von Luca Schuldt

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6. Januar 2023

Heavy Braut, Asphalt Lady, Teufelsbraut und Lady Rock – so lauten Titel einiger Heavy Metal Bands der DDR.[1] Von jungen Frauen, die durch einen Konzertbesuch aus dem starren Arbeits- und Familienalltag ausbrechen, über besessene Motorradfahrerinnen bis hin zu durchtriebenen femme fatales thematisierten Musikgruppen wie Plattform, Hardholz, Feuerstein und Cobra ab Mitte der 1980er-Jahre das weibliche Geschlecht.[2] Lassen die in diesen Songs dargestellten Formen von Weiblichkeit auf die Emanzipation von Frauen in der sozialistischen Gesellschaft schließen? Und bot die von der Einheitspartei propagierte Gleichberechtigung Frauen in der DDR begünstigte Teilhabemöglichkeiten an einer Musikszene, die im „Westen“ traditionell männlich dominiert wurde?

 

Öffnungsmechanismen durch die SED-Politik

Um diesen Fragen nachzugehen, führte ich im Rahmen meiner Bachelorthesis Ende 2020 bis Anfang 2021 eine qualitative Interviewstudie mit vier Musikerinnen aus Hard-Rock und Heavy Metal Bands der DDR durch. Diese förderte einige sozial- und familienpolitische Öffnungsmechanismen für Frauen in der DDR zu Tage. Die kaum real umgesetzte, jedoch verfassungsmäßig seit 1949 festgeschriebene Gleichberechtigung der Geschlechter ermöglichte beispielsweise Partizipationschancen für Musikerinnen. Im Jahr 1984 wurde in einer Lokalzeitung, wenige Tage vor einem Konzertabend, ein Leserinnenbrief abgedruckt. Darin bemängeln die vier Verfasserinnen das vermutlich ausschließlich männliche Line-Up des Konzerts und setzen sich für die Auftrittsmöglichkeit der komplett weiblich zusammengesetzten Band einer meiner Interviewpartnerinnen ein:

»Wäre diese Veranstaltung nicht eine geeignete Gelegenheit, diesen fünf Mädchen die Chance zu geben, auch einmal vor eigenem Publikum spielen zu dürfen? Wir denken dabei auch ein bißchen mit an die Gleichberechtigung.«[3]

Die Zuschrift resultierte tatsächlich im Auftritt der Band an besagtem Abend. Aus dieser Episode wird deutlich, dass Frauen die Gleichberechtigung zumindest teilweise erfolgreich einklagten. Einen weiteren von mir festgestellten Öffnungsmechanismus bildete die Einbeziehung der Frauen in den Erwerbsprozess. Übereinstimmend berichteten mir meine Interviewpartnerinnen, dass ihre aktive Teilhabe an der männlich dominierten Heavy Metal Szene für sie selbstverständlich war. Dies begründeten sie damit, dass auch viele andere Berufszweige in Industrie und Handwerk, die vormals als Männerbastionen galten, mittlerweile für Frauen geöffnet wurden.[4] Und auch die Familienpolitik der DDR erleichterte mitunter die Teilhabechancen von Frauen in der Szene. Eine der von mir interviewten Sängerinnen baute ihre Musikerinnenkarriere nach der Geburt ihres Kindes und der Trennung vom Kindesvater weiter aus. Neben der Hilfe durch ihre (Groß-)Eltern, profitierte sie auch von der gut ausgebauten staatlichen Kinderbetreuungsstruktur und dem Anrecht auf Unterhaltszahlungen ihres Ex-Partners.

 

„Exotinnen“ innerhalb der Szene?

Mit Blick auf die Zusammensetzungen der Heavy Metal Bands der DDR wird jedoch schnell deutlich, dass es trotz der genannten Öffnungsmechanismen nur vereinzelt zu Partizipation von Musikerinnen an der Szene kam. In gemischtgeschlechtlich zusammengesetzten Bands blieb Frauen ausschließlich die Rolle der Sängerin, während die Instrumente durchgehend von Männern gespielt wurden.

Die von mir geführten Interviews offenbarten einen strukturellen Exotismus der Musikerinnen innerhalb der Szene. In Anlehnung an Simone de Beauvoir verstehe ich unter Exotismus einen Prozess der Abspaltung des Männlichen vom Weiblichen, wobei das Männliche stets als das Normale und das Weibliche als das Andere, Anormale betrachtet wird. Diese Unterscheidung, welche für die Struktur moderner Geschlechterverhältnisse kennzeichnend ist, ist immer auch ein Unterwerfungs- und Objektivierungsprozess, nach welchem die Frau als grundsätzlich defizitär im Vergleich zum Mann angesehen wird.[5] Das bekamen die Musikerinnen in den 1980er-Jahren auf mehreren Ebenen zu spüren. So hatten zwei der von mir interviewten Frauen das Gefühl, vom Publikum vor allem aufgrund ihres Erscheinungsbildes als ihrer musikalischen Virtuosität bewertet zu werden, wie dieses Zitat einer ehemaligen Bassistin verdeutlicht:

»Es kam pures Testosteron von unten hoch. […] Ich glaube, da […] hätten wir auch spielen können, was wir wollen. Das ist auch so ein Punkt, wo man denkt: Mann, du gibst dir hier Mühe, du spielst dir die fünf Finger wund und die: *imitiert Untote*.«[6]

Es blieb jedoch nicht nur bei fehlender Anerkennung für den künstlerischen Ausdruck, sondern kam teilweise auch zu physischer Bedrohung. Eine ehemalige Sängerin berichtet davon, dass das übergriffige Verhalten vieler männlicher Fans ihre Performance beeinträchtigte, denn

»[…] die wollten dich immer anfassen, ne? […] Zu den Hochzeiten war es so, dass ich gar nicht mehr an den Rand gehen konnte, wenn die Bühne nicht hoch genug war, weil dich immer alle mit den Händen anfassen und dich runterziehen wollten und natürlich dich dann überall anfassen wollten.«[7]

Auf diese Entwicklung reagierte die Managerin der Band mit der Einstellung eines Personenschützers, welcher die Männer vom Bühnenrand fernhielt. Nachdem die Vokalistin ihre Mitmusiker bereits gebeten hatte, die überwiegend männlichen Fans nicht mehr in die Garderobe zu lassen, bezeichneten ihre Kollegen sie in der Folge als »Diva«, welche »Starallüren« entwickle und die Verbindung zu den Fans untergrabe.[8] Dadurch fand sich die Sängerin zunehmend in einer isolierten Position innerhalb ihrer Band wieder und wurde schließlich darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie die Gruppe verlassen müsse, da sie »mit einem Mann weitermachen« wollten.[9]

Viele Bands in der DDR waren auf Manager:innen angewiesen, die ihnen neben der Vermittlung von Konzerten auch Startkapital für die Anschaffung ihres Equipments zur Verfügung stellten. Dadurch entstanden Abhängigkeitsverhältnisse, die die Musikerinnen teils stärker oder zumindest auf andere Art trafen als ihre männlichen Kollegen. Der Manager der komplett weiblich besetzten Band zweier von mir interviewten Frauen gab den Musikerinnen teilweise Spitznamen wie »Pfannkuchen« oder »Kastenbrot«, um sie zum Abnehmen zu drängen und Konkurrenz unter ihnen zu schüren.[10] Außerdem verhängte er ein Kontaktverbot zum Publikum, welches er mit paternalistisch-infantilisierenden Gesten durchsetzte, wie sich die von mir interviewte Bassistin erinnert:

»Ich weiß noch, wie ich einmal an den Tresen gegangen bin, weil ich was zu Trinken haben wollte und ich wirklich am Kragen wieder auf die Bühne transportiert wurde.«[11]

Nicht selten mussten die Frauen zwei oder sogar drei Auftritte pro Tag absolvieren und wurden für jeden Tag ohne Auftritt von der Sozialversicherung abgemeldet. Die beiden Musikerinnen berichteten zudem davon, dass ihr Manager sie »alle sehr auf sexy getrimmt«[12] habe und sie aufforderte »mehr mit dem Arsch [zu] wackeln«.[13] Besonders vielsagend für das Bild, welches der Agent von den Frauen hatte, sind die musikfernen Angebote, welche er ihnen wiederholt unterbreitete:

»Und dann wurde also des Öfteren von dem ungarischen Manager an uns Mädchen, also aus der Frauenband, halt angetragen, dass wir als Hostessen auf der Leipziger Messe arbeiten sollten und den westdeutschen Geschäftsmännern da einen schönen Abend machen sollten.«[14]

Der Manager, so wird hier deutlich, sah die Frauen weniger als Musikerinnen, denn als zu vermarktende Produkte an. Der „Wert“ der Frauen lag in ihrem Geschlecht oder vielmehr ihrem Körper, welcher sexuell ausgebeutet werden sollte.

Meine Forschung zeigt, dass auch die Heavy Metal Szene der DDR in den wenigen Jahren ihrer Existenz männlich dominiert blieb. Wie auch im „Westen“ waren Funktionäre, Musiker und Fans überwiegend Männer, welche die Szene in abgesteckten Grenzen und unter Vorgabe gewisser Regeln für Frauen öffneten – jedoch ebenso schnell auch wieder schlossen. Qua Geschlecht wurde den Musikerinnen ein untergeordneter Status als „Exotinnen“ innerhalb der Szene zuteil, welcher unter anderem mit aktiv betriebener sozialer Isolation und sexueller wie wirtschaftlicher Ausbeutung einherging. Das Beispiel der DDR verdeutlicht, dass im Staatssozialismus, auch trotz der (verfassungsrechtlich) propagierten Gleichberechtigung, nicht automatisch eine Abkehr von patriarchalen Strukturen erfolgte und dass ebendiese Strukturen sich auch in geschlechtsspezifischen Partizipations- und Machtverhältnissen in subkulturellen Sphären niederschlugen.

 


[1] Zitat in Überschrift: Auszug aus dem Refrain des Titels „Asphalt Lady“ von Hardholz.
[2] Für einen Überblick über die Eigenheiten der Heavy Metal Szene der DDR: Okunew, Nikolai (2021): Red Metal. Die Heavy-Metal-Subkultur der DDR. Berlin: Christoph Links Verlag. und Zaddach, Wolf-Georg (2018): Heavy Metal in der DDR. Szene, Akteure, Praktiken. Bielefeld: transcript Verlag.
[3] Auszug eines Zeitungsausschnitts aus dem Privatbesitz der von mir interviewten Bassistin Silke (Name anonymisiert).
[4] Siehe hierzu auch: Kaminsky, Anna (2016): Frauen in der DDR. Berlin: Christoph Links Verlag.
[5] Vgl. Beauvoir, Simone de (1949/1991): Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
[6] Interview Bassistin Silke (Name anonymisiert) am 24.01.2022, Zit. nach Schuldt (2022): Frauen im Heavy Metal der DDR. Partizipationschancen von Musikerinnen in einer männlich dominierten Szene. Unveröffentlichte Bachelorarbeit der Bauhaus-Universität Weimar.
[7] Interview Sängerin Doreen (Name anonymisiert) am 07.01.2022, Zit. nach Schuldt (2022).
[8] ebd.
[9] ebd.
[10] Interview Bassistin Silke, Zit. nach Schuldt (2022).
[11] ebd.
[12] Interview Sängerin Annett (Name anonymisiert) am 09.12.2021, Zit. nach Schuldt (2022).
[13] Interview Bassistin Silke, Zit. nach Schuldt (2022).
[14] Interview Sängerin Annett, Zit. nach Schuldt (2022).