von Julia Wigger

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5. Oktober 2020

„Er ist gar kein echter Platz und scheußlich obendrein“, hieß es in einer Ausgabe der Zeitschrift „Spiegel Geschichte“ über den Potsdamer Platz im Jahr 2008.[1] Ob man dieser Aussage zustimmen oder ihr widersprechen möchte, ist letztendlich unerheblich, denn unbestritten ist die wechselhafte historische Bedeutung des Platzes, in der sich die (Zeit-)Geschichte Berlins spiegelt.

 

Vor den Toren der Stadt

Erst im 17. Jahrhundert siedelten sich vor allem Hugenott*innen in der Gegend um den heutigen Potsdamer Platz an. In Frankreich wurden die Protestant*innen wegen ihres Glaubens verfolgt, doch das Edikt von Potsdam versprach ihnen eine sichere Niederlassung. Sie begannen das bis dahin noch ungenutzte Wiesengelände und die Sumpfareale landwirtschaftlich zu nutzen und kultivierten Artischocken, Spargel, Blumenkohl und grüne Bohnen.[2]

Zu dieser Zeit lag das Areal noch weit vor den Toren der Stadt. Erst als Berlin sich Anfang des 18. Jahrhunderts zur preußischen Haupt- und Residenzstadt entwickelte und sich durch Eingemeindungen stark ausdehnte, rückte es an die Stadtgrenze heran. In den 1730er Jahren wurde die mittelalterliche Stadtmauer durch eine Zollmauer ersetzt. Einlass in die Stadt erfolgte über die Stadttore. Eines davon war das Potsdamer Tor, es trennte den heutigen Potsdamer Platz (außerhalb Berlins) vom sogenannten Octogon, dem heutigen Leipziger Platz (innerhalb Berlins).[3] Mit der Zeit setzte sich die Bezeichnung „Platz vor dem Potsdamer Thore“ für das Gebiet durch, wobei dieses nicht viel mehr war als eine Straßenkreuzung.[4]

Das Potsdamer Tor in Berlin, circa 1824. Aquarell mit Federzeichnung. Wolfgang Schneider: Berlin. Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig und Weimar 1983, S. 215. Quelle: Wikimedia Commons. Lizenz: Public Domain.

 

Bedeutungsgewinn – Der Potsdamer Platz entsteht

Ende des 18. Jahrhunderts entstanden erste, meist eingeschossige Sommer- und Landhäuser und die landwirtschaftliche Nutzung des Gebiets trat in den Hintergrund. Gastwirtschaften eröffneten und wurden zu einem beliebten Treffpunkt für die Berliner Gesellschaft. Immens an Bedeutung gewann die Gegend 1838 durch den Bau der preußischen Eisenbahnlinie, die Berlin mit Potsdam verband. Damit gingen Veränderungen in der baulichen und sozialräumlichen Gestaltung einher; die Vorstadtidylle wandelte sich zu einem Knotenpunkt für Menschen und Güter. Der Potsdamer Platz – der nun offiziell diesen Namen trug – wurde Mitte des 19. Jahrhunderts zum ständigen Wohnsitz für wohlhabende Bankiers, Industrielle, Gelehrte und Künstler*innen.[5]

Potsdamer Platz um 1900. Das Grand-Hotel Bellevue und Palast Hotel auf den gegenüberliegenden Seiten der Königgrätzer Straße, die nach Norden bis zum Brandenburger Tor führt. Quelle: Wikimedia Commons. Lizenz: Public Domain.

Etwa zur selben Zeit wurde die Friedrichvorstadt eingemeindet und die Zollmauer geschliffen. Der Platz war nun strukturell stärker mit Berlin verbunden und legte den Status als unbedeutender Randplatz ab. Einhergehend mit der Aufwertung der Lage entstanden repräsentative Villen, herrschaftliche Mietshäuser sowie einige Jahrzehnte später erste Hotels und Restaurants wie das Grand-Hotel Bellevue, das Hotel Esplanade und das Café Josty; der Potsdamer Platz verwandelte sich in ein lebendiges und pulsierendes Quartier.[6]

 

Auf dem Weg zum „Weltstadtplatz“

Während des Ersten Weltkrieges und der Inflation stagnierten die baulichen Entwicklungen und das turbulente Treiben. Trotzdem blieb der Platz ein wichtiger Verkehrsknoten und rückte mit der Bildung Groß-Berlins im Oktober 1920 stärker ins Zentrum der Stadt.[7] Da sich die herrschaftlichen Wohnungen kaum noch jemand leisten konnte, wurden die Gebäude vielfach in Büro- und Geschäftsräume umgewandelt.[8] Dies brachte eine imposante Veränderung des Platzes bei Nacht mit sich: Flackernde Werbeschriften in rot, blau, gelb und weiß leuchteten den Besucher*innen im Dunkeln entgegen und priesen Waren und Dienstleistungen an.[9] Denn auch das Leben und Treiben in den Restaurants, Cafés und Hotels war mit den „Goldenen Zwanziger Jahren“ zurückgekehrt: „1921 hat es im Café Josty noch Kuchen aus gefrorenen Kartoffeln und Zigarren aus nikotingetränkten Kohlblätter gegeben, ein Jahr später wimmelt der Potsdamer Platz wieder von Vergnügungssüchtigen, als hätten die Jahre der Entbehrung und Verzweiflung nie existiert.“[10]

 

Zeitgleich wurde ein drängendes Problem sichtbar: Der Verkehr. Der Platz galt als einer der verkehrsreichsten Europas. Hier stießen drei U-Bahnlinien, sechzehn Straßenbahnlinien und der individuelle Kraftverkehr auf Radfahrer*innen und Fußgänger*innen. Um Unfälle zu verhindern, wurde 1924 eine begrünte Verkehrsinsel mit einem fünfeckigen Turm angelegt; eine der ersten Verkehrsampeln weltweit. Nicht nur der Verkehr sollte in den 1920er Jahren neu geregelt werden. Es entstanden Planungen, das Areal auch äußerlich in einen „Weltstadtplatz“ zu verwandeln.[11]

 

Die Zerstörung des Potsdamer Platzes

Die Mehrzahl der Planungen blieb jedoch in der Schublade und kam mit der Machtübernahme der Nationalsozialist*innen 1933 abrupt zum Erliegen. Die nationalsozialistische Stadtplanung zielte auf eine Umwandlung Berlins zur Reichshauptstadt, bei der eine gigantische Nord-Süd-Achse mit Monumentalbauten, westlich des Potsdamer Platzes, entstehen sollte.[12] Um diese Planungen umzusetzen, mussten rund um das Gebiet private Bautätigkeiten eingestellt werden. Häuserblocks in der Eichhorn-, Link-, Margarethen-, Potsdamer und Viktoriastraße wurden abrissen.[13]

Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft schrieb sich auch in den Stadtraum um den Platz ein: Jüdische Geschäftsinhaber*innen wurden drangsaliert, vertrieben oder verschleppt. Nicht weit entfernt befand sich das Hauptquartier der Gestapo, die Zentrale des Sicherheitsdienstes der SS und das Reichssicherheitshauptamt. In der Bellevuestraße 15 tagte der sogenannte „Volksgerichtshof“, eine Justizbehörde, die rechtsstaatliche Prinzipien umging.[14]

Auf Grund der Nähe des Potsdamer Platzes zu Institutionen der nationalsozialistischen Herrschaft, war das gesamte Gebiet von Luftangriffen stark betroffen. Als am 2. Mai 1945 die Kämpfe in Berlin mit der Kapitulation endeten, gab es am Potsdamer und Leipziger Platz fast kein unbeschädigtes Gebäude mehr. Der Krieg hatte von dem pulsierenden Platz nur einen Trümmerhaufen zurückgelassen.[15]

 

 

„Endstation Potsdamer Platz“

Die Beräumungsarbeiten dauerten bis Ende der 1940er Jahre: Zum Großteil blieb der Potsdamer Platz jedoch in seinem zerstörten Zustand. Er lag nun im Grenzgebiet, hier stieß der sowjetische auf den britischen und den amerikanischen Sektor. Das Areal entwickelte sich zu einem beliebten Umschlagsplatz für Süßstoff, Zigaretten, Schokolade und Kaffee. Strategisch gut gelegen, konnte man bei Razzien von einem Sektor in zwei andere ausweichen.[16]

Die Währungsreform und die anschließende Berlin Blockade trieben die Teilung der Stadt voran. Nachdem es am 12. August 1948 zu einer Auseinandersetzung zwischen sowjetischen Militärangehörigen und Schwarzmarkthändlern gekommen war, wurde dies zum Anlass genommen, die Sektorengrenzen am Potsdamer Platz mit Stacheldrahtverschlägen und Leuchtfarbe zu markieren.[17] Einige Jahre später wurde auch der sektorenübergreifende Straßenbahnverkehr unterbrochen und der Potsdamer Platz zur Endstation. Von der pulsierenden Großstadt war nicht mehr viel zu spüren.[18]

 

 

Mit dem Mauerbau in der Nacht vom 12. zum 13. August 1961 durchschnitt die Mauer das Areal und brachte den Potsdamer Platz erneut in eine Randlage. Auch der hiergelegene U- und S-Bahnhof wurde geschlossen.[19] Östlich der Mauer kam es vermehrt zu Abrissen, die Ruinen wurden beseitigt; ein teilweise mehrere hundert Meter breiter Sand- und Wiesenstreifen entstand, um ein freies Sicht- und Schussfeld für die Grenztruppen zu schaffen, die eine Flucht in den Westen verhindern sollte.[20]

Auch im Westen überwogen anfangs die Abrisse.[21] „Der Weltstadtplatz verschwand im Nichts einer innerstädtischen Wüstenei“[22], wie es Matthias Pabsch treffend auf den Punkt bringt. Konsens auf west-berliner Seite war, das Gebiet für eine mögliche Wiedervereinigung freizuhalten. Mit der Planung und Errichtung des Kulturforums seit Ende der 1950er Jahre wich man erstmals von dieser Linie ab.[23]

Blick auf Shell-Tankstelle, Foto-Klinke und den Bellevue Tower, Berlin am Abend des 14. Januar 1987. Foto: Petershagen. Quelle: flickr.com. Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0.

Im Jahr 1971 entstand im Westen nahe der Mauer an der Eichhornstraße ein neues Hotel, der sogenannte Bellevue Tower. „Der Tower ist gebaute Westberliner Moral“ hieß es dazu in der taz.[24] Mit einer Dachterrasse mit Blick über die Mauer sollte er ein Zeichen setzen Richtung Ost-Berlin. Doch das Hotel erwies sich als unrentabel und wurde in ein Wohnheim für Studierende und Asylbewerber*innen umgewandelt.[25] Trotz der im Westen langsam anlaufenden Bautätigkeiten befand sich der Platz bis zum Mauerfall 1989 in einer Art Dämmerzustand.[26]

 

 

 

Die „größte(n) Baustelle Europas“

Aus der städtischen Randlage war das Gebiet mit dem Fall der Mauer erneut ins Stadtzentrum gerückt und auch der Mythos des einstigen „Weltstadtplatzes“ hatte die Zeit überdauert.[27] Im Bestreben an den vergangenen Glanz und die Bedeutung anzuknüpfen, versuchte der Senat mit niedrigen Grundstückspreisen, Steuernachlässen und staatlichen Subventionen große, internationale Konzerne anzulocken.[28] Daimler Benz erhielt den Zuschlag für das Areal. Für die umfassenden Umgestaltungspläne zu einer „(Hochhaus-)City für das 21. Jahrhundert“ musste auch der ehemalige Bellevue Tower weichen. Schnell verwandelte sich das Gebiet zur „größten Baustelle Europas“.[29] Als Anfang Oktober 1998 das Gelände neueröffnet wurde, war „aus dem Rasen mit den Karnickeln […] eine Art Großstadt“ gewachsen.[30]

 


[1] Stefan Schmitt: Mutter aller Kreuzungen, in: Spiegel Geschichte (30.09.2008). (zuletzt abgerufen 5.10.2020).

[2] Vgl. Jörg Müller: Der Potsdamer Platz. Zur Geschichte eines zentralen Platzes (Arbeitshefte des Instituts für Stadt- und Regionalplanung, Nr. 40) Berlin 1990, S. 5-8.

[3] Vgl. ebd., S. 5f; Wolf Thieme: Das letzte Haus am Potsdamer Platz. Eine Berliner Chronik, Hamburg 1988, S. 28.

[4] Vgl. Müller: Der Potsdamer Platz, S. 6.

[5] Vgl. ebd., S. 8-10, 20; Horst Mauter: Der Potsdamer Platz im Wandel der Zeiten, in: ders. u.a. (Hrsg.): Der Potsdamer Platz. Eine Geschichte in Wort und Bild (2., erweiterte und verbesserte Auflage), Berlin 1993, S. 7-111, hier S. 28.

[6] Vgl. Müller: Der Potsdamer Platz, S. 23-28, 30f; Mauter: Der Potsdamer Platz, S. 29f.

[7] Vgl. Mauter: Der Potsdamer Platz, S. 64; Harald Bodenschatz/Markus Tubbesing: (Groß-)Berlin und seine Zentren, in: dies./Gerwin Zohlen (Hrsg.): 100 Jahre (Groß-)Berlin und seine Zentren, Berlin 2019, S. 12-52, hier S. 12 und 30f.

[8] Vgl. Müller: Der Potsdamer Platz, S. 42.

[9] Vgl. Mauter: Der Potsdamer Platz, S. 85; Matthias Pabsch: Zweimal Weltstadt. Architektur und Städtebau am Potsdamer Platz, Berlin 1998, S. 34f.

[10] Thieme: Das letzte Haus, S. 63.

[11] Vgl. Pabsch: Zweimal Weltstadt, S. 30, 37, 51.

[12] Vgl. ebd., S. 55; Müller: Der Potsdamer Platz, S. 52; Mauter: Der Potsdamer Platz, S. 90.

[13] Vgl. Müller: Der Potsdamer Platz, S. 52.

[14] Vgl. ebd., S. 50.

[15] Vgl. Mauter: Der Potsdamer Platz, S. 92f; Pabsch: Zweimal Weltstadt, S. 55.

[16] Vgl. Müller: Der Potsdamer Platz, S. 56; Mauter: Der Potsdamer Platz, S. 99-101.

[17] Vgl. Mauter: Der Potsdamer Platz, S. 101; O.A.: Auf dem weißen Strich, in: Neues Deutschland (22.08.1948), S. 2.

[18] Vgl. Müller: Der Potsdamer Platz, S. 59.

[19] Vgl. ebd., S. 60.

[20] Vgl. Pabsch: Zweimal Weltstadt, S. 55; Mauter: Der Potsdamer Platz, S. 104f.

[21] Vgl. Mauter: Der Potsdamer Platz, S. 104f.

[22] Pabsch: Zweimal Weltstadt, S. 55.

[23] Vgl. Müller: Der Potsdamer Platz, S. 60; Pabsch: Zweimal Weltstadt, S. 56.

[24] Rolf Lautenschläger: Häßlich-schönes Denkmal, in: taz (09.04.1992), S. 28.

[25] Vgl. ebd.

[26] Vgl. Mauter: Der Potsdamer Platz, S. 7.

[27] Vgl. Pabsch: Zweimal Weltstadt, S. 58

[28] Vgl. Eva C. Schweitzer: Potsdamer Platz – Großstadt auf dem Niemandsland, in: Dorothee Dubrau (Hrsg.): Architekturführer Berlin Mitte (Band 1), Berlin 2009, S. 359-363, hier S. 359.

[29] Siehe hierzu exemplarisch Pierre Adenis: Die größte Baustelle Europas (aktualisierte Neuauflage), Berlin 2000.

[30] Schweitzer: Potsdamer Platz, S. 362.