von Constantin Goschler

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1. Februar 2014

Neulich war Berlin mal wieder richtig aus dem Häuschen: George Clooney kam zur Berlinale, und mit im Gepäck hatte er seinen neuesten Film. Monuments Men. Ungewöhnliche Helden verarbeitet mit gehöriger künstlerischer Freiheit die Geschichte der Monuments, Fine Arts, and Archives Section (MFA & A) der US-Armee im Zweiten Weltkrieg, die vor allem von Robert M. Edsel historisch aufgearbeitet wurde[1]. Diese Einheit von etwa 350 Männern und Frauen hatte 1943 im Auftrag von Präsident Roosevelt begonnen, Kunstwerke vor der Kriegszerstörung zu bewahren und war dann bis 1946 weiter damit beschäftigt, von den Nationalsozialisten geraubte Kunstschätze aufzuspüren und zurückzugeben. Als Clooney nun in Deutschland die Monuments Men präsentierte, hatte der Fall Gurlitt eben große Aufmerksamkeit für das Thema Kunstraub und Kunstrestitution hergestellt.

Allerdings waren die ersten Reaktionen auf Monuments Men durchweg eher negativ, was weniger mit dem Sujet als mit der filmischen Umsetzung zu tun hat. Leider zu Unrecht bislang nirgendwo geschmäht: die grauenhafte Filmmusik von Alexandre Desplat. Die Neue Zürcher Zeitung überschrieb ihre Besprechung mit „Kunstraub-Posse“[2] und im Guardian war die Rede von einem „action movie with very little action, and a caper movie with precious little capering“[3]. Und in der Tat: Als Unterhaltungsfilm schwächelt Monuments Men: Anfänglich funktioniert der Film noch ganz lustig im Stil einer Militärklamotte, bei der gesetzte ältere Herren in Rekruten verwandelt werden und sich in schlecht sitzenden Uniformen mühsam über die Hindernisbahn und durch sonstige Tücken der militärischen Grundausbildung quälen. Doch schon bald geht der Schwung aus, und die Handlung hoppelt mühsam von Kulturdenkmal zu Kulturdenkmal gen Deutsches Reich. Es bleibt bei dem angestrengten Versuch Dramatik zu erzeugen, indem ein zweifaches Rennen gegen die Zeit ausgerufen wird: erstens die Jagd nach einem diabolischen Nazi-Offizier, der geraubte Meisterwerke der europäischen Kunst in den Untergang des Dritten Reiches mitzureißen droht. Parallel dazu wird der Wettlauf mit einem grimmigen Beutekunstkommissar der Roten Armee inszeniert, dem am Ende im Stile eines Lausbubenstreiches noch ein Teil der Beute abgeluchst wird (wenngleich in diesem Film mit Sprengstoff und nicht mit Schmierseife hantiert wird). Zweifelsohne wird hier klar Distanz zu Quentin Tarantinos Gewaltphantasmagorien gehalten.

Insgesamt jagen in Monuments Men also drei Gruppen Meisterwerken europäischer Kunst nach: Erstens, Nazis, die Kunstwerke entweder als Siegestrophäen für ihre Museen und Wohnstuben rauben oder mit dem Flammenwerfer vernichten, kurzum also Barbaren, die gleichermaßen böse wie trottelig daherkommen. Zweitens dann die Sowjets, die zwar gleichfalls auf Kunst als Beute aus sind, wenngleich ihnen im Film als mildernder Umstand die eigenen hohen Kriegsverluste zugutegehalten werden. So erscheinen die Rotarmisten im Film auch weniger brutal denn als hinterwäldlerisch, erkennbar etwa an der Art und Weise, wie sie ihre Beine aus den (amerikanischen) Jeeps baumeln lassen, mit denen sie durch die brandenburgische Steppe brausen, die hier als Filmkulisse dient. Aber MFA & A sei Dank, gelingt es ihnen nicht, Eycks Genter Altar und Michelangelos Brügger Madonna auf ihren motorisierten Panjewagen jenseits des Ural zu verschleppen. Drittens dann also die (westlichen) alliierten Helden (Amis: lässig, Briten: schrullig, Franzosen: ohlala), die entgegen des Misstrauens einer französischen Museumskuratorin keineswegs darauf aus sind, lediglich dem Räuber den Raub abzujagen, um damit die eigenen Museen zu schmücken. Vielmehr erfüllen sie ihre Mission – Tusch! – zugunsten der Menschheit. Lassen wir nun aber das Fässchen mit dem Säurebad postkolonialer Kritik des westlichen Universalismus fest verschlossen und fragen lieber danach, was der Film als Intervention in aktuelle Debatten über Krieg und Kunstraub leistet.
In dieser Perspektive lassen sich drei Leitmotive herausarbeiten: Erstens dient Monuments Men als ein Zauberspiegel, der den USA vorgehalten werden kann, um dort ihr eigenes besseres Ich zu erkennen. Es handelt sich dort nicht um das böse Bush-Amerika, das für Öl in den Krieg zieht, sondern um ein edles Amerika, das um höherer Werte willen einen gerechten Krieg führte. Glaubt man den Berichten, so hat diese Art des filmischen Patriotismus aber auch beim amerikanischen Publikum nicht besonders verfangen.

Etwas komplexer wird es dann bei einem zweiten Leitmotiv. Immer wieder greift der Film die Frage auf, ob es sich lohnt, ein Menschenleben für Kunst zu opfern. Der rhetorischen Frage des französischen Faschisten Marcel Déat "Mourir pour Danzig?“ begegnet Clooney so gewissermaßen mit dem Deklarativsatz „Mourir pour l’art“. Die Begründung dafür liefert sein filmisches Alter Ego Frank Stokes: Die einzelnen Mitglieder einer Gesellschaft lassen sich im Krieg töten, aber erst wenn ihre Kunst und damit auch ihre Geschichte vernichtet würden, sei auch die Gesellschaft als Ganzes zerstört. Doch lauert dahinter kein „Du bist nichts, Deine Kunst ist Alles“, vielmehr wird dieses Bekenntnis zur kollektiven Identität antitotalitär eingebremst, indem das Opfer für die Kunst in diesem Film nicht als Pflicht, sondern als individuelle Entscheidung thematisiert wird: hier etwa als selbstauferlegte Bewährung für einen im zivilen Alltag gescheiterten Monuments Man.
In einer zentralen Stelle wird die Grundthese des Filmes auf die Probe gestellt, und es sieht eher nach einem Scheitern aus: Matt Damon alias James Granger, dem in diesem Film die Aufgabe zugedacht ist, die moralischen Werte eines amerikanischen Familienvaters hochzuhalten, bringt ein geraubtes Bild in eine ausgeraubte Pariser Wohnung zurück, deren jüdische Bewohner offensichtlich deportiert und ermordet wurden. Indem er das Bild wieder an seinen durch einen hellen Fleck auf der Tapete und einen leeren Nagel markierten ursprünglichen Platz in der ansonsten total leergeräumten Wohnung hängt, wird deutlich, wie unzureichend diese Antwort ist. Das private Portrait kann an dieser Stelle, ohne die ermordeten Bewohner, für die dieses Bild Teil ihrer Familiengeschichte war, nichts mehr bedeuten; der Akt der Rückgabe bleibt ohne soziale Relevanz. Die Familie bleibt unwiederbringlich tot, auch wenn das Bild wieder am ursprünglichen Platz hängt.
Damit kommen wir zur dritten und kompliziertesten Ebene, nämlich der Frage, wem die geraubten Kunstwerke gehören und wer diese zurückerhalten soll. Während die gegenwärtige Debatte um Kunstrestitution stark Holocaust-zentriert ist, begreift Monuments Men dieses Thema universalistisch und ist damit stärker am Zeitgeist der 1940er Jahre orientiert. Die geraubten Kunstwerke, die in Szene gesetzt werden, entstammen (jüdischem) Privatbesitz, staatlichem Museumsbesitz und Kirchenbesitz – und schließlich kommt noch ziemlich unvermutet der Fund jüdischen Zahngolds in einem thüringischen Bergwerksschacht hinzu. Die Botschaft des Filmes, wonach geraubte Kunstwerke ihren Eigentümern zurückgegeben werden sollen, ist natürlich ehrenwert, aber sie verheddert sich ein wenig in den Strängen der aktuellen öffentlichen Kontroversen. Anlässlich der Vorstellung seines Filmes in Berlin wurde Clooney von einem griechischen Journalisten nach seiner Haltung zu den Forderungen nach Rückgabe der im 19. Jahrhundert ins Britische Museum gelangten Teile des Parthenon-Frieses, der sogenannten Elgin Marbles, gefragt. Clooney sprach sich spontan für eine Restitution an Griechenland aus und wurde dafür vom Londoner Bürgermeister Boris Johnson in eine Ahnenreihe zu den Raubplänen Hitlers eingerückt.

In der schon seit längerem schwärenden Debatte um die Elgin Marbles dient jedoch der in Monuments Men vertretene Ansatz – Kunst als Erbe der Menschheit – paradoxerweise gerade denjenigen Museen, die im imperialistischen Zeitalter ihre heutigen Bestände aufbauten oder erweiterten, dazu, ihren aktuellen Besitz gegenüber den Rückgabeforderungen der in der postkolonialen Ära entstandenen Nationalstaaten zu verteidigen. Das Britische Museum bekräftigte deshalb in der Auseinandersetzung um die Äußerung Clooneys seinen Standpunkt: „The purpose of the British Museum is to present the world to the world.“[4] Während also – siehe auch die Gurlitt-Affäre – die aktuelle Debatte um Kunstrestitution oftmals durch Phantasien damit verbundener ungeheurer materieller Werte angeheizt wird, geht es bei diesen Auseinandersetzungen – neben dem nicht zu unterschätzenden touristischen Standortfaktor – sehr stark um identitätspolitische Konflikte. Kunstwerke dienen in diesen Auseinandersetzungen als Bezugspunkte für kollektive (und kollidierende) Identitäten von Gruppen und Nationen.[5]

Der in Monuments Men in den Mittelpunkt gerückte Bezug auf das „Erbe der Menschheit“ funktioniert daher nur begrenzt, nicht nur weil dieser im Konfliktfall im Zweifelsfall von verschiedenen Interessenten als Argument eingesetzt werden kann, sondern vor allem dann, wenn der einfache Mechanismus der Rückgabe zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands versagt. Das zeigt wie schon beschrieben die Episode mit der Rückgabe des Familienbildes in der Pariser Wohnung. Die weiterführende Frage wäre hier nämlich, wem das Bild dann gehören soll, wenn die ursprünglichen Besitzer und womöglich auch ihre Erben allesamt ermordet wurden. Aus dem Film in die historische Wirklichkeit übersetzt wäre dies die Frage, ob es sich um den französischen Staat oder um irgendein jüdisches Kollektiv handeln würde. Der Film bleibt jedoch, wie gesagt, vor dieser Kreuzung stehen. Warten wir also auf die fällige Verfilmung der Geschichte der Jewish Cultural Reconstruction, in der es eben darum ging, nach 1945 von den Nationalsozialisten geraubte jüdische Kulturgüter nicht als Erbe der Menschheit, sondern als Erbe des jüdischen Volkes zu sichern.[6] Wir freuen uns auf Scarlett Johansson in der Rolle von Hannah Arendt auf der Berlinale 2016!

 

Monuments Men, Ungewöhnliche Helden (USA, GB, Deutschland 2013)
Regie und Drehbuch: George Clooney

Website des Films: http://www.monumentsmen.com/

Siehe dazu außerdem den Beitrag auf filmportal.de

 

[1]      Robert M. Edsel u. Bred Witter: The Monuments Men. Allied Heroes, Nazi Thieves and the Greatest Treasure Hunt in History. London, New York 2009; dt.: Monuments Men. Auf der Jagd nach Hitlers Raubkunst. Residenz Verlag, St. Pölten u. Wien 2013.
[2]      http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/film/the-monuments-men-1.18247123. Letzter Aufruf: 25.202.2014.
[3]      http://www.theguardian.com/film/2014/feb/08/monuments-men-review-george-clooney-berlin. Letzter Aufruf: 25.02.2014.
[4]      Zitiert nach http://www.theguardian.com/artanddesign/2014/feb/11/george-clooney-bill-murray-matt-damon-elgin-marbles.
[5]      Vgl. Elazar Barkan/Ronald Bush (Hrsg.), Claiming the Stones, Naming the Bones. Cultural Property and the Negotiation of National and Ethnic Identity, Los Angeles 2002.
[6]      Elisabeth Gallas: „Das Leichenhaus der Bücher“. Kulturrestitution und jüdisches Geschichtsdenken nach 1945, Göttingen 2013.