von Andreas Kötzing

  |  

8. Oktober 2019

Dreißig Jahre nach dem Mauerfall wird über das Ende der DDR, die Wiedervereinigung und deren Folgen für die Bevölkerung in Ost und West so stark gestritten wie selten zuvor. Das Jubiläumsjahr ist – anders noch als bei den Feierlichkeiten zum 20. und 25. Jahrestag der Friedlichen Revolution – eher von Nachdenklichkeit geprägt. Vor allem die gesellschaftlichen Umbrüche der 1990er Jahren und deren Auswirkungen bis in die Gegenwart werden intensiv diskutiert. Während sich in den Buchhandlungen neue Sachbücher stapeln, die sich mit den Erfahrungen der Wiedervereinigung, den hoffnungsvollen Erwartungen der ostdeutschen Bevölkerung und deren zum Teil bitteren Enttäuschungen beschäftigen, wirken die aktuellen Spielfilme zur DDR-Vergangenheit eher rückwärtsgewandt. Die Nachwendezeit klafft als Leerstelle in der ansonsten so geschichtsversessenen deutschen Film- und Fernsehlandschaft. Woran liegt das?

Um besser verstehen zu können, welche Bilder im filmischen Diskurs über die Wiedervereinigung fehlen, muss man sich zunächst die aktuellen Produktionen zur DDR-Geschichte genauer anschauen. Bereits seit Anfang September läuft „Und der Zukunft zugewandt“ in den deutschen Kinos. Alexandra Maria Lara spielt darin die junge Kommunistin Antonia, die nach traumatischen Erfahrungen in einem sowjetischen Strafgefangenenlanger Anfang der 1950er Jahren in die DDR kommt. Dort verbietet man ihr, über ihre Erlebnisse in der Sowjetunion zu sprechen. In der Hoffnung auf ein besseres Leben, insbesondere für ihre schwerkranke Tochter, die das sowjetische Lager ebenfalls überlebt hat, schweigt Antonia über ihre Vergangenheit und bleibt dem DDR-System verbunden – bis zum Mauerfall, der im Film als Rahmenhandlung dient: In einer zweiten Zeitebene sehen wir die gealterte Antonia, die – eher niedergeschlagen und enttäuscht – die Bilder der jubelnden Menschen auf den Straßen Berlins im Fernsehen sieht.

 

Ungewöhnliches Zeitbild

„Und der Zukunft zugewandt“ beleuchtet ein Zeitfenster, das in Spielfilmen über die DDR bislang kaum eine Rolle gespielt hat: die frühen Jahre nach der Staatsgründung, als noch viele Deutsche fasziniert waren von der Utopie eines sozialistischen Staates, der den Menschen eine bessere Zukunft versprach, frei von Faschismus, Ausbeutung und Unterdrückung. Im Gegensatz zur restaurativen Politik der Adenauer-Bundesrepublik erschien die DDR damals vielen Menschen durchaus als hoffnungsvolle Alternative. Regisseur Bernd Böhlich zeigt mit seinem Film eindringlich, dass diese Utopie von Beginn an auf tönernen Füßen stand. Am Ende scheitert der Film jedoch daran, verstehen zu wollen, warum Menschen in der DDR – trotz vieler negativer Erfahrungen – weiterhin an die Idee des Sozialismus glaubten. „Weil doch sonst alles umsonst gewesen wäre“, antwortet Antonia an einer Stelle des Films auf die Frage, warum sie das Land nicht gen Westen verlässt, wie zum Beispiel eine der anderen Frauen, mit denen sie gemeinsam im Lager inhaftiert war. Dabei wirkt ihr Durchhaltewillen eher aufgesetzt. Sie erhält vom Staat zwar eine komfortable Wohnung und kann einer neuen Arbeit nachgehen. Auch ihre Tochter wird gepflegt und darf schließlich wieder zur Schule.

In den frühen 1950er Jahren mag diese Form staatlicher Fürsorge noch ein plausibler Grund gewesen sein, warum Menschen wie Antonia ihren Glauben an den Sozialismus nicht verloren. Aber warum hält ihre Bindung bis zum Mauerfall? Oder sogar darüber hinaus? Die Handlung des Films bricht am Vorabend des 17. Juni 1953 ab. Wie Antonia auf den blutig beendeten Volksaufstand reagiert, erfährt man nicht. Auch nicht, wie sie den Mauerbau wahrnimmt oder die Niederschlagung des „Prager Frühlings“, die den Traum eines „Sozialismus mit menschlichen Antlitz“ endgültig zerstört. Ihr Idealismus bleibt im Film unverständlich, zumal sie selbst bereits desillusionierende Erfahrungen in der jungen DDR macht, mit der Stasi ebenso wie mit der Partei, die sie bevormundet und einschüchtert. Daher funktioniert „Und der Zukunft zugewandt“ zwar als Zeitbild der frühen 50er Jahre, aber eine Antwort auf die Frage, wie und warum sich viele Menschen in der DDR mit dem real existierenden Sozialismus arrangieren konnten, bietet der Film nicht.

 

Die Wendezeit als „Stasi-Event-Film“

Während sich „Und der Zukunft zugewandt“ zumindest einem bislang selten aufgegriffenen Thema der DDR-Geschichte widmet, schwimmt das TV-Drama „Wendezeit“ (Regie: Sven Bohse), das in der ARD am 2. Oktober als „Event“-Film zum Tag der Deutschen Einheit ausgestrahlt wurde, im mehr oder weniger seichten Fahrwasser altbekannter „Stasi“-Filme. Petra Schmidt-Schaller spielt darin eine Agentin des MfS, die als „Maulwurf“ bei der CIA in West-Berlin eingeschleust wird. Als der Herbst ’89 beginnt, droht sie enttarnt zu werden. In seinen besten Momenten funktioniert „Wendezeit“ als passabler Agenten-Thriller, der solide und spannend inszeniert ist. Dass Schmidt-Schaller ihre Gegner in James-Bond-Manier tötet oder sich eine offene Wunde am Bauch ohne Betäubung mit Nadel und Faden zunäht, kann man mit viel gutem Willen noch als gängige Genre-Konvention verbuchen. Doch spätestens mit dem Auftritt von Markus Wolf, dem langjährigen Chef der Stasi-Auslandsspionage, der die Agentin sogar höchstpersönlich anleitet, erstarrt der Film zum Klischee, zumal Wolf schon seit 1986 nicht mehr für das MfS tätig war.

Eine neue Perspektive auf den Geheimdienst und die DDR-Vergangenheit erschließt „Wendezeit“ ohnehin nicht, da insbesondere die Auslandspionage des MfS (natürlich geht es auch hier wieder um die „Rosenholz“-Dateien) schon oft in TV-Filmen oder Kinoproduktionen thematisiert worden ist. Interessant ist gleichwohl, dass die Stasi-Agentin im Verlauf der Handlung mehr und mehr zur Identifikationsfigur wird und man als Zuschauer geneigt ist, mit ihr mitzufiebern. Dass Stasi-Figuren Sympathieträger sein können, ist nicht neu. Zuletzt war dies nicht nur in „Gundermann“, sondern auch in der populären Agenten-Serie „Deutschland 83/86“ der Fall. „Wendezeit“ geht noch einen Schritt weiter, da Schmidt-Schallers Figur schon seit Jahren in der Bundesrepublik lebt, sich dort eine eigene Familie aufgebaut hat und die drohende Enttarnungen für sie zugleich mit dem Verlust ihrer neuen Identität einhergehen würde. Der Film verpasst allerdings die Chance, diesen persönlichen Zwiespalt weiter auszuleuchten, weil ihm die Genre-Aspekte am Ende wichtiger sind als die Zeichnung seiner Charaktere.

Dass im aktuellen filmischen Diskurs über die DDR nur wenig Innovatives zu finden ist, belegt auch „Zwischen uns die Mauer“ (Kinostart: 3. Oktober). Der Film von Regisseur Norbert Lechner erzählt eine Teenager-Liebesgeschichte: Anna aus der Bundesrepublik lernt bei einem Jugendaustausch in Ostberlin den etwa gleichaltrigen Philipp kennen. Die beiden verlieben sich ineinander, können sich jedoch nur selten sehen, weil Anna für das Tagesvisum nach Berlin die Zustimmung ihrer Eltern braucht. Sie sehen die Ost-West-Beziehung jedoch sehr skeptisch und verbieten ihrer Tochter den Kontakt. Als Anna trotzdem nach Berlin fährt, kommt sie bald mit der Staatsmacht der DDR in Konflikt.

 

Plakative Kontraste

Liebesdramen im Schatten der Mauer sind so alt wie die deutsche Teilung selbst. Von Helmut Käutners „Himmel ohne Sterne“ (1955) über Konrad Wolfs „Der geteilte Himmel“ (1964) und Margarethe von Trottas „Das Versprechen“ (1995) bis hin zu „Westwind“ (2011) von Robert Thalheim ist das Thema bereits diverse Male variiert worden. „Zwischen uns die Mauer“ gewinnt dem Sujet weder künstlerisch noch thematisch etwas Neues ab. Die beiden jungen Darsteller (Lea Freund und Tim Bülow) agieren zwar sehr sympathisch, doch ihre Beziehung allein kann die dramaturgischen Schwächen des Films nicht kaschieren. Damit es zwischendurch mal spannend wird, schneidet der Film viele Themen an, die man gemeinhin mit der DDR assoziiert: von der Stasi-Überwachung bis zu den Mauertoten. Wahrscheinlich braucht man diese Verweise, um den Film als didaktisches Begleitmaterial möglichst anschlussfähig zum Geschichtsunterricht zu machen und ihn entsprechend vielen Schulklassen zeigen zu können, damit die Jugendlichen von heute lernen, wie es damals „wirklich war“.

Für Differenzierungen bleibt kaum Platz, zum Beispiel als die Jugendgruppe aus dem Westen zum ersten Mal nach Ost-Berlin kommt und am Schaufenster eines Lebensmittelgeschäftes vorbeigeht. In der Auslage liegt eine einsame Mohrrübe neben einer Fischkonserve und einem verschrumpelten Sellerie. Ein Mädchen kommentiert das traurige Bild: „Ich freu mich auch schon wieder auf West-Berlin.“ Szenen wie diese wirken grotesk, da es in der DDR zwar bekanntermaßen eine Mangelwirtschaft mit diversen Versorgungsengpässen gab, aber trotzdem niemand hungern musste. Zumal in Ost-Berlin, wo die Regale schon aus Prestigegründen immer voller waren als im Rest der Republik. Generell wirkt das DDR-Bild in „Zwischen uns die Mauer“ eigenartig antiquiert: Die Identität der ostdeutschen Jugendlichen, die man im Film sieht, erschöpft sich darin, dass sie Wörter wie „urst“ verwenden und sich ansonsten nach dem Westen sehnen. Dass die Lebenswirklichkeit in den späten 80er Jahren, in denen der Film spielt, ganz anders aussah, ist kein Geheimnis. Unabhängige Jugendkulturen hatten auch in der DDR längst Einzug gehalten, westliche Einflüsse waren allgegenwärtig. Für viele Jugendliche war der Westen tatsächlich ein Sehnsuchtsort, für andere jedoch nicht. Sie dachten eher über Veränderungen im eigenen Land nach und fanden Anschluss an oppositionelle Gruppen, vor allem dann, wenn sie – wie Philipp im Film – persönliche Verbindungen zu den Kirchen hatten. Doch von all dem erfährt man in „Zwischen uns die Mauer“ wenig. Der Film braucht seinen plakativen Ost-West-Kontrast, damit die Liebesgeschichte zwischen Anna und Philipp ihre Dramatik entfalten kann.    

 

Historisierende Blicke

Die drei hier aufgeführten Spielfilme zeigen nicht nur, dass die gegenwärtigen Darstellungen der DDR-Geschichte im deutschen Kino und Fernsehen wenig Neues zu bieten haben. Sie unterstreichen auch, dass der filmische Diskurs den aktuellen gesellschaftlichen Debatten hinterherhinkt. Die Geschichten brechen im Umfeld des Mauerfalls beziehungsweise der Wiedervereinigung abrupt ab. Keiner der Filme wagt einen Blick über die Zäsur von 1989/90 hinaus. Den einzelnen Regisseuren kann man das nicht vorwerfen. Die Filmhandlungen folgen einer inneren Logik, in der die Wiedervereinigung zwangsläufig als Endpunkt der Erzählung erscheint. Zusammengenommen ergeben die Filme gleichwohl ein merkwürdiges Bild, weil sie den Eindruck vermitteln, dass die Zeit danach nicht mehr von Belang ist. Während in der Öffentlichkeit gerade intensiv über die Folgen der Wiedervereinigung debattiert wird, haben die Filme wenig dazu zu sagen. Die filmischen Reflexionen über die DDR verharren in einem historisierenden Blick, ohne direkten Bezug zur Gegenwart. Dabei wäre das Schicksal ihrer Figuren durchaus interessant für eine andere zeitliche Perspektive. Wie ist die Kommunistin Antonia nach 1990 mit ihrer DDR-Vergangenheit umgegangen, als die stalinistischen Verbrechen und die sowjetischen Lager kein Tabu-Thema mehr waren? Was mag aus der einstigen Doppel-Agentin der Stasi in den 90er Jahren geworden sein, nach der Öffnung der Akten und den skandalträchtigen Enttarnungen ehemaliger IM in Ost und West? Und wurde für Anna und Philipp nach dem Fall der Mauer wirklich alles gut, oder stand ihre Beziehung damit nicht erst vor einer noch viel größeren Herausforderung? Die Filme enden allesamt an einem Punkt, an dem es eigentlich erst anfängt, spannend zu werden. Diese Beobachtung beschränkt sich nicht nur auf die aktuellen DDR-Filme, auch in den vergangenen Jahren haben sich nur wenige Filme mit der Umbruchszeit nach 1990 beschäftigt. Angesichts der gravierenden gesellschaftlichen Veränderungen, die binnen kürzester Zeit vonstatten gingen, verwundert es, dass die Geschichten der Menschen, die davon betroffen waren, bis heute überwiegend brach liegen.

 

Fehlendes Interesse?

Nur einige Beispiele: 1994 arbeiteten im Osten weniger als 30 Prozent aller Beschäftigten noch in ihrem ursprünglichen Beruf, Millionen Menschen waren von Arbeitslosigkeit, ABM-Maßnahmen und Umschulungen betroffen. Aber einen ernsthaften Spielfilm über die Zerschlagung auch nur eines einzigen der zehntausenden volkseigenen Betriebe und deren Folgen für die Beschäftigten hat es bislang nicht gegeben. Allein über die Arbeit der Treuhand könnte man wohl ganze Serien im Stil von „Bad Banks“ drehen, egal ob als Wirtschaftskrimi oder als Polit-Drama. Oder die Geschichten der Menschen, die aus der DDR über Ungarn und Österreich in die Bundesrepublik kamen: Sie spielen in Filmen nur eine Rolle, wenn es um die spannungsgeladenen Elemente ihrer Flucht geht, aber für das neue Leben im Westen mit all den dazu gehörenden Schwierigkeiten interessierte sich bislang kaum ein Film.

Über die Gründe für diese Leerstellen könnte man lange streiten. Es scheint einerseits nicht leicht zu sein, die gesellschaftlichen Umbrüche in einer stimmigen Geschichte zu bündeln. Die Macher von „Weißensee“ haben dies zum Beispiel im vergangenen Jahr in der inzwischen vierten Staffel der vielfach ausgezeichneten Serie probiert. Die Handlung bleibt allerdings eher oberflächlich, die einzelnen Erzählstränge wirkten wie Vorgaben aus einem Themenkatalog, der nach und nach abgearbeitet wurde. Ein großer künstlerischer Wurf konnte so nicht gelingen. Andererseits scheint es bislang auch keinen großen Markt für Filme zu geben, die die Widersprüche der Nachwendezeit aufzeigen und kritische Fragen stellen, anstatt das Narrativ einer von Euphorie geprägten Wiedervereinigung zu wiederholen. Einen bemerkenswerten Film wie Andreas Goldsteins „Adam und Evelyn“ (2018), der einen eher melancholischen Blick auf das Ende der DDR und den Neuanfang seiner beider Hauptfiguren im Westen warf, wollten im Kino nur knapp 14.000 Zuschauer sehen. Selbst ein so renommierter Filmemacher wie Andreas Dresen erreichte mit dem Jugend-Wendedrama „Als wir träumten“ (2015) nur ein vergleichsweise kleines Publikum. Gemessen am immensen Erfolg der Romanvorlage von Clemens Meyer war die Verfilmung eher ein Flopp.

Beim Festival des historischen Films „Moving History“ in Potsdam konnte man zuletzt erleben, dass die Nachwende-Zeit zumindest in vielen Gegenwartsfilmen der 90er Jahren durchaus sehr kritisch reflektiert worden ist. Frühe Genre-Filme wie Dominik Grafs Thriller „Die Verflechtung“ (1994) aus der Morlock-Krimreihe mit Götz George oder Oskar Roehlers intensives Drama „Die Unberührbare“ (2000) warfen einen düsteren, wenig hoffnungsvollen Blick auf den Osten. Auffällig ist jedoch, dass vor allem die künstlerisch ambitionierten Filme trotz positiver Kritiken und vielen Auszeichnungen häufig kein großes Publikum begeistern konnten, wie zum Beispiel Andreas Kleinerts schwermütiger Neo-Noir-Film „Wege in die Nacht“ (1999), der seiner Zeit weit voraus war. Hilmar Thate spielt darin einen ehemaligen VEB-Direktor, der im wahrsten Sinne des Wortes vor den Trümmern seiner einstigen Existenz steht. Als selbsternannter Wachdienst patrouilliert er nachts durch die Berliner U-Bahn, um mit Hilfe von zwei Jugendlichen Nazis und anderen Gewalttäter zu jagen. Dabei verliert er jedoch zusehends die Kontrolle über sein eigenes Leben. Der Strudel aus Gewalt, Alkohol und Tristesse, der hier in expressionistischen Schwarz-Weiß-Bildern zu sehen ist, war mehr als nur das Porträt eines gescheiterten Mannes. Es war auch das Spiegelbild einer zerrissenen Übergangsgesellschaft, in der die Menschen angesichts der rasanten Veränderung keinen Halt mehr finden. So desillusionierend und verstörend hat davor und danach kein anderer deutscher Film mehr auf die Zeit nach 1990 geblickt.

 

Nichtverheilte Wunden

Dass es kritische Filme zur Nachwendezeit bis heute sehr schwer beim Publikum haben, liegt möglicherweise auch daran, dass dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer die Wunden der Teilung keineswegs verheilt sind. Der Blick zurück kann schmerzhaft sei, aber er scheint nötiger denn je. Die aktuelle Debatte darüber, was die DDR-Vergangenheit und die gesamtgesellschaftlichen Umbrüche der Nachwendezeit im Osten mit den gegenwärtigen Erosionen des demokratischen Systems zu tun haben, hinterlässt viele offene Fragen. Werden die individuellen Lebensleistungen der Menschen im Osten bis heute zu wenig gewürdigt? Oder gibt es andere Gründe dafür, dass sich viele Menschen bis heute als Bürger zweiter Klasse fühlen? Hat der schnelle Systemwechsel – den die meisten Menschen im Osten genauso wollten – am Ende viele überfordert? Welche Alternativen hätte es überhaupt gegeben?

Filme könnten in diese Debatte eingreifen, stärker vielleicht als alle anderen Medien, weil ihre Wirkmächtigkeit trotz sinkender Zuschauerzahlen im Kino noch immer immens hoch ist. Doch dazu bedarf es keiner didaktischen Geschichtsfilme über die DDR, die das Leben immer wieder unter dem Gesichtspunkt staatlicher Kontrolle betrachten. Die fast schon penetrante Stasi-Fokussierung vieler DDR-Filme ist längst zu einer redundanten und wenig erhellenden Erzählstrategie verkommen, in der die Lebenswirklichkeit der meisten Menschen in der DDR schlicht nicht vorkommt. Im vergangenen Jahr hat Andreas Dresen mit „Gundermann“ zwar durchaus gezeigt, dass man das Thema differenzierter angehen kann, aber besonders nachhaltig scheint dieser filmische Impuls bislang nicht gewesen zu sein. Es bräuchte mehr Filme, die den Erzählhorizont erweitern und gelebte Biographien über die Zäsur von 1989/90 hinaus in den Mittelpunkt rücken. Es bräuchte Filme, die sich trauen, die Entwicklungen in der Transformationsphase mit all ihren Chancen aufzuzeigen, ohne die Enttäuschungen zu verschweigen. Es bräuchte künstlerisch anspruchsvolle Filme, die persönliche Geschichten erzählen, in denen sich die Erfahrungen anderer Menschen spiegeln. Und es bräuchte Filme, die dies weder aus einer Opferperspektive heraus noch mit einer westlichen Belehrungsgeste tun. Dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer ist es dafür mehr als an der Zeit.