Berlin S-Bahn 1995, Lesende Senioren; Foto von Gerd Danigel,
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Berlin S-Bahn 1995, Lesende Senioren; von: Gerd Danigel; via Wikimedia Commons; CC BY-SA 4.0.

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Mit Geschichte im Gepäck

10 Buchempfehlungen aus Redaktion und Beirat

Wir baten unsere Kolleg*innen aus der Redaktion und aus dem Beirat von zeitgeschichte|online um Leseempfehlungen für die wenigen Wochen in denen wir sozusagen „zweckentfremdet“ lesen dürfen, uns mit Themen und Autor*innen beschäftigen können, die nicht zum Forschungsstand, zur Sekundärliteratur oder als Quelle dem nächsten „Projekt“ dienen.
Mit diesen Empfehlungen wünschen wir allen Leser*innen einen schönen August mit der Sichtung vieler Perseiden und der Formulierung von Wünschen, denn Wünschen hilft...

Peter Bratenstein und Annette Schuhmann


 

1. Sylvia Sasse: Verkehrungen ins Gegenteil. Über Subversion als Machttechnik (Fröhliche Wissenschaft 220), 2. Aufl., Berlin (Matthes & Seitz) 2023. Eine Empfehlung von Sylvia Necker:

Alles verkehrt. Echt jetzt? Das ist doch nicht richtig. Eben. Und weil die Verkehrung als die Wahrheit verkauft wird, sind wir verblüfft, ob der Dreistigkeit. Unser inneres Messinstrument für historische Erkenntnis flackert, weil die Argumente verdreht und die Annahmen verkehrt werden. Alles vor unseren Augen, die Bilder führen uns sozusagen vor. Wir wüssten es besser, meinen wir. Und doch täglich Trump, Putin, andere und anderes. Pausenlos. Der Essay von Sylvia Sasse hat einen ganz eigenen Rhythmus, beim Lesen erklingt schon das Hörspiel im Ohr. Absolute Leseempfehlung für Erkenntnisgewinnler:innen, am Strand, in der Bude oder auf dem Gipfel.

 

2. Christopher Isherwood: The Berlin Novels, London (Vintage Books)1999. Eine Empfehlung von Robert Mueller-Stahl:

„I am a camera with the shutter open, quite passive, recording, not thinking“, heißt es am Beginn von Goodbye Berlin, Christopher Isherwoods berühmten Roman über die Anfangszeit der NS-Herrschaft. Mehr noch als das Setting – die Gleichzeitigkeit von nationalsozialistischer Gewalt, kommunistischer Intrige und queerem Kaffeehaus-Milieu – ist es die Perspektive des Erzählers, die Goodbye Berlin und seinen Vorgänger Mr. Norris Changes Trains auszeichnet. Der Blick des zugewandten und doch unnahbaren Snobs fängt die gesellschaftliche Durchdringung des Faschismus in besonderer Weise ein. „Some day, all this will have to be developed, carefully printed, fixed.“ Damals wie heute.

 

3. Anke te Heesen: Frauen vor Mustern. Ein Bildmotiv und seine Geschichte, Berlin (Klaus Wagenbach) 2025. Eine Empfehlung von Anne Kwaschik:

Scheinbar beiläufig kommt dieses fein komponierte Buch daher – und entfaltet seine Wirkung. Mit präzisem Blick und sicherem Gespür für historische Schichtungen folgt Anke te Heesen dem Motiv „Frauen vor Mustern“ – Darstellungen weiblicher Figuren vor floralen Tapeten, botanischen Zeichnungen oder grafischen Stoffen – in überraschende Richtungen und gedankliche Tiefen. Aneignung oder Einverleibung? Werden die Frauen Teil des Interieurs – oder behaupten sie ihre Präsenz im Raum? Te Heesen zeigt eindrucksvoll, wie sich Bild- und Biopolitik, Geschlechter- und Wissensordnungen in diesen Darstellungen überlagern und durchdringen. Ein kluges, leises Buch, das lange nachklingt – und sich mit seiner Eleganz und Leichtigkeit als ideale Sommerlektüre empfiehlt.

 

4. Anja Reich: Simone, Berlin (Aufbau) 2023. Eine Empfehlung von Christoph Classen:

Es gibt im Leben Ereignisse, nach denen die Welt nicht mehr dieselbe ist wie zuvor. Für die Journalistin Anja Reich, Redakteurin bei der Berliner Zeitung, war der Suizid ihrer engen Jugendfreundin Simone im Oktober 1996 eine solche Zäsur. Viel später hat sie begonnen, die Ursachen zu recherchieren, durch Gespräche mit Verwandten und Bekannten, aber auch mit Psychiatern und Experten für die Wendezeit.
Das Ergebnis reicht weit in die Familien- und die deutsch-tschechische Geschichte des 20. Jahrhunderts zurück. Vor allem aber handelt es vom Erwachsenwerden unter den Bedingungen der späten DDR und des Kapitalismus-Schocks der 1990er Jahre. Die Art, wie das Buch die komplizierten Verbindungen zwischen Biografien und Zeitgeschichte auslotet, hat mich beeindruckt. Zugleich fand ich den persönlichen Zugang der Autorin mutig und emotional bewegend.

 

5. Anne Rabe: Das M-Wort. Gegen die Verachtung der Moral, Stuttgart (Klett-Cotta) 2025. Erscheinungstermin: 16.08.2025. Eine Empfehlung von Martina Winkler:

Dies ist eine Empfehlung aus der Vorfreude heraus, denn das Buch ist noch nicht erschienen: Anne Rabe schreibt „gegen die Verachtung der Moral". Nach der fesselnden „Möglichkeit von Glück" (2023) nun also ein Essay darüber, wie Demokratiezerstörer auch Moralverächter sind. Ich empfehle das ganz unbesehen. Zugleich stellen sich mir aus der ostmitteleuropäischen Perspektive auch Fragen. Denn dort spielt Moral in der Politik eine sehr große Rolle und verdeckt zuweilen die Bedeutung demokratischer Institutionen. Moral aber kann schnell gekapert werden; auch und gerade der größte Autokrat wird seine Politik als moralisch präsentieren. Rabes Buch erscheint am 16. August; ich freue mich auf eine spannende und vielleicht auch kontroverse Lektüre.

 

6. Gabriele Tergit: Effingers, Frankfurt am Main (Schöffling & Co.) 2019. Eine Empfehlung von Alina Müller:

Urlaubslektüren sollen durchdacht sein. Für den letzten Urlaub einigten meine Reisebegleiterin und ich uns darauf, ein dickes und ein dünnes Buch einzupacken. Mein dickes Buch wurde Gabriele Tergits "Effingers". Ich lieh das Buch in der Stadtbibliothek aus, da es in allen Freiburger Buchhandlungen, von wo aus die Reise startete, ausverkauft war. Nach der Lektüre kann ich das sehr gut verstehen. 
Mit "Effingers" bekommt man vieles geboten: eine mitreißende jüdische Familiengeschichte über vier Generationen und Berliner Geschichte, aber vor allem, und das macht das Buch in meinen Augen zeitgeschichtlich relevant, kann man nach der Lektüre in das Universum von Gabriele Tergit eintauchen und sich mit der Rezeptionsgeschichte jüdischer Literatur im Nachkriegsdeutschland auseinandersetzen. Aber erstmal gilt es das dicke Buch zu genießen. Am Stück.

 

7. Stefan Heym: Schwarzenberg. München (Penguin) 2019 (1. Aufl. 1984). Eine Empfehlung von Lasse Gräf:

Nach einem mit Sachtexten gefüllten Semester freue ich mich in den Ferien auf den Roman "Schwarzenberg“. In einer Mischung aus der Wiedergabe von Erinnerungen und eigener Fiktion erzählt Stefan Heym die Geschichte einer Kleinstadt, deren Zukunft für kurze Zeit nach Ende des Zweiten Weltkrieges ungewiss schien. Denn der Ort wurde bei der Aufteilung Deutschlands unter den Siegermächten schlichtweg vergessen. Gespannt bin ich vor allem auf die zwischenzeitlich entstehenden Utopien seiner Bewohner:innen, die das Gedankenspiel aufmachen, welche gesellschaftlichen Entwicklungen in der turbulenten Nachkriegszeit möglich waren.

 

8. Karin Harrasser: Surazo. Monika und Hans Ertl: Eine deutsche Geschichte in Bolivien, Berlin (Matthes & Seitz) 2022. Eine Empfehlung von Tilmann Siebeneichner:

Er – Leni Riefenstahls Kameramann. Sie – „Che Guevaras Rächerin". Eine ohnehin faszinierende Vater-Tochter-Geschichte, die zugleich als Kaleidoskop der großen globalen Zusammenhänge von faschistischer Ideologie und politischer Gewalt im 20. Jahrhundert fungiert: Polit-Thriller, ethnographische Reise und zeithistorische Collage in einem.

 

9. Konrad H. Jarausch: Die Last der Vergangenheit. Ein transatlantisches Leben. Berlin (Vergangenheitsverlag) 2025. Eine Empfehlung von Alexander Schug:

Ein kluges, persönliches Buch über ein Leben zwischen Deutschland und USA. Jarausch erzählt nicht nur von seinem Weg als Historiker, sondern reflektiert, was es heißt, Geschichte im transatlantischen Raum zu deuten – gerade in einer Zeit, in der "nach Trump" liberale Gewissheiten ins Wanken geraten. Eine aufrichtige Selbstbefragung mit weitem Horizont – und gleichzeitig eine Geschichte der Anfänge des ZZF Potsdam und der Geschichtsschreibung über die DDR, denn Jarausch war dessen Direktor ab 1998-2006.

 

10. Omar El Akkad, Eines Tages werden alle immer schon dagegen gewesen sein, Berlin (Matthes & Seitz) 2025. Eine Empfehlung von René Schlott:

Erst war ich skeptisch, der Autor war mir unbekannt und das Buch, das ich unaufgefordert vom Verlag zugesandt bekam, trug einen so langen Titel. Aber irgendetwas machte mich neugierig, immerhin kam mir das darin beschriebene Phänomen doch recht bekannt vor: Im Nachhinein, wenn es kein Risiko mehr bedeutet, distanzieren sich viele Menschen wortreich vom Unrecht, täuschen Unwissen vor. Doch während die Verbrechen geschehen, schweigt die Mehrheit. Am Ende las ich die 200 Seiten des wortgewaltigen, in Teilen autobiographischen Buches in kürzester Zeit. Auch wenn die Lektüre schmerzlich, beschämend und deprimierend war. Denn der 1982 in Ägypten geborene und heute in den USA lebende Autor beschreibt schonungslos das Versagen des Westens angesichts des Kriegsgeschehens in Gaza und der Gewalt im Westjordanland. Die Perspektive des Buches kann augenöffnend sein, seine Sprache ist drastisch: „Für jede Generation kommt der Moment eines leeren und alles entleerenden Ekels, wenn klar wird, dass es nur eine Hülle gibt.“ El Akkad analysiert die „Entstellung der Sprache“, benennt die „institutionelle Feigheit in der Kulturwelt“ und kritisiert die Medien für ihre „nackte Doppelzüngigkeit dieses orwellschen Ganzen.“ Und er stellt uns allen die Frage, wie man folgenden Satz beenden würde: „Es ist bedauerlich, dass Zehntausende Kinder tot sind, aber …“.

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Zitation

Peter Bratenstein, Annette Schuhmann, Mit Geschichte im Gepäck. 10 Buchempfehlungen aus Redaktion und Beirat, in: Zeitgeschichte-online, , URL: https://zeitgeschichte-online.de/themen/mit-geschichte-im-gepaeck