Facts & Files zählt zu den ältesten Geschichtsagenturen in Deutschland und feierte im Jahr 2019 ihr 20-jähriges Jubiläum. Sie war damit Teil der ersten großen Gründungswelle von Agenturen Ende der 1990er Jahre. Geschichtsagenturen bzw. private Forschungsinstitute sind Dienstleistungsunternehmen, die in der Regel von selbstständigen Geschichts- bzw. Geisteswissenschaftler*innen geführt werden und historische Inhalte für einen Auftraggeber erforschen und vermitteln.[1] Constanze Seifert-Hartz hat mit den beiden Partnern Beate Schreiber und Frank Drauschke über ihre Motivation gesprochen, sich als Historiker*innen selbstständig zu machen und wie sich der Markt für Geschichte aus ihrer Sicht seit den 1990er Jahren entwickelt hat.

Titelblatt des Jubiläumskalenders der Agentur, auf dem eine Auswahl an Projekten bebildert ist. © Facts & Files.

 

Constanze Seifert-Hartz: Woher kam die Idee, sich als Historiker*innen mit einem privaten Forschungsinstitut selbstständig zu machen?

 

Frank Drauschke: Im Sommer 1998 saßen Beate und ich auf dem Balkon im Prenzlauer Berg und haben darüber gerätselt, was man in der Zukunft so machen könnte. Beate hatte schon lange bei einer gewerkschaftlichen Immobilienrestitutionsfirma gearbeitet und hatte praktische Erfahrung in Archivrecherchen. Da Archive damals nicht vernetzt und teilweise schwer zugänglich waren, hatte ich die Idee, dass man ein Netzwerk aus Historiker*innen an verschiedenen Standorten aufbauen könnte, die so in Archiven Rechercheanfragen schnell bearbeiten und die Ergebnisse zusammenbringen könnten. Damals gab es die erste Gründungswelle von Infobrokern, die mit Datenbanken gearbeitet haben. Wir haben uns dann überlegt, dieses Konzept als historischen Service, als Archivrechercheservice anzubieten.

Im Herbst haben wir uns dann wiedergetroffen und Beate hatte noch einen Kollegen, der auch Interesse hatte. Dann habe ich rausgefunden, dass es den Berlin-Brandenburgischen Businessplanwettbewerb gibt, der auch heute noch existiert. Wir haben dann erstmal dort mitgemacht und schrittweise einen Businessplan erarbeitet, denn davon hatten wir nicht so viel Ahnung. Im Sommer 1999 war der Businessplan fertig und als wir dann die ersten Kunden hatten, mussten wir uns entscheiden: Gründen oder nicht. Anfang Juli 1999 sind wir dann zum Notar gegangen und haben „Facts & Files. Historisches Forschungsinstitut Berlin. Partnerschaftsgesellschaft Archiv-, Literatur- und Geschichtswissenschaftler“ gegründet.

 

Beate Schreiber: Unseren allerersten Auftrag hatten wir von der Mutter einer Freundin von Frank, die versuchen wollte, Entschädigungen für Verfolgungen in der NS-Zeit in der Republik Österreich zu bekommen. Der zweite Auftrag kam von der Humboldt-Universität zu Berlin, dort haben wir für ein Forschungsprojekt zur Geschichte der Commerzbank Archivrecherchen übernommen. Dann ging es relativ flott, denn im September oder Oktober 1999 kam die Anfrage von ICHEIC, der International Commission on Holocaust Era Insurance Claims, zu Versicherungspolicen von ehemaligen Verfolgten, die entschädigt werden sollten. Mit vielen freien Mitarbeiter*innen haben wir in 55 Archiven in elf verschiedenen Ländern Akten durchgesehen, Dokumente digitalisiert und in einer Datenbank ausgewertet. Insgesamt hat uns das Projekt durch verschiedene Anschlussprojekte vier Jahre weiterbeschäftigt. Das war auch der Grund, das Unternehmen größer und professioneller aufzuziehen, als wir es ursprünglich in unserem Businessplan geplant hatten, weil wir vorsichtig sein wollten.

 

Constanze Seifert-Hartz: Euer erstes Großprojekt hat euch also über mehrere Jahre weiterbeschäftigt und dazu motiviert, Facts & Files als Unternehmen auszubauen. Viele selbstständige Historiker*innen starten mit ihren ersten Projekten und stehen dann vor der Herausforderung, Folgeaufträge zu akquirieren. Wie konntet ihr die Auftragslage halten bzw. verstetigen?

 

Frank Drauschke: Nach einer Weile haben wir eine Strategie entwickelt, denn man sollte sich nicht überdehnen. Das ist ein Bereich, in dem es auch viele kleine Aufträge gibt, die dann eher von vielen mittelgroßen und kleinen Büros bedient werden können. Für Großunternehmen wäre also kein Platz. Ein anderer Bereich sind allerdings Projekte zur Archivierung und Digitalisierung von großen Archivbeständen, wo man manchmal mehr leisten können muss.

Aus unserer Erfahrung sind Netzwerke immer sehr wichtig gewesen, Kontakte pflegen und aufbauen. Über die Jahre ist ein Großteil unserer Aufträge aus persönlichen Verbindungen entstanden, weil man die Leute kannte oder empfohlen wurde. Wir haben fast nie Kaltakquise gemacht. Stattdessen beteiligen wir uns an Ausschreibungen und arbeiten von Anfang an international, so sind wir seit 2011 auch bei EU-Projekten dabei und damit in einem europäischen Netzwerk. Außerdem sind wir Gründungsmitglied der AG Angewandten Geschichte/Public History im Historikerverband. Wir haben uns schon früh mit anderen Geschichtsagenturen darüber ausgetauscht, wie man den Markt für Geschichte offiziell als ‚Markt‘ bekanntmachen könnte. Später haben wir beim Historikertag 2012 dann einen Aufruf gemacht und alle, die sich mit Angewandter Geschichte und Public History beschäftigen, zu einem Gründungstreffen eingeladen. Das ist ein guter Anlaufpunkt für alle geworden, um sich auszutauschen.

 

Beate Schreiber: Neben dem Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands und der International Federation for Public History engagieren wir uns auch in Arbeitskreisen und Verbänden im Bereich Provenienzforschung und Archivwesen. Beispiele wären der Arbeitskreis Provenienzforschung, die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte oder die Vereinigung deutscher Wirtschaftsarchivare.

 

Constanze Seifert-Hartz: Wenn es damals noch nicht ‚den Markt‘ für historische Dienstleistungen gab, wie hat sich aus eurer Perspektive das Image von Geschichtsagenturen und Auftragsforschung in den letzten beiden Jahrzehnten gewandelt? Hattet ihr am Anfang mit Skepsis oder Vorurteilen gegenüber eurem Unternehmen zu kämpfen?

 

Beate Schreiber: Wir sind am Anfang als ‚Auftragsforschung’ kritisiert worden. Historiker*innen, die Unternehmensgeschichten schreiben, wurde manchmal vorgeworfen, sie würden den Blickwinkel der Unternehmen einnehmen oder eine Art Verteidigungsschrift verfassen, grade wegen der NS-Belastung. Das Problem hatten wir aber in der Praxis nie. Im Gegensatz zu anderen Mitbewerber*innen sind wir auch nicht ausschließlich auf Unternehmensgeschichte und Jubiläen spezialisiert. Dadurch haben wir auch eine andere Auftragslage als die Anderen. Auch Universitäten stellen wissenschaftliche Mitarbeiter*innen ein, die für historische Dienstleistungen zur Verfügung stehen, beispielsweise in Drittmittelprojekten. So entsteht eine neue Konkurrenzsituation.

 

Frank Drauschke: Generell gab es am Anfang besonders aus dem akademischen Bereich Skepsis. Kann man auf dem freien Markt überhaupt was mit Geschichte oder Forschung machen? Diese Skepsis hat sich aber über die Jahre gegeben. Der Markt hat sich in den 2000er Jahren eigentlich erst richtig entwickelt. Er entstand erst durch uns und die anderen, die sich gleichzeitig gegründet haben. Der Austausch untereinander hat auch dazu beigetragen, dass es jetzt selbstverständlicher geworden ist, dass es diese Dienstleistungen im Bereich von historischer Forschung und Archivrecherche geben kann. Der einzige Vorwurf, der mir heute noch begegnet, ist, dass wir nicht alles veröffentlichten. Wir arbeiten nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern bei uns sind alle Recherchen im Auftrag des/r Kund*in. Wir arbeiten wissenschaftlich und liefern ihm/ihr alle Fakten und Quellen, aber was der Kunde dann damit macht, das liegt in seiner Verantwortung. Wir zwingen die Kund*innen nicht, zu publizieren.

 

Beate Schreiber: Das muss man ganz klar sagen, wir werden für die Recherche, die Aufbereitung und den Bericht bezahlt und daraus entstehen mitunter weitere Texte und Produkte, von denen wir nicht die Verfasser*innen sind. So werden unsere Ergebnisse manchmal nicht 1:1 in Publikationen veröffentlicht oder nur ein kleiner Teil wird weiterverwendet, in eine Zeitleiste verbaut oder einer PR-Firma zu Verfügung gestellt. Wenn wir selbst etwas verfassen, dann gibt es keine Möglichkeiten der Einrede. Das ist bei Drittmittelprojekten oder Aufträgen an Universitäten auch nicht anders.

 

Constanze Seifert-Hartz: Warum habt ihr euch damals für die Selbstständigkeit entschieden und was brauchen Historiker*innen heute, um sich selbstständig zu machen, eurer Meinung nach?

 

Beate Schreiber: Wir waren damals relativ jung, Ende 20. Für mich persönlich spielte der akademische Bereich keine Rolle, weil ich auf Studienrätin studiert habe, aber ich habe mir gedacht, das kann ich auch später noch machen. Wir wollten das einfach mal ausprobieren und deswegen haben wir anfangs auch nicht mit einem riesigen finanziellen Bedarf geplant. Erst als es größer wurde, mussten wir umdenken. Was braucht man heute? Ich denke, dass meine Erfahrungen in Archivrecherchen, Handschriften lesen, Fremdsprachenkenntnisse und ein bisschen buchhalterisches Wissen von Anfang an enorm hilfreich waren.

 

Frank Drauschke: Ich denke, man braucht ein Alleinstellungsmerkmal, um voranzukommen. Sei es ein spezieller Themenbereich oder ein Kundenkreis. Wir haben Archivrecherche als Dienstleistung angeboten. Man braucht das wissenschaftliche Handwerkszeug: Wie recherchiert man in Archiven? Wie werden verschiedene Textsorten verfasst? Wie kann man Inhalte für die Öffentlichkeit oder für einen speziellen Kunden aufbereiten? Ein anderer Punkt sind Computerkenntnisse, um Quellen professionell digitalisieren zu können und Inhalte in Datenbanken und anderen Formaten aufbereiten zu können. Wichtig ist auch, dass man eine Passion für Geschichte, für Archivrecherchen, fürs „Graben und Finden“ hat. Man braucht genug Eigeninteresse, um sich wirklich an Themen abzuarbeiten und das relativ effektiv für einen Nutzer oder Kunden zu machen. Und nicht sagen: „Ok, dafür brauchen wir jetzt fünf Jahre, um das alles abzuarbeiten.“

 

Beate Schreiber: Als wir das Projekt für ICHEIC begonnen haben, war ganz klar, dass wir dafür sofort eine Datenbank aufbauen, um die Archivarbeit gleichzeitig zu dokumentieren und auszuwerten. Vor 20 Jahren haben manche Archivare noch Herz-Rhythmus-Störungen bekommen, wenn wir mit unseren Flachbettscannern die relevanten Dokumente im Archiv einscannen wollten. Bei anderen mussten wir dann eben kopieren oder haben es einfach abgetippt, wenn es gar nicht anders ging. Bei dem Projekt gab es auch einen gewissen Zeitdruck, da die Personen, ehemalige Opfer der NS-Verfolgung, schon recht alt waren und bald entschädigt werden sollten.

 

Constanze Seifert-Hartz: Gibt es bestimmte Fehler, die man vermeiden kann, oder Herausforderungen, um die unternehmerische Effizienz und den Zeitdruck mit eurem wissenschaftlichen Anspruch zu vereinbaren?

 

Beate Schreiber: Man sollte nicht zu billig sein, denn oft werden die Arbeit und Expertise von Historiker*innen unterschätzt, nach dem Motto: „Den Job kann jeder“. Wenn man sich selbstständig macht, ist Selbstmanagement sehr wichtig und die Arbeit von Anfang an so zu organisieren, dass man im Nachhinein nicht alles mühevoll nachbereiten muss. In der Regel braucht der/die Auftraggeber*in die Ergebnisse für etwas und kann darauf nicht ewig warten, sondern ein Zeitplan muss eingehalten werden. Wenn dann noch neue Quellenbestände auftauchen und weitere Archivbesuche notwendig werden, muss man flexibel sein und umdisponieren können. Wenn wir beispielsweise in acht Monaten 170 laufende Meter Akten in einer Datenbank erfassen sollen, dann wird das Projekt so geplant, dass wir das schaffen.

 

Frank Drauschke: Was ich schwierig finde, ist, wenn man mit zu vielen Leuten ein Unternehmen gründet. Zu zweit ist wahrscheinlich eine gute Zahl, ganz alleine geht auch, aber man muss Projekte finden, wo man Leute anstellen kann. Ich würde allen raten, die eine gute Geschäftsidee haben, ein Unternehmen zu gründen und das nicht aufzuschieben. In den 20 Jahren wurden wir öfter gefragt, warum wir keine Promotion haben oder ob wir diese irgendwann nachholen, aber das war nie ein Nachteil. In der Regel bleibt nur Zeit für eine Sache. Für mich war die Selbstständigkeit die richtige Entscheidung.

 

Beate Schreiber: Ich war 28, als wir die Firma gegründet haben. Die Arbeit ist enorm abwechslungsreich, denn wir müssen recherchieren, akquirieren, abrechnen, Projekte managen und Dienstreisen in der ganzen Welt unternehmen. Wenn ich Lehrerin geworden wäre, hätte ich vielleicht mal eine Klassenfahrt gemacht oder so. Es macht einfach Spaß!

 

 

Das Interview wurde am 18.06.2019 in den Räumlichkeiten von Facts & Files in Berlin-Pankow geführt und gekürzt.

 


[1] Mehr zum Thema Geschichtsagenturen: Thekla Keuck, Thomas Prüfer: Geschichte(n) gestalten. Über die Arbeit von Geschichtsagenturen, in: Christine Gundermann, Wolfgang Hasberg and Holger Thünemann (Hrsg.): Geschichte in der Öffentlichkeit. Konzepte – Analysen – Dialoge, Berlin u.a. 2019, S. 239-254; Beate Schreiber: Think History! Facts & Files Historisches Forschungsinstitut Berlin, in: Sabine Horn/ Michael Sauer (Hrsg.): Geschichte und Öffentlichkeit. Orte – Medien – Institutionen, Göttingen 2009, S. 96-101.