von Robert Hoffmann

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14. Dezember 2018

Der Streit um Francos Grab

Am 20. November 1975 starb der spanische Diktator Francisco Franco. Damit endete nach 36 Jahren seine Herrschaft über Spanien, die er in Folge des von 1936 bis 1939 währenden Bürgerkrieges errichtet hatte. Es folgte die Transición, der Demokratisierungsprozess der spanischen Gesellschaft von der Diktatur, zur repräsentativen Demokratie unter dem König als Staatsoberhaupt. Franco fand seine vorerst „letzte Ruhe“ im Valle de los Caídos, dem Tal der Gefallenen, jener monumentalen Grabstätte in den Bergen nördlich von Madrid, die er ab 1940 von republikanischen Zwangsarbeiter_innen errichten ließ. Hier wurde er in einem Staatsbegräbnis in Anwesenheit zahlreicher ausländischer Würdenträger, darunter auch dem Vizepräsidenten der USA, Nelson Rockefeller, bestattet. Francos Grab lag direkt neben jenem des Gründers der Falange, der faschistischen Bewegung Spaniens, José Antonio Primo de Rivera, zu dessen Ehren Franco das Valle de los Caídos bauen ließ.

Seitdem im Juni 2018 Pedro Sánchez von der Partido Socialista Obrero Español (PSOE) Ministerpräsident geworden ist, soll es mit dieser Ruhe ein Ende haben. Gestützt auf die vom spanischen Abgeordnetenhaus im Oktober 2007 verabschiedete Ley de Memoria Histórica, dem „Gesetz der historischen Erinnerung“. Dieses Gesetz besagt unter anderem, dass das Valle de los Caídos den spanischen Faschisten nicht als Pilgerort dienen darf, wie dies für gewöhnlich an Francos Todestag, dem „20-N“ jährlich der Fall war. Nachdem explizite politische Aktionen vor Ort nun verboten waren, änderte sich bis auf vereinzelte Umbenennungen von Straßen- und Plätzenamen zunächst wenig. Im Sommer 2018 brachte die neue sozialdemokratische Regierung dann frischen Wind in die Aufarbeitung der Diktatur und beschloss Ende August die Exhumierung Francos. Beabsichtigt war, der Glorifizierung des Diktators entgegenzuwirken, den Ultrarechten einen Pilgerort zu nehmen und ein würdiges Erinnern sowie eine tiefgehende Aufarbeitung des Spanischen Bürgerkrieges und der Verbrechen des Franco-Regimes zu ermöglichen. Dabei stellt sich noch immer die Frage, wohin der Leichnam gebracht werden soll, und so ist die Exhumierung zu einem Politikum geworden, das in der spanischen Gesellschaft kontrovers diskutiert wird. Gegen den Vorschlag der Fundacion Nacional Francisco Franco und der Kinder des Diktators, ihn in das Familiengrab zu überführen, wurden schnell verschiedene Stimmen laut, denn dieses befindet sich in der Almudena-Kathedrale im Zentrum Madrids, unmittelbar gegenüber des königlichen Palastes. Nicht nur machten diverse zivilgesellschaftliche Gruppierungen gegen den Vorschlag mobil, die Regierung plant außerdem seither ein Gesetz gegen die „Verherrlichung der Diktatur“. Eine öffentliche Zurschaustellung Francos im Herzen der spanischen Hauptstadt und eine Mystifizierung des Diktators sollen damit verhindert werden. Noch bleibt abzuwarten, ob derlei Initiativen erfolgreich umgesetzt werden können oder durch rechte Kräfte zu scheitern drohen.

 

Die Parlamentswahl in Andalusien und das Erstarken der autoritären Rechten in Spanien

In Sachen Exhumierung Francos geht es um mehr als nur die Frage, wie und wo der „Caudillo“ bestattet sein soll. Es geht um den Kampf um die Deutungshoheit über die Vergangenheit und damit um einen tiefsitzenden gesellschaftlichen Konflikt, der in den vergangenen Jahren vor allem geschichtspolitisch ausgetragen wurde.
Dieser Konflikt verschärft sich gegenwärtig: Am 2. Dezember wurde in Andalusien, der bevölkerungsreichsten autonomen Gemeinschaft Spaniens, das Parlament gewählt. Andalusien galt stets als sozialistische Hochburg, in der seit Ende der Diktatur ausschließlich die PSOE die Regierung stellte. Während sie bei der letzten Wahl 2015 noch auf 47% der Stimmen kam, erfuhren die Sozialisten dieses Mal eine Niederlage. Lediglich 33% der Wähler_innen setzten ihr Kreuz bei der PSOE. Als klarer Gewinner ging die ultrarechte Partei Vox hervor, die auf dem politischen Parkett Spaniens zuvor stets ein Schattendasein fristete. Mit 11% der Stimmen wird sie nun erstmals in ein spanisches Parlament einziehen und hat zugleich Aussicht auf das Mitregieren. Denn der konservative Partido Popular (PP), der mit 26% der Stimmen bis Juni 2018 den Ministerpräsidenten Spaniens stellte, sprach bereits unmittelbar nach Verkünden des Wahlergebnisses euphorisch von einem historischen Wandel in Andalusien und kündigte an, gemeinsam mit der Mitte-Rechts-Partei Ciudadanos und der ultrarechten Vox die Regierung stellen zu wollen. Spätestens mit der Wahl in Andalusien endet der weitverbreitete Mythos, in Spanien gäbe es rechts von dem PP keine nennenswerten, gesellschaftlich relevanten Kräfte.

 

Was die Wahlen mit Franco zu tun haben

Das Programm der Vox, so die spanische Tageszeitung El País, zeichnet sich maßgeblich durch Populismus, Nationalismus und einen „exklusiven, identitären Diskurs“ aus. Ihre Politik ist ein großflächig angelegter Angriff auf die liberale Gesellschaft, die Spanien in den letzten Jahrzehnten geworden ist. Dabei bedient sie sich jener Feindbilder, die aus den Diskursen einer weltweit zu beobachtenden autoritären Wende bekannt sind. So überrascht es nicht, dass Marine Le Pen, Vorsitzende der französischen Front National, sogleich via Twitter ihren „Freunden der Vox“ gratulierte.[1] Zu diesen Feindbildern gehören beispielsweise ein angeblich gesellschaftlich hegemonialer linker Mainstream inklusive des sogenannten „Kulturmarxismus“, die Bedrohung nationaler, insbesondere christlicher Ordnung durch Geflüchtete und vor allem die LGTBIQ-Bewegung. Die Partei um den Vorsitzenden Santiago Abascal Conde ist für die Abschaffung kostenfreier Schwangerschaftsabbrüche und als „subversiv“ geltender feministischer Organisationen, für die Aufhebung der Ley de Violencia de Género (Gesetz der geschlechtsspezifischen Gewalt) und die Abschaffung der Autonomiestatuten. Zugleich will Vox als geschichtspolitische Akteurin auftreten und stellt besagtes Ley de Memoria Histórica wiederholt in den Fokus der Kritik. Sie würde gewählt, so Vox, damit sie solche „ideologischen Gesetze“ abschaffe.[2] Zudem diene dieses Gesetz dazu, die „Spanier zu spalten“[3], indem es alte Wunden wieder aufreiße. Mit derselben Argumentation wurde bereits während der Transición das Amnestiegesetz durchgebracht und eine Aufarbeitung des Bürgerkrieges und der Diktatur bis in die 2000er Jahre nahezu unmöglich gemacht. Dieses Narrativ findet sich auch wieder, wenn die Vox auf Franco angesprochen wird. Dieser sei eine „historische Person“, die sowohl von vielen Spanier_innen geliebt als auch gehasst werde. Dementsprechend solle man, so Abascal, sich „der Geschichte annehmen ohne den Hass wieder aufleben zu lassen“[4], was bedeutet, dass eine kritische Aufarbeitung der eigenen Geschichte nicht gewollt, sondern als Gefahr betrachtet wird. Dies hält Vox jedoch keinesfalls davon ab, mit ihrer eigenen Deutung der Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Nach dieser sei nicht der Militärputsch gegen die II. Republik in Zusammenarbeit mit der faschistischen Bewegung und der katholischen Kirche sowie mit tatkräftiger infrastruktureller und militärischer Unterstützung Hitler-Deutschlands und Franco-Italiens für den Ausbruch des Bürgerkrieges im Juli 1936 verantwortlich gewesen. Schuld trage vielmehr „eine Partei, die weiterhin existiert, mit den gleichen Anfangsbuchstaben: der Partido Socialista Obrero Español[5], also die Partei der regierenden Sozialdemokraten. Diese Deutung ist keinesfalls neu. Ihre Konsequenz ist, dass der Putsch der Militärs um Franco sowie die anschließend von ihnen im Bürgerkrieg verübten Verbrechen für legitim erklärt werden, das gilt auch für die Abschaffung der Republik und die Errichtung der nationalkatholischen Diktatur. Beides sei, so das revisionistische Narrativ, notwendig gewesen, um die Ordnung wiederherzustellen. Geschichtspolitik, so lässt sich der Standpunkt von Vox zusammenfassen, schadet also in erster Linie dann, wenn sie sich gegen die Deutung der Partei richtet, einer Deutung, in der es zum Franquismus offensichtlich keine Berührungsängste gibt. 
Der Erfolg von Vox ist somit nicht nur ein Angriff auf grundlegende Werte der spanischen Gesellschaft. Spanien gilt beispielsweise als eines der offensten Länder für Homosexuelle, zudem ist die Gleichberechtigung der Geschlechter ein Thema, das sehr populär ist und von den Städten und Kommunen stark unterstützt wird. Der Erfolg der Vox ist auch ein Angriff auf die zivilgesellschaftlichen Gruppen, die geschichtswissenschaftliche Forschung und jene politischen Kräfte, die die Aufarbeitung der Diktatur und des Spanischen Bürgerkrieges in den letzten Jahren vorangetrieben haben. Diese Errungenschaften könnten in den kommenden Jahren massiv gefährdet sein und eine ohnehin umstrittene und umkämpfte Geschichtskultur, in der erst seit wenigen Jahren die Auseinandersetzung mit langer Zeit tabuisierten Themen möglich ist, wieder von der Vergangenheit eingeholt werden, sollte sich der Erfolg der Ultrarechten fortsetzen.


[1] Le Pen, Marine: „Mes vives et chaleureuses félicitations à nos amis de @vox_es qui, ce soir en #Espagne, font un score très significatif pour un jeune et dynamique mouvement.“ auf Twitter vom 2. Dezember 2018, online (zuletzt abgerufen 13.12.2018).
[2] o. A.: Vox: „No seremos obstáculo para una alternativa a la corrupción del PSOE“, in: La Vanguardia vom 03. Dezember 2018, online (zuletzt abgerufen 13.12.2018).
[3] Carvajal, Álvaro: El programa electoral de Vox: desde eliminar las autonomías hasta expulsar a inmigrantes ilegales, in: El Mundo vom 3. Dezember 2018 (zuletzt abgerufen 13.12.2018).
[4] El Rastreador: „La guerra civil la provoó el PSOE“ o „EL feminismo que nos quiere oprimir“: las frases que definen a Santiago Abazalin: eldiario.es vom 3. Dezember 2018 (zuletzt abgerufen 13.12.2018).
[5] Ebd.

Außerdem zum Thema: Till Kössler, Spanien 1936 bis 1939. Projektionsfläche von politischen Hoffnungen und Ängsten, in: Zeitgeschichte-online, März 2014.