vermutlich) 1951 (Katalog, Abb. 63, S. 123) hingewiesen. Stadtschloss, Nikolaikirche und Garnisonkirche bleiben als historische Stadtzeichen erhalten, während sich rund um den Alten Markt Neubauten erheben, deren Architektur an ein nationalsozialistisches Gauforum erinnert.
Potsdam, ein Paradies für meine Kamera. Max Baur. Fotografie. Ausstellung vom 13.4. bis 26.8.2018 im Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte. Katalog, 199 S., 24,90 Euro