Das Bild zeigt den siebenjährigen Simon Maandag aus Amsterdam in Bergen-Belsen. Sein „Tag der Befreiung“ war der 15. April 1945, als britische Truppen das Lager erreichten. Das Foto wurde zwei Tage (nach anderen Angaben fünf Tage) später aufgenommen. Der Junge ist bereits neu eingekleidet. Er schaut den Fotografen skeptisch an – oder blendet ihn nur die Sonne? Sein Schatten spricht für Letzteres. Würde man nur die Bäume und den Waldweg sehen, wäre es eine Spaziergangsidylle aus den 1940ern Jahren. Aber auf dem Foto offenbart sich der Abgrund des 20. Jahrhunderts. Ein Kind spaziert scheinbar ungerührt zwischen Leichenbergen. Der Anblick toter Körper erscheint ihm alltäglich. Weder wendet er sich entsetzt ab, noch sucht er Abstand oder schenkt den Leichen besondere Beachtung. Dabei muss der Gestank bestialisch gewesen sein.
Simon Maandag wurde zusammen mit seinen Eltern und seiner ein Jahr jüngeren Schwester 1942 aus Amsterdam in das Durchgangslager Westerbork verschleppt und von dort im Februar 1943 nach Bergen-Belsen deportiert. Sein Foto war seit Oktober 2019 in einer Ausstellung über die Verfolgung der niederländischen Juden in der Berliner Topographie des Terrors zu sehen. Das Foto bildete Zentrum und Endpunkt der spiralförmig gestalteten Fotoausstellung und wurde als Einzelbild nicht vertikal, sondern horizontal auf einer hüfthohen Säule präsentiert.
Die Aufnahme stammt von dem britischen Fotografen George Rodger (1908-1995), der seit 1939 als Kriegsfotograf für das US-amerikanische Life Magazine arbeitete und zuvor bereits an afrikanischen und asiatischen Kriegsschauplätzen fotografiert hatte. Nach seinen traumatischen Erfahrungen in Bergen-Belsen verließ Rodgers das Life Magazine und wurde Naturfotograf. Es ist davon auszugehen, dass das Foto von Simon Maandag keine spontane Aufnahme war, sondern von Rodgers arrangiert wurde. Das nimmt dem Bild jedoch nichts von seiner Aussagekraft.
Rodgers räumte später allerdings selbstkritisch und über sein eigenes Verhalten erschreckt ein, dass es ihm als Fotograf in Bergen-Belsen darum gegangen sei, möglichst „gute“ Aufnahmen von den Leichenbergen zu machen. Sein Foto von Simon Maandag hatte tatsächlich positive Folgen, wenn auch in anderer Hinsicht. Die Aufnahme erschien am 7. Mai 1945 im Life Magazine und ein in New York lebender Onkel erkannte seinen Neffen. Im Jahr 1947 schließlich konnten Simon Maandag und seine Schwester Hendrika wieder mit ihrer Mutter Keetje, die nach Schlesien zur Zwangsarbeit verschleppt worden war, zusammengeführt werden. Der Mutter war nach Kriegsende vom Roten Kreuz mitgeteilt worden, dass ihr Sohn tot sei.
Simon Maandag wuchs nach dem Krieg als Halbwaise in Amsterdam auf. Sein Vater Isaac war im März 1945, wenige Wochen vor der Befreiung, ums Leben gekommen. Maandag selbst wurde ein in den Niederlanden berühmter Designer und Künstler und starb 2013.
Das Foto, das Maandag berühmt gemacht hat, wird heute über die Bildagentur Gettyimages unter dem Titel „Young Boy Walks Past Corpses“ verkauft. Es zu reproduzieren (auch an dieser Stelle) und zu instrumentalisieren (auch für diesen Zweck), bedeutet die Würde der abgebildeten ermordeten Menschen zu verletzen. Es aber für einen dreistelligen Euro-Betrag zu verkaufen (auch in diesem Fall) und damit ein Geschäft zu machen, ist unanständig. Es ist zu diskutieren, ob der richtige Platz für Bilder dieser Art, die nicht nur die Persönlichkeitsrechte vieler Menschen verletzen, gleichsam jedoch Quelle der historischen Bildforschung sind, eine marktwirtschaftlich agierende Bildagentur ist.