Jurassic Park löste den Dinosaurier-Boom nicht aus – dieser war längst da. Zwar berichteten deutsche Kino- und Kultur-Magazine im Sommer 1993 Monate vor dem Deutschland-Start des Blockbusters über den Film, allerdings häufig mit dem Verweis, Regisseur Spielberg habe die „Dino-Mania“[1] (nur) verstärkt: Dino-Ausstellungen und Dino-Themenparks waren nach Premiere und Ankündigung erst recht überlaufen,[2] Dino-Clubs gründeten sich und Dino-Zeitungen fanden reißenden Absatz.[3] Dinos waren im Sommer 1993 überall und selbst die Deutsche Telekom warb mit den Urzeitechsen. Der Erfolg von Jurassic-Park-Produkten wie Brotbüchsen und Action-Figuren veranlasste die deutsche Kulturkritik gar dazu, dem Publikum Lizenz-Geschäfte und den Begriff „Merchandise“ zu erläutern.[4]
Ich war zu dieser Zeit sechs Jahre alt und zweifellos von dieser Welle erfasst. Dunkel erinnere ich mich daran, den Film aufgrund der Altersbeschränkung lange nicht sehen gedurft zu haben. Klarer wird der Eindruck, wenn ich an die VHS denke, die ich irgendwann in den 1990er-Jahren besaß. Normalerweise kaufte ich in der Videothek gebrauchte Kassetten. Diese waren günstiger und wurden in den circa 25 cm hohen Ausstellungshüllen vertrieben, während bespielte Neukassetten in nur circa 20cm hohen Boxen daherkamen. Von Jurassic Park hatte ich lange diese teurere (ästhetisch allerdings weniger ansprechende) Premium-VHS, die ich mir oft angeguckt haben muss. Um es kurz zu machen: ich kannte den Film auswendig. Heute tendiere ich dazu, den üblichen Kritiken zuzustimmen: die Charaktere sind zwar sympathisch, aber letztlich ebenso flach wie die konfuse Wissenschaftskritik und die bereits in der Story angelegte Möglichkeit, Merchandise in der echten Welt zu verkaufen, war auch schon 1993 ziemlich dreist.
Es gibt allerdings drei Gründe, warum ich den Film mittlerweile alle paar Jahre wieder anschmeiße. Da sind zunächst die Effekte. Diese beeindrucken weiterhin und sind nicht nur Ausdruck technologischen Fortschritts, sondern auch von Kreativität und Mut. Als der T-Rex das erste Mal zu sehen ist, werden etwa auf imponierende, weil kaum bemerkbare Weise computer-generierte Bilder mit Aufnahmen des animatronischen Monsters gemischt – einmal sogar in derselben Einstellung. Ziemlich sehenswert ist, auch weil Maestro Spielberg nie Audiokommentare zu seinen Filmen aufnimmt, die vor kurzem erschiene Dokumentation Jurassic Punk, die von den Kämpfen berichtet, die hinter den Kulissen zwischen den verschiedenen Generationen von Special-Effects-Künstlern ausgefochten wurden.[5]
Der zweite Grund, warum Jurassic Park weiterhin sehenswert ist, ergibt sich weniger aus der Qualität des Films selbst, sondern aus seiner Aussagekraft als Quelle für die populäre Kultur der 1990er-Jahre. Die bereits angesprochene Fortschrittskritik drückt sich im Versagen der Computer-Systeme aus, die von der chaotischen (menschlichen) Natur überwältigt werden. Planwirtschaft, so der populäre Konsens der 1990er, wird Individualismus immer unterlegen sein. Mit dem Blick eines Historikers fällt außerdem der Computer-Spezialist John Arnold (Samuel L. Jackson) auf. Der einzige Schwarze Charakter steht dabei nicht für einen kritikwürdigen Tokenism, sondern auch für den in den 1990er-Jahren neuen Figurentypus des betont vertrauenswürdigen und hochkompetenten, afro-amerikanischen Kollegen der meist weißen Heldenfigur. Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit sind selbstredend hier weniger bemerkenswert als das auffällige Verschwinden jedweder Thematisierung von race in Mainstream-Thrillern der Zeit.[6] Am Ende der Geschichte – so die Imagination der Mehrheitsgesellschaft – war Rassismus höchstens noch in der Vergangenheit oder im Deep South zu finden. Ebenfalls typisch für die 1990er ist das Fehlen eines Antagonisten als Vertreter eines konkurrierenden Ordnungssystems. Verräter Nedry (Wayne Knight, ein Highlight) arbeitet nicht für die Sowjetunion, Japan oder China, sondern für Geld. Dino-Vater John Hammond (Richard Attenborough) hat den Jurassic Park zwar aus eher idealistischen Motiven auf die Beine gestellt, aber auch er ist letztlich vom Geld seiner Investoren abhängig. Diese Investoren sind im Film zwar nur durch einen Anwalt vertreten, aber letztlich die treibende Kraft für den gesamten Plot, denn sie bringen die Protagonist*innen auf die Insel. Auf dieser Ebene konkurrieren im Film also schlicht zwei Unternehmen miteinander.
Der dritte und letzte Grund, warum ich den Film in unregelmäßigen Abständen gern gucke, ist eher autobiografisch. Eine Szene im Film verwirrte mich nämlich lange Zeit: Beim Landeanflug in den Jurassic Park hat der Protagonist Alan Grant (Sam Neil) Probleme sich anzuschnallen, da er zu beiden Seiten einen Sicherheitsgurt mit Gurtschloss als Endstück hat, aber keine Schlosszunge. Er löst das Problem letztlich, in dem er die beiden Gurte miteinander verknotet. Warum ist diese Szene im Film? Lange war meine Vermutung, hier gäbe es ein Set-Up ohne Pay-Off, weil eine Szene dem Schnitt zum Opfer fiel. Nun hätte Spielberg dann aber gleich beides schneiden können und außerdem tut sich Grant im Verlauf der Geschichte nicht gerade als pragmatischer Problem-Löser hervor. Die Deutung, es könnte sich hier um die Ankündigung eines zentralen Plot Points handeln, löst in der Regel zwar zunächst Befremden aus, aber reiht sich in die oft übersehenen pop-feministischen Sujets des Films ein. Als Belege wären die Umstände zu nennen, dass die Dinosaurier (zunächst) weiblich, alle ihre menschlichen Opfer jedoch Männer sind. Weiterhin ist es Ellie Sattler (Laura Dern), die in Action-Szenen spielt, während ihr Kollege Grant lernt, die Kinder zu hüten und Ian Malcolm (Jeff Goldblum) die meiste Zeit verletzt – und nur leicht bekleidet – rumliegt. In einer Szene wird dieser Subtext sogar expliziter Text, wenn Sattler verkündet: „Woman inherits the Earth“.
Und die Gurte? Nun, bekanntermaßen entwickeln die weiblichen Dinos in einer eigentlich gleichgeschlechtlichen Umgebung die Fähigkeit sich fortzupflanzen. „Das Leben findet einen Weg“, wie auch Grant – ohne „männlichen Stecker“, jedoch mit zwei Steckschnallen – ans Ziel zu kommen vermochte.[7] Das ist freilich alles nicht besonders tiefsinnig und im Internet ist diese Interpretation mittlerweile leicht zu finden. Der Subtext ist jedoch immerhin clever – für mich bis zur Aufnahme des Geschichtsstudiums zu clever – und eine Erinnerung an die Notwendigkeit, auch Werke wie Hollywood-Blockbuster mit wachem Auge zu konsumieren und sie nicht nur deswegen zu ignorieren, weil die deutsche Kino-Kritik sich an mit Dinosauriern bedruckten Brotbüchsen störte.
[1] Lidschreiber, Petra: Die Dinosaurier kehren zurück (Tagesthemen). NDR, 10.06.1993.
[2] Theek, Julia: Dinosaurier. Berlin im Dino-Fieber (Ticket, 044). SFB, 19.08.1993.
[3] Stewens, Simone: Kinotipp "Jurassic" Park (Bayer Live. Die Abendschau). BR, 15.07.1993.
[4] Kotra, Judith; Stiehl, Monika: Dinosaurier-Kommerz (Freizeit). BR, 21.10.1993, Stewens (vgl. Anmerkung 3).
[5] Leberecht, Scott (2022): Jurassic Punk. USA.
[6] Samuel L. Jackson spielt einen vergleichbaren Part in Patriot Games (1992). Die Liste weiterer und ganz ähnlicher Figuren in Action-Filmen der Zeit ist dabei sehr lange. Man denke etwa an Forest Whitaker in Blown Away (1994), Robert Gossett in Arlington Road (1999) oder Laurence Fishburne in Matrix (1999).
[7] Ausführlich und hellsichtig zur gesamten Thematik Braun, Maxi (2019): “Pull up the dinosaurs’ skirts”. Geschlechterbilder in Jurassic Park (1993) und Jurassic World (2015). In: Werkstatt Geschichte (79), S. 81–92, Anmerkung 29 [zuletzt abgerufen am 17. Februar 2023].