Die öffentliche Wahrnehmung der Transformationen in den postsozialistischen Ländern ist in zweierlei Hinsicht unterbelichtet: Sie ist räumlich begrenzt, indem sie den Fokus auf jeweils national begrenzte Fälle im ehemaligen Ostblock richtet. Sie ist zeitlich begrenzt, indem sie den Fokus auf die Jahre des raschen Systemumbaus richtet und allenfalls die Jahre unmittelbar davor einbezieht. Transformationen ganzer Gesellschaften, so wollen wir an einer alltagsrelevanten Institution zeigen, greifen aber auch auf Ressourcen zurück, die viel weiter in die Vergangenheit zurückreichen und gerade im zentraleuropäischen Raum schon immer einen zugleich nationalen und transnationalen Charakter hatten. Die Rede ist von der Freiwilligen Feuerwehr als einem seit Mitte des 19. Jahrhunderts in allen Ländern des Deutschen Reichs wie auch der Österreichisch-Habsburgischen Monarchie verbreiteten Muster der lokalen Selbstregierung (self governance). Unsere Beispiele kommen aus Sachsen, den tschechischen Ländern und Slowenien – sie könnten aber auch aus Mecklenburg-Vorpommern, Galizien, der Slowakei oder der Vojvodina stammen. Gemeinsam ist ihnen die erstaunliche institutionelle Kontinuität der Organisation eines freiwilligen Dienstes für die lokale Gemeinschaft über die dramatischen Systemwechsel des 20. Jahrhunderts hinweg. Dabei existieren Freiwillige Feuerwehren immer lokal als Personenvereine mit aktiven (das heißt für die Brandbekämpfung einsatzbereiten) und fördernden Mitglieder*innen, die sich überlokal zu regionalen und nationalen Verbänden zusammenschließen, die wiederum untereinander rege den internationalen Austausch pflegen.

 

Der Fall Meißen: die Transformation des freiwilligen Feuerwehrwesens der DDR

Im sächsischen Meißen befindet sich die älteste Freiwillige Feuerwehr Deutschlands – gegründet 1841. Das NS-Regime brachte tiefgreifende Einschnitte für die Feuerwehren: Sie wurden in die zentralisierte Polizei und damit das Imperium des Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, integriert und ihrer traditionellen Autonomie beraubt. Nach 1945 etablierten sich im Zuge der Teilung Deutschlands zwei konträre Systeme: In der Bundesrepublik gründeten sich Kreis- und Landesverbände sowie der Deutschen Feuerwehrverband wieder. In der DDR ersetzten ein zentralisiertes Feuerwehrwesen mittels einheitlicher Organisation im Ministerium für Inneres und die Unterstellung unter die Deutsche Volkspolizei die ehemals traditionsreichen Verbände. Die auf dem Ehrenamt beruhenden lokalen Freiwilligen Feuerwehren blieben aber flächendeckend erhalten und trugen die Hauptlast von Brandschutz und Brandbekämpfung. Die Mitgliedschaft beider deutscher Staaten im Weltfeuerwehrverband Comité Technique International de prévention et d’extinction du Feu (CTIF) führte 1988 erstmals zu einem offiziellen Austausch zwischen ost- und westdeutschen Feuerwehrdelegierten. Dem waren inoffizielle Kontakte vorausgegangen. Seit 1987 pflegte zum Beispiel die Freiwillige Feuerwehr Meißen einen Austausch mit Kameraden aus dem württembergischen Fellbach, der Partnerstadt Meißens. Der Kontakt verhalf ihnen während der politischen Transformation 1989/90 zu einer raschen Neuorientierung: Grundlegend war dabei der Gedanke zur Wiederbelebung des Feuerwehrverbandswesens. Noch vor der Wiederherstellung des Landes Sachsen und der sich daraus ergebenden Entwicklung neuer regionaler Strukturen gründete sich mit Unterstützung der westdeutschen Partner im Februar 1990 der Kreisfeuerwehrverband Meißen als erster Verband dieser Art auf dem Gebiet der DDR. Mit der Gründung des Sächsischen Landesfeuerwehrverbandes am 29. September 1990 waren die Verbandstrukturen noch vor dem Ende der DDR straffgezogen. In kürzester Zeit wurden die institutionellen Voraussetzungen für eine breite Partizipation und Mitsprache der ostdeutschen Aktivist*innen des freiwilligen Brandschutzes im wiedervereinigten Deutschland hergestellt.

 

Tschechien: Zentrum der internationalen „Bewegung“ der Freiwilligen Feuerwehren

Die Freiwilligen Feuerwehren im heutigen Tschechien wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem Massenphänomen. Die Dichte an Vereinen war in den gemischtsprachigen Gebieten besonders hoch, hier dienten Feuerwehrvereine oft als Ersatzorganisationen für die verbotenen Sokol-(Turn-)Vereine. Die deutsch- und tschechischsprachigen Freiwilligen Feuerwehren unterhielten in Böhmen, Mähren und Schlesien eigene Dachorganisationen. Im Jahr 1918 zusammengeführt, wurden die Feuerwehr-Verbände 1939 zentral dem deutschen Protektoratsluftschutz unterstellt. Die Zentralisierung wurde nach dem Krieg 1945 in Form des Verbandes der tschechoslowakischen Feuerwehren fortgeführt. Nach der kommunistischen Machtübernahme 1948 sollte jede Ortschaft mit mehr als 1.000 Einwohner*innen eine freiwillige Einheit bekommen, aufgeteilt in öffentliche und betriebliche Feuerwehren. Zwischen 1953 und 1958 versuchte der Staat, die beruflichen Feuerwehren im ganzen Land als Ersatz für die Freiwilligen Feuerwehren zu etablieren. Dies scheiterte am Widerstand der lokalen Politik sowie an den Kosten. Bemerkenswerterweise verstehen sich Freiwillige Feuerwehren in Tschechien noch heute als eine „Bewegung“. Im Jahr 1973 kam es im Anschluss an eine CTIF Olympiade der Feuerwehrsportler und einer wissenschaftlichen Tagung in Brno zur Internationalisierung dieser „Bewegung“. Bei der Gründung und Etablierung des internationalen Feuerwehr-Zentrums und -Museums in Přibyslav spielte ein hochrangiger kommunistischer Funktionär, der Jurist Dr. Miroslav Řepiský, eine wichtige Rolle. Nach 1989 wurde umgehend die alte Länderorganisation der Feuerwehrverbände wiedereingeführt, ohne dass diese Länder selbst als politische Einheiten der Tschechischen Republik wiederentstanden.

 

Slowenien: ein Feuerwehrverein in jeder lokalen Gemeinschaft

In Slowenien sind Freiwillige Feuerwehren seit jeher und bis heute der häufigste Typus eines von Bürger*innen einer Kleinstadt oder eines Dorfes getragenen eigenständigen Vereins – ihre Mitglieder machen 8% (!) der Bevölkerung des Landes aus. Sie können als Kern örtlicher Geselligkeit angesehen werden – davon zeugen die jedes Jahr organisierten Hunderte von Feuerwehr-Festen. Die Verankerung in der örtlichen Gemeinschaft war für das Funktionieren einer lokalen Feuerwehr seit jeher von entscheidender Bedeutung. Dies galt auch für die Epoche der jugoslawischen sozialistischen Selbstverwaltung. In den letzten fünfzehn Jahren des Sozialismus spielten die Kommunen und deren lokale Gemeinschaften die Hauptrolle bei ihrer Organisierung und Finanzierung. Bis 1991 gab es in der Sozialistischen Republik Slowenien unterhalb der Ebene der eigentlichen Gemeindeverwaltungen (Kommunen) ungefähr 1.170 lokale „Gemeinschaften“. Diese Zahl lag nicht zufällig nah an den bereits erwähnten Zahlen für eigenständige Freiwillige Feuerwehren, denn es galt das Prinzip, dass jede lokale Gemeinschaft entweder eine professionelle oder freiwillige Feuerwehr hatte. Im Zuge der Transformation zentralisierte der demokratisierte Staat das System der öffentlichen Finanzen und nahm damit das unter der kommunistischen Führung konsequent praktizierte Subsidiaritätsprinzip zurück. Paradoxerweise schwächte die Demokratisierung damit zunächst die Eigenständigkeit der lokalen Feuerwehren. Im Zuge der Einführung eines neuen nationalen Feuerwehr-Gesetzes und der Reorganisation der lokalen Selbstverwaltung erlangten aber auch die Freiwilligen Feuerwehren ab Mitte der neunziger Jahre wieder ihre zentrale Funktion und relative Eigenständigkeit für Brandschutz und Brandbekämpfung.

 

Freiwillige Feuerwehren als Teil der europäischen Zivilgesellschaft

Der Vergleich der verschiedenen Entwicklungswege des Freiwilligen Feuerwehrwesens in Zentraleuropa zeigt, dass diese im Großen und Ganzen auf denselben Organisationsprinzipien beruhende Form der örtlichen Selbsthilfe in sehr unterschiedlichen politischen Systemen überleben konnte und sich bis heute ungebrochener Vitalität erfreut. Verankerung in der politischen Kultur einer Nation und transnationale Orientierungen schlossen einander nicht aus, im Gegenteil. Als in den neunziger Jahren in den meisten europäischen Ländern Normen und Standards des Brand- und Katastrophenschutzes im Rahmen der EU-Verträge zunehmend vereinheitlicht wurden, waren gerade die Freiwilligen Feuerwehren dank ihres jahrzehntelangen Zusammenwirkens im CTIF bestens vorbereitet. Zugleich profitieren die früher als altmodischer Ausbund männerbündlerischer Vereinsmeierei belächelten Feuerwehren von der zunehmenden Wertschätzung des freiwilligen und ehrenamtlichen Engagements durch die Politik wie die Gesellschaft insgesamt. Sie haben sich vielerorts für die aktive Mitarbeit von Frauen und Migrant*innen geöffnet, leisten umfangreiche Jugendfreizeitarbeit und gelten mittlerweile ganz selbstverständlich als unverzichtbare Aktivposten der „zivilgesellschaftlichen Infrastruktur“. Und dass wir im Zuge der Auswirkungen des Klimawandels mehr denn je einen auf massenhaftem Freiwillig*innen-Engagement gegründeten Brandschutz brauchen, das hat der letzte Sommer eindrücklich gezeigt.