Hg. von Rebekka Grossmann, Annette Vowinckel

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6. Oktober 2005

Unter Mitarbeit von Marie Luise Wallroth und Annette Schuhmann

 

Am 7. Oktober 2023 griff die palästinensische Terrororganisation Hamas den Süden Israels an, verübte ein von entgrenzter Gewalt geprägtes Massaker an der lokalen Bevölkerung und verschleppte mehr als 200 Geiseln in den Gazastreifen. Es folgte eine Luft- und Bodenoffensive der israelischen Armee, der seither mehrere zehntausend Menschen im Gazastreifen zum Opfer fielen und fallen – darunter nicht nur zahlreiche Hamas-Kämpfer, sondern auch viele Zivilist*innen. Mehrere hundert israelische Soldaten sind in diesem Krieg bereits gefallen, viele der Geiseln sind nicht mehr am Leben. Während wir dieses Editorial schreiben, weiten sich die Kämpfe auf den Libanon aus, von wo aus die schiitische Hisbollah agiert, der Iran hat soeben zum zweiten Mal Raketen auf Israel abgeschossen. Die akute Gefahr eines Flächenbrandes in der gesamten Region ist zum Dauerzustand geworden. Unzählige Menschen sind seit Monaten auf der Flucht.

Unterdessen spaltet die Frage der Geiselbefreiung die israelische Gesellschaft, die zwar immer schon heterogen, durch die monatelangen Proteste gegen die Justizreform der Regierung Netanyahu jedoch bereits zusätzlich polarisiert war. Die Beharrungskräfte der israelischen Hardliner, die diese Geiseln der militärischen Raison zu opfern bereit zu sein scheinen, sind ebenso groß wie der zivilgesellschaftliche Druck (nicht nur) der Angehörigen, die noch lebenden Geiseln endlich nach Hause zu bringen. Die palästinensische Bevölkerung in der Westbank leidet derweil unter der zunehmenden Gewalt radikaler Siedler, vor der die israelische Armee sie oft nur unzureichend schützt.

Die Weltöffentlichkeit ist gespalten wie selten zuvor. Sowohl der Antisemitismus als auch der antiarabische Rassismus dominieren Auseinandersetzungen in der Medienöffentlichkeit und auf der Straße. Teile der westlichen Gesellschaften streiten darüber, ob man sich mit der palästinensischen Seite (einschließlich der Hamas, deren Politik als anti-kolonial markiert wird) oder der israelischen Seite (einschließlich einer in Teilen rechtsradikalen Regierung) solidarisieren solle. An Frieden und Ausgleich interessierte Kräfte werden von keiner der beiden Seiten als solche akzeptiert. Die Verhärtung der Standpunkte droht, Bündnisse, Familien und Freundschaften zu zerstören. Dabei war der Konflikt immer auch eine internationale Angelegenheit: Sei es durch die Interventionen westlicher Mächte in der Region, sei es durch seine Austragung auf den Straßen unserer Städte, die nicht selten in Gewalt ausartet und damit auch politische Entscheidungen in Deutschland und Europa prägt.

Der 7. Oktober ist ein Einschnitt in der israelischen Geschichte, der den Glauben an Israel als Schutz- und Zufluchtsort für Juden aus aller Welt in den Grundfesten erschüttert hat.

Gleichzeitig hat er eine lange Vorgeschichte. Wir nehmen den Jahrestag des 7. Oktober zum Anlass, ein Dossier zur Vergangenheit und Gegenwart eines Konflikts zu veröffentlichen, der sich weiterhin täglich wandelt.

Das Dossier bleibt offen, wir werden in den kommenden Wochen und Monaten weitere Texte veröffentlichen.