Am 7. Mai 1945 unterzeichneten Vertreter des Führungstabs der Wehrmacht im amerikanischen Hauptquartier in Reims die bedingungslose Kapitulation, die einen Tag später, am 8. Mai, in Kraft trat. Damit endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Im Jahr 2020 erinnern Generationen an einen Krieg, den sie nie erlebt haben; in einer globalisierten und digitalisierten Welt und in einem Deutschland, das fünfundsiebzig Jahre lang – mal mehr und mal weniger – über den Umgang mit dem 8. Mai, dem „Tag der Befreiung“, diskutiert hat.
Während im Jahr 1950 die Volkskammer der DDR den 8. Mai per Beschluss zum „Tag der Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus“ deklarierte, begannen die Debatten um den Umgang mit diesem Datum in der Bundesrepublik erst in den 1970er Jahren. Die Frage danach, ob es die totale militärische Niederlage war, die die Erinnerung prägen sollte, oder vielmehr die Befreiung von Nationalsozialismus und Krieg, polarisierte die bundesdeutsche Gesellschaft. Mit dem Satz „Niederlagen feiert man nicht“ reagierten etwa Vertreter*innen von CDU/CSU auf eine Regierungserklärung Willy Brandts aus Anlass des 25. Jahrestages der Befreiung im Jahr 1970.
Der 8. Mai gilt in der Rückschau erst nach der berühmten und bis heute immer wieder zitierten Rede Richard von Weizsäckers aus Anlass des 40. Jahrestages der Kapitulation im Jahr 1985 als Gedenktag. Weizsäcker bezeichnet in seiner Rede den 8. Mai als „Tag der Befreiung […] von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“.
Verfolgt man die gegenwärtigen Kommentare über die Frage danach, ob der 8. Mai als Tag der Befreiung einen Platz in der gesamtdeutschen Gedenkkultur einnehmen sollte, gilt die Weizsäcker-Rede gleichsam als legitimierendes Argument für die Einführung eines Feiertages. Die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns hat bereits im Jahr 2002 den 8. Mai zum staatlichen Gedenktag, als „Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Beendigung des 2. Weltkrieges“ erhoben. Seit 2015 ist der 8. Mai in Brandenburg offizieller Gedenktag und schließlich 2020 zunächst einmalig in Berlin ein Feiertag. Der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Axel Drecoll, die Vorsitzende des Auschwitz-Komitees in der Bundesrepublik, Esther Bejarano, und Berlins Kultursenator, Klaus Lederer, sprachen sich öffentlich dafür aus, den 8. Mai zum bundesweiten Feiertag zu erklären.
Die Redaktion von zeitgeschichte|online wird den weiteren Verlauf der Diskussion um den 8. Mai beobachten. In diesem Jahr sprechen wir mit Marc Buggeln im Interview über seine Einschätzung der Debatte. Die Autor*innen Alexandra Klei, Katrin Stoll und Annika Wienert diskutieren in ihrem Text mit großer Skepsis die Frage, ob der 8. Mai ein Feiertag in Deutschland werden sollte und reflektieren die Debatten um diesen Tag des Gedenkens seit dem Kriegsende. Außerdem stellen Kolleg*innen „ihre Bilder der Befreiung“ vor, die zum Teil wenig bekannt sind und kaum beachtete Perspektiven zeigen, auf den 8. Mai 1945, die Erinnerungskultur, oder auch auf Befreiung im sehr viel weiter gefassten Sinn. So finden Sie im Folgenden Beiträge von René Schlott, Tilmann Siebeneichner, Sandra Starke, Anne Vitten, Annette Vowinckel und Miriam Zlobinski, das Interview mit Marc Buggeln, die kritischen Anmerkungen von Alexandra Klei, Katrin Stoll und Annika Wienert sowie zusätzlich eine Materialliste zum Thema.
Als separaten Teil dieses Themenschwerpunktes zeigen wir auf unserer Startseite eine Fotoserie zum Frigjøringsdagen 8 mai 1945, dem Tag der Befreiung in Norwegen, die im Municipal Archives of Trondheim (via flickr) überliefert wurde.