von Janine Funke

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7. Juli 2021

Seit dem Sommersemester 2020 wird rege darüber debattiert, wie die Lehre an deutschen Hochschulen nach der Pandemie aussehen könnte. Werden wir weiter an digitalen Lehr- und Prüfungsformaten festhalten? Die Antwort auf diese Frage muss vielleicht gar nicht so kontrovers sein, wie sie mitunter diskutiert wird. Die erzwungene digitale Lehre im vergangenen Jahr hat Möglichkeiten eröffnet, die es in dieser Dimension bisher nicht gab. Möglichkeiten, die in der Theorie schon einige Jahre diskutiert und in anderen Bildungskontexten schon längst gängige Praxis sind. Die deutsche Hochschullandschaft wird nicht zu einer kollektiven Fernuniversität diffundieren, wohl aber einem Veränderungsprozess unterliegen, der im besten Fall mehr Diversität und Inklusion zulässt, als es in vorpandemischen Zeiten der Fall war.

Für die Geschichtswissenschaft bieten digitale Lehrformate die Möglichkeit, das Fach stärker im digitalen Raum zu verankern und das Feld der digitalen Wissenschaftskommunikation als integralen Bestandteil des Studiums zu verstehen. Um Joachim Telgenbüscher, Ressortleiter Geschichte beim Verlag Gruner & Jahr, zu zitieren: „Geschichtsvermittlung ist eine Zukunftsbranche“. Und diese Zukunftsbranche wird zwangsläufig auch im digitalen Raum angesiedelt sein. Digitale Lehre kann als eine gute Möglichkeit fungieren, Kompetenzen der digitalen Geschichtsvermittlung in das Studium zu integrieren.

 

Was kann digitale Geschichtsvermittlung?

Im März 2021 startete das Projekt SocialMediaHistory der Juniorprofessur für Geschichtsdidaktik an der Universität Bochum und dem Arbeitsbereich Public History der Universität Hamburg. Ziel des Citizen-Science Projektes[1] ist es, „multiperspektivische und faktenbasierte Geschichtserzählungen und eine kritisch-reflexive Teilhabe an Geschichtsdiskursen in sozialen Medien zu ermöglichen und zu fördern“.[2] Das Projekt ist wichtig, denn Geschichtsvermittlung findet in den sozialen Medien schon längst statt. Ob Videos auf Youtube, Accounts auf Instagram, TikTok, Podcasts oder Computerspiele – längst dominiert nicht mehr nur die klassische Geschichts-Dokumentation die Vermittlung von historischem Wissen für eine breite Öffentlichkeit im digitalen Raum. Dabei sind es gerade in den sozialen Medien nicht nur ausgebildete Historiker:innen, die den Diskurs führen. Welche Auswirkungen dies beispielsweise auf die Nutzung immersiver Medien in der Geschichtsvermittlung haben kann, hat der Historiker Christian Bunnenberg in mehreren Publikationen herausgearbeitet.[3] Virtual Reality und 360 Grad-Filme haben demnach großen Eventcharakter, bergen aber die Gefahr emotionaler Überwältigung, die historisch-didaktisch begleitet werden müsse. Ähnliche Ergebnisse könnten auf Computerspiele, aber auch zu Video- und Bildinhalten festgehalten werden, die mitunter ohne ein durchdachtes Vermittlungsnarrativ im digitalen Raum verfügbar sind und historische Wahrnehmungen prägen.[4] Historiker:innen stärker in die Entstehung ebensolcher Formate einzubinden, könnte nicht nur die fachliche Tiefe der Inhalte, sondern auch die Vermittlungsform positiv beeinflussen. Dies erfordert allerdings ein stärkeres Engagement von Historiker:innen in den sozialen Medien und jüngeren Vermittlungsmöglichkeiten (Podcasts) jenseits der Feuilletons etablierter Zeitschriften oder gängiger digitaler Rezensionsportale. Kompetenzen zur Darstellung von Wissen im digitalen Raum sowie zur Erstellung digitaler Inhalte gehören nicht nur zum generellen Kompetenzrahmen, der beispielsweise durch die Europäische Union[5] oder Fachpublikationen[6] empfohlen wird, sondern könnten auch im Studium gezielt gefördert werden, so z.B durch die digitale Lehre.

 

Die Ausbildung von Kompetenzen digitaler Geschichtsvermittlung in der Lehre

Viele Ideen der Wissensaufbereitung und -vermittlung sind nicht neu. Konzepte wie Flipped Classroom oder Blended Learning sind Teil einer integrativen digitalen Lehre, die in verschiedenen Fachbereichen schon vor der Pandemie im Wechselspiel mit Präsenzlehre durchgeführt wurden. Flipped Classroom verlagert das Aneignen von Lerninhalten in das Selbststudium und nutzt die Präsenzveranstaltung für vertiefende Diskussionen und Anwendungsbeispiele. Blended Learning verlagert ebenfalls das Lernen ins Selbststudium und bietet flexible Möglichkeiten, digitale Lehre und Präsenzlehre miteinander zu verflechten. Grundessenz der Konzepte ist: Die interaktive Arbeit mit Lernplattformen, das selbstständige Erarbeiten von Thesen und Fragestellungen, die dann in den synchronen Lehrformaten diskutiert werden, fördern das selbstständige Lernen. Genauso ist das Referat als Möglichkeit, Kompetenzen zur Wissensvermittlung zu erlangen ein fester Bestandteil der Hochschullehre. Allerdings sind klassische Hochschulreferate nur bedingt geeignet, um historische Inhalte für eine Zielgruppe außerhalb der Wissenschaftscommunity aufzubereiten und Geschichte damit für eine größere Öffentlichkeit erfahrbar zu machen.

Das Möglichkeitsspektrum digitaler Lehrformate regt dazu an, gängige Formen der Wissensaufbereitung zu hinterfragen, da in der Lehre selbst die Vermittlung von Inhalten durch die Lehrenden über ebensolche Formate erprobt und in der Veranstaltung selbst evaluiert werden können. Zu nennen wären hier verschiedene digitale Interaktionsformen über Lehrveranstaltungsbegleitende Chats, Foren und Blogs, aber auch die Bereitstellung von digitalem Material wie Lernvideos und Podcasts, die gerade in die digitale Lehre stärker involviert werden.

Ferner können Studierende in der Lehre selbst Medienprodukte erstellen und die Vermittlung von Fachwissen jenseits des klassischen Vortrages erproben. Hierbei kann die Veranstaltung auch einen Fokus auf verschiedene Zielgruppen legen und gemeinsam die Wirkung der entstandenen Medienprodukte analysieren. Auch in einem Einführungsseminar zur Alten Geschichte kann durchaus ein Referat als Podcast oder Lernvideo eingereicht werden. Kriterien einer fundierten Quellen- und Literaturarbeit werden an diese Formate genauso angelegt, wie eine schlüssige Argumentation und Vermittlung der Inhalte. Gleichzeitig werden Kompetenzen digitaler Geschichtsvermittlung erprobt, welche mitunter eine höhere Relevanz für den Alltag haben als der klassische Vortrag. Dieser sollte natürlich nicht aus der Lehre verschwinden, allerdings zeigen Studien zu den beruflichen Tätigkeiten von ehemaligen Geschichtsstudierenden, dass die wenigsten ihren Arbeitsalltag mit der Erstellung von Fachvorträgen verbringen. Gleiches gilt für die Textproduktion. Die klassische Hausarbeit hat durchaus ihre Berechtigung, jedoch wäre es sicherlich ebenso sinnvoll als Seminarabschluss einen Essay- oder Magazintext, vielleicht sogar einen Blogbeitrag zu erstellen, der ein größeres Publikum als Zielgruppe hat.

 

Digitale Kompetenzen erhöhen die beruflichen Möglichkeiten von Absolvent:innen

Das Geschichtsstudium vermittelt zurecht das grundlegende Handwerkszeug einer Historiker:in. Doch zeigen Statistiken, dass die wenigsten Studierenden am Ende ihrer Ausbildung im Bereich der Forschung tätig sein werden. Das Handwerkszeug können die Absolvent:innen trotzdem aktiv nutzen. Denn es entwickeln sich viele mögliche Berufsfelder in den digitalen Raum hinein, von der Museumsarbeit bis hin zur Publizistik. Darüber hinaus wird auch die digitale Wissenschaftskommunikation ein immer zentraleres Tätigkeitsfeld für Wissenschaftlicher:innen – auch in der Geschichtswissenschaft. Darum könnte der stärkere Fokus auf die Vermittlung digitaler Kompetenzen im Bereich der Geschichtsvermittlung einen positiven Einfluss auf die Berufsperspektiven angehender Historiker:innen haben. Die Digitalisierung und die digitale Lehre sind eine Chance neue Berufsfelder für Historiker:innen zu erschließen, aber auch das Feld der digitalen Geschichtsvermittlung mit ausgebildeten Expert:innen zu besetzen. Viele Projekte im Bereich der Public History bewegen sich bereits in diese Richtung. Wünschenswert wäre jedoch auch ein intensiver Diskurs um die generelle Rolle von Fachexpert:innen in der Geschichtswissenschaft für die Vermittlung historischer Inhalte im digitalen Raum jenseits der (nicht zwangsläufig digital verfügbaren) Fachpublikation(en). 

 

Einige digitale Lehrprojekte in den Geschichtswissenschaften:

Ein virtueller Museumsbesuch begleitet durch Blogbeiträge von Studierenden

Stop-Motion Geschichtsfilm der Fachschaftsinitative Geschichte der HU Berlin

„Doing History“ Modul des Historischen Seminars der Universität Leipzigmit Blogbeiträgen der Studierenden

Studentische Beiträge auf dem Blog „Historischer Augenblick“ des Instituts für Geschichtsdidaktik und Publik History der Universität Tübingen


 

[1] Citizen Science Projekte ermöglichen es interessierten Akteuren außerhalb der Wissenschaft an wissenschaftlicher Projektarbeit auf unterschiedliche Weise zu partizipieren. Weitere Informationen zum Projekt SocialMediaHistory sind auf den Seiten des Geschichtsinstituts der Universität Hamburg.

[2] z.B. Bunnenberg, Christian: Virtual Time Travels? Public History and Virtual Reality, in: Public History Weekly 6 (2018) 3.

[3] Technologien, wie Virtual oder Augmented Reality,die es erlauben audiovisuelle Eindrücke zu produzieren und dabei die Umgebung auszublenden. 

[4] Zur Geschichte in Computerspielen sei die Publikation „Geschichte und Erinnerung in Computerspielen: Erinnerungskulturelle Wissenssysteme“ von Nico Nolden, Berlin 2019. 

[5] European Digital Comptence Framework.

[6] Eichhorn, Michael. 2019. „Fit für Die Digitale Hochschule? Modellierung Und Erfassung Digitaler Kompetenzen Von Hochschullehrenden“. MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie Und Praxis Der Medienbildung 36 (Teilhabe):63-80.