Denkmäler als Geschichts-Sorte

Denkmäler sind gezielt und dauerhaft konzipierte, materiell gestaltete Erinnerungsstätten. Als solche sollen sie zeichenhaft z.B. auf historische Personen, Ereignisse oder Entwicklungen verweisen und zur Erinnerung anregen. In dieser Funktion lassen sich Denkmäler als eine spezifische mediale Repräsentation von Geschichte fassen – weitere Beispiele für solche medialen Repräsentationen wären etwa historische Romane, Ausstellungen, Computerspiele. Der Historiker Thorsten Logge hat vorgeschlagen, diese medialen und materiellen Repräsentationen von Geschichte als Geschichts-Sorten zu begreifen und zu analysieren.[1] In diesem Sinne sind auch Denkmäler eine Geschichts-Sorte.

Die Bedeutung eines Denkmals ist, wie das Wort schon anzeigt, eine Deutung und in diesem Sinne eine kontextabhängige Zuschreibung. Das betrifft zunächst die Frage, inwiefern, ein Denkmal überhaupt als solches (an-)erkannt wird. Auch die Frage, wie und woran ein Denkmal erinnert, ist eine Interpretation, die unter Umständen ganz unterschiedlich sein und sich mit der Zeit verändern kann.

 

Bedeutung ist Deutung ist Handlung

Wir gehen hier davon aus, dass der Stellenwert von Denkmälern weder festgelegt ist noch ihnen irgendwie anhaftet und dann nur noch von außen erkannt werden müsste. Ihre Bedeutung wird stattdessen in bzw. durch Handlungen erzeugt, also immer dann, wenn ein Denkmal rezipiert, also als solches wahrgenommen, gedeutet und besprochen wird. Auch wenn über den Zustand, die Aktualität oder den Erinnerungswert eines Denkmals gestritten wird, ist das eine Produktion und Ver-Handlung seiner Bedeutung.

Mit bzw. anhand von Denkmälern wird also Geschichte gemacht, verstanden als „soziale[r] Kommunikations- und Sinnbildungsprozess“ über die Vergangenheit.[2] Produktion(en) und Rezeption(en) von Denkmälern wirken stets ineinander und sind in ihrer Geschichtlichkeit zu verorten und zu analysieren.[3]

Eine solche Sicht auf Denkmäler hat den Vorteil, dass sie uns nötigt, konkret und präzise zu historisieren. Die Frage nach der Bedeutung eines Denkmals ist folglich immer die Frage danach, wer einem Denkmal wann, unter welchen Umständen welche historische(n) Bedeutung(en) zugeschrieben – und es dadurch als „Denkmal“ erst hervorgebracht – hat. Ein weiterer Vorteil dieses Ansatzes ist, dass auch die eigene Wahrnehmung und Auseinandersetzung damit als kontextgebundene, bedeutungsgenerierende Handlung verstanden und reflektiert werden kann.

 

Beispiel: Bismarck-Denkmäler

Denkmäler erfüllen wesentlich gegenwärtige Bedürfnisse nach Erinnerung, Orientierung und Identifikation. Der Historiker Michael Jeismann spricht davon, dass Denkmäler „Träume der Gegenwart in der Vergangenheit erfüllen“ sollen.[4] Das trifft nicht zuletzt auf die Bismarck-Denkmäler zu, die um die Jahrhundertwende „wie Pilze aus dem Boden schossen“.[5]

Große Teile des Bürgertums bangten zu dieser Zeit um ihre gesellschaftliche (Macht-)Stellung,[6] ihre Verunsicherung kompensierten sie in nationalen und imperialistischen Sehnsüchten. Der zu Lebzeiten äußerst umstrittene Otto von Bismarck diente ihnen dafür als ideologische Projektionsfläche. Nach seinem Tod entstand ein regelrechter Mythos um sein politisches Erbe, der ihn als Reichsgründer und „nationale Heldenfigur“ verklärte.[7] Ausdruck fand dieser Mythos nicht zuletzt in den unzähligen Bismarck-Denkmälern.[8] Eines der populärsten und derzeit umstrittensten[9] ist das Hamburger Bismarck-Denkmal von 1906 im Alten Elbpark. Mit seinen 34,3 Metern Höhe ist es das größte seiner Art in Deutschland und war in seiner Zeit auch gestalterisch bahnbrechend.

Das Hamburger Bismarck-Denkmal von 1906 im Alten Elbpark. Seitenansicht, 22.06.2016,  CC BY-SA 4.0.

Anders als seine Vorgänger suchte es Bismarck nicht mehr möglichst plastisch und realitätsgetreu abzubilden oder in Form von Säulen bzw. Türmen zu ehren. Stattdessen bestach der Hamburger Bismarck durch seine monumentale, d.h. übergroße, abstrahierende, ausdrucksstarke und dominante Darstellung Bismarcks als Nationalheld.[10] Dabei wurde auch großen Wert auf das verwendete Material gelegt. Die Wahl fiel schließlich auf Granit, als ein vermeintlich überzeitliches „Material deutscher Kultur“.[11]

Am Hamburger Bismarck-Denkmal lässt sich auch verdeutlichen, inwiefern die Gestaltung eines Denkmals die Möglichkeiten seiner Wahrnehmung beeinflussen bzw. begrenzen kann. Das betrifft auch die möglichen Stand- und Betrachtungspunkte.[12] Denn die überdimensionale Darstellung Bismarcks sorgt dafür, dass wir der Statue nicht „auf Augenhöhe“ begegnen können. Stattdessen „verortet“ uns die Architektur zu Füßen der gigantischen Figur, zu der wir heraufschauen müssen, um sie zu sehen. Die beabsichtigte Wirkung wird hier also ästhetisch und architektonisch begünstigt.

Bismarck aus der Besucher*innen-Perspektive. Foto: Christian Schirner: Bismarck, 28.07.2012 via Flickr. CC BY-SA 2.0 .

 

Denkmaltafeln als Bedeutungsträger

Die Bedeutungsebenen von Denkmälern können sehr abstrakt sein. Mitunter finden sich jedoch ergänzende Denkmaltafeln, die sie aus einer bestimmten Perspektive erläutern und einordnen. Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen in Berlin etwa besteht aus einem Steinquader. In dessen Wand befindet sich eine Scheibe, die den Blick auf ein im Inneren laufendes Video zweier sich küssender Männer bzw. Frauen freigibt. Es finden sich keine genaueren Informationen am Steinquader selbst. Unter Umständen wird erst mit Blick auf die dazugehörige Tafel deutlich, dass es sich bei der Anlage überhaupt um ein Denkmal handelt.

 

Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen in Berlin Frontansicht des Denkmals, 2008, 12.07.2008, via WikipediaCC BY-SA 3.0 
Videosequenz des Denkmals, 12.07.2008, via Wikipedia. CC BY-SA 3.0 
Paul David Doherty (User:PDD): Gedenktafel, 2008, 27.05.2008. CC BY-SA 3.0

 

Auf der inhaltlichen Ebene sind Denkmaltafeln in der Regel präziser als das eigentliche Denkmal. Jedoch sind auch ihre Deutungsangebote im Rahmen einer näheren Auseinandersetzung zu historisieren. Nichtsdestotrotz können Denkmäler und Tafeln bestimmte Deutungen zum Zeitpunkt ihrer Entstehung immer nur nahelegen oder gestalterisch begünstigen, niemals aber einheitlich vor- bzw. festschreiben.

 

Deutungskämpfe und -dimensionen

Deshalb sind Denkmäler in politischer Hinsicht mitunter so streitbar – insbesondere dann, wenn das, was sie ausdrücken (sollen) als falsch, problematisch oder unzeitgemäß wahrgenommen wird. Denn als geschichts- und erinnerungskulturelle Medien besetzen und markieren Denkmäler größtenteils öffentlichen Raum, der idealerweise für alle Gesellschaftsmitglieder zugänglich, nutzbar und repräsentativ sein sollte .[13] In diesem Zusammenhang können sich anhand von Denkmälern Debatten über das gesellschaftliche Selbstverständnis entzünden. Dies zeigt z.B. der Streit um die Konföderierten-Denkmäler in den USA. Gegner*innen dieser Denkmäler sehen darin eine anhaltende Ehrung von ehemaligen Sklav*innenhaltern, die es aus dem öffentlichen Raum zu entfernen gilt, weil sie weite Teile der Bevölkerung rassistisch diskriminieren.

Die politische Dimension von Denkmälern kann verwoben sein mit weiteren, z.B. ästhetischen, wissenschaftlichen und ökonomischen Dimensionen.[14] Letztere wird etwa dort relevant, wo kriegsromantisierende Nationaldenkmäler als touristische Attraktion stilisiert und marketingtechnisch auch so eingebunden sind, wie das Niederwalddenkmal in Rüdesheim am Rhein.

 

[1] Thorsten Logge: “History Types” and Public History | Geschichts-Sorten” und Public History, 28.06.2018, in: Public History Weekly, aufgerufen am 30.11.2022.
[2] Thorsten Logge: “History Types” and Public History | Geschichts-Sorten” und Public History, 28.06.2018, in: Public History Weekly, aufgerufen am 30.11.2022.
[3] Vgl. Karl-Ernst Jeismann: Geschichtsbewußtsein, in: Klaus Bergmann (Hg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, 5. Aufl. Seelze-Velber 1997, S. 40–43, hier S. 40.
[4] Michael Kees: Der Posterboy der AfD, in: taz vom 7./8. Dezember 2019, S. 24.
[5] Volker Ullrich: Der Mythos Bismarck und die Deutschen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 13 (2015), S. 15–22, hier S. 18.
[6] Jörg Schilling: ‚Distanz halten‘. Das Hamburger Bismarckdenkmal und die Monumentalität der Moderne. Göttingen 2006, S. 391 f.
[7] Volker Ullrich: Der Mythos Bismarck und die Deutschen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 13 (2015), S. 15–22, hier S. 17–18, Zitat: S. 18.
[8] Volker Ullrich: Der Mythos Bismarck und die Deutschen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 13 (2015), S. 15–22, hier S. 18; Jörg Schilling: „Distanz halten“. Das Hamburger Bismarckdenkmal und die Monumentalität der Moderne. Göttingen 2006, S. 16.
[9] Streit um Hamburger Denkmal. Bismarck schrumpfen, 02.12.2020, in: Deutschlandfunk Kultur, (aufgerufen am 25.10.2022).[10] Jörg Schilling: „Distanz halten“. Das Hamburger Bismarckdenkmal und die Monumentalität der Moderne. Göttingen 2006, S. 103, 154, 391, 195 f.
[11] Jörg Schilling: „Distanz halten“. Das Hamburger Bismarckdenkmal und die Monumentalität der Moderne. Göttingen 2006, S. 151.
[12] Knut Hickethier: Einführung in die Medienwissenschaft, Stuttgart 2003 , S. 84, 179. Unter anderem diesen Umstand reflektierte 2015 die Kunstaktion „Capricorn Two“. In deren Rahmen wurde auf dem Kopf der Bismarck-Skulptur eine Steinbock-Skulptur montiert. Siehe z.B. CAPRICORN TWO, in: Steinbrener / Dempf & Huber, aufgerufen am 30.11.2022; Capricon Two, 01.02.2017, in: Körber Stiftung, aufgerufen am 30.11.2022.
[13] Unter Geschichtskultur verstehen wir hier mit Jörn Rüsen „eine bestimmte Art des deutenden Umgangs mit Zeit, eben die, die so etwas wie ‚Geschichte’ als Erfahrungsinhalt, als Deutungsprodukt, als Orientierungsgröße und als Zweckbestimmung erbringt“. Jörn Rüsen: Geschichtskultur, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (GWU) 46 (1995), S. 513–520, hier S. 513 f.
[14] Jörn Rüsen: Was ist Geschichtskultur? Überlegungen zu einer neuen Art, über Geschichte nachzudenken, in: Klaus Füßmann/Heinrich Theodor Grütter/Jörn Rüsen: Historische Faszination. Geschichtskultur heute. Köln/Weimar/Wien 1994, S. 3–26, hier S. 9–17; Holger Thünemann: Denkmäler als Orte historischen Lernens im Geschichtsunterricht – Herausforderungen und Chancen, in: Saskia Handro/Bernd Schönemann (Hg.): Orte historischen Lernens. Münster 2008, S. 197–208, hier S. 200, 202.