von Andreas Kötzing

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16. September 2022

Die Stasi führt ein intensives Nachleben, zumindest auf der Leinwand. Im Kino erfreut sich der ostdeutsche Geheimdienst schon seit vielen Jahren einer anhaltend großen Beliebtheit, vor allem in Filmen über die DDR-Vergangenheit, in denen Stasi-Figuren meist den repressiven Charakter der SED-Diktatur symbolisieren.[1] Doch die Zeiten, in denen Stasioffiziere als simple Bösewichte mit grauen Anzügen und schlechtsitzenden Frisuren in Erscheinung traten, scheinen vorbei zu sein. Die Ambivalenz der Figuren hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, auch positiv besetze Heldenfiguren sind keine Seltenheit mehr. Das Spektrum der Filme reicht dabei von authentischen Annäherungen an widersprüchliche IM-Biografien („Gundermann“, 2018, Regie: Andreas Dresen) über radikal stilisierte Dramen („Nahschuss“, 2021, Regie: Franziska Stünkel) bis hin zu grotesk überzeichneten Satiren („Stasikomödie“, 2022, Regie: Leander Haußmann).

Während die DDR-Geschichte bislang meist im Genre der Komödie oder des Familiendramas erzählt wurde, zeigt sich in neuen filmischen Inszenierungen eine Offenheit für andere Formen. Dabei rückt wieder die Staatssicherheit in den Mittelpunkt. Mit „Kleo“ zeigt Netflix aktuell eine Serie über eine Profikillerin im Dienst des MfS, die mit Anspielungen auf die Popkultur der 1980er und 1990er Jahre gespickt ist. „Kleo“ knüpft dabei an die erfolgreichen Erzählmuster der Serie „Deutschland 83/86/89“ (2015-2020) an, die eine Agenten-Story mit einem ironischen Blick auf das MfS verknüpfte.[2] Doch während die Geschichte von „Deutschland 83/86/89“ noch vor einem realen historischen Hintergrund angesiedelt war, geht „Kleo“ ein ganzes Stück weiter: Die Serienmacher nutzen die DDR-Vergangenheit nur noch als Aufhänger für eine blutig inszenierte und trashig überspitzte Rachegeschichte im Stil amerikanischer B-Movies. Das wirft die Frage auf, was einen an sich eher biederen Geheimdienst wie das MfS anschlussfähig für das Genre-Kino und die zeitgenössische Popkultur macht. 

 

„Kill Mielke“

Berlin, 1987. Kleo Straub (Jella Haase) ist eine junge, attraktive Frau – und eine professionelle Killerin im Dienst des MfS. Ihr jüngster Auftrag führt sie in einen Club in den Westen der Stadt, wo sie ihre Zielperson ausfindig macht und kurzerhand eliminiert. Obwohl sie den Mordauftrag ohne Probleme erfüllt, wird Kleo nach ihrer Rückkehr von den eigenen Leuten verhaftet, ohne zu wissen, warum. Wurde sie verraten? Von wem und weshalb? Drei Jahre später – die Mauer ist inzwischen gefallen – kommt Kleo aus dem Stasi-Gefängnis frei. Sie sinnt auf Rache: Um die Hintergründe des Verrats aufzuklären, macht sie Jagd auf die ehemaligen Genossinnen und Genossen. Einer nach dem anderen wird abgeknallt oder in die Luft gesprengt.

Stilistisch setzt die Serie auf einen Mix aus unterschiedlichen Genres (u.a. dem klassischen Agententhriller, der Komödie und dem Gangsterfilm). Die verschiedenen Versatzstücke werden munter durcheinandergemischt und deutlich parodiert: Schnelle Schnitte, grell-bunte Kostüme, Schießereien in Zeitlupe, dazu viel zeitgenössische Popmusik, pointierte Dialoge und möglichst wenig ‚Political Correctness‘. Dass es den Machern (Hanno Hackfort, Richard Kropf und Bob Konrad) mehr um Unterhaltung als um historische Authentizität geht, steht außer Frage. Menschen, die in der DDR Opfer von Unterdrückung und Repression geworden sind, dürften an „Kleo“ daher nur wenig Freude finden, denn die Stasi-Bedrohung erscheint wenig real. Nur wenn man die Story von „Kleo“ nicht allzu ernst nimmt, kann Zuschauen Spaß machen, zumal hier viele filmische Vorbilder – vor allem die Filme von Quentin Tarantino – zitiert werden. Kleos Rachefeldzug schreckt selbst vor kontrafaktischen Elementen nicht zurück, die die Geschichte auf den Kopf stellen, etwa wenn der Minister für Staatssicherheit höchstpersönlich auf Kleos Todesliste landet: Kill Mielke statt „Kill Bill“.

Dass dabei die Logik irgendwann auf der Strecke bleibt (warum agiert Kleo trotz des Verrats noch immer als überzeugte Tschekistin?), einige Figuren unfreiwillig komisch wirken (Steffi Kühnert in der Rolle von Margot Honecker als „lila Hexe“) und die Handlung zum Ende hin leider ziemlich konfus wird, kann man unter künstlerischen Gesichtspunkten sicher kritisieren – es scheint den Unterhaltungswert der Serie aber nur bedingt zu schmälern.[3]

 

Stasi goes Pop  

Man könnte es sich leicht machen und „Kleo“ einfach als kurzweilige und triviale Unterhaltung abtun. Doch ein genauer Blick lohnt sich, denn die popkulturelle Anschlussfähigkeit der Staatssicherheit ist durchaus bemerkenswert. Dabei lassen sich verschiedene Elemente beschreiben, die in „Kleo“ angewendet werden, um eine positive Identifikation mit einer Stasi-Figur zu ermöglichen, etwa die ironische Überzeichnung, die Fokussierung auf den Auslandseinsatz und die bewusste Loslösung vom historischen Kontext.

 „Dies ist eine wahre Geschichte. Nichts davon ist wirklich passiert“, heißt es gleich zu Beginn in einer Einblendung. Die Ironie, die dabei angedeutet wird, zieht sich als Stilprinzip durch die ganze Serie. Stark überzeichnete Charaktere und situativer Humor lassen die Stasi komisch wirken, weil viele Klischees gegen den Strich gebürstet werden, etwa wenn sich Uwe – ein ehemaliger Killer-Genosse von Kleo – als Zeichen seiner politischen Loyalität ein riesiges DDR-Emblem mit Hammer, Sichel und Ehrenkranz auf den Rücken tätowieren lässt, das dann allerdings zu einem unangenehmen Juckreiz führt. Gegenüber solchen dümmlichen Figuren wird Kleo als coole Killerin in Szene gesetzt, der man gern auf ihrem Rachefeldzug folgt: Die tumben und verräterischen Stasileute haben es schließlich nicht besser verdient.

Zur Identifikation trägt außerdem bei, dass Kleo als „Kundschafterin“ im westlichen Ausland tätig ist. Die HVA, der Auslandsgeheimdienst des MfS, wird in Filmen besonders gern aufgegriffen, weil sich dadurch grenzübergreifende Geschichten erzählen lassen, in denen zumeist auch westliche Agenten eine Rolle spielen. Auch diese narrative Verzahnung von MfS und CIA und/oder Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst wird in „Kleo“ ironisch aufgebrochen, denn die Vertreter der westlichen Geheimdienste sind allesamt nicht wesentlich klüger oder weitsichtiger als ihre ostdeutschen Kollegen. Lediglich ein Kripo-Mitarbeiter (Dimitrij Schaad) ist Kleo auf der Spur, weil er als einziger erkennt, dass sie eine Ex-Stasi-Killerin ist.

 

Fixierung auf die HVA

Dass ausgerechnet eine „Kundschafter“-Figur des MfS mit ironischer Distanz als Heldin inszeniert wird, ist nicht neu. Neben der bereits erwähnten Serie „Deutschland 83/86/89“ findet sich diese Konstellation u.a. auch schon in „Kundschafter des Friedens“ (2017, Regie: Robert Thalheim). Darin muss eine ganze Truppe von ehemaligen HVA-Agenten aus dem Ruhestand zurückgeholt und wieder ‚aktiviert‘ werden, weil der Bundesnachrichtendienst ohne sie reichlich aufgeschmissen wäre, um eine akute Bedrohung durch feindliche Geheimdienste zu verhindern. Die Filme und Serien schreiben dabei die Stilisierung der HVA als besonders schlagfertigen Teil des ostdeutschen Geheimdienstes fort – ein Motiv, das schon zu DDR-Zeiten zu den beliebtesten Inhalten der medialen Selbstdarstellung des MfS zählte.[4] Filme wie „For Eyes only“ (DDR 1963, Regie: János Veiczi) oder prominente Fernseh-Serien wie die „Major Sander“-Trilogie (DDR 1968/69, Regie: Rudi Kurz) und vor allem „Das unsichtbare Visier“ (DDR 1973-1979, Regie: u.a. Peter Hagen) prägten ein ähnliches Bild – damals natürlich ohne jede Ironie.

Letztlich führt jedoch auch die ironische Distanz in „Kleo“ nicht dazu, dass Mythen, die sich bis heute um die HVA ranken, filmisch aufgebrochen werden. Gerade durch die Inszenierung der Killer-Figur als Sympathieträgerin betreibt die Serie eine neue Art von Legendenbildung, die – trotz aller dramaturgischen Freiheit – problematisch erscheint. Kleo wird als Agentin der „Arbeitsgruppe des Ministers“ (AGM), Abteilung „Sonderfragen“ eingeführt – eine Abteilung, die es tatsächlich gab. Die AGM/S war direkt Erich Mielke unterstellt und umfasste eine Gruppe von gezielt ausgebildeten Kadern, die in der Bundesrepublik für Terrorangriffe eingesetzt werden sollten – Auftragsmorde, Anschläge, Sabotageaktionen etc. Die umfangreichen Planungen, die in der AGM/S für den „Ernstfall“ angestellt wurden, erschrecken bis heute.[5] Praktisch wurde davon jedoch so gut wie nichts umgesetzt – vor allem, weil das MfS seinen tatsächlichen Einfluss im Westen und seine Handlungsmöglichkeiten maßlos überschätzte. Die Wunschvorstellung, mit Hilfe einer speziellen Gruppe von Elite-„Kundschaftern“ die Bundesrepublik in Angst und Schrecken versetzen zu können – wie Kleo es in der Serie tut –, war Teil einer realitätsfremden Selbstüberhöhung der Stasi, die – trotz immenser finanzieller, materieller und personeller Ressourcen – Ende der 1980er Jahre kaum noch in der Lage war, die oppositionelle Szene in der eigenen Bevölkerung zu überblicken, geschweige denn zu kontrollieren. Es bleibt daher der fade Beigeschmack, dass die Stasi auch in „Kleo“ wirkmächtiger in Erscheinung tritt, als sie es – zumindest im Hinblick auf die HVA – jemals war. Das Bild eines scheinbar allmächtigen Geheimdienstes wird auch hier weiter tradiert. Gleichzeitig bleibt die Überwachung und Kontrolle der ostdeutschen Gesellschaft in der Handlung zwangsläufig außen vor, weil das Prinzip der Ironie sonst wohl schnell an seine Grenzen stoßen würde.

 

Auswirkungen auf die DDR-Erinnerungskultur

Die neuen Akzente, die „Kleo“ setzt, beschränken sich daher auf die erwähnten Genre-Elemente, die in der Serie zur Stilisierung der Geschichte eingesetzt werden. Ob sich daraus eine neue Facette innerhalb der filmische DDR-Erinnerungskultur ableiten lässt oder die Serie gar einen Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung der DDR-Vergangenheit haben wird, ist eher ungewiss. Einerseits ist die Reichweite nicht zu unterschätzen und dass sich – insbesondere bei einem jüngeren Publikum – dadurch unreflektierte Geschichtsbilder festsetzen, kann man schwer ausschließen. Andererseits ist die Loslösung vom historischen Kontext in der Serie überdeutlich. Nahezu alle (inhaltlichen oder visuellen) Anspielungen, die in „Kleo“ auf die DDR verweisen, wären problemlos austauschbar, weil sie nur auf einer oberflächlichen Ebene als Marker fungieren. Das „Lied vom kleinen Trompeter“ etwa, das Kleo häufig singt, dürfte bei einem jüngeren Publikum kaum noch konkrete Assoziationen auslösen – in der Serie unterstreicht es lediglich die Skurrilität der Killer-Figur. Letztlich nutzt die Serie die DDR-Vergangenheit primär als Projektionsfläche für eine Rachegeschichte, die auch in einem anderen historischen Kontext erzählt werden könnte.[6] Das verheimlicht die Serie auch keineswegs – und ist damit zumindest ehrlicher als viele geschichtsdidaktischen Aufarbeitungsfilme, die ihrem Publikum suggerieren, die Vergangenheit so zu zeigen, wie sie „wirklich war“, dabei aber auch eine zeitgenössische Interpretation mit einer eigenen politischen Agenda vornehmen.

Offen bleibt, ob „Kleo“ möglicherweise als „Türöffner“ für andere Genre-Filme und Serien wirken wird, die sich mit der DDR-Vergangenheit beschäftigen. Wenn sich eine trashige MfS-Killerin erfolgreich vermarkten lässt, warum dann nicht auch ein Horror-Splatter-Film, in dem ein Maskenmörder Jagd auf SED-Parteisekretäre macht? Oder eine Science-Fiction-Komödie, in der Aliens in Ost-Berlin landen und den Palast der Republik in die Luft sprengen? Was im ersten Moment abwegig klingt, ist wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, zumal es im filmischen Umgang mit der NS-Vergangenheit ähnliche Tendenzen einer Genre-Verschiebung gab, bis hin zu Nazi-Zombies und Sexploitation-Filmen.[7] Auch Kleos Geschichte ist keineswegs zu Ende, die 2. Staffel kommt bestimmt.

 


[1] Vgl. als Überblick dazu Andreas Kötzing (Hg.): Bilder der Allmacht. Die Staatssicherheit in Film und Fernsehen, Göttingen 2018.

[2] Vgl. Claudia Böttcher: „Dein Land braucht Dich.“ Die Darstellung der Staatssicherheit in der Fernsehserie „Deutschland 83“, in: ebd., S. 291-308. Siehe auch Dominik Orth: Kulisse DDR: Spitzel, Spione und andere Stereotype in der Serie „Deutschland 83“, in: ders./Heinz-Peter Preußer (Hg.): Mauerschau – die DDR als Film. Beiträge zur Historisierung eines verschwundenen Staates, Berlin/Boston 2020, S. 297-306.

[3] Die Kritiken waren durchweg eher positiv. Vgl. u.a. Christiane Lutz: Bäng, Bäng, in: Süddeutsche Zeitung, 31.8. 2022; Elmar Krekeler: So gut ist die neue Netflix-Stasi-Serie mit Jella Haase, in: Welt Online, 19.8.2022; Oliver Jungen: Fack ju, Mielke, in: FAZ, 15.8.2022.

[4] Siehe dazu Andreas Kötzing: Von Agenten und Kundschaftern. Spionagefilme der DEFA als Gegenentwurf zum westlichen Genrekino, in: Stefanie Mathilde Frank/Ralf Schenk (Hg.): Publikumspiraten. Das Genre-Kino der DEFA und seine Regisseure (1946-1990), Berlin 2022, S. 323-347, hier S. 336-339.

[5] Vgl. dazu Thomas Auerbach: Einsatzkommandos an der unsichtbaren Front. Terror- und Sabotagevorbereitungen des MfS gegen die Bundesrepublik Deutschland, Berlin 2012.

[6] Deutlich Anlehnungen gibt es z.B. zu „Killing Eve“, einer britischen Serie (2018-2022), die eine ähnliche Geschichte im Kontext des britischen Geheimdienstes erzählt.

[7] Vgl. ausführlich etwa für die Zeit nach der Jahrtausendwende Sonja M. Schultz: Der Nationalsozialismus im Film. Von „Triumph des Willens“ bis „Inglourious Basterds“, Berlin 2012, S. 458-469.