von Janaina Ferreira dos Santos

  |  

16. Februar 2023

Als ich einen Text über den Film "The Color Purple" (1985, dt. "Die Farbe Lila") zu schreiben begann, musste ich mir zunächst meine eigene Beziehung zu diesem Film vor Augen führen. Die literarische Vorlage, Alice Walkers gleichnamiger Briefroman aus dem Jahr 1982, war Pflichtlektüre als ich in den 2000er Jahren in Brasilien zur Schule ging. Das Buch war zwar auch in Deutschland erfolgreich, seine Bedeutung in postkolonialen Gesellschaften geht darüber aber noch weit hinaus. Film und Buch folgen über mehrere Jahrzehnte der Geschichte von Celie (im Film gespielt von Whoopi Goldberg), einer jungen schwarzen Frau im ländlichen Georgia. Celie wird bereits als Kind von ihrem Vater vergewaltigt, später lebt sie in einer Zwangsehe mit „Mister“, einem ebenfalls gewalttätigen älteren Mann (Danny Glover), knüpft Freundschaften zu anderen Frauen (unter anderem Sofia, gespielt von Oprah Winfrey in ihrer ersten Filmrolle), verliebt sich in Shug Avery (Margaret Avery), ausgerechnet eine frühere Affäre ihres Ehemannes. Sie schöpft aus diesen Beziehungen die Kraft, Mister endlich zu verlassen und findet schließlich sogar ihre totgeglaubte Schwester wieder.

Walkers "Color Purple" ist eine Geschichte über Sisterhood, Widerstand, Selbstbestimmung und über die Entdeckung der Sexualität von Frauen der schwarzen Diaspora. Spielbergs Verfilmung ist ein Hollywoodfilm, der auf dem Weg zu kommerziellem Erfolg und durchaus auch zu kritischer Anerkennung vielem davon jedoch nicht gerecht wird. So endet der hart erkämpfte Ausbruch Celies aus der häuslichen Gewalt im Film einem allzu gradlinigem, sentimentalen Happy End. Die lesbische Beziehung mit Shug wird zur innigen, allerdings platonischen Freundschaft. Der dominante Mister wird durch Momente des Comic Reliefs und in der sympathischen Verkörperung durch Glover seines Schreckens beraubt. Walker schrieb ein zweifellos feministisches Buch, Spielbergs Film war bestenfalls noch einer über Frauen, aber kein feministischer. Lohnt es angesichts dessen, den Film zu sehen, über ihn zu sprechen und zu schreiben? Oder schließe ich hier mit der Empfehlung, besser das Buch zu lesen?

Die Gründe, die auch nach fast 40 Jahren für eine Auseinandersetzung mit der Verfilmung sprechen, liegen weniger in der besonderen Qualität des Films als vielmehr in der bewegten und aufschlussreichen Geschichte seiner Produktion und Rezeption. So verdient nicht zuletzt der umstrittene Status des Films in der Schwarzen Community in den USA Beachtung. Zwar hatte sich die Autorin Alice Walker ein hohes Maß an kreativer Kontrolle gesichert und auch die Beteiligung schwarzer Menschen an vielen Stellen der Produktion durchgesetzt, doch letztlich überschattete die Person Spielbergs viele andere Akteur:innen. Der Stil Spielbergs löste gleichzeitig Sorgen um eine allzu massenkompatible, sentimentale Umsetzung aus – keinesfalls zu Unrecht. Und schließlich war der Film vielen schlicht zu intersektional. Trotz der zurechtgestutzten Beziehung zwischen Celie und Shug sahen sie in dem Film einen Angriff auf schwarze Männlichkeiten, die schwarze Familie, schwarze Kinder. Legrand Clegg, Vorsitzender der Coalition Against Black Exploitation warnte gar vor der "devastation this [movie] may visit on black youth"[1]. Teile der bedeutenden Civil Rights-Gruppe NAACP (National Association for the Advancement of Colored People) riefen zum Boykott auf. Dabei vertraten sie indes keineswegs die Position schwarzer Menschen in den USA. Bester Beweis: Als „The Color Purple“ im folgenden Jahr zwar für 11 Academy Awards nominiert war, jedoch keinen der prestigeträchtigen Oscars gewann, protestierte dagegen ebenjene NAACP.

Viele weitere Aspekte würden ebenfalls Beachtung verdienen: Die Außenseiterrolle des Films in Spielbergs Oeuvre. Die großen Karrieren unter anderem von Goldberg, Winfrey und Glover, die der Film beförderte. Die spätere Anfälligkeit von Goldberg, Winfrey, vor allem aber der Autorin Walker für Verschwörungstheorien und Pseudowissenschaften. Die Frage, warum der Film trotz kommerziellem Erfolg und großer Beachtung in den Medien eben keinen Oscar gewann. Nichts davon kann hier ausgeführt werden, doch die Breite dieser Themen spricht wohl dafür, neben dem Roman auch dem Film weiterhin Beachtung zu schenken und ihn nicht im Windschatten von „E.T.: The Extra-Terrestrial“ (1982) oder „Saving Private Ryan“ (1998) zu vergessen.

 

[1] Mathews, Jack “Some Blacks critical of Spielberg’s ‘Purple‘“, in: Los Angeles Times, 20.12.1985, [abgerufen am 15.02.2023] .