von Carolin von der Heiden

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16. Dezember 2021

Streit in der Postproduktionsphase

Für den staatlichen norwegischen Fernsehsender NRK produzierte der Regisseur Alexander Kristiansen die vierteilige Serie „Frontkjempere“ (dt. die Frontkämpfer). Diese sollte Antworten auf die Frage geben, warum sich unter der deutschen Besatzung tausende Norweger freiwillig für die Waffen-SS rekrutieren ließen. Kurz vor der Erstausstrahlung wurde im April 2021 eine Diskussion um die Darstellung der SS-Veteranen durch die Filmemacher entfacht, als der Historiker Terje Emberland sich öffentlich von seiner Mitarbeit an der TV-Produktion distanzierte. Emberland erklärte in einem deutlichen Statement auf Facebook, „Frontkjempere“ spreche die ehemaligen Waffen-SS-Mitglieder von ihrer Verantwortung frei und reproduziere geschichtsrevisionistische Thesen: „Hier wird ein alter Mythos weitergegeben, den die norwegischen Freiwilligen der Waffen-SS in der Nachkriegszeit entwickelt haben: Sie seien nur naive Jungen gewesen, die gegen den Kommunismus kämpfen wollten.“[1]

 

„Germanische“ Freiwillige für die Waffen-SS

Emberland ist wissenschaftlicher Leiter am Osloer Zentrum für Holocaust- und Minderheitenforschung. Seinen Untersuchungen zufolge kämpften etwa 5.000 Norweger zwischen 1941 und 1945 für das nationalsozialistische Deutschland. Die Frontkämpfer wurden zum Großteil an der Seite der Wehrmacht und den Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes des Reichsführer SS am Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion eingesetzt. In seiner über 600 Seiten umfassenden Studie „Himmlers Norwegen“[2] wies Emberland nach, dass die Mehrheit der freiwilligen Frontkämpfer Mitglied der faschistischen Partei Nasjonal Samling (Nationale Vereinigung) waren und große ideologische Schnittmengen mit dem Nationalsozialismus hatten. Rassistische, antisemitische und antibolschewistische Einstellungen sowie der Wunsch nach einem Großgermanischen Reich motivierten die „germanischen“ Freiwilligen, den Waffen-SS-Divisionen beizutreten.

Die verschiedenen Einheiten trugen Namen wie „Division Wiking“, „Regiment Nordland“ oder „SS-Skijägerbataillon“. Ob alle Mitglieder der Truppenteile direkt an Kriegsverbrechen beteiligt waren, ist unter den norwegischen Historiker*innen umstritten. Die meisten Divisionen waren in den Holocaust involviert, indem sie den deutschen Kräften bei der Verhaftung und Hinrichtung von Jüdinnen und Juden halfen.[3] Die Angehörigen der „Division-Wiking“ hatten unter den Heeren an der Ostfront den Ruf, besonders brutale Kämpfer zu sein. Ende Juni 1941 rückten sie in Galizien ein und beteiligten sich dort an Massakern und Pogromen. Anfang Juli kam es zu Plünderungen, Misshandlungen und Erschießungsaktionen gegen die Zivilbevölkerung in Lemberg.[4] Auch die Teilnahme mindestens eines Norwegers an der brutalen Niederschlagung des Warschauer Aufstands 1944 wurde nachgewiesen.[5] Die Serie „Frontkjempere“ blendet jedoch genau diese Tatsachen aus und fokussiert sich auf die Erzählperspektive der Veteranen, die als vermeintlich authentische Zeitzeugen das durchaus problematische Narrativ der Serie deutlich dominieren.

 

Oral-History aus Täterperspektive

Ein für das Genre übliches Budget von 7.688.000 norwegischen Kronen (ca. 800.000 €) standen dem Produzenten Kristiansen für seinen Vierteiler zur Verfügung.[6] Grundlage seiner Dokumentation bilden Interviews mit norwegischen SS-Veteranen, die bereits lange vor Serienproduktion aufgenommen wurden. Von den sieben Protagonisten lebte zum Zeitpunkt der Erstausstrahlung der Sendung im Jahr 2021 nur noch eine Person.

Die sieben für das TV-Format ausgewählten Männer waren im Durchschnitt 20,4 Jahre alt, als sie zwischen 1941 und 1945 für durchschnittlich drei Jahre in den verschiedenen Divisionen der Waffen-SS kämpften. In vier Episoden erzählen die Zeitzeugen chronologisch ihre Erlebnisse, beginnend mit ­ihrer Ausbildung im SS-Rekrutenlager Sennheim im annektierten ­Elsass. Die Veteranen erinnern sich: „Dort lernten wir nur zu marschieren und zu singen.“ An den ideologischen Unterricht, den die Rekruten dort besucht hatten, erinnerten sie sich wohl nicht mehr, denn laut ihren Erzählungen fanden sich die Kämpfer schon bald darauf plötzlich an der Ostfront in den Schützengräben vor Leningrad wieder. Heimweh, Trauer um gefallene Kameraden und die Angst vor dem „Iwan“ dominieren die packenden Erzählungen. In der letzten Folge wird ihre Rückkehr nach Norwegen und ihr anschließendes Schicksal als Landesverräter thematisiert.

Die selektiven Memoiren der ehemaligen Frontkämpfer ähneln den bekannten und längst widerlegten Rechtfertigungsmythen deutscher Wehrmachtsveteranen. Auch der Gehalt der Anekdoten der Veteranen über ihre Erlebnisse an der Front und im Rückzug befinden sich auf dem Niveau von abenteuerlichen Landser-Geschichten. In der letzten Folge driften die Veteranen sogar in rechtsradikale Floskeln ab, wenn etwa davon die Rede ist, dass auch die alliierten Soldaten Kriegsgefangene erschossen hätten, Sieger jedoch niemals vor ein Kriegsgericht kämen, sondern immer nur die Verlierer.

 

Das Genre Dokudrama verstärkt das revisionistische Narrativ der Serie

Kombiniert werden die selektiven Erinnerungen der Frontkämpfer mit fiktionalen Spielfilmszenen und Elementen des Reenactment, historischen Bildaufnahmen sowie einem Off-Erzähler und kontextualisierenden Kommentaren von Historikern. Diese Gestaltungsmittel sind charakteristisch für das Genre des Dokudramas, dem „Inbegriff des Hybriden aus Facts und Fiction“.[7] Während das Element „Doku“ für Information und Aufklärung steht, verspricht das „Drama“ den Zuschauenden Unterhaltung und Schauspiel. Der Begriff „Dokudrama“ bezeichnet eine fernsehfilmspezifische Form, in der zeithistorische Stoffe mit dem Versprechen einer wahren Geschichte dramaturgisch vermittelt werden. Dokumentarisches Archivmaterial, Zeitzeugeninterviews und Spielszenen werden üblicherweise in einen sich ergänzenden und teilweise reflektierenden Zusammenhang gesetzt. Dabei stehen dokumentarische und fiktionale Erzählstränge meist gleichberechtigt nebeneinander. Zur Steigerung der Aufmerksamkeit nutzt die Produktion dramatisierende Stilmittel wie schnelle Schnitte oder Zeitlupen, emotionalisierende Musik und stimmungsverstärkende Bildfarben. Die Attraktivität des Dokudramas liegt in der Mischform aus den Fakten und der Fiktion, die szenischen Nacherzählungen werden durch das Reenactment zu einer „visuelle[n] Repräsentation von Vorgänge[n], die ‚wirklich‘ passiert sind“.[8]

So überlässt es „Frontkjempere“ den Zeitzeugen, zu berichten, wie ihre Geschichte „wirklich“ passiert sei. Die Serie nutzt das Potential der anderen Gestaltungsebenen nicht ausreichend aus, um ein Korrektiv zu setzen. Junge Schauspieler stellen die Kriegsgeschichten der alten Veteranen nach, emotionale Streichmusik verstärkt die Stimmung der Bilder und appelliert so an das Mitgefühl der Zuschauenden für die im Schnee liegenden verletzten Soldaten.

Wie Terje Emberland vor der Ausstrahlung kritisierte, kommen die wenigen kritischen Einordnungen der interviewten Historiker zu kurz, eine Szene wird – ohne jeglichen Kommentar – mit dem Lied „Kamerat, ­vi marsjerer“ (Kamerad, wir marschieren) unterlegt, das die faschistische Bewegung Norwegens und deren Anführer Vidkun Quisling verherrlicht.

Die Geschichte der Frontkämpfer wird am Beispiel der sieben Veteranen personalisiert, emotionalisiert und dramatisiert vermittelt. Archivbilder und -töne wie der Marschgesang sowie das Einblenden von animiertem Kartenmaterial, welches den Frontverlauf zeigt, sind Teil einer Authentifizierungsstrategie des Dokudramas. Durch das Ineinanderspielen der unterschiedlichen Gestaltungsmittel gelingt es „Frontkjempere“ und ähnlichen Formaten das Historische mit der Authentizität des Dokumentarischen zu verbinden. Diese Ästhetik verschleiert jedoch nicht nur die Genese von Geschichtsnarrativen, sondern reproduziert sie.

In „Frontkjempere“ unterrichtet eine scheinbar objektive Erzählstimme aus dem Off die Zuschauenden sehr detailliert über die Verbrechen der Sowjetunion in Lemberg und Katyn, die Taten der Nationalsozialisten finden weniger Beachtung. Die jungen Norweger sind hier lediglich Zeugen von Verbrechen, die ihre deutschen Kameraden in den Einsatzgruppen begehen. Bei der Erschießung sowjetischer Kriegsgefangener verweigert einer der Frontkämpfer den Gehorsam. Vom Holocaust hätten sie „wie alle anderen auch nichts mitbekommen, und wenn, dann hätten wir nichts tun können.“ Bei einem Großteil der Aussagen handelt es sich um Legenden, die sich die Frontkämpfer zur Schuldabwehr in der Nachkriegszeit zurechtlegten. Emberlands Forschungen belegen, dass die norwegischen Rekruten nicht nur durch das Feindbild des Bolschewismus und die Solidarität mit Finnland während des sowjetisch-finnischen Winterkriegs 1939/1940 motiviert waren, sondern sich auch für das Prinzip begeisterten, die „nordische Rasse“ müsse Europa anführen.[9]

 

Die Etablierung von Geschichte in populären TV-Formaten

Nach der Jahrtausendwende intensivierte sich in Europa die Entwicklung, erinnerungspolitische Debatten durch die Vermittlung von Geschichte in TV-Formaten, nicht mehr nur den Historiker*innen zu überlassen.[10] Das Interesse an der eigenen Vergangenheit wurde zu einem elementaren Bestandteil von kollektiven Identitäten, bei deren Bildung sich offizielles Gedenken mit historischem Wissen und familiär tradierten Erinnerungen vermischten. Das Fehlen eigener authentischer Erfahrungen versuchte fortan das Fernsehen auszugleichen, und wurde so zu einem einflussreichen Medium zur Vermittlung von historischen Ereignissen. Die neuen TV-Formate, allen voran das Dokudrama, transformierten Geschichte in persönliche Geschichten, jedoch weniger als historisches Faktenwissen, sondern vielmehr als stellvertretendes, medial vermitteltes Nacherleben von Vergangenem. Die Integration von beliebten Unterhaltungsformen mit dokumentarischen Elementen boomte, das Geschichtsfernsehen wurde zu einem populären Format, welches sich wiederum selbst zu einem Teil der gegenwärtigen Gedenkkultur entwickelte. In Bezug auf seine ästhetische Form jedoch zeigte das Geschichtsfernsehen eine Tendenz zur Neuerfindung und Fiktionalisierung von Vergangenheit.[11]

 

Erzählte Erinnerungsbilder ersetzen die reale Geschichte

Für die televisuelle Vermittlung von Geschichte ist die Figur des Zeitzeugen/der Zeitzeugin, die von einem biografischen Erlebnis berichtet und es somit bezeugt, von besonderer Bedeutung. Sie bietet zudem einen emotionalen Zugang zu Geschichte indem es dem Familiengespräch, in welchem die Erinnerungen der Älteren an die jüngere Generation mündlich tradiert werden, ähnelt. Es ersetzt das persönliche Gespräch, welches das kommunikative Gedächtnis formt und wird so selbst zum Träger des kollektiven Gedächtnisses. Beim Reenactment imitieren junge Schauspieler*innen aus der Enkelgeneration die Vergangenheit, in dem sie die Erzählungen der allgemein als Autorität geltenden Zeitzeug*innen nachspielen. Die Spielfilmszenen füllen die Lücken der Zeitzeug*innenerzählungen und übersetzen diese in eine geschlossene Erzählung.[12] Die Filme und Serien reagieren auf die spezifischen, gesellschaftlichen Bedürfnisse der Zuschauenden verschiedener Generationen und stellen so lediglich ein Rezeptionsangebot von historischen Stoffen dar. Die meisten der Zuschauenden erwarten, eine Geschichte zu sehen, die bewegt, jedoch ohne dabei unbequem zu sein. Auch Mehrdeutigkeiten und Heterogenität weichen zu Gunsten einer geschlossenen Erzählung, dessen Hauptzweck es schließlich ist, zu unterhalten.[13]

Gewiss tritt die Bedeutung des linearen Fernsehens für die kommenden Generationen immer mehr in den Hintergrund. Doch auch die künftigen visuellen Medien speisen ihre Geschichtsbilder maßgeblich aus den Archiven des kulturellen Gedächtnisses, das durch Film und Fernsehen bereits mitgeprägt wurde. Die Reduktion von Komplexität und die Konkurrenz zwischen der Vermittlung von historischen Inhalten und dem Anspruch der Unterhaltung bleibt dabei eine Herausforderung für die Filmemachenden.

Ebenfalls bestehen bleiben werden ihre immense Popularität und die breite Diskussion in der Öffentlichkeit. Die Rezeption von Serien koppelt sich häufig eng an mediale Debatten – auch dies ist ein charakteristisches Merkmal des Dokudramas, welches der Filmhistoriker Tobias Ebbrecht-Hartmann daher als „historisches Ereignisfernsehen“ bezeichnet.[14] So wird die mediale Aufbereitung und Erinnerung an Vergangenes für die Zuschauenden selbst zu einem Ereignis der Gegenwart, denn sie wird von öffentlich geführten Debatten begleitet und bleibt über das Fernsehereignis hinaus präsent und gesellschaftlich relevant.

 

Norwegens mediale Debatte um Deutungshoheiten

Terje Emberlands berechtigter Protest vor Beginn der Ausstrahlung bezog sich auf die Tendenz der Serie, die „Frontkämpfer“ reinzuwaschen. Auch drei weitere Historiker, die sich für das TV-Format interviewen ließen, kritisierten, dass ihre Aussagen von den Produzenten der Doku-Serie verkürzt und aus dem Zusammenhang gerissen worden seien. Bereits in der Phase der Postproduktion hatten sie gemeinsam umfangreiche Änderungen gefordert. Vom Sender NRK hieß es, nur vier von sieben der befragten Historiker seien mit dem Rohschnitt unzufrieden gewesen, man hätte abwägen müssen und zu Gunsten der Meinungspluralität die Serie lediglich mit kleinen Änderungen versehen. Die vier Teile wurden wie geplant fertig gestellt und ausgestrahlt – NRK begrüße aber die Debatte.[15] Der Regisseur Kristiansen weist die Kritik an seinem Werk bis heute zurück. Emberland hätte seine Rolle als Historiker für die Serienproduktion missverstanden und keinen Anspruch auf „die eine Wahrheit“.[16] Damit verschob sich die Debatte, die über Zeitungsartikel der norwegischen Presse und eine Talkshow im NRK ausgehandelt wurde, von einer Diskussion um die norwegische Kollaboration während des Zweiten Weltkrieges hin zu einem Streit um Deutungshoheiten. Dennoch hat „Frontkjempere“ damit eines der dem Genre immanenten Ziele erreicht: eine aktive öffentliche Auseinandersetzung über Geschichte, ihre Darstellung und Vermittlung.


 

[1] Terje Emberland: NY NRK-SERIE BIDRAR TIL HVITVASKING AV DE NORSKE WAFFEN-SS-FRIVILLIGE - til tross for protester fra forskerne!, Facebook, 02.04.2021.

[2] Terje Emberland, Matthew Kott: Himmlers Norge. Nordmenn i det storgermanske Prosjket. 2012, Oslo.

[3] Vgl. Sigrud Sørlie: Sonnenrad und Hakenkreuz. Norweger in der Waffen-SS 1941-1945. 2019, Paderborn, S. 295.

[4] Ebd., S. 276f.

[5] Ebd., S. 199.

[6] Vgl.: Internet Movie Database: Frontkjempere, 2021.

[7] Tobias Ebbrecht, Matthias Steinle: Dokudrama in Deutschland als historisches Ereignisfernsehen - eine Annäherung aus pragmatischer Perspektive. In: Medienwissenschaft 3/2008, S. 251.

[8] Vgl.: Ebd.

[9] Vgl.: Emberland, Kott (2012): Himmlers Norge.

[10] Vgl.: Tobias Ebbrecht: Historisches Ereignisfernsehen und TV-Events. In: K. Hoffmann, R. Kiborn, W.C. Barg (Hg.): Spiel mit der Wirklichkeit. Zur Entwicklung doku-fiktionaler Formate in Film und Fernsehen, 2012, Konstanz, S. 377.

[11] Vgl.: Ebd., S. 378f.

[12] Vgl.: Ebd., S. 383.

[13] Vgl.: Ebd., S. 387-389.

[14] Ebd., 377.

[15] Vgl.: NRK TV: Debatten Frontkjempere. 21.04.2021.

[16] Vgl.: Ebd.