von Michael Wildt

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1. Mai 2016

„I was living in Hitler’s private apartment in Munich, when his death was announced“, begann Lee Miller ihre Reportage, die in der “Vogue” Juli/August 1945 erschien.[1] Das dort veröffentlichte Foto David E. Schermans von Miller in Hitlers Badewanne, ironisch arrangiert mit Führerbild, Telefonanschluss und kitschiger Frauenskulptur sowie den eigenen Uniformstücken und Stiefeln vor der Wanne, gehört neben ihren Aufnahmen von den befreiten Konzentrationslagern Buchenwald und Dachau sicher zu den bekanntesten Bildern, die man mit Lee Miller verbindet. Doch zeigt die Ausstellung von ihrem fotografischen Werk im Berliner Martin-Gropius-Bau mit knapp 100 Fotografien in fünf chronologisch wie thematisch angeordneten Kapiteln, dass sie nicht bloß Kriegsreporterin und Fotojournalistin war, sondern weit darüber hinaus eine künstlerische Fotografin mit einem genauen Blick für die Ambivalenzen der Wirklichkeit.[2]

1929 kam die 22-jährige Amerikanerin Elizabeth „Lee“ Miller nach Paris, lernte dort Man Ray kennen, mit dem sie in den folgenden drei Jahren zusammen lebte und arbeitete. Die Ausstellung hebt zu Recht hervor, dass es sich keineswegs um das oftmals gängige „Muse-Geliebte-Modell“ handelte, sondern in den Fotografien wird kenntlich, wie gleichwertig aufeinander bezogen Man Ray und Lee Miller als Fotografen wie Fotografierte waren. Das künstlerische Arrangement einer Aktaufnahme Millers war von ihr ebenso gestaltet wie von Man Ray; Subjekt und Objekt changierten in der fotografischen Praxis. Die Anekdote um das Foto „Hals/Neck“ (1930), der zufolge Man Ray das Negativ wegwarf, weil ihm die Aufnahme nicht gefiel, Lee Miller dagegen das Negativ rettete, einen besonderen Ausschnitt für die Vergrößerung wählte, die Konturen bearbeitete und damit die bekannte Ikone schuf, belegt dies anschaulich. Daher hätten durchaus die individualisierenden Zuweisungen der Bildunterschriften in der Ausstellung aufgelöst und durch „Lee Miller & Man Ray“ ersetzt werden können.

Wie künstlerisch prägend diese Pariser Jahre für Lee Miller waren, zeigen nicht nur ihre Fotografien aus Ägypten und von den Reisen mit Roland Penrose, ihrem späteren Ehemann, durch den Nahen Osten, darunter auch Palmyra, sondern gleichfalls ihre Aufnahmen für „Vogue“ aus dem kriegszerstörten London. Modeaufnahmen in Ruinen, Eleganz verbunden mit Zerstörung – keineswegs zynische oder sensationsheischende Perspektiven als vielmehr Blicke, die auf die Doppelbödigkeit vom Leben im Krieg hinweisen, ohne eine der Erfahrungsdimensionen zu relativieren. Mitunter lakonische Kommentare wie zu dem Foto einer zerstörten Kapelle, von der allein die Fassade mit griechisch anmutenden Säulen stehengeblieben ist: „1 Nonconformist Chapel + 1 Bomb = Greek Temple“. Eine weitere Aufnahme eines Teilstücks jener Kapelle, ein Tor, aus dem sich wie eine Steinflut der Schutt ergießt, als spucke die Kirche den Krieg aus, hängt ein wenig weiter. Den visuellen Zusammenhang müssen die Besucher/innen selbst entdecken.

Für den Betrachter bleibt offen, ob die Bildunterschriften von den Ausstellungskuratoren oder von Lee Miller stammen. Inkonsistenzen werden daher nicht erklärt, wenn zum Beispiel bei den Fotos aus Buchenwald und Dachau mal von „befreiten / liberated“, mal von „freigelassenen / released“ Gefangenen die Rede ist. Überhaupt sind die Erläuterungen zu den Fotografien, die oftmals nur im kleinen Format des Originalnegativs präsentiert werden, spärlich; kontextualisierende Materialien wie – eine Ausnahme – die Ausgaben der „Vogue“ aus dem Jahr 1945, anhand derer zu erkennen ist, wie Millers Fotos veröffentlicht wurden, fehlen häufig; Kontaktabzüge von einer Fotoserie, mit der das einzelne Bild eingeordnet werden kann, sind selten.

Seit 1942 war Lee Miller neben Margaret Bourke-White, Georgette M. Chapelle, Toni Frissell und Thérèse Bonney als amerikanische Fotojournalistin für Europa akkreditiert. Sie dokumentierte den amerikanischen Vormarsch ausgehend von der Normandie, die Einnahme von Saint-Malo, die Befreiung von Paris, die Schlacht im Elsass und schließlich die Begegnung mit den russischen Truppen in Torgau an der Elbe. In Leipzig fotografierte sie 1945 im Rathaus die Leichen des stellvertretenden Bürgermeisters, seiner Frau und seiner Tochter, die gemeinsam Suizid begangen hatten. Anders als Bourke-White, die von einem erhöhten Standpunkt die gesamte Szene aufnahm, wählte Miller, darauf weist Anna Hanreich im Ausstellungskatalog hin, eine fotografische Position mitten im Geschehen, nahm die jeweiligen Körper aus einer nahen Perspektive auf, veränderte zum Teil das Interieur, bezog sich als Fotografin in das Bild ein.[3]

Auch in ihren berühmten Fotos aus den befreiten Konzentrationslagern Buchenwald und Dachau, die zum Teil im Sommer 1945 in der „Vogue“ veröffentlicht wurden, ging sie nahe an die geschundenen Häftlinge, an die Leichenberge heran. „Horrors of a concentration camp, unforgettable, unforgivable“ beschriftete sie ein Foto von einem wie Brennholz aufgeschichteten Leichenberg.[4] „My fine Baedecker tour of Germany includes many such places as Buchenwald which were not mentioned in my 1913 edition, and if there is a later one I doubt if they were mentioned there either, because no one in Germany has ever heard of a concentration camp, and I guess they didn’t want any tourist business either“, schrieb Lee Miller sarkastisch in ihrer Reportage „Germany – the war that is won“ für die „Vogue“.[5]

Die verprügelten, blutverschmierten SS-Männer in Buchenwald und Dachau fotografierte sie nah und zugleich mit kalter Distanz. Als Zivilisten verkleidet, um noch in letzter Minute entkommen zu können, verängstigt, verschreckt blicken sie in die Kamera, lächerliche Figuren, deren Blut im Gesicht, deren zerschlagene Nasen jedoch daran erinnern, was diese Männer den Häftlingen angetan haben.
Ebenso gelang es ihr, mit den Aufnahmen aus Hitlers Privatwohnung das Lächerlich-Gewöhnliche eines Mannes zu zeigen, der sich nicht gescheut hatte, Millionen Menschen töten zu lassen, jene keineswegs verharmlosende, sondern schrecklich-erschreckende Banalität des Bösen sichtbar werden zu lassen, die Hannah Arendt gemeint hat.[6] Ihr künstlerischer Blick, den sie im Paris der 1920er Jahre erworben hat, mit dem sie visuelle Inszenierungen wahrnahm und in der Fotografie zugleich durchbrach, mit dem sie die Ambivalenzen von Wirklichkeit sichtbar machte, bestimmte auch ihre Dokumentarfotografie.

Nach dem Krieg zog sich Lee Miller mit ihrem Ehemann Roland Penrose und dem 1947 geborenen Sohn Antony in England aufs Land zurück, fotografierte nur noch gelegentlich für „Life“ oder „Vogue“ und starb im Juli 1977 an einer Krebserkrankung.

 

Lee Miller – Fotografien, Martin-Gropius-Bau, 19. März bis 12. Juni 2016
Martin-Gropius-Bau Berlin, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin, Mittwoch bis Montag 10:00–19:00

 

[1] Lee Miller, Hitleriana, in: Lee Miller’s War. Beyond D-Day. Foreward by David E. Scherman, edited by Antony Penrose, London/New York 2005, p. 191.
[2] Einen Eindruck über die Ausstellung vermittelt ein kurzer Film von www.kunstundfilm.de; Vgl. auch die Ausstellungsbesprechung von Sandra Starke auf H-Soz-u-Kult.
[3] Anna Hanreich, Amerikanische Fotojournalistinnen in Europa: Lee Miller, Margaret Bourke-White und Thérèse Bonney, in: Lee Miller, hrsg./edited von/by Walter Moser, Klaus Albrecht Schröder, Ostfildern 2015, S. 46-55; zur Veränderung des Raumes siehe die Beobachtungen von Sandra Starke in ihrer Ausstellungsbesprechung.
[4] Zitiert nach Ute Wrocklage, „Believe it“: Lee Millers Fotografien der befreiten Konzentrationslager Buchenwald und Dachau für das Modemagazin Vogue, in: ebenda, S. 70-83.
[5] Lee Miller, Germany – the war that is won, in: Lee Miller’s War, S. 161.
[6] Siehe dazu den Aufsatz von Elissa Mailänder, In der Höhle des Löwen: Lee Millers Berichterstattung aus München, in: Lee Miller, S. 104-115.