von Irmgard Zündorf

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26. November 2020

Der Film „Zustand und Gelände“ von Ute Adamczewski fordert viel Geduld von Seiten der Zuschauer*innen. Auffällig ist zunächst die extreme Langsamkeit mit der, in 118 Minuten, die Geschichte der frühen Konzentrationslager von 1933, sowie ihr Nachleben von 1945 bis heute thematisiert wird. Gezeigt werden dazu aktuelle Filmaufnahmen von Dörfern und Städten, Gebäuden und Räumen sowie Straßen und Wäldern.
Menschen indes sind nur selten zu sehen, mal gehen sie am Straßenrand entlang, tanzen in einer Disko oder laufen Schlittschuh auf einer künstlichen Eisfläche. Die Bilder werden kaum erläutert. Vielmehr ist, zwischen langen Pausen, eine weibliche Erzählstimme zu hören, die von der Einrichtung früher Konzentrationslager berichtet, von Verfahren gegen NS-Täter nach dem Zweiten Weltkrieg und der Errichtung antifaschistischer Denkmäler in der DDR sowie den Übergriffen von Skinheads nach 1989.
Aus der Kombination von Text und Bild lässt sich schließen, dass der Film die heutige Ansicht der Orte zeigt, über die aus dem Off gesprochen wird. Anhand von Straßenschildern lässt sich erkennen, dass es sich um das Bundesland Sachsen handelt, was zur Erzählung passen würde, aber nicht explizit gesagt wird.
Der Bezug zwischen Erzählung und Bildern muss von den Zuschauer*innen hergestellt werden. In manchen Fällen, etwa wenn von einer Burg die Rede ist und eine Burg gezeigt wird, ist dies relativ einfach – in anderen Fällen, wenn eine brutale Folterszene beschrieben und eine Straße mit mehreren Häusern gezeigt wird, nicht. Die Kamera hält dabei gnadenlos still, sodass die präsentierten Bilder streckenweise wie Fotos wirken, würde nicht gelegentlich ein Auto vorbeifahren.

 

 

Der Fokus der Erzählung liegt auf den sogenannten wilden Konzentrationslagern. Diese wurden bereits 1933 in Gefängniskellern oder leerstehenden Gebäuden eingerichtet und dienten dazu, direkt nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten als politische Gegner diffamierte Personen festzuhalten und zu drangsalieren. Viele dieser frühen Haftorte wurden bereits 1933/34 wieder aufgelöst. Sie sind meist schnell in Vergessenheit geraten, manche wurden nach 1945 mit Gedenkplaketten versehen, andere blieben unerkannt. Die meisten dieser Gebäude wurden jedoch weiter genutzt, zum Beispiel als Fabriken oder Lagerhäuser.

Im Film wird die Geschichte einiger dieser Orte erzählt. Die Erzählung ist nahezu chronologisch, wobei es immer wieder Zeitsprünge zwischen Nationalsozialismus, DDR und vereinigtem Deutschland gibt. Das Narrativ stellt eine Kontinuität des ‚Missbrauchs‘ dieser Orte her. Ausgehend von der Gewalt der Nationalsozialisten springt der Text zur Instrumentalisierung der NS-Geschichte in der DDR als antifaschistische Widerstandserzählung, in der Juden nicht als Opfer anerkannt wurden, da sie nicht gegen den Faschismus gekämpft hätten. Zwischendurch werden Berichte über rechte Gewalt nach 1989 eingefügt. Die auf diese Weise gezogenen Kontinuitätslinien werden besonders dann problematisch, wenn direkt nach der Erzählung eines Jungen über die brutale Verhaftung des Vaters durch Männer in „braunen Uniformen“ ein weiterer Bericht über den Angriff von Skinheads auf den Erzähler und seine Freunde zitiert wird.

Die Stimme zitiert aus Quellen, deren Herkunft jeweils präzise benannt wird. Dazu zählen Aktenvermerke über die Entscheidung der Einrichtung eines Lagers auf kommunaler Ebene, Briefe von Unternehmern aus der Region, die ihre Zusammenarbeit mit der Lagerleitung anbieten, Materialbestellungen, aber auch Erinnerungsberichte ehemaliger Häftlinge aus den 1930er oder 1950er Jahren. Für die Zeit der DDR wird zum Beispiel aus Briefen der Vereinigung für die Verfolgten des Naziregimes (VVN) zur Einrichtung eines Gedenkortes zitiert und für die 2000er Jahre aus Zeitungsartikeln über rechte Gewalt.

Der gesprochene deutsche Text wird in englischen Untertiteln übersetzt. Das ist besonders dann hilfreich, wenn ein Denkmal mit Innenschrift gezeigt wird, die leider aus der Entfernung nicht lesbar, im englischen Untertitel aber zu sehen ist.
Insgesamt bleiben die Bilder auf Distanz und lenken wenig von der Erzählstimme ab – die Zuschauer*innen müssen sich daran gewöhnen, dass die Handlung nicht in den Bildern, sondern im gesprochenen Text voranschreitet. In der Mischung der Quellen zwischen nüchternen Aktennotizen und dramatischen Zeugenberichten liegt die Stärke des Films, aber auch eine Schwäche. So changiert die Erzählung zwischen historischer Aufklärung und emotionaler Überwältigung.

Auf der Website zum Film wird betont, dass durch die Kombination von Bildern und Zitaten „das drückende Gefühl eines Insistierens der Vergangenheit auf eine Gegenwart“ entstehe.
Nach der Sichtung des Films scheint der Autorin, dass es vor allem um dieses „drückende Gefühl“ gehen soll. Durch die Überschreibung der Bilder mit den Zitaten werden die gezeigten Dörfer, Städte, Wälder oder einfach Straßen jeweils als Tatorte inszeniert. Die eindringlichen und leider oft sehr langatmigen Beobachtungen der Orte belegen, zusammen mit den Aktenzitaten und Zeugenaussagen, scheinbar ihre Schuld. Orte sind jedoch keine Akteure und haben keine Schuld auf sich geladen. Das „Insistieren der Vergangenheit auf die Gegenwart“ wird hier ebenso konstruiert wie das „drückende Gefühl“. Vielmehr erscheinen die Bilder, gerade durch den suggerierten, häufig aber unklar bleibenden Zusammenhang mit den Quellenzitaten, beliebig.
Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass mit Zitaten offenbar jedes Bild überschrieben werden kann.

 

Zustand und Gelände (Deutschland 2020), Regie: Ute Adamczewski, Bild: Stefan Neuberger. GRANDFILM. Gefördert durch Medienboard Berlin-Brandenburg.