von Nikolai Okunew

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7. August 2024

„Sie kamen als Freunde und wurden zu Wurst“ lautet der lakonische Werbespruch für Schlingensiefs Schocker von 1990. „Das Deutsche Kettensägenmassaker hat dann auch einen recht knappen Plot: Die Leipzigerin Clara fällt im Wiedervereinigungstaumel einer Gruppe westdeutscher Kannibalen in die axtschwingenden Hände, die offensichtlich schon seit dem Mauerfall nach Zonis greifen (oder hacken). „Jetzt beginnt der Markt“ lässt Schlingensief einen der Halsabschneider sagen. Holzhammermäßig klar ist also: Wir haben es hier mit einer überdrehten Kritik an Kohls Deutschlandpolitik zu tun.

 

Der Film erinnert weniger an gruseligen Horrorfilm als an auf Ekel ausgelegte Splatter-Filme. Wer Peter Jacksons Frühwerk Bad Taste  – der lief 1987 in Cannes! – gesehen hat, bemerkt etwa die Parallelen zwischen den hungrigen Aliens des Neuseeländers und den D-Mark-Prädatoren von 1990. Die teils exzentrische Kameraarbeit – nach der Kündigung des Kameramanns übernahm Schlingensief den Job selbst – wiederum scheint an Sam Raimis Evil Dead 2 aus dem gleichen Jahr angelegt zu sein. Schlingensief selbst lobte vor allem den ziemlich vergessenen zweiten Teil des texanischen Kettensägenmassakers, den er in schlechten Raubkopien in seinem Mühlheimer Privatkino vorführte. Das Deutsche Kettensägenmassaker stand also nicht nur im Dialog mit dem Zeitgeschehen, sondern verwurstet auch eine Reihe anderer (Genre-)Filme.

Die taz fasste zusammen: „Mit seiner Mischung aus kalkuliertem Dilettantismus und experimenteller Verfremdung reitet Schlingensief eine Attacke gegen den sogenannten guten Geschmack, gegen den „schönen Film“, vor allem aber gegen die Betulichkeit des „Neuen deutschen Films.“”[1] Eine Menge Schockmomente mit absichtlich schlechter Trick-Technik prägen also genretypisch das Kettensägenmassaker, das außerdem permanent schlecht ausgeleuchtet ist. Schlingensief – der das Drehbuch in wenigen Wochen schrieb – dreht allerdings noch weiter auf und hetzt die ebenso hungrigen wie inzestuösen Wessis, deren moralische Instanzen von einem Grill-Party-Patriotismus hinweggefegt scheinen, durch eine räumlich unmögliche post-industrielle Duisburger Landschaft. Die Schauspieler*innen karikieren mehr, als dass sie schauspielern. Ihre Dialoge wirken zusammengeschrien, improvisiert und verfremdet. Ihre Sprache ist – pun intended – verstümmelt. Wo alles Es ist, werden Wörter zu Geblöke.

Wie erwähnt, ist die ideologische Stoßrichtung unmissverständlich erkennbar. Die „Wiedervereinigung ist gewalttätiger als der Film“ verteidigte der Regisseur seinen Film 1992 in einem hektischen Streitgespräch mit der damaligen Ministerin für Frauen und Jugend Angela Merkel, die sich sehr besorgt über Fernsehgewalt zeigte. Im deutschen Fernsehen wurde Schlingensiefs Film nicht gezeigt. Im WDR meinte Schlingensief in ähnlichen Worten, man habe die Leute im Osten „fertiggemacht“. Der Prozess wäre „blutig“, und er male halt gern mit Blut. Ziel sei es gewesen, eine Parodie zu filmen, die die Verstehenden amüsiert und die die Sich-Ekelnden als Nicht-Verstehende offenbart.[2]

 

 

Im Westen nickten viele zustimmend. Selbst die FAZ lobte die „chaotische Mischung aus Punk und Nonsens, die zu einem hämischen und gekonnt geschmacklosen Untergrundfilm angerührt wurde.“[3] In wohl seltener Übereinstimmung fand auch die taz den Film zwar „getrübt von [einem] bisschen billigem Sado-Maso-Pessimismus aus der Fleisch- und Schopenhauerei um die Ecke“, aber dennoch ganz nett.[4] Auch der Berliner Rundfunk lobte die „die sperrige und originelle Farce“, die „Gier, Dummheit [und] Geilheit“ der Westdeutschen mit „Horror und Aberwitz“ darstellte.[5]

Der Film kam, laut Schlingensief, gut auf Festivals an und wurde (für seine Verhältnisse) auch in vielen Kinos gebucht. Für Ärger sorgte zum wiederholten Mal die Schlingensief’sche Zweckentfremdung: Eigentlich hatte er Fördergeld für einen Stoff zur Colonia Dignidad bekommen, stattdessen versuchte er nun den deutschen Einheitsbrei zu verderben. Ironischerweise feierte 1990 das Feuilleton also einen vulgär-brutalen Splatter-Film, während das Boulevard gegen anti-nationalistische Geldverschwendung polterte.

Eva-Maria Kurz, Irm Hermann, Mike Wiedemann in Das deutsche Kettensägenmassaker. Regie Christoph Schlingensief, Deutschland 1990. Berlinale Retrospektive 2024. © Filmgalerie 451

2024 zeigte die Berlinale Schlingensiefs Film erneut. Einerseits scheint er zu aktuellen Diskussionen – wahrscheinlich wäre Dirk Oschmann mit dem Film ganz zufrieden – zu passen. Andererseits verrutscht beim Versuch, durch Überhöhung die realen Prozesse hinter der Wiedervereinigung zu zeigen, Schlingensiefs eigene Maske. Zwar hat Schlingensief noch vor dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen im 3. Teil der Deutschlandtrilogie den Braten gerochen und antizipiert, dass die tatsächlichen Gewaltopfer der Wiedervereinigung nicht Ostdeutsche werden könnten, sondern in Ostdeutschland lebende minorisierte Gruppen. Frappierend ist jedoch sein Desinteresse für ostdeutsche Verhältnisse. Ostdeutsche sind im Film Schlachtvieh, und weder die revolutionäre Dynamik von 1989 noch die vielen Wahlen 1990, mit denen man sich die herrschenden Verhältnisse herbeiwählte, werden thematisiert. Natürlich haben die west-teutonischen Mörder, Spoiler, dann auch einen tonangebenden Nazi-Opa auf dem Dachboden und nur sie scheinen vom Turbo-Nationalismus erfasst. Die Kritik am Kapitalismus fällt ebenfalls ziemlich flach aus, denn dieser zeichnete sich auch 1990 schon nicht mehr ausschließlich durch einen freien Markt aus, den Schlingensief als Gewaltort persifliert. Filmisch ist diese deutsche Kettensägerei letztlich nur wenig interessant. Als Artefakt einer im eigenen Saft schmorenden linken und dezidiert westdeutschen Kritik an der Politik der Wiedervereinigung ist der 60-Minuten-Film dennoch sehenswert.

 

Das Deutsche Kettensägenmassaker Regie und Drehbuch: Christoph Schlingensief, Deutschland 1990, Laufzeit: 63 Min.

Datenblatt der 74. Berlinale zum Film

 


[1] Thon, Ute: Ich will Krieg! Christoph Schlingensief Film zur Wiedervereinigung. In: taz, 29.11.1990, S. 16, [zuletzt abgerufen am 4. April 2024].

[2] ZAK, WDR, 14.12.1990.
[3] ric.: Das deutsche Kessensägermassaker. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.12.1990, S. 151.
[4] Dworschak, Manfred: Nachgeklappt: „Das deutsche Kettensägenmassaker“. Fleisch- und Schoppenhauerei. In: taz-Bremen, 30.01.1991, S. 23 [zuletzt abgerufen am 4. April 2024].

[5] Schenk, Ralf: „Das Deutsche Kettensägenmassaker“ von Christoph Schlingensief (Atelier und Bühne). Berliner Rundfunk, 16.12.1990.