von Martin Sabrow

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24. August 2021

Von der Weimarer unterscheidet die Berliner Republik vieles: die ökonomische Stabilität, die postklassische nationale Identität, die Stärke der politischen Mittel und insbesondere eine aus der Erfahrung der NS-Herrschaft und ihres völkermordenden Ausgangs erwachsene Sensibilität für historische Irrwege.

 

Und trotzdem befindet sich die deutsche Gesellschaft heute abermals in einer Situation, in der zwar nicht die Demokratie als solche gefährdet ist, sich aber dennoch immer größere Teile der Gesellschaft nicht (mehr) mit den Zielen der demokratischen Parteien identifizieren können. Zudem haben Attentate gegen Politiker*innen, Angehörige von Minderheiten aber auch zufällige Opfer zugenommen und Gewalt ist im öffentlichen Diskurs alltäglicher geworden. Die Spaltung der Gesellschaft hat sich nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie spürbar vertieft und Auseinandersetzungen haben an Aggressivität gewonnen. Dies verdeutlichen nicht nur die zahlreichen Hassmails an prominente Wissenschaftler*innen und Politiker*innen, sondern auch die öffentlichen Äußerungen mehr oder weniger prominenter Wortführer*innen, die ihre Verschwörungslegenden auch und gerade vor laufenden Kameras äußern: Die Grenzen des Sagbaren haben sich nicht erst in letzten Jahren verschoben, aber immer deutlicher wird, dass verbale Hetze gegen „die anderen“ furchtbare Folgen hat oder diese zumindest mit einkalkuliert.

 

Der Mord an Reichsaußenminister Walther Rathenau am 24. Juni 1922 in Berlin erschütterte schon die Zeitgenossen in einer Intensität, der im 20. Jahrhundert lediglich die Reaktionen auf die Ermordung John F. Kennedys 1963 gleichkamen. Das Scheitern der ersten deutschen Demokratie knappe elf Jahre später machte Rathenau nach 1945 zum „ersten Opfer des Dritten Reichs“ und seinen Tod zum Menetekel eines deutschen Verhängnisses, das den Aufbruch vom November 1918 in den Zivilisationsbruch nach 1933 verwandelte. Der Rathenaumord steht daher im Zentrum der mit diesem Projekt intendierten Auseinandersetzung mit der gewaltsamen Herausforderung der Weimarer Republik vor 100 Jahren. Er wird gleichzeitig eingebettet in die Anschlagsserie von 1921/22 gegen Matthias Erzberger, Philipp Scheidemann und darüber hinaus in die Geschichte der Herausforderungen der deutschen Demokratie von der Weimarer Republik bis zur Gegenwart.

 

Projektträger und Antragsteller sind die Walther Rathenau-Gesellschaft und die Rathenau Stift GmbH in Kooperation mit dem ZZF Potsdam und dem Lehrstuhl für Neueste und Zeitgeschichte der HU Berlin sowie dem Verein Weimarer Republik.

 

Ausgehend von den Eckdaten, die durch die Ermordung des früheren Reichsfinanzministers Matthias Erzbergers am 26. August 1921, und das Mordattentat auf Reichsaußenminister Walther Rathenau, am 24. Juni 1922 gesetzt werden, wird das Thema Gewalt in unserem Medienprojekt sowie im Ausstellungs- und Gedenkprojekt Gewalt gegen Weimar intensiv ausgeleuchtet.

 

Im Programm von Deutschlandfunk Kultur wird daher ein wöchentlicher zeithistorischer Nachrichtenticker »100 Jahre politischer Mord in Deutschland« angeboten. Jeden Mittwoch von August 2021 bis Juni 2022 wird die Kurzsendung von knapp fünf Minuten innerhalb der Magazinsendung „Zeitfragen“ (jeweils von 19 bis 20 Uhr) zu hören sein. Zu den sechs Schwerpunktthemen des Erinnerungsprojekts werden außerdem längere Podcasts produziert, die im November 2021 im Rahmen eines Festivals im Schloss Bad Freienwalde präsentiert werden.

 

Das übergeordnete Thema der verschiedenen digitalen Formate behandelt die Fragen, welchen gewaltsamen Angriffen sich die Weimarer Demokratie ausgesetzt sah, und wie die staatlichen, politischen und gesellschaftlichen Institutionen auf diese reagierten. Wie gingen die politischen Gegner miteinander um, welcher Tenor herrschte in der republikanischen und antirepublikanischen Presse? Wie reagierten demokratische Politiker*innen und Parteien auf Angriffe von rechts, wie ordneten Justiz und Polizei derartige Angriffe ein und wie wurden sie verfolgt? Welche Erfolge gab es beim Kampf gegen rechts und wie gedachte man der Opfer? Erst der Mord an Walther Rathenau (zumal im Zusammenhang mit dem kurz zuvor fehlgeschlagenen Attentat auf Philipp Scheidemann) erschütterte die Republik und die politische Führung so erheblich, dass innerhalb kürzester Zeit das „Gesetz zum Schutz der Republik“ eine Mehrheit im Reichstag fand, dass eine juristische Handhabe gegen die Hetze rechtsradikaler Vereine und Verbände bot. Allerdings wurde dieses in der juristischen Praxis bald vor allem zu einer Waffe gegen kommunistische Umsturzbestrebungen.

 

Ein besonderes Ziel des Projektes ist es, Kontexte und Strukturen rechter Gewalt sichtbarer zu machen: Parallelen zu den Ereignissen der letzten Jahre – von den Verleumdungs- und Hasskampagnen in den Medien und im Internet über die Verbreitung von Verschwörungslegenden bis hin zu den Anschlägen in den frühen 1990er Jahren, der Mordserie des NSU und Attentaten von Hanau und Halle – sind dabei durchaus beabsichtigt. Letztlich ist die Aufdeckung der Strukturen von Hasspropaganda ein wichtiger Schritt im Rahmen der Vorfelderkennung. Gezeigt werden soll aber auch, dass es selbst unter schwierigen Bedingungen möglich ist, erfolgreich gegen rechte Gewalt zu handeln.

 

Das Ausstellungs- und Medienprojekt Gewalt gegen Weimar entsteht in Kooperation des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung mit dem Deutschlandfunk, der Walther Rathenau-Gesellschaft und der Walther-Rathenau-Stift GGmbH. Projektverantwortliche sind Martin Sabrow und Elke Kimmel.

 

Die einzelnen Folgen der Sendung »Zeitfragen«, in denen der Podcast "100 Jahre politischer Mord" gesendet wird, finden Sie im Audio-Archiv von Deutschlandfunk Kultur und in der ARD-Mediathek. Auch über Apple Podcast oder Spotify kann die Sendung abonniert werden. Den Auftakt bildete am 25. August ein Gespräch zwischen Winfried Sträter (DLF) und Martin Sabrow (ZZF).

 

 

zeitgeschichte|online hat das Projekt auf all seinen social media Kanälen begleitet. Über den aktuellen Stand und alle Termine können Sie sich auch auf der Website des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung informieren.