von Stefan-Ludwig Hoffmann

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1. Juni 2011

Es gehörte zu den paradoxen Resultaten der beiden Weltkriege, dass nicht nur das rassische Imperium, das Nazideutschland in Europa errichtet hatte, 1945 zu einem Ende kam. Auch die kolonialen Imperien, insbesondere der Siegermächte Großbritannien und Frankreich begannen sich aufzulösen. Erst mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und der schrittweisen Dekolonisierung der Welt wurden auch die Menschenrechte in dem Sinne universell, dass sie nicht nur für Europäer gelten sollten. Der Begriff der Zivilisation (und der Zivilisierung) verschwand schrittweise aus der internationalen Politik, an seine Stelle traten die Menschenrechte (und später der Begriff der „Entwicklung“).[2]

Diese Emergenz der Menschenrechte in den vierziger Jahren als ein Normengefüge, das auch über staatliche Grenzen hinweg Gültigkeit beanspruchte, stand (und steht bis heute) in Spannung zum Souveränitätsprinzip. Wie die Menschenrechte, so ist auch der globale Siegeszug des Nationalstaats als politisches Ordnungsmodell ein Ergebnis der Gewaltgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und der Implosion der kolonialen Imperien.[3] Damit wurde die neue internationale Ordnung auf zwei sich ausschließenden Prinzipien aufgebaut: die individuellen Menschenrechte, die auch gegen den eigenen Staat Geltung beanspruchen können, sowie das Prinzip staatlicher Souveränität – das, wie die neuen Staaten von Israel bis Indien bzw. Pakistan überzeugt waren – allein in der Lage ist, Rechte wirklich zu garantieren.

Die neuen zwischenstaatlichen Organisationen, Erklärungen und Konventionen, wie die internationale Politik seit 1945 insgesamt, beruhten also auf dem Prinzip staatlicher Souveränität und bedienten sich zugleich politisch-moralischer Leitbegriffe wie den Menschenrechten, die über den Nationalstaat hinauswiesen. Die zweite Jahrhunderthälfte wurde bestimmt von der geopolitisch lückenlosen Nationalstaatsbildung und der zunehmenden Aushöhlung staatlicher Souveränität unter anderem durch transnationale Rechtsnormen wie den Menschenrechten. Aus dieser paradoxen Konstellation heraus lassen sich die Konjunkturen der Menschenrechte in der zweiten Jahrhunderthälfte wie auch die Schwierigkeiten mit ihrer politischen Durchsetzung erklären. Wiederum lassen sich vier Problemkomplexe benennen, die diese Konjunktur bestimmt haben: 1) die Konstellation des Kalten Krieges und 2) die Dekolonisierung, beide vor allem von den späten vierziger bis in die frühen sechziger Jahre; 3) die neuen globalen Moralkampagnen gegen einzelne Staaten wie Südafrika oder Chile und der neue Humanitarismus sowie 4) der Zerfall des Kommunismus und die osteuropäische Dissidentenbewegung, beide in den siebziger und achtziger Jahren.

1) Die Konstellation des Kalten Krieges. Die Menschenrechte kehren in die internationale Arena im Laufe des Zweiten Weltkriegs zurück als Werte- und Normengerüst der gegen Nazideutschland verbündeten Staaten. Mark Mazower hat sogar argumentiert, dass der überraschende Siegeszug der Menschenrechte in den vierziger Jahren in diesen strategischen Interessen der Alliierten begründet lag. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 enthält ihr machtpolitisches Element, indem sie zwar erstmals im Völkerrecht die Rechte des Einzelnen in den Vordergrund rückte, aber zugleich die von Minderheiten überging, damit die Alliierten freie Hand für die Bevölkerungsverschiebungen der Nachkriegszeit hatten, insbesondere für die Vertreibung von Millionen Deutschen aus Ostmitteleuropa.[4] Dass die Deutschen in der unmittelbaren Nachkriegszeit aus dem entstehenden internationalen Menschenrechtsregime herausfielen, hat gerade jene deutschen Völkerrechtler, die keine Parteigänger Hitlers waren, besonders irritiert, während sich etwa Carl Schmitt nur in seinen Anschauungen bestätigt sah.[5]

Dieser Konsens unter den Alliierten zerbrach rasch, als die Interessen auseinanderliefen. Während etwa die kommunistische Staatenwelt im bald einsetzenden Kalten Krieg die Verurteilung des Rassismus und die Garantie kollektiver und sozialer Rechte zum Kern der Menschenrechte erklärte, betonten die liberalen Demokratien des Westens gerade die individuellen und politischen Rechte, etwa das Recht auf freie Meinungsäußerung, die ihre Verfassungen ohnehin den eigenen Bürgern garantierten. Was als Menschenrecht galt, war mithin historisch kontingent und politisch umstritten. In dem Moment wo deutlich wurde, dass die Menschenrechte als Legitimationsformel politischer Gegenansprüche in den eigenen Gesellschaften dienen konnte, zogen sich die Großmächte USA und Sowjetunion aus den Versuchen der Etablierung eines internationalen Menschenrechtsregimes zurück – die USA war zu diesem Zeitpunkt noch eine rassisch segregierte Gesellschaft, die Sowjetunion begann erst langsam, sich von der Zwangsarbeit zu verabschieden.[6] Es waren vor allem die postfaschistischen Demokratien in Italien, Frankreich, Österreich und Deutschland, die sich im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention (1950) bereitfanden, Souveränitätsrechte abzutreten, auch aus Furcht vor einer Wiederkehr des politischen Extremismus in der eigenen Gesellschaft.[7] Ohne die Konstellation des Kalten Krieges (und den Niedergang der kolonialen Imperien, wovon gleich noch zu reden sein wird) wäre diese Abtretung von Souveränitätsrechten der Staaten Westeuropas undenkbar gewesen. Die neuen Institutionen des Europäischen Gerichtshofs und der Kommission für Menschenrechte waren in den ersten beiden Dekaden nach ihrer Gründung nicht unbedingt für die Rechtssprechung bedeutsam (der Gerichtshof fällte bis in die siebziger Jahre hinein nur wenige Urteile), sondern als Instrumente der politischen Einigung der westlichen Hälfte des Kontinents gegen die Herausforderung durch den Kommunismus. Mehr noch als die Erfahrung des Völkermords an den europäischen Juden war der Antikommunismus im Nachkrieg der entscheidende Antrieb für die Entstehung eines europäischen Menschenrechtsregimes. Innerhalb der liberalen Demokratien Westeuropas waren es nach 1945 vor allem die christlich-demokratischen Parteien, die sich die Menschenrechte zu eigen machten – der politische Katholizismus, der bis in die Zwischenkriegszeit die Französische Revolution verteufelt hatte, entdeckte nun in den Menschenrechten und im sakralen Begriff der Person eine wirksame Strategie, um die eigene Verstrickung in die Positionen der radikalen Rechten zu verschleiern und den anti-totalitären Grundkonsens des Westens religiös zu imprägnieren.[8]

2) Dekolonisierung und Verrechtlichung der Welt. Die neuen UN-Institutionen nach 1945 ähnelten im Grunde dem Völkerbund der Zwischenkriegszeit, und anfangs sah es so aus, als wenn der liberale Internationalismus, der auch die Zivilisierungsmission des Britischen Empire beseelt hatte, nach dem Krieg eine Fortsetzung fände.[9] Mit dem südafrikanischen Präsidenten Jan Smuts verfasste der Vertreter eines auf Rassentrennung beruhenden Commonwealth-Staates 1945 noch die Präambel der UN. Kaum überraschend fehlte denn auch in der Präambel eine Verurteilung des Rassismus. Anders als nach 1918 ließen sich aber die Vertreter der Kolonien nicht mehr abspeisen, und gerade Smuts sah sich insbesondere von Nehru und anderen indischen Politikern, die jetzt die Rechte der indischen Minderheit in Südafrika einklagten, 1946 in der neuen internationalen Arena angegriffen. Damit war gleichsam ein Präzedenzfall da für das oben genannte Dilemma: universelle Rechte einzufordern und dennoch die Souveränitätsrechte zu beachten. Südafrika wurde bis zum Ende der Apartheid zu einer Art Pariah-Staat innerhalb der internationalen Gemeinschaft, ohne dass von außen direkt militärisch interveniert wurde.

Mit anderen Worten, die Menschenrechte wurden seit den späten vierziger Jahren zu einem Grundbegriff der internationalen Politik. Gerade die Frage der Gleichheit der Geschlechter und der Rassen bildete den zentralen Ansatzpunkt für die Menschensrechtsrhetorik der postkolonialen und kommunistischen Staaten.[10] In jener Zeit gab es, was heute oft übersehen wird, eine Konkurrenz von liberal-demokratischen, sozialistischen und postkolonialen Menschenrechtsnormen in der internationalen Arena, die alle den menschheitlichen Universalismus für sich beanspruchten. Die geläufigen historischen Stufenmodelle vom 18. zum 20. Jahrhundert für die Geschichte der Menschenrechte können deshalb als Beschreibung dessen, was geschah, kaum überzeugen. Der britische Soziologe T.H. Marshall hatte 1950 auf dem Höhepunkt der Reformpolitik der Labour-Regierung eine Abfolge von civil rights/political rights/social rights vorgeschlagen, dem später mit Bezug auf die Menschenrechte etwa auch Norberto Bobbio folgte. Ähnlich verhält es sich mit dem in den späten siebziger Jahren von Karel Vasak, einem 1968 aus der Tschechoslowakei nach Frankreich geflohenen Juristen, entwickelten Modell der drei Generationen (erst politische und bürgerliche Rechte, dann soziale und kulturelle Rechte, schließlich im 20. Jahrhundert Solidarrechte, wie etwa die Rechte auf Frieden, Entwicklung oder eine gesunde Umwelt).[11] Diese unterschiedlichen Rechtsnormen folgten aber nicht zeitlich aufeinander, sondern standen historisch in Konkurrenz. Das Frauenwahlrecht wurde in den liberalen Demokratien des Westens erst nach dem Ersten Weltkrieg, in Frankreich erst 1944 eingeführt. Das Recht auf Arbeit findet sich bereits in Artikel 21 der Erklärung der Menschenrechte in der französischen Verfassung von 1793, ist also keine Erfindung des 19. oder 20. Jahrhunderts. Die USA haben den „Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“ (1966) zwar 1977 mit Beginn der Carter-Zeit unterschrieben, aber als eines der wenigen Länder der Welt bis heute nicht ratifiziert, obgleich die sozialen Rechte während des Zweiten Weltkrieges fest zur Agenda der Roosevelt-Regierung gehörten.[12]

Wie der britische Völkerrechtler A.W. Brian Simpson argumentiert, ist der Niedergang der kolonialen Imperien nach 1945 ohne den moralpolitischen Druck der Menschenrechte kaum zu erklären. Besonders deutlich wird das in den Aufständen und Kriegen gegen die durch den Zweiten Weltkrieg geschwächten Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich in den fünfziger Jahren, die an der Herausbildung eines europäischen Menschenrechtsregimes beteiligt waren und sich zugleich in ihren Kolonien wie Kenia oder Algerien gezwungen sahen, den Ausnahmezustand einzuführen, um die nationale Unabhängigkeitsbewegung niederzuwerfen. Dass Großbritannien und Frankreich darauf bestanden hatten, in die Europäische Menschenrechtskonvention nicht die Untertanen ihrer Kolonien einzubeziehen, ließ sich kaum noch „zivilisatorisch“ rechtfertigen.[13]

Im Ergebnis führte die Dekolonisierung dazu, dass die Mitte der vierziger Jahre in einer Welt der kolonialen Imperien von einem liberalen Internationalismus geschaffenen Institutionen sich nun “globalisierten“: Die neuen unabhängigen Staaten Afrikas und Asiens gewannen zunehmend an Einfluss, rein zahlenmäßig bildeten die Länder der “Dritten Welt” ab Anfang der sechziger Jahre die Mehrheit in den UN-Institutionen. Das bedeutete auch, dass sie ihrer Sichtweise der Menschenrechte in den internationalen Organisationen Geltung verschaffen konnten. 1960 erreichten die postkolonialen Staaten (auf Initiative der Sowjetunion und ohne die Stimmen des Westens) die Anerkennung des Rechts auf nationale Selbstbestimmung als Artikel 1 der „Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an koloniale Länder und Völker“ – und damit als einer UN-Menschenrechtsnorm.[14] Auf der ersten internationalen Menschenrechtekonferenz der Vereinten Nationen 1968 in Teheran, zwanzig Jahre nach der Allgemeinen Erklärung, formulierten die Staaten der Dritten Welt, viele von ihnen autokratische Diktaturen wie das Schah-Regime im Iran, eine Absage an die individuellen und eine (erneute) Hinwendung der internationalen Gemeinschaft zu sozialen und kollektiven Rechten. Oft bildeten die sozialistischen Staaten und die neuen Staaten der postkolonialen Welt in den internationalen Organisationen (UNO, UNESCO, ILO) einen gemeinsam antikolonialen Block gegen den Westen, ohne dass diese Berufung auf die Menschenrechte Folgen für die Rechtssprechung in ihren eigenen Gesellschaften haben sollte.[15]

Afrikanische Intellektuelle und Politiker wie Frantz Fanon, Léopold Senghor oder Julius Nyerere beriefen sich auf die Menschenrechte in erster Linie, um die Hypokrisie des Westens bloßzustellen.[16] Für die Dekolonisierungsbewegung war die Sprache des Nationalismus und der revolutionären Gewalt bedeutsamer. Sobald durch die Berufung auf Menschenrechtsnormen eine Verletzung der Souveränitätsrechte der gerade erst unabhängig gewordenen Nationalstaaten möglich schien, wurden diese (nicht anders als von den Großmächten USA und Sowjetunion) zurückgewiesen.[17] Von daher konnten in der Sichtweise postkolonialer Politiker und Intellektueller die Menschenrechte beides bedeuten: ein moralpolitisches Druckmittel in der internationalen Arena gegen die ehemaligen Kolonialmächte und zugleich eine gefährliche, modernisierte Form des kolonialen Zivilisierungsbegriffes des 19. Jahrhunderts, die dazu diente, das soziale und ökonomische Gefälle zwischen imperialer Metropole und Peripherie (Nord und Süd, wie es nun hieß) zu perpetuieren.

Die Menschenrechte wurden also zur Sprache der internationalen Politik, allerdings noch ohne Konsequenzen für das nationale Regieren. Völkerrechtler wie Paul Kahn argumentieren sogar, dass ein Grund für die zunehmende Verrechtlichung der Welt (in den zahlreichen internationalen Konventionen und Rechtsabkommen der zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts) eben darin lag, dass sich international niemand an diese neue Rechtsordnung halten musste. So wurde die Folter zu einer gängigen Praxis in den Diktaturen Lateinamerikas genau zu dem Zeitpunkt, als sie offiziell im “Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte” (1966) verboten wurde.[18]

3) Globale Moralkampagnen und neuer Humanitarismus. Das änderte sich Anfang der siebziger Jahre in dem Moment, als die Menschenrechte den begrenzten Raum zwischenstaatlicher Politik verließen und – zumindest im Westen – zu einem Leitbegriff nichtstaatlicher Akteure wie etwa Amnesty International oder Médecins Sans Frontières wurden, die begannen, die Geltung der Menschenrechte einzufordern – in der eigenen Gesellschaft, aber auch und vor allem jenseits der Grenzen.[19] Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die sich für humanitäre Fragen engagierten, gab es zwar schon seit dem späten 18. Jahrhundert. Der British Defence and Aid Fund, der Menschen half, die von den Apartheid-Gesetzen in Südafrika verfolgt wurden, gründete beispielsweise auf dem Treason Trial Defence Fund out of Christian Action aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, der wiederum seine Ursprünge in der British Anti-Slavery Society hatte.[20] Jetzt aber bildete sich eine Fülle an neuen Organisationen, die nicht eine nationale Regierung, sondern die “globale Gemeinschaft” als ihre Appellationsinstanz ansahen und sich kampagnenartig formierten. Das begann mit der Biafra-Krise am Ende der sechziger Jahre, die eine Gründungswelle von Hilfsorganisationen im Westen auslöste und die in vielem dem Humanitarismus des frühen 19. Jahrhunderts ähnelte.[21]

Gewiss lässt sich ein Zusammenhang mit der politischen Desillusionierung der radikalen Linken nach 1968 in Westeuropa, aber auch mit dem aus ihrer Sicht zahnlosen Internationalismus des UN-Menschenrechtsregimes erkennen. Globalhistoriker sprechen von einer zweiten Globalisierung seit den frühen siebziger Jahren, die z.B. auch eine neue globale Medienöffentlichkeit und die gefühlte Zugehörigkeit zu einer globalen Gemeinschaft, zumindest in den westlichen Wohlstandsgesellschaften, hervorbrachte. Die Bilder verhungernder Kinder aus Biafra vermittelten westlichen Betrachtern das Gefühl, unmittelbar handeln zu müssen, um den humanitären Notstand in den postkolonialen Krisenstaaten zu beenden – eine politisch zweischneidige Form der Empathie, die ebenfalls Analogien zum Humanitarismus des 19. Jahrhunderts aufweist. In diesen Zusammenhang gehören auch ganz neue Formen medialer Resonanz, wie etwa die weltweit übertragenen Popkonzerte – beginnend mit dem von Ravi Shankar und George Harrison organisierten Concert for Bangladesh in New York (für die Flüchtlinge des Bürgerkriegs) bis hin zu Bob Geldorfs Live Aid Konzerten für Afrika 1984 und 1985 und dem Tribute for Nelson Mandela 1988 im Londoner Wembley Stadion, das von mehr als 60 Millionen Menschen am Fernseher verfolgt wurde. In den siebziger Jahren wurden die Menschenrechte populär; sie verließen die Konferenzräume der internationalen Organisationen und wurden zum Motiv für des humanitäre Engagement einzelner Gruppen, die sich grenzübergreifender Netzwerke und Medien bedienten, um eine globale Öffentlichkeit moralpolitisch zu mobilisieren. Erst jetzt schien es “so weit gekommen [...], dass die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird”, wie Kant in seiner Begründung für ein Weltbürgerrecht schon zweihundert Jahre zuvor behauptet hatte.[22]

In jedem Fall zeigte sich in den globalen Moralkampagnen gegen einzelne Staaten, wie gegen Chile oder Südafrika, dass die Berufung auf die Menschenrechte nationalen wie transnationalen Akteuren als politisches Druckmittel gegen Staaten und ihre Regierungen dienen konnte, allerdings nur gegen Staaten, die international als Demokratien gelten wollten.[23] Die UN selbst hat dagegen auch in den sechziger und siebziger Jahren nicht ein einziges Mal militärisch eingegriffen, um Terror, Bürgerkrieg oder Genozid etwa in Indonesien (1965), Pakistan (1971), Uganda (1971-79), Äquatorial-Guinea (1969-79), Äthiopien (1976-77) oder Kambodscha (1975-79) zu beenden. Das „legalistische Paradigma des Krieges“, das nach 1945 individuelle und staatliche Verletzungen der Menschenrechte international ahnden sollte, scheiterte am Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheit von souveränen Staaten, und seien es blutige Diktaturen.[24] Gegen die Verbrechen in diesen Staaten, die jene in Chile oder Südafrika bei weitem übertrafen, wurden im Westen auch keine Moralkampagnen von NGOs geführt – nur wer zur “globalen Gemeinschaft” dazugehören wollte, konnte moralpolitisch unter Druck gesetzt werden.

Die westlichen NGOs arbeiteten ohne staatlichen Auftrag und demokratische Legitimation. Gerade in der Abkehr von der herkömmlichen Politik lag die Anziehungskraft des humanitären Engagements vieler NGOs. Sie zeugen weniger von der Existenz einer “globalen Zivilgesellschaft”, als davon, wie innerhalb des Westens in den späten sechziger und siebziger Jahren die Idee einer moralischen Verantwortung für die sozialen und ökonomischen Folgen des Kolonialismus wuchs.[25] Die Debatte über die Menschenrechtspolitik erreichte nun auch die Regierungen und Parlamente der westlichen Staaten. Einzelne postimperiale Staaten wie Kanada oder die Niederlande taten sich besonders in der Menschenrechtspolitik hervor. Seit 1972 mehrten sich auch im Deutschen Bundestag Anfragen und Debatten zum Thema Menschenrechte; nicht zufällig mit dem Einzug der Grünen 1983 in den Bundestag nahmen diese sprunghaft in den folgenden Wahlperioden zu.[26] Von besonderer Bedeutung war, dass sich die Regierung Carter 1975/76 von der nach dem Vietnam-Krieg international desavouierten Realpolitik der Nixon-Kissinger-Ära abwandte und die Menschenrechte neu entdeckte – nicht nur wie bisher als Argument im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion, sondern als moralische Legitimationsgrundlage für eine neue US-amerikanische politische und ökomische Hegemonie in einer Zeit der globalen Integration von Märkten und Räumen. Wie das Britische Empire am Anfang des 19. Jahrhunderts, suchten die Vereinigten Staaten nach einem moralisch verlorenen Krieg neue Legitimität in der Welt. Neben Institutionen wie der Weltbank oder dem Internationalen Währungsfonds, die eine ökonomische Vorrangstellung (und interessengeleitete Regulierungsmacht) der USA in der Welt sicherten, wurden die Menschenrechte zu einer zentralen Agentur dieser Transformation globaler Politik, was aber erst nach dem Zerfall der Kommunismus und damit der unangefochtenen Hegemonie der USA erkennbar wurde.[27] Der westliche Anspruch auf politische Hegemonie und der neue Humanitarismus gehörten mithin zusammen, ohne dass die Menschenrechtsaktivisten in den NGOs diesen Zusammenhang gesehen haben.[28]

4) Zerfall des Kommunismus. Die sozialistischen Staaten haben, wie erwähnt, seit den späten vierziger Jahren versucht, international mit den Menschenrechten Politik zu machen. Die Sowjetunion war beteiligt an der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Genozid-Konvention, wie auch der Neufassung des internationalen Rechts in Nürnberg und Tokio – eine Teilhabe, die im Kalten Krieg in den liberalen Demokratien des Westens heruntergespielt und nach dem Ende des Staatssozialismus vergessen wurde.[29] Gerade weil die Menschenrechte lange Zeit scheinbar nur ein belangloser Code für internationale Konferenzen und Organisationen waren, haben die sozialistischen Länder sich in den sechziger und siebziger Jahren an den UN-Menschenrechtspakten und am KSZE-Prozess beteiligt. Dahinter stand die Hoffnung auf internationale Anerkennung und ein – wie sich zeigen sollte, von den neuen globalen Moralkampagnen überholtes – Vertrauen darauf, dass die Sprache der Menschenrechte in der Arena internationaler Politik verblieb (“covenants without the sword are but words”, wie Hobbes im Leviathan formuliert hatte).[30]

Zudem konnten die Menschenrechte auch innerhalb der sozialistischen Staaten nur deshalb eine solche Dynamik entfalten, weil es einen eigenen kommunistischen Rechtediskurs gab, auf den sich die Opposition im eigenen Land berufen konnte.[31] Die “sozialistische Gesetzlichkeit” gewann als Rechtspraxis seit den späten sechziger Jahren an Bedeutung. Die Menschenrechte waren also keine Erfindung der Dissidenz, wie heute zumeist behauptet wird; oft nahmen die Dissidenten nur die in den Verfassungen des Staatssozialismus oder die von den sozialistischen Ländern unterzeichneten internationalen Proklamationen und Pakte beim Wort.[32]

Im Westen wurden die osteuropäischen Kritiker des Staatssozialismus lange Zeit als überholte Vertreter des Antitotalitarismus des Kalten Krieges angesehen. Das änderte sich vor allem in Frankreich mit der allgemeine Desillusionierung der politischen Linken nach 1968. Vereinfacht gesagt, trat der Dissident als intellektuelles Leitbild in den siebziger Jahren an die Stelle des Revolutionärs.[33] Die Figur des "Dissidenten" wurde zu einer Projektionsfläche der westeuropäischen Linken, aber auch der Konservativen und Liberalen: Jeder beanspruchte die Dissidenten und damit auch die Semantik der Menschenrechte für die eigenen politischen Ansprüche. Vieles fehlte (und fehlt bis heute) in diesem verzerrten Bild der Dissidentenbewegung. György Konráds „Antipolitik“ beispielsweise enthielt in den achtziger Jahren noch eine Skepsis gegenüber der Selektivität der moralischen Rhetorik von Ost und West, also noch ein Bewusstsein für die Konkurrenz eines liberalen und sozialistischen Menschenrechtsdiskurses.[34] Allgemein blieben für die ostmitteleuropäischen Dissidenten Menschenrechte immer gebunden an eine Rückkehr der Nationalgeschichte.[35] Von daher musste ihnen später die Idee einer postnationalen, „globalen Zivilgesellschaft“ linksliberaler Intellektueller des Westens, die sich nachholend auf die Dissidenten und die Menschenrechte beriefen, fremd erscheinen.[36]

Erst in den vergangenen zwanzig Jahren, in unserer Gegenwart, dem Zeitalter von „neuen Kriegen” und “global governance”, wurden die Menschenrechte zur Doxa (oder zur säkularen Religion, wie Michael Ignatieff früh bemerkte).[37] Mit den humanitären Interventionen kehrten auch die politischen Denkmodelle von Imperien und Zivilisationen bzw. Kulturkämpfen zurück.[38] Die Menschenrechte wurden nun oft kulturell (und nicht mehr politisch) begründet oder zurückgewiesen, etwa Anfang der neunziger Jahre in der Debatte über die Asian Values.[39] Der Kulturrelativismus, den die kolonialen Imperien nach 1945 gegen eine Anwendung der Menschenrechte in ihren Kolonien ins Feld führten wurde nun von postkolonialen Staaten gegen die hegemoniale Menschenrechtspolitik des Westens gewendet. Auch postkoloniale Rechtstheoretiker sahen in den Menschenrechten nur noch eine imperiale Strategie des Westens, universalistisch maskiert.[40] Umgekehrte Versuche, die Menschenrechte in den Kulturen der Welt zu lokalisieren (etwa in einer eigenen afrikanischen oder konfuzianischen Menschenrechtstradition) liefen einher mit einem Vergessen der politischen Konkurrenz von westlichen, sozialistischen und postkolonialen Ansprüchen und Gegenansprüchen seit 1945, die die Menschenrechte erst universalisiert hatten. Einzelne von der UN (in nahezu jedem Fall gegen das Votum der USA) in den letzten dreißig Jahren anerkannte Solidarrechte, wie etwa das Anfang der siebziger Jahre von dem senegalesischen Völkerrechtler Kéba M’Baye enworfene und 1986 in einer UN-Erklärung verabschiedete “Recht auf Entwicklung“, wurden dabei im Westen kaum als gültige Menschenrechtsnormen wahrgenommen. Die Versuche der UN, Rechtsnormen und Entwicklungspolitik zu verknüpfen, um auf die sozialen und ökonomischen Folgen der Globalisierung mit ihrem Menschenrechtsregime zu reagieren, liefen (etwa auf der Wiener Konferenz von 1993) ins Leere. Stattdessen hat sich das globale Gefälle zwischen arm und reich in den letzten beiden Jahrzehnten weiter vergrößert.

Die Konkurrenz verschiedener Menschenrechtspolitiken existiert also fort (z.B. beruft sich die chinesische Regierung seit den neunziger Jahren auf die Solidarrechte und wendet diese gegen die vom Westen eingeforderten individuellen Rechte[41]), aber die westliche Sichtweise auf die Menschenrechte gewinnt an globalem Hegemonieanspruch. Erst jetzt entdecken die aufgeklärten Experten und Manager des Globalen – westliche Völkerrechtler, Sozialwissenschaftler, NGOs – sie ganz für sich. Und erst jetzt wurde von dieser kosmopolitischen Elite damit begonnen, den Menschenrechten eine Geschichte zu erfinden, die bis in die Antike zurückreicht und den evolutionären Fortschritt von Moral und Recht bezeugen soll.

 


[1] Bei dem folgenden Text handelt es sich um einen Auszug aus der Einführung zu einem von Stefan-Ludwig Hoffmann herausgegebenen Band: Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert, Wallstein-Verlag, Göttingen 2010. Wir danken dem Wallstein-Verlag für die Nachdruckgenehmigung dieses Ausschnitts.

[2] Vgl. den Beitrag von Mark Mazower in diesem Band.

[3] Vgl. als knappe Skizze: Jürgen Osterhammel, Der europäische Nationalstaat des 20. Jahrhunderts. Eine globalhistorische Annäherung, in: ders., Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. Studien zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich, Göttingen 2001, S. 322-341.

[4] Mark Mazower, The Strange Triumph of Human Rights, 1933-1950, in: Historical Journal, 47 (2004), S. 379-398; ders., „An International Civilisation?“ Empire, Internationalism, and the Crisis of the mid-20th Century, in: International Affairs, 82 (2006), S. 553-566. Eine freundlichere Lesart bietet: Elizabeth Borgwardt, A New Deal for the World. America’s Vision for Human Rights, Cambridge/MA 2005.

[5]  Vgl. den Beitrag von Lora Wildenthal in diesem Band sowie Paul Betts, Germany, International Justice and the 20th Century, in: History and Memory, 17 (2005), S. 45-86. Schmitt hat in seinem Tagebuch (Eintrag vom 6.12.1949) dieses im Nachkriegsdeutschland weit verbreitete Sentiment auf die Formel gebracht: „Es gibt Verbrechen gegen und für die Menschlichkeit. Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden von Deutschen begangen. Die Verbrechen für die Menschlichkeit werden an Deutschen begangen.“ Ders., Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947-1951, Berlin 1991, S. 282.

[6] Carol Anderson, Eyes off the Prize. The United Nations and the African American Struggle for Human Rights, 1944-55, Cambridge/MA 2003.

[7] Vgl. den Beitrag von Mikael Rask Madsen in diesem Band sowie Andrew Moravcsik, The Origins of Human Rights Regimes. Democratic Delegation in Postwar Europe, in: International Organisation, 54 (2000), S. 217-252.

[8] Vgl. den Beitrag von Samuel Moyn in diesem Band.

[9] Vgl. den Beitrag von Kevin Grant in diesem Band sowie insbes. Saul Dubow, Smuts, the United Nations and the Rhetoric of Race and Rights, in: Journal of Contemporary History, 43 (2008), S. 45-74; Mark Mazower, No Enchanted Palace. The End of Empire and the Ideological Origins of the United Nations, Princeton 2009.

[10] Vgl. den Beitrag von Glenda Sluga in diesem Band sowie die laufende Forschungsarbeit von Celia Donert (Potsdam) zu den Menschenrechten von Frauen in Ost- und Westeuropa nach 1945. Dass es in den fünfziger und sechziger Jahren oft die Vertreter postkolonialer Staaten waren, die die Frauenrechte auf die Agenda der UN setzten, zeigt Roland Burke, Decolonization and the Evolution of International Human Rights, Philadelphia 2010, S. 121-129.

[11] T.H. Marshall, Citizenship and Social Class, in: ders., Citizenship and Social Class and Other Essays. Cambridge 1950, S. 1-85; Norberto Bobbio, Die Gegenwart und Zukunft der Menschenrechte [1968], in: ders., Das Zeitalter der Menschenrechte, Berlin 2007; Karel Vasak, Pour une Troisième Generation des Droits de l'homme, in: Essays on International Humanitarian Law and Red Cross Principles in Honour of Jean Pictet, hrsg. von C. Swinarski, Den Haag l984, S. 837-845.

[12] Vgl. Martin H. Geyer, Social Rights and Citizenship During World War II, in: Manfred Berg und Martin H. Geyer (Hrsg.), Two Cultures of Rights: Germany and the United States, Cambridge 2002, S. 143-166.

[13]  Vgl. den Beitrag von Fabian Klose in diesem Band sowie Simpson, Human Rights; Mikael Rask Madsen, France, the United Kingdom and the ”Boomerang” of the Internationalisation of Human Rights (1945-2000), in: Simon Halliday und Patrick Smith (Hrsg.), Human Rights Brought Home. Socio-Legal Perspectives on Human Rights in the National Context, Oxford 2004, S. 57-86; Charles O.H. Parkinson, Bills of Rights and Decolonization: The Emergence of Domestic Human Rights Instruments in Britain’s Overseas Territories, Oxford 2007; Bonny Ibhawoh, Imperialism and Human Rights. Colonial Discourses of Rights and Liberties in African History, New York 2007; Burke, Decolonization.

[14] Vgl. ebd., Kap. 4.

[15] Vgl. z.B. für die Debatten in der ILO zwischen 1947-1960 zur Zwangsarbeit: Sandrine Kott, Arbeit – ein transnationales Objekt? Die Frage der Zwangsarbeit im ‘Jahrzehnt der Menschenrechte’, in: Christina Benninghaus u.a. (Hrsg.), Unterwegs in Europa. Beiträge zu einer vergleichenden Sozial- und Kulturgeschichte, Frankfurt 2008, S. 301-321.

[16] Vgl. den Beitrag von Andreas Eckert in diesem Band. Ähnliches gilt auch für indische Politiker wie Nehru oder Gandhi. Vgl. allg. Dieter Conrad, Gandhi und der Begriff des Politischen, Paderborn 2006.

[17] Vgl. den Beitrag von Daniel Roger Maul in diesem Band sowie ders., Menschenrechte, Sozialpolitik und Dekolonisation. Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) 1940-1970, Essen 2007.

[18] Paul W. Kahn, Sacred Violence. Torture, Terror, and Sovereignty, Ann Arbor 2008, S. 57 f.

[19] Vgl. Akira Iriye, Global Community. The Role of International Organizations in the Making of the Contemporary World, Berkeley 2002; Tom Buchanan, “The truth will set you free”: The Making of Amnesty International, in: Journal of Contemporary History, 37 (2002), S. 575-597; ders., Amnesty International in Crisis, 1966-7, in: Twentieth Century British History, 15 (2004), S. 267-289; David Kennedy, The Dark Sides of Virtue. Reassessing International Humanitarianism, Princeton 2005; Dominique Clement, Canada's Rights Revolution. Social Movement and Social Change 1937-1982, Vancouver 2008; Matthew Hilton, Prosperity For All. Consumer Activism in the Era of Globalization, Ithaca 2009; Jean Quataert, Advocating Dignity. Human Rights Mobilizations and Global Politics, Philadelphia 2009.

[20] Hakan Thörn, Anti-Apartheid and the Emergence of a Global Civil Society, Basingstoke 2006, S. 6 f.

[21]  Vgl. hierzu demnächst die Dissertation von Lasse Heerten (Berlin/Potsdam) zu Biafra und der Entstehung des neuen Humanitarismus in den siebziger Jahren.

[22]  Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf [1795], in: Werke, Bd. 11, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Frankfurt, 1977, S. 216.

[23]  Vgl. den Beitrag von Jan Eckel in diesem Band sowie ders., Utopie der Moral, Kalkül der Macht. Menschenrechte in der globalen Politik seit 1945, in: Archiv für Sozialgeschichte, 49 (2009), S. 437-484.

[24]  Vgl. die Beiträge von Devin O. Pendas und A. Dirk Moses in diesem Band.

[25] Vgl. u.a. Giuliano Garavini, The Colonies Strike Back: The Impact of the Third World on Western Europe, 1968-1975, in: Contemporary European History, 16:3 (2007), S. 299-319; Christoph Kalter, „Le monde va de l'avant. Et vous êtes en marge“. Dekolonisierung, Dezentrierung des Westens und Entdeckung der ‚Dritten Welt’ in der radikalen Linken in Frankreich in den 1960er Jahren, in: Archiv für Sozialgeschichte, 48 (2008), S. 99–132.

[26] Silke Voß, Parlamentarische Menschenrechtspolitik. Die Behandlung internationaler Menschenrechtsfragen im Deutschen Bundestag unter besonderer Berücksichtigung des Unterausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (1972-1998), Düsseldorf 2000.

[27] Vgl. aus der Fülle an neueren Forschungen zu diesem Thema: Charles Bright und Michael Geyer, Where in the World is America? The History of the United States in the Global Age, in: Thomas Bender (Hrsg.), Rethinking American History in a Global Age, Berkeley, 2002, S. 63-99, sowie insbes. Daniel Jonathan Sargent, From Internationalism to Globalism. The United States and the Transformation of International Politics in the 1970s, PhD Diss. Harvard University, 2008.

[28] Vgl. Yves Dezalay und Bryant Garth, Droits de l’homme et Philanthropie Hégémonique, in: Actes de la recherche en sciences sociales, 121 (1998), S. 23-41.

[29]  Vgl. den Beitrag von Jennifer Amos in diesem Band; Francine Hirsch, The Soviets at Nuremberg: International Law, Propaganda, and the Making of the Postwar Order, in: American Historical Review, 113:3 (2008), S. 701-730, hier S. 710.

[30] Thomas Hobbes, Leviathan. The Matter, Form and Power of a Commonwealth Ecclesiastical and Civil [1651], Oxford 1929, T. 2, Kap. 17, S. 128.

[31] Hier liegt auch ein Unterschied zum Nationalsozialismus. Meyers Lexikon (8. Auflage), Bd. 7, Leipzig 1939, S. 1259, vermerkt knapp zu den Menschenrechten: "Gesamtheit der Rechte, die nach Auffassung des politischen Individualismus dem einzelnen Menschen als angeboren, unveräußerlich und ewig, unter Nichtachtung seiner völkisch-rassischen Bestimmtheit, eigen sind." Dagegen formuliert die DDR-Auflage von 1964 u.a.: "Menschenrechte: grundlegende Bestimmungen zur Gewährleistung der freien und allseitigen Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit; finden ihre volle Verwirklichung allein mit dem Aufbau des Sozialismus und vor allem des Kommunismus, wo die Ausbeutung, Unterdrückung und soziale Ungleichheit für immer beseitigt sind [...]." Meyers Neues Lexikon, Bd. 5, Leipzig 1964, S. 737 f. Vgl. hierzu auch demnächst die Dissertation von Ned Richardson-Little (Chapel Hill) zum sozialistischen Menschenrechtsdiskurs in der DDR.

Die Große Sowjetische Enzyklopädie enthält erst in ihrer dritten Auflage einen Artikel zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (in der zweiten Auflage von 1952 hatte es nur einen – die bürgerliche ‘Klassenbasis’ hervorhebenden – Eintrag zur Erklärung von 1789 gegeben), der eine überaus positiv Tendenz ausweist, mit einer Einschränkung: “[…] Die verkündeten Rechte und Freiheiten darf jeder Mensch beanspruchen, ohne irgendeine Unterscheidung nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer und sonstiger Überzeugungen, nationaler oder sozialer Herkunft, nach Eigentum, Geburt oder sonstigen Umständen. Die Sowjetunion erkennt in der Erklärung der Menschenrechte ein fortschrittliches Dokument, hielt sich aber bei der Abstimmung für ihre Verabschiedung zurück, denn sie beinhaltete keine Hinweise für die konkreten Maßnahmen zur Verwirklichung der erklärten Rechte und Freiheiten.” Deklaracija prav čeloveka OON Vseobščaja, in: Bol’šaja Sovetskaja Ėnciklopedija, 3. Auflage, Bd. 8, Moskau 1972, S. 47. Vgl. auch Pakty o pravah čeloveka, in: ebd., Bd. 19, Moskau 1975, S. 93.

[32] Vgl. den Beitrag von Celia Donert in diesem Band; sowie Robert Horvath, The Legacy of Soviet Dissent. Dissidents, Democratisation and Radical Nationalism in Russia, London 2005, Kap. 3: The Rights-Defenders; Benjamin Nathans, The Dictatorship of Reason: Aleksandr Vol’pin and the Idea of Rights under ‘Developed Socialism, in: Slavic Review, 66:4 (2007), S. 630-663; Peter Bugge, Normalization and the Limits of Law. The Case of the Czech Jazz Section, in: East European Politics and Society, 22 (2008), S. 282-318.

[33]  Robert Horvath, ‘The Solzhenitsyn Effect’. East European Dissidents and the Demise of Revolutionary Privilege, in: Human Rights Quarterly, 29:4 (2007), S. 879-907.

[34] György Konrád, Antipolitik. Mitteleuropäische Meditationen, Frankfurt 1985, S. 27.

[35] Michal Kopeček, Citizenship and Identity in the Post-Totalitarian Era: Czech Dissidence in Search of the Nation and its Future, in: Transit Online (http://www.iwm.at/, letzter Aufruf 12.2.2010).

[36] Jürgen Habermas, Die postnationale Konstellation. Politische Essays, Frankfurt 1998; John Keane, Global Civil Society, Cambridge 2003. In den Schriften von Jürgen Habermas taucht der Begriff Menschenrechte erstmals Anfang der neunziger Jahre auf. Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung. Beiträge zu einer Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt 1992, bes. S. 129 ff.

[37] Ignatieff, Human Rights, S. 53 ff.

[38] Samuel P. Huntington, The Clash of Civilizations? in: Foreign Affairs, 72:3 (Summer 1993), S. 22-49: ders., Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert [1998], Hamburg 2006.

[39] Zum Aufstieg des Kulturrelativismus als Argument gegen die Menschenrechte in den 1980er Jahren vgl. Burke, Decolonization, Kap. 5.

[40] Vgl. z.B. Makau Mutua, Human Rights: A Political and Cultural Critique, Philadelphia 2002; Anghie, Imperialism, Kap. 5, 6.

[41] Vgl. hierzu Harro von Senger, Die UNO-Konzeption der Menschenrechte und die offizielle Menschenrechts-Position der Volksrepublik China, in: Gregor Paul (Hrsg.), Die Menschenrechtsfrage. Diskussion über China – Dialog mit China, Göttingen 1998, S. 62-115; Jeremy T. Paltiel, Confucianism Contested. Human Rights and the Chinese Tradition in Contemporary Political Discourse, in: Wm. Theodore de Bary und T Weiming (Hrsg), Confucianism and Human Rights, New York 1998, S. 270-296; Stephen C. Angle, Human Rights and Chinese Thought. A Cross-Cultural Analysis, Cambridge 2002, S. 239-249; Mireille Delmas-Marty und Pierre-Étienne Will (Hrsg.), La Chine et la démocratie, Paris 2007.