Mit Say Nothing erschien im November 2024 auf den Streamingplattformen Disney+ und Hulu eine neunteilige Miniserie über den Nordirlandkonflikt, der von 1969 bis 1998 den Nordosten der irischen Insel zu einem Schauplatz bürgerkriegsähnlicher Gewalt werden ließ. Die Serie basiert auf dem internationalen Non-Fiction-Beststeller Say Nothing des US-amerikanischen Journalisten Patrick Radden Keefe aus dem Jahr 2018 und verwandelt das komplexe Sachbuch in ein Unterhaltungsformat. Die Macher*innen der Serie rücken dabei besonders die emotionalen Folgen politisch motivierter Gewaltakte für Mitglieder der irisch-republikanischen Provisional IRA (PIRA) in den Mittelpunkt. Say Nothing wirft dadurch Fragen nach dem filmischen Umgang mit traumatisierenden Ereignissen aus der jüngeren Zeitgeschichte auf und sorgt in Nordirland selbst für zwiegespaltene Reaktionen.
Zum Inhalt
Als Ausgangspunkt der Erzählung in Say Nothing dient die Entführung und Ermordung der zehnfachen Mutter und Witwe Jean McConville durch die Paramilitärs in Belfast im Dezember 1972. Die Frage, was mit McConville geschah und wer die Verantwortung für ihr jahrzehntelanges Verschwinden trug, fungiert als roter Faden für alle Folgen. In Zeitsprüngen über vier Jahrzehnte hinweg werden sowohl die Vorgeschichte als auch die Folgen dieses berüchtigten und nie vollständig aufgeklärten Mordes für die Familie McConville, vor allem aber für beteiligte Paramilitärs dargestellt. So rücken Dolours Price, ihre Schwester Marian und ihr gemeinsamer Aufstieg in der Belfaster PIRA als bewaffnete Frauen in den frühen 1970er Jahren in den Mittelpunkt von Say Nothing. Beide gehörten bereits 1972 zu denjenigen PIRA-Mitgliedern, die potenzielle Informant*innen für Armee und Polizei in die Republik Irland entführten und dort verschwinden ließen, so eben auch Jean McConville.[1] Neben den Price-Schwestern werden zudem Brendan Hughes und Gerry Adams in der Serie prominent als Mitglieder des Belfaster Führungsstabs portraitiert. Letzterer leugnet allerdings, im Gegensatz zur Price und Hughes, bis heute eine Mitgliedschaft in der PIRA, worauf aus rechtlichen Gründen in jeder Folge der Serie ein Disclaimer hinweist. Im Serienverlauf entsteht über die vier jungen Menschen ein Panorama: Die jeweilige Motivation, politische Gewalt unterschiedlicher Form auszuüben, die emotionalen Ausnahmesituationen, die dies mit sich brachte, aber auch den unterschiedlichen Umgang mit der Verantwortung für eben diese Gewalt über die Jahrzehnte hinweg – Say Something präsentiert insgesamt ein eindrücklich breites Spektrum über die oft traumatisierende Gewalt in Nordirland. So schließt sich am Ende thematisch auch der Kreis zur Familie McConville, die erst im Jahr 2003 die sterblichen Überreste von Jean McConville bestatten konnte, fünf Jahre nach Ende des Nordirlandkonflikts.
Zur Einordnung
Die Perspektive der Serie ist geprägt durch die Quellenbasis für das Buch Say Nothing. Zentral waren dafür ausführliche Oral-History-Befragungen mit Dolours Price und Brendan Hughes, in denen die beiden interne Entwicklungen der Belfaster PIRA und ihre persönlichen Einschätzungen dazu offenlegten und auch zum Verschwinden von Jean McConville Auskunft gaben.[2] Für die Serie dienen diese Interviewsituationen mit Hughes und Price stärker als im Buch als wesentliche Rahmung, immer wieder werden Szenen aus diesen Interviews nachgestellt und strukturieren so die Ereignisse. Die Interviews demonstrieren jedoch auch, und dem folgt die Serie Say Nothing, die verbitterte Abrechnung zweier ehemaliger PIRA-Mitgliedern mit Gerry Adams. Dieser war ab 1983 lange Jahre Vorsitzender von Sinn Féin in Nordirland, schlug einen zunehmend parlamentarischen Kurs ein und war maßgeblich verantwortlich für das Karfreitagsabkommen von 1998 auf republikanischer Seite. Seine öffentlichen Distanzierungen von der PIRA und einige Grundlagen des Karfreitagsabkommens galten vielen Mitgliedern als Verrat eines ehemaligen Kampfgenossen.
Say Nothing beschäftigt sich nicht mit dem Nordirlandkonflikt insgesamt, sondern erzählt die Geschichte einiger weniger Personen im Belfast der 1970er Jahre. Zentrale Ereignisse für den Verlauf des Konflikts, wie die Wiedereinführung der Internierung ohne Gerichtsverfahren im Sommer 1971 durch die britische Regierung, das Ballymurphy Massacre 1971 und Bloody Sunday im Januar 1972 oder die Räumung der No-Go-Areas in irisch-katholischen Stadtvierteln durch die britische Armee im Juli 1972, die allesamt massiv zur Verschärfung des Konflikts und auch der Handlungslogik vieler zunehmend militanter Republikaner*innen beitrugen, werden nicht erwähnt. Die Serie rekurriert dezidiert nur auf Ereignisse, die ihre Hauptprotagonist*innen selbst miterlebt haben – ganz ähnlich wie Keefe es bereits für das Buch vorgesehen hatte, wobei letzteres selbstredend viel mehr Kontext liefern konnte.[3] Sehr klar wird dagegen die Bedeutung der Strategien zur Aufstandsbekämpfung, die der britische General Frank Kitson in Nordirland installierte. Es wird jedoch dezidiert das spezifische Umfeld der Provisional IRA-Einheit in West-Belfast in den 1970er Jahren nachgezeichnet, andere Orte in Belfast, aber auch South Armagh und Derry oder gar loyalistische Gruppierungen spielen keine Rolle. Das Thema der informellen Justiz republikanischer Paramilitärs in irisch-katholischen Communities während des Nordirlandkonflikts, das weit über den Umgang mit potenziellen Informant*innen hinausging und an vielen Stellen die Präsenz der staatlichen Polizei ersetzte, erscheint insgesamt recht oberflächlich. Gleichzeitig schafft die Serie es, mögliche Ambivalenzen in den Charakteren der Price-Schwestern, bei Hughes und Adams einzufangen, ohne in ein einfaches Gut-Böse-Schema im Kontrast mit der McConville-Familie zu verfallen.
Fest steht: Die Serie ist sehr gut produziert. Belfast als städtischer Austragungsort des Nordirlandkonflikts mit seinen topographischen Eigenheiten wird eindrücklich visualisiert. Für das Publikum sind die vielen Erzählebenen und Zeitsprünge erstaunlich leicht nachzuvollziehen. Die Schauspieler*innen sind überzeugend gewählt und machen es den Zuschauenden leicht, einen Zugang zur Handlung zu finden. Viele von ihnen stammen selbst aus Nordirland und sind Teil der Generation, die mit dem Karfreitagsabkommen aufwuchs. Besonders Anthony Boyle als Brendan Hughes und Lola Petticrew als Dolours Price dürften für ihr intensives Spiel und die gemeinsamen Szenen viel Aufmerksamkeit bekommen – die beiden kennen sich schon seit Jugendtagen. Doch auch der britische Schauspieler Josh Finan spielt den jungen Gerry Adams faszinierend. Schließlich kommt der sarkastische Humor, der bis heute in Nordirland auch mit Blick auf die Gewalt der Troubles verbreitet ist, an vielen Stellen zum Tragen.
Zum Unterhaltungscharakter und Reaktionen in Nordirland
Als Stoff liegt der Nordirlandkonflikt derzeit im Trend. Die breite Rezeption von Say Nothing kann in diesem Kontext auch als Fortsetzung eines neuen Unterhaltungsinteresses verstanden, das anschließt etwa an die erfolgreiche Sitcom Derry Girls, die sich zu einem Kern des Stadtmarketings von Derry entwickelt hat, sowie das BBC-Crime-Drama Blue Lights. Der nordirische Regisseur Michael Lennox war sowohl in der Produktion der Derry Girls involviert als auch bei Say Nothing. Im Gegensatz zu den zwar an wirklichen Erfahrungen und Geschichten orientierten, aber letztlich fiktionalen Geschichten der genannten Serien thematisiert Say Nothing jedoch ein in Nordirland bis heute stark aufgeladenes, mit realen Personen verbundene Thema: Die Geschichte der offiziell insgesamt 17 Verschwundenen im Nordirlandkonflikt. Der Mordfall Jean McConville ist die bekannteste und berüchtigtste der Geschichten, weil in ihrem Fall eine alleinerziehende Mutter von zehn Kindern vor deren Augen entführt wurde. Bis heute sind erst in 13 Fällen die sterblichen Überreste der Verschwundenen ausfindig gemacht worden.[4] Say Nothing thematisiert damit, neben der andauernden öffentlichen Diskussion um die Rolle von Gerry Adams in der Provisional IRA, also gleich zwei Themen, die im politischen Norden der grünen Insel weiterhin stark aufgeladen sind. Insofern überrascht es nicht, dass die Disney-Produktion eine Debatte um die eigene Existenzberechtigung entfachte. Von den in Say Nothing portraitierten PIRA-Mitgliedern sind mit Dolours Price (2013) und Brendan Hughes (2008) zwei längst verstorben. Marian Price, die in Nordirland lebt, hat angekündigt, Disney+ aufgrund der Vorwürfe gegen ihre Person in der Serie zu verklagen. Sie ist bis heute in dissidentischen republikanischen Kreisen aktiv. Gerry Adams dagegen hatte bereits vor der Ausstrahlung der Serie ein anwaltliches Statement veröffentlichen lassen, in dem er eine Beteiligung an der Geschichte der Verschwundenen bestreitet.
Kritik am Unterhaltungscharakter der Serie kommt jedoch auch von Angehörigen der Verschwundenen. Im Namen der Kinder Jean McConvilles hat sich Michael McConville in einem Statement geäußert und die Serie als „horrendous“ und „cruel“ verurteilt. Die Geschichte seiner Mutter sei weithin bekannt, so McConville, und er sehe keine Notwendigkeit, warum seine Familie nun erneut damit konfrontiert werden müsse, zumal in Form des gestreamten Zeitvertreibs: „My mother’s death is not ‘entertainment’ for me and my family. This is our reality, every day for 52 years.“ Besonders die explizite Darstellung der Ermordung und geheimen Beerdigung sei fürchterlich: „[…] unless you have lived through it, you will never understand just how cruel it is.” Bereits 2019 hatte Michael McConville sich im Namen der Familie entsetzt über die Idee gezeigt, dass eine Miniserie auf der Basis von Say Nothing entstehen solle. Auch Maria Lynskey, die Nichte von Joe Lynskey, betrachtet die Serie verhalten: Zwar sei jede Form von Öffentlichkeit für das Thema der Verschwundenen vermutlich gut, aber die für Familien der Angehörigen sei die Umsetzung der Ereignisse als Drama schwierig, äußerte sie gegenüber der BBC. Mit ihr hätten sich die Verantwortlichen erst getroffen, als die Arbeiten an der Serie bereits begonnen hatten, eine Möglichkeit, das Projekt einzustellen, habe es nicht gegeben. Über Serien-Macher Patrick Radden Keefe sagte sie: „We told him how we felt about it, and that we didn't approve of it.“ Der Anspruch des Produktionsteams, mit der Say Nothing möglicherweise zur Aufklärung der restlichen Geschichte der Verschwundenen beizutragen, bekommt so einen bitteren Beigeschmack. Dies ist umso mehr der Fall, als dass im sehr kleinen Nordirland eine Konfrontation mit dem Thema für viele Angehörige nun unausweichlich sein wird. Dabei war bereits im Jahr 2013 eine ausführliche Dokumentation über die Geschichte der Verschwundenen erschienen, in denen auch Michael McConville und Maria Lynskey gemeinsam mit vielen anderen Familienangehörigen ausführlich zu Wort kommen.[5] Es ist wohl insgesamt der würdigere Rahmen, ihre Geschichte zu erzählen.
[1] Ein 2006 veröffentlichter Bericht der nordirischen Polizei fand keine Hinweise darauf, dass Jean McConville tatsächlich als Informantin gedient hatte. Der Bericht ist einzusehen auf der Homepage des Police Ombudsman for Northern Ireland: URL: https://www.policeombudsman.org/investigation-reports/historical-investigations/no-evidence-jean-mcconville-was-an-informant-police-ombudsman (9. Dezember 2024).
[2] Die Interviews mit Brendan Hughes und David Ervine waren beispielsweise Grundlage für ein Aufsehen erregendes Buch von Ed Moloney, der wesentlicher Akteur des Belfast Project war. Vgl. Ed Moloney: Voices from the Grave. Two Men's War in Ireland, London 2010.
[3] Patrick Radden Keefe äußert sich über Buch und Serie etwa im wöchentlichen Literaturpodcast der New York Times. Vgl. Gilbert Cruz: Patrick Radden Keefe on Taking "Say Nothing" From Book to Show, in: The New York Times, The Book Review, 15. November 2024.
[4] Mehr Informationen finden sich beispielsweise auf der Homepage der Independent Commission for the Location of Victims Remains in Nordirland. URL: https://www.iclvr.ie (9. Dezember 2024).
[5] Alison Millar: The Disappeared. Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland: Journeyman Pictures, 2013.