von Stefanie Oster, Johann Henningsen

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17. August 2022

Das Sonnenblumenhaus, ein an seiner Ostseite mit dem charakteristischen Mosaik verzierten Plattenbau im Rostocker Randbezirk Lichtenhagen, ist ein häufig verwendetes Symbolbild für Rassismus und rechte Gewalt. Oft eingereiht in der Aufzählung „HoyerswerdaLichtenhagenMöllnSolingen“ (erweiterbar um „HalleHanau“), ist „Lichtenhagen“ ein Schlagwort, ohne das kaum eine Erzählung zur Debatte um die Verschärfung des Asylrechts und die „Baseballschlägerjahre“ Anfang der 1990er Jahre auskommt. Bedingt ist diese Sichtbarkeit auch durch die bereits während des Pogroms einsetzende Medialisierung. Während der tagelangen Angriffe rechter Gewalttäter:innen auf im Sonnenblumenhaus lebende Geflüchtete und ehemalige Vertragsarbeiter:innen aus Vietnam waren permanent Kamerateams anwesend. Im Fernsehen wurde täglich live vom Ort des Geschehens berichtet. Besonders eindrücklich sind die Aufnahmen eines ZDF-Kamerateams, das mit im brennenden Haus eingeschlossen war.[1]

Wie Dan Thy Nguyen, Autor des Theaterstücks und Hörspiels Das Sonnenblumenhaus, bereits 2017 geschrieben hat, geht mit dieser Sichtbarkeit aber keineswegs die „soziale, juristische, politische oder wissenschaftliche Aufarbeitung“[2] des Ereignisses einher. Nach dem Pogrom wurden nur wenige der Täter:innen juristisch zur Verantwortung gezogen und bis heute sind viele Fragen ungeklärt.[3] Den großen lokalen Gedenkveranstaltungen und der überregionalen Medienaufmerksamkeit zu den „runden“ Jahrestagen des Pogroms steht also die lückenhafte Aufarbeitung des Pogroms gegenüber. Die Gefahr besteht, das „‘Rostock-Lichtenhagen‘ alle zehn Jahre aus der kollektiven Versenkung der deutschen Geschichte auftaucht, um nach dieser Pflichtübung für die nächsten Jahre wieder in die Vergessenheit abzutauchen“, wie Kien Nghi Ha es 2012 im bis heute grundlegendem Essay Rostock-Lichtenhagen – Die Rückkehr des Verdrängten kritisiert.

Teil dieses Missverhältnisses ist, dass in der Erinnerung und den Erzählungen über das Pogrom die Perspektiven der im Sonnenblumenhaus angegriffenen Vietnames:innen und Geflüchteten jahrzehntelang meist ignoriert wurden. „Die Opfer haben kein Gesicht“, wie es Mai Phuong-Kollath formulierte, die selbst als Vertragsarbeiter:in lange im Sonnenblumenhaus lebte. Diese Beschreibung trifft auch auf viele Film- und Fernsehproduktionen zum Pogrom in Lichtenhagen zu. Diese beschäftigen sich wie die Dokumentation Wer Gewalt sät. Von Brandstiftern und Biedermännern (1993) mit den innenpolitischen Hintergründen oder wie der Spielfilm Wir sind jung. Wir sind stark (2014) mit den weißen Täter:innen. Eine Ausnahme stellt die bereits 1993 erstausgestrahlte Dokumentation The truth lies in Rostock – Die Wahrheit liegt (lügt) in Rostock dar. An der Erstellung der Filmaufnahmen waren auch vietnamesische Betroffene des Pogroms beteiligt und im Sonnenblumenhaus angegriffene Geflüchtete kommen ausführlich zu Wort. Damit nimmt die Dokumentation in der medialen Aufarbeitung von „Lichtenhagen“ eine Stellung ein, welche auch 30 Jahre später von keiner anderen Produktion erreicht wird.

Wie Carsta Langner und Julia Stegman in ihrer Analyse der zeitgenössischen Dokumentation „Stau“ geschrieben haben, lässt sich The truth lies in Rostock in die Tradition der Anfang der 1990er Jahre aus einem aktivistischen Kontext entstandenen filmischen Dokumentationen einordnen, welche bereits früh die Perspektiven Betroffener dokumentierten und den Blick auf die Verbindungen zwischen rechter Straßengewalt, Alltagsdiskriminierung und institutionellem Rassismus lenkten. Wir werden in diesem Beitrag anhand der Entstehungsgeschichte von The truth lies in Rostock näher ausführen, welchen Einfluss der aktivistische Hintergrund der Macher:innen auf die im Film dokumentierten Stimmen hatten. Außerdem werden wir zeigen, welche Potentiale für die Erforschung von bislang marginalisierten Perspektiven auf die Transformationszeit solche Dokumentationen bieten.

 

Besuch aus London

Bereits 1982 gründete Mark Saunders in Südlondon das Projekt spectacle, zunächst noch unter dem Namen Despite TV. Ausgangspunkt war die Kritik an Form und Inhalten der massenmedialen Berichterstattung. Mit ihren Filmen versuchten die Aktivist:innen von spectacle in politische Konflikte zu intervenieren und marginalisierten Akteur:innen Gehör zu verschaffen.[4] Anstatt deren Perspektiven lediglich abzubilden, beteiligten die Filmemacher:innen lokale Aktivist:innen direkt an den Videoprojekten. Dem Ansatz des participatory video folgend, entwickelten sie verschiedene Methoden, um die Techniken der Filmproduktion niedrigschwellig zugänglich zu machen. Um Hierarchien in der Filmerstellung abzubauen, erhielten die Teilnehmenden alle eine Einweisung in die Aufnahmetechnik, Aufgaben wurden rotierend verteilt und gestalterische und inhaltliche Entscheidungen im Konsens getroffen. Ein Ansatz, mit dem spectacle bis heute arbeitet und der auch in der Entstehung von The truth lies in Rostock Verwendung fand.

Auf einer Konferenz in Zürich 1990 traf Mark Saunders den an der Rostocker Universität lehrenden Soziologen Karl-Otto Richter, der ihn in die Hansestadt einlud. Mit einem knappen Budget des British Councils ausgestattet, hielt Mark Saunders daraufhin mehrfach medienpädagogische Workshops in Rostock und half interessierten Aktivist:innen beim Aufbau der Medienwerkstatt Jako. Inhaltlich galt sein Interesse zunächst den mit der Wiedervereinigung einhergehenden Transformations- und Deindustrialisierungsprozessen in Rostock. Gemeinsam mit ehrenamtlich Engagierten ging er der Frage nach, welche Auswirkungen diese Prozesse auf das Leben, die Erwartungen und Zukunftsperspektiven der Rostocker:innen hatten.[5]

Die Rostocker Aktivist:innen kamen aus dem Umfeld des Jugendalternativzentrums (JAZ). In einem ehemaligen Kindergarten hatten Jugendliche 1991 hier einen selbstverwalteten Ort für verschiedene kulturelle und politische Projekte geschaffen. Konfrontiert waren sie dabei mit einer Anfang der 1990er Jahre in Mecklenburg-Vorpommern omnipräsenten rechten und rassistischen Gewalt. Täglich wurden in dieser Zeit nicht-rechte Jugendliche bedroht, ehemalige Vertragsarbeiter:innen überfallen und Sammelunterkünfte für Geflüchtete angegriffen.[6] Im März 1992 wurde bei einem Angriff auf eine Geflüchtetenunterkunft in Saal, etwa 40 Kilometer von Rostock entfernt, der rumänische Geflüchtete Dragomir Christinel ermordet.

 

Filmische Dokumentation als aktivistische Beweissicherung

Von Seiten der Polizei wurde bei diesen Angriffen wenig Unterstützung oder Schutz erwartet.[7] Dass auch im Nachgang rechter Angriffe die Ermittlungen meist im Sande verliefen, erfuhr auch die damalige Ausländerbeauftragte des Landkreises Rostock, Konni Fuentes. Sie hatte Kontakt zu den Aktivist:innen aus dem JAZ aufgenommen, nachdem es einen Angriff auf die Geflüchtetenunterkunft in Gelbensande gegeben hatte. Der Angriff war von den Bewohner:innen der Unterkunft, größtenteils Rom:nja aus dem rumänischen Craiova, erfolgreich abgewehrt worden.[8] Obwohl es sich bei den Angreifer:innen um Jugendliche aus der Umgebung handelte, konnten diese von der Polizei vermeintlich nicht identifiziert und folglich nicht juristisch zur Verantwortung gezogen werden. Als Reaktion darauf bat Konni Fuentes die Aktivist:innen aus Rostock, einen zu erwartenden weiteren Angriff filmisch zu dokumentieren, damit die Aufnahmen später als Beweismittel genutzt werden könnten. An mehreren Wochenenden übernachtete daraufhin eine kleine Gruppe in der Unterkunft, um mögliche Angriffe auf Film festhalten zu können. Diese Aktionen bezeichneten die Aktivist:innen als „Schutzwachen“[9].

Als sich im Sommer 1992 die Situation am Sonnenblumenhaus immer weiter zuspitzte und rassistische Angriffe jederzeit zu befürchten waren, verlagerte sich das Interesse der Filmemacher:innen aus London und der Rostocker Aktivist:innen nach Lichtenhagen. Kontakte zu den ehemaligen Vertragsarbeiter:innen aus Vietnam hatten, vermittelt durch den damaligen Ausländerbeauftragten der Stadt Rostock Wolfgang Richter, schon zuvor bestanden. Anfang 1992 hatten die vietnamesischen Rostocker:innen beispielsweise Tết Nguyên Đán (das „Tet-Fest“) im JAZ gefeiert. Als sich nach Ankündigungen in Lokalzeitungen am Samstag, den 22. August 1992, mehrere hundert Menschen vor dem Sonnenblumenhaus versammelten, waren auch Aktivist:innen aus dem JAZ im Wohnheim der Vietnames:innen, um diese bei möglichen Angriffen zu unterstützen – und mit der mitgebrachten Filmausrüstung die Angriffe zu dokumentieren. Als am Samstagabend dann ein mehrstündiger Angriff auf das Sonnenblumenhaus begann, dem zunächst viel zu wenige und völlig überforderte Einsatzkräfte der Polizei gegenüberstanden, wurde dieser Plan in die Tat umgesetzt. Die im Haus Angegriffenen verteidigten sich mit Wurfgeschossen von den Balkonen und filmten gleichzeitig die Angreifer:innen. Aufnahmen, die später in The truth lies in Rostock Verwendung fanden. Während der folgenden Tage versammelten sich im JAZ Aktivist:innen aus Rostock, Hamburg, Berlin und anderen Städten, die gemeinsame Gegenaktionen planten. Um einen Einblick in die Situation vor Ort zu geben, fuhren mehrmals kleine Gruppen mit Kameraausrüstung nach Lichtenhagen, das entstandene Material wurde dann im JAZ gezeigt.[10]

 

 

Das medienpädagogische Projekt des participatory video hatte in Rostock eine etwas andere Form angenommen. Den Zugang zu Filmausrüstung und das Wissen um deren Handhabung wurde von den Rostocker:innen zum einen eingesetzt, um ihre Perspektiven in die Öffentlichkeit zu tragen. Sie nutzten die Ressourcen und Fähigkeiten angesichts fehlenden Schutzes durch die Polizei, um rechte Gewalt zu dokumentieren und so skandalisierbar und anklagbar zu machen. Gleichzeitig gingen sie aber über diesen Ansatz hinaus und verwendeten die Filmausrüstung, um Gegenproteste während des Pogroms zu koordinieren und vorzubereiten. Filmaufnahmen wurden so zu einem Bestandteil aktivistischen Selbstschutzes. 

Durch die schon während des Pogroms einsetzende internationale Medienaufmerksamkeit für die Ereignisse in Rostock gelang es anschließend, eine Finanzierung vom britischen Privatfernsehsender Channel 4 für einen Film über das Pogrom zu sichern. Für die Produktion dieses Films wurden sowohl vor und während des Pogroms gemachte Aufnahmen verwendet als auch neue Szenen und Interviews aufgenommen. Dabei entschieden die Rostocker Aktivist:innen und die Londoner Filmemacher:innen gemeinsam über die Themensetzung sowie die Auswahl und Anordnung des Materials.[11] Der fertige Film wurde 1993 im britischen Fernsehen erstausgestrahlt, die Rostocker Uraufführung fand zum ersten Jahrestag des Pogroms im Festsaal des Rathaus statt. The truth lies in Rostock wurde bis heute in mehr als dreißig Ländern gezeigt, erhielt zahlreiche Preise bei Filmfestivals und wird im Rahmen von Gedenk- und Informationsveranstaltungen nicht nur in Rostock regelmäßig vorgeführt.[12]

Flyer zur Uraufführung im Rostocker Rathaus, Quelle: Dokumentationszentrum „Lichtenhagen im Gedächtnis“.

 

Parteilichkeit und die Stimmen Geflüchteter im spectacle archive

The truth lies in Rostock hebt sich von anderen zeitgenössischen Dokumentationen durch die klare Parteinahme und politische Positionierung ab. Im Gesamteindruck argumentiert der Film gegen die zeitgenössisch auch medial vermittelten, externalisierenden Narration der politisch Verantwortlichen, welche die Schuld weg von sich und hin zu den betroffenen Geflüchteten und der vermeintlichen Randgruppe der „randalierenden Jugendlichen“ schoben und das Pogrom vor allem als ein „Image-Problem“[13] der Hansestadt verstanden. Einzigartig ist zudem die Darstellung der Perspektiven der im Sonnenblumenhaus angegriffenen Geflüchteten und ehemaligen Vertragsarbeiter:innen aus Vietnam.

Deren Repräsentation ist doppelt auf den aktivistischen Entstehungskontext des Films zurückzuführen. Weil die Produktion in die antirassistische und antifaschistische Arbeit der Aktivist:innen aus dem Rostocker JAZ eingebettet war, interessierten sich die Filmemacher:innen auch für die Perspektiven der von der rassistischen Gewalt Betroffenen. Dabei konnten sie Zugänge nutzen, welche wiederum durch den Aktivismus entstanden waren. Dazu gehörten die bereits beschriebenen Kontakte zur vietnamesischen Community und den Geflüchteten in Gelbensande. In der dortigen Sammelunterkunft wurde nach dem Pogrom auch ein Teil der Interviews geführt, welche später im Film Verwendung fanden. Diese Aufnahmen sind (bis auf einen kurzen Ausschnitt des 2012 veröffentlichten Dokumentarfilms Revision) die einzigen veröffentlichten Dokumente zu Perspektiven der in Lichtenhagen angegriffenen Geflüchteten.

Für The truth lies in Rostock wurden Interviews mit Geflüchteten in der Rostocker Unterkunft Satower Straße und in Gelbensande geführt.[14] Ein Blick auf die in London im spectacle archive gelagerten Filmkassetten mit den vollständigen Aufnahmen gibt einen kleinen Einblick in die Aufnahmesituationen: Die Interviewer:innen fragen mit einer klaren Agenda nach Fluchtgründen, der Lebenssituation in Deutschland, den Auswirkungen des Pogroms in Lichtenhagen und der Bedrohung durch rechte Gewalt und versuchen beispielsweise nicht, offene oder biografische Erzählungen zu generieren. Aus dem Material spricht so keine vermeintlich authentische und unverstellte Stimme der Betroffenen, vielmehr sind die Erzählungen durch die hierarchische Aufnahmesituation geformt.

In den insgesamt vier Gesprächen mit Geflüchteten aus Rumänien und Jugoslawien sprechen diese so über die Gründe ihrer Flucht, wie beispielsweise die alltägliche Marginalisierung als Rom:nja in Rumänien oder die politische Verfolgung als Journalistin in Belgrad. Deutlich wird aus den Interviews die Auswirkung, welche die Bedrohung durch rechte Gewalt in der Zeit des Pogroms auf Geflüchtete hatte. Eine der Interviewten wurde bereits, als sie von Hamburg in eine Rostocker Unterkunft ziehen sollte, von Freund:innen vor der Situation dort gewarnt. Alle Interviewten berichten über Angst vor rechter Gewalt und Nazis. Auf die Frage, ob sie in Deutschland eine bessere Situation erwartet, antwortet eine Interviewte, welche Rumänien aufgrund der rassistischen Diskriminierung verlassen hatte: „Das hatte ich gehofft. Das habe ich mir also in Deutschland erhofft, aber in letzter Zeit bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass wir hier in Angst leben müssen, getötet zu werden, also es ist schlimmer als in Rumänien.“[15]

 

 

 

Potentiale des spectacle archive für Forschung und Bildungsarbeit

Die Macher:innen von The truth lies in Rostock nutzten die durch ihr politisches Engagement entstandenen Zugänge und Kontakte, um beispielsweise die Erzählungen von Geflüchteten zu dokumentieren. Dabei verschwamm, wie oben beschrieben, die Grenze zwischen Filmaufnahmen als Mittel der audiovisuellen Dokumentation und als Werkzeug zur Verteidigung gegen rechte Gewalt. Das so entstandene Material weist über die Darstellung des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen hinaus: im Sinne des 2020 erschienen Sammelbands „stören“ die dokumentierten Erzählungen von Anfang der 1990er in Ostdeutschland lebenden Geflüchteten mehrheitsgesellschaftliche, weiße Narrative der Transformationszeit. In Erzählungen der Transformationszeit in Mecklenburg-Vorpommern stellen die Erzählungen und Kämpfe Geflüchteter bislang eine Leerstelle dar.[16] Neben dem Ansatz der Oral history, wie dem Projekt mi*story, sind es ebensolche Publikationen aus der migrantischen Selbstorganisation und dem antirassistischen Aktivismus, welche das größte Potential für die Rekonstruktion dieser Perspektiven bieten.

In Bezug auf The truth lies in Rostock bieten die zweihundert Filmkassetten im Londoner spectacle archive aber auch noch zahlreiche weitere Möglichkeiten zur inhaltlichen Auseinandersetzung. Sie dokumentieren beispielsweise die zivilgesellschaftlichen Reaktionen auf das Pogrom in Rostock und die ersten Aktionen der Selbstorganisation der vietnamesischen Betroffenen des Pogroms im Verein Diên Hồng – Gemeinsam unter einem Dach. Das bisher nur in Ansätzen digitalisierte Material ist jedoch nicht ausschließlich für Forschungs- und Erinnerungskontexte interessant, sondern bietet auch Möglichkeiten zur Bildungsarbeit. Bereits im Sommer 2020 schnitten in einem dem Ansätzen des participatory video folgenden Workshop Rostocker Jugendliche einen Film zur Demonstration „Stoppt die Pogrome!“ am 29. August 1992 in Rostock-Lichtenhagen. Die weitere Umsetzung solcher Projekte hängt maßgeblich vom Willen der Fördermittelgeber:innen ab. Bisher konnte mit Geldern der Rosa-Luxemburg-Stiftung nur ein Bruchteil der Aufnahmen digital restauriert und nutzbar gemacht werden. Die zweihundert Filmkassetten zu restaurieren, könnte einen erheblichen Teil zur weiteren Aufarbeitung des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen und zur Erweiterung der Narrative von Transformation und rechter Gewalt in Ostdeutschland leisten. Wer sich an der Suche nach Mitteln für dieses Unterfangen beteiligen möchte, kann sich bei den Autor:innen melden.

 

 


[1] Dazu berichten Jochen Schmidt und Dietmar Schuhmann die Teil des Kamerateams waren. Jochen Schmidt, Politische Brandstiftung. Warum 1992 in Rostock das Ausländerwohnheim in Flammen aufging, Berlin, 2002; Christina Landwehr, "Die Angst, die wir spüren…" Wenn Journalisten zu Betroffenen werden. Gespräch mit Dietmar Schumann, in: Sabine Jungk (Hg.): Zwischen Skandal und Routine? Rechtsextremismus in Film und Fernsehen, Marburg 1996, S. 116–128.
[2] Dan Thy Nguyen, Rechte Gewalt, die DDR und die Wiedervereinigung, in: Bengü Kocatürk-Schuster/Arnd Kolb/Long Thanh/Günther Schultze/Sascha Wölck (Hg.): Unsichtbar. Vietnamesisch-deutsche Wirklichkeiten, Köln 2017, S. 147–167, hier S. 158.
[3] Zur Nachgeschichte des Pogroms: Roman Guski, Nach Rostock-Lichtenhagen. Aufarbeitung und Perspektiven des Gedenkens, in: Thomas Prenzel (Hg.): 20 Jahre Rostock-Lichtenhagen. Kontext, Dimensionen und Folgen der rassistischen Gewalt, Rostock 2012, S. 31–54. Bis heute grundlegend zur Vorgeschichte und Ablauf des Ereignisses der Aufsatz von Thomas Penzel aus demselben Sammelband: Thomas Prenzel, Rostock-Lichtenhagen im Kontext der Debatte um die Einschränkung des Grundrechts auf Asyl, in: Thomas Prenzel (Hg.), 20 Jahre Rostock-Lichtenhagen. Kontext, Dimensionen und Folgen der rassistischen Gewalt, Rostock 2012, S. 9–30.
[4] Einordnen lässt sich dieser Ansatz in die Tradition des radical cinema der 1960er Jahre. Julia Stegmann, Denn die Geschichten der Opfer sind das Wichtigste. Rassismus-kritische Analysen zu rechter Gewalt im deutschen Spiel- und Dokumentarfilm 1992–2012, Göttingen 2019, 33f.
[5] Hintergrundgespräche mit Mark Saunders am 16.05.2019 und 17.05.2019.
[6] Diese Gewalt ist bis heute nicht ansatzweise vollständig dokumentiert. Einen Einblick für Mecklenburg-Vorpommern gibt: Hermann Langer, Flächenbrand von Rechts. Zum Rechtsextremismus im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, Rostock 1993.
[7] David Begrich, Hoyerswerda und Lichtenhagen. Urszenen rassistischer Gewalt in Ostdeutschland, in: Heike Kleffner, Anna Spangenberg (Hg.): Generation Hoyerswerda. Das Netzwerk militanter Neonazis in Brandenburg, Berlin 2016, S. 32–44, hier 37f. Der Einfluss der Transformationszeit auf Polizei und Justiz und deren Rolle für die rechte Gewalt in Ostdeutschland ist bisher nur unzureichend analysiert. Zu diesem Themenkomplex geforscht wird aktuell beispielsweise im Projekt Jugendarbeit, Polizei und rechte Jugendliche in den 1990er Jahren.
[8] Stadtarchiv Rostock, VA 2133/94.
[9] Interviews mit Konni Fuentes vom 14.02.2022 und 08.03.2022; Tini Zimmermann/Nora von Gaertner, Das Pogrom von Lichtenhagen aus Perspektive von Antifaschistinnen (26.08.2017), 11:42-13:58.
[10] Hintergrundgespräche mit ehemaligen Aktivist:innen aus dem JAZ am 23.02.2022 und 24.03.2022; Tini Zimmermann/Nora von Gaertner, Das Pogrom von Lichtenhagen aus Perspektive von Antifaschistinnen (26.08.2017), 00:23:42-00:34:57.
[11] Hintergrundgespräche mit Mark Saunders am 16.05.2019 und 17.05.2019.
[12] Stegmann, Denn die Geschichten der Opfer sind das Wichtigste, S. 83.
[13] Markus Knospe, Der regionale Diskurs über die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen, 2017 (unveröffentlichte Bachelorarbeit an der Universität Rostock), S. 42–48.
[14] Spectacle Archive, TTLIR0065; Spectacle Archive, TTLIR0066; Spectacle Archive, TTLIR00109; Spectacle Archive, TTLIR0110; Spectacle Archive, TTLIR0111; Spectacle Archive, TTLIR0112; Spectacle Archive, TTLIR0113; Spectacle Archive, TTLIR0114.
[15] Spectacle Archive, TTLIR065, 00:06:19-00:06:53.
[16] Zu nennen ist hier Cindy Hader, die im Rahmen ihres Dissertationsprojekts erstmals die Nachgeschichte der ZASt in Rostock-Lichtenhagen und die Einrichtung der Erstaufnahmestelle in Nostorf-Horst beschrieben hat. Cindy Hader, Pro Bleiberecht MV, iL Rostock, Auslagerung statt Aufarbeitung, in: analyse & kritik 676 vom 16.11.2021.