von Tom Koltermann

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17. Februar 2023

„Catch Me If You Can“ war einer meiner ersten Steven Spielberg-Filme. Der brandneue DVD-Player brauchte damals dringend Futter. Mein jugendliches Ich war vom 60er-Jahre-Stil des Films (besonders im elegante Vorspann) tief beeindruckt. Schließlich gab es damals noch nicht die unzähligen Serien im Retro-Look, die heute auf jedem Streaming-Dienst zu finden sind.

Auch heute noch bietet „Catch Me If You Can“ aus mehrerlei Hinsicht durchaus Grund zur Freude: Der deutsche Verleihtitel ist schlicht der englische Originaltitel, es gibt keine hinzugefügte deutschsprachige Unterzeile. Fragwürdige Kreationen wie „Hot Fuzz. Zwei abgewichste Profis“ oder „Hi-Hi-Hilfe!“ (der Beatles-Film „Help“ von 1965) bleiben hier aus. Zudem ist der von den Künstler*innen Florence Daygas und Olivier Kuntzel traditionell animierte Vorspann weiterhin fantastisch anzusehen.[1] Und eventuell noch etwas wichtiger: Der Film ist charmante, wenn auch überlange Unterhaltung, wie sie geradezu exemplarisch für das Kino von Spielberg steht.

Der Film aus dem Jahr 2002 schildert mehrere Episoden aus der kriminellen Biographie des realen Hochstaplers Frank W. Abagnale Jr. und der daraus folgenden Jagd auf ihn durch den FBI-Agenten Carl Hanratty (Tom Hanks). Bei Spielberg ist der anfangs noch minderjährige Abagnale (Leonardo DiCaprio) kein amoralischer Soziopath, sondern primär durch das Auseinanderbrechen der Ehe seiner Eltern motiviert. Der Film behandelt damit zwei der Lebensthemen Spielbergs: Scheidung und zerrüttete Familien. Dies zieht sich unter anderem durch „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ (1977), „E.T.“ (1982) und den zudem autobiographisch inspirierten „The Fabelmans“ (2023). Spielbergs Eltern hatten sich zu einem ähnlichen Zeitpunkt scheiden lassen wie die von Abagnale im Film. Dieses autobiographische Element in Spielbergs Filmen ist kein Hirngespinst interpretationsfreudiger Filmfans, sondern durch eigene Interview-Aussagen des Regisseurs noch jedem, der es hören wollte, eingehämmert worden. Typisch für Spielberg hat Abagnale im Film also stets die Hoffnung, seine Eltern könnten wieder zueinander finden. Der Protagonist gerät vor allem deswegen immer weiter auf die schiefe Bahn, weil er den sozialen Abstieg des Vaters durch eigene Betrügereien rückgängig machen möchte. Diese relativ simple Psychologisierung hat mich als Kind voll überzeugt, nimmt aber aus meiner heutigen Perspektive viel zu viel Raum ein und lässt den Film ziemlich altbacken wirken. Offensichtliche Vorbilder wie Hitchcocks „Der Unsichtbare Dritte“ (von 1959!) erscheinen im Vergleich geradezu rauschhaft. Spielberg möchte die 1960er-Jahre nostalgisch als unbeschwerte Zeit zeigen, aber bremst sich mit seinem engen narrativen Korsett selbst aus. Das ist schade, denn insbesondere die Szenen der angedeuteten Ausschweifung, in denen Frank sich respektlos als Vertretungslehrer, Pilot oder Arzt ausgibt, machen am meisten Spaß. Die offenbar größtenteils frei erfundene Buchvorlage für den Film vom echten Frank Abagnale und Stan Redding hätte zweifellos mehr hergegeben.[2]

Heute eher ärgerlich ist, dass sich der Film zwar sehr für Väter und ihre Kinder interessiert, aber über seine Protagonistinnen nichts oder nur Klischeehaftes zu erzählen hat. Franks Mutter scheint vor allem an einem hohen Lebensstandard interessiert, den Vater und Sohn Abagnale am Ende vergeblich versuchen, ihr durch selbstbewusste Betrügereien zu garantieren. Brenda, Franks sehr naive Verlobte, verrät ihn ans FBI. Zudem ist die einzige Einzelperson, die Frank in dem Film finanziell schädigt, eine Sexarbeiterin.

 

 

„Catch Me If You Can“ bewegt sich gerade zum Ende hin immer weiter ins Sentimentale. Am Schluss muss Frank zwar den Tod seines Vaters verkraften, aber für ihn tut sich die Möglichkeit einer engen Zusammenarbeit mit dem ebenfalls von Frau und Kind getrennten Carl Hanratty auf. Mehr oder weniger geläutert ist Abagnale nun für die Aufklärung von Scheckbetrügen zuständig. Jäger und Gejagter sind zudem lebenslang Freunde beziehungsweise eine Ersatzfamilie geblieben, kann man im Abspann lernen. Dazu spare ich mir allerdings einen Kommentar, denn genau so langweilig wie dieses Filmende ist die Kritik an einem Happy End. Am Ende ist es für mich ein typisches Spielberg-Erlebnis: Vieles nervt, aber der Film ist handwerklich so beeindruckend inszeniert, dass man sich ihm nicht gänzlich entziehen kann. Trotzdem bleibt die Frage, was „Catch Me If You Can“ für ein grell funkelnder Film hätte sein können, wenn Spielberg die Geschichte eines Hochstaplers und notorischen Lügners nicht mit der Vermittlung kleinbürgerlicher Werte überladen hätte.

 


[1] Den Vorspann kann man sich auf YouTube ansehen.

[2] Zu den Kontroversen um den Inhalt siehe etwa Bob Baker, The truth? Just try to catch it if you can, in: LA Times, 28.12.2002, [zuletzt abgerufen am 17. Februar 2023].