Eine von rechts gesteuerte Europäische Revolution fand in der Nachkriegszeit nicht statt. Und doch steht die von Bernhard Gericke (1908–1977) ausformulierte Idee eines solchen Umsturzes exemplarisch für eine im rechtsextremen Milieu Deutschlands verbreitete Position. Früh schon nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges regte sich das „nationale Lager“ im Schatten von CDU, KPD und SPD. In die Illegalität verbannt, erwuchs in Deutschland aus den Überresten verschiedener NS-Organisationen ein Untergrundnetzwerk, das bald darauf die personelle Basis neuer rechtsextremer Parteien bilden sollte.
Eine dieser Parteien wurde am 2. Oktober 1949 unter anderem von Fritz Dorls gemeinsam mit Bernhard Gericke, August Finke und Hellmuth Hillebrecht im niedersächsischen Hameln gegründet: die neonazistische Sozialistische Reichspartei (SRP).[1]
Gericke hatte sich im Jahr 1946 in Wolfsburg niedergelassen – gemeinsam mit seiner Ehefrau, die im Volkswagenwerk als Ärztin tätig war.[2] Als Akteur der Nachkriegsrechten ist Gericke bislang noch weitgehend unbekannt. Und doch lohnt es sich, einmal genauer hinzuschauen, finden sich innerhalb der von ihm hinterlassenen Spuren zahlreiche Verbindungslinien ins rechte Milieu.
Gemein ist den Gründungsmitgliedern der SRP, zu denen außerdem Wolf Graf von Westarp sowie Gerhard Krüger zählten, ihre, wenn auch nicht gerade steil verlaufenden, Karrieren im NS-Regime. Während Krüger etwa in der Reichspressestelle der NSDAP tätig war, leistete Finke seinen Beitrag für das „Dritte Reich“ im Geheimdienst der SS (dem so genannten Sicherheitsdienst) sowie in der „Auslandsspionage“ des Reichssicherheitshauptes (RSHA).[3] Bernhard Gericke gehörte mit seinem Engagement in unterschiedlichen NS-Organisationen ebenfalls nicht der Funktionselite an. Zwar bekleidete er nach 1933 kurzzeitig Positionen in der SA und der HJ, doch schied er nach eigenen Angaben jeweils nach kurzer Zeit aus den genannten Organisationen wieder aus. Einwandfrei lässt es sich nicht mehr rekonstruieren, doch radikalisierte sich Gericke möglicherweise erst mit seiner Eingliederung in die Waffen-SS während des Zweiten Weltkrieges und infolge engerer Kontakte wie etwa zu Karl Schäffer, dem Adjutanten des belgischen Rexistenführers Léon Degrelle. Schäffer und Gericke gehörten der SS-Freiwilligen Sturmbrigade „Wallonien“ an. Aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Waffen-SS fiel Gericke in der Nachkriegszeit unter den „automatic arrest“. Als Gefahrenquelle für die von den Siegermächten angestrebte demokratische Ordnung Deutschlands wurde Gericke im Februar 1947 interniert und im Sommer 1948, wie viele andere stark Belastete in jener Zeit als „Mitläufer“ entnazifiziert, von dort entlassen.
Die Frage danach, wie es mit Deutschland nun politisch weitergehen und welche Position das Land in Europa einnehmen sollte, wurde in jenen Jahren vielfach gestellt und in sämtlichen politischen Lagern diskutiert. Bereits im Jahr 1946 brachte Gericke erste Ideen für eine europäische Nachkriegsordnung und die Rolle, die Deutschland darin spielen sollte, zu Papier. Bedenkt man, dass Deutschland faktisch nicht über seine Stellung mitbestimmen konnte, erscheint dieser Ansatz naiv. Gericke träumte von einer kontinentalen Revolution, die maßgeblich von Deutschland aus ausgehen sollte. In der „Einführung“ seiner auf September des Jahres 1950 datierten Endfassung der 14-seitigen Kampfschrift mit dem Titel Die Europäische Revolution verhehlt er die Ernsthaftigkeit seiner Umsturzabsichten kaum: „Das erwähnte Schriftstück aus dem Jahr 1946 ist im Übrigen kein Produkt eines müßigen geistigen Spieltriebes oder eines gelehrten, wissenschaftlich-philosophischen Interesses an der theoretischen Deutung geschichtlicher Vorgänge. Es entstand vielmehr unmittelbar aus dem praktisch-politischen Wollen und Handeln des Verfassers“.[4]
Im Fadenkreuz britischer Geheimdienstermittlungen
Sein „Manifest“, das sich tief im rechtsextremen Milieu verorten lässt, sollte einer gesamteuropäischen Revolution als ideologisches Grundkonzept dienen und dabei helfen, der revolutionären Bewegung ihre Richtung zu geben. In den „[p]ersönlichen Anmerkungen“ der Endfassung beschrieb Gericke den Zweck seines „Manifests“ wie folgt: „[Es] war gedacht als Hauptinstrument für eine Propaganda-Aktion, die eine kleine Gruppe von Männern und Frauen der Kriegsgeneration aufgrund der von den Gedanken des Manifests ausgehenden Impulse im Frühjahr 1947 durchführen wollte.“ Gestoppt wurde die „Aktion“ durch den britischen Geheimdienst, den Field Security Service (FSS), der Gericke und seine Mitstreiter im Zuge der Operation „Selection Board“ festnahm. Hinter der „Aktion“ steckte offenbar die Idee, die deutschen Reparationszahlungen einzustellen sowie sich der in rechten Kreisen verhassten als „Siegerjustiz“ aufgefassten Nachkriegsordnung zu entledigen. Es handelte sich demnach um Ansichten, die im rechten Milieu der Nachkriegszeit nach vielen Seiten anschlussfähig waren.[5] Teil des Planes der Gruppe um Gericke war es, Großbritannien dazu zu zwingen, die angelaufene Entnazifizierung sowie bereits umfassend begonnenen Demontagen von Industrieanlagen einzustellen, die im Zuge der Reparationszahlungen begonnene Kohleausfuhr zu beenden sowie die Freilassung aller Kriegsgefangenen und Internierten zu veranlassen.[6] Dies berichtete Der Spiegel im Frühjahr 1947. Würde die britische Regierung dem nicht nachkommen, drohten die Mitglieder der Untergrundbewegung mit einem Giftangriff: „England sollte gezwungen werden, eine anti-russische Westblockpolitik zu treiben. Anderenfalls würden Agenten über den Kanal geschickt werden mit flüssigen Pestträgern und ‚Anthrax-Bazillen in Pulverform.‘ 60 solcher Leute würden genügen, die gesamte Bevölkerung Großbritanniens zu infizieren und damit zu töten“, hieß es in dem Artikel weiter.
Bekanntlich wurde aus diesem Unterfangen nichts. Ob die Gruppe tatsächlich in der Lage gewesen wäre, solch eine Aktion umzusetzen ist zweifelhaft. Phantasterei oder nicht: „1000 britische und amerikanische Beamte haben jetzt die Mitglieder dieser Bewegung verhaftet. ‚Damit hat die deutsche Untergrundbewegung aufgehört zu bestehen‘“, teilte ein Sprecher der Alliierten dem Spiegel mit. Prominentestes Ziel der Verhaftungen war Klaus Barbie, der während des Zweiten Weltkrieges infolge seiner grausamen Foltermethoden als „der Schlächter von Lyon“ Bekanntheit erlangte.[7] In der englischsprachigen Geschichtswissenschaft gilt Gericke als so etwas wie der ideologische Kopf eines rechtsextremen Netzwerkes aus früheren NSDAP-, SS- und Wehrmachtsmitgliedern und „fanatical thinker[...]“.[8] Auch ehemalige Mitglieder der nationalsozialistischen Schwarzen Front oder die Gruppe Acht-und-Achtzig sollen dem Netzwerk angehört haben. Als Hauptkontakt Gerickes zu den abgetauchten SS-Leuten nennt der kanadische Historiker Biddiscombe den ehemaligen SS-Untersturmführer Kurt Barkhausen, der noch einige Jahre später in Neo-Nazikreisen einen Prominentenstatus genoss.
Das Manifest
Zurück zu der von Gericke aufgeführten „kleine[n] Gruppe von Männern und Frauen“, die damals für die Europäische Revolution aktiv werden sollte. Wer genau zu ihr zählte, lässt sich im Einzelnen nicht rekonstruieren, doch steht außer Frage, dass es sich um Personen handelte, die das politische Ende des Nationalsozialismus nicht akzeptiert hatten und noch nach der militärischen Niederlage des „Dritten Reiches“ ungebrochen an der NS-Ideologie festhielten. Dass der Personenkreis der SRP-Gründer um von Westarp und Dorls sich für die Ideen Gerickes ebenfalls begeisterte, zeigt ihr Bündnis mit Gericke nach dessen Entlassung aus der Zivilinternierung. Dort begann er „aus dem Gedächtnis“ heraus seine Thesen der Europäischen Revolution zu Papier zu bringen. Gleichzeitig zementierte sich unter den Betroffenen die erfahrene Zivilinternierung als kollektiv erfahrenes Unrecht. Was aber waren die Inhalte dieses „Manifests“ und wie sind diese im rechten Milieu der Nachkriegszeit zu verorten?
In zehn Thesen schrieb Gericke in seinem maschinenschriftlich verfassten und im Stadtarchiv Wolfsburg überlieferten Manuskript von einer gesamteuropäischen Erneuerung der politischen Systeme, die vermeintlich „Jenseits des Nationalsozialismus“ erfolgen und in Deutschland seinen Anfang nehmen sollte.[9] Dieser Grundsatz lässt sich jedoch relativ leicht als bloße Nebelkerze entlarven. Gericke gesteht zwar ein, dass die „Herrschaft der nationalen, völkischen und rassischen Ideologien“ vorüber sei, doch als Gründungsmitglied der rechtsextremen SRP stand er dem Nationalsozialismus samt seinem vermeintlichen „positiven Wert“ alles andere als fern.[10] Wenngleich Gericke seine Thesen auch lediglich als Instrument betrachtete, mithilfe dessen den „europäischen Menschen von heute eine richtige Orientierung“ gegeben werden sollte, so wird innerhalb seiner Ausführungen bald deutlich, dass diese „Orientierung“ durch einen restaurierten Nationalsozialismus gesteuert werden sollte.[11] Das „Manifest“ sollte sich zweifellos an frühere NS-Anhänger richten, die sich innerhalb der Nachkriegsrechten organisierten.
Gericke war zu dieser Zeit keine Ausnahmeerscheinung. Sein Konzept ähnelt den Schriften des rechten Publizisten Armin Mohler, dem früheren Privatsekretär Ernst Jüngers. Mohler promovierte im Jahr 1950 mit einer Arbeit zum Thema Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932, die im rechten Milieu breit rezipiert wurde. Auch er adressierte seine Schrift an Gruppen, die der Demokratie ablehnend gegenüberstanden. Wie Gericke versuchte sich auch Mohler, wie Norbert Frei jüngst herausgearbeitet hat, wohl aus taktischen Gründen in seinem Ideologiekonstrukt vom Nationalsozialismus abzugrenzen. In einem Briefwechsel mit Jakob Wilhelm Hauer, dem Gründer der völkisch geprägten Deutschen Glaubensbewegung, begründete Mohler die Abgrenzung damit, „dass es noch nicht möglich sei, über den Nationalsozialismus ‚in sachlicher Weise öffentlich zu sprechen“‘.[12] Gericke nicht unähnlich, stimmten auch Mohler und Hauer darüber ein, dass es einen ‚„guten Teil im Nationalsozialismus“‘ gegeben habe – Mohler nannte diesen die „Konservative Revolution“. Offenbar lief Mohler Gericke seinerzeit den Rang ab, denn seine Promotionsarbeit sollte in den kommenden Jahren zur „Weltanschauungsfibel der Neuen Rechten“ avancieren, während Gerickes „Thesen“ nie rezipiert wurden.
In Gerickes 14-seitiger Kampfschrift heißt es: „Der Nationalsozialismus und die ihm verwandten Bewegungen in anderen europäischen Ländern sind in der Tat Ausdruck einer großen europäischen Revolution, die sich in unserer Zeit vollzieht und an Bedeutung und geschichtlicher Wirkung den anderen großen Revolutionen der Neuzeit, der englischen, der französischen und der russischen Revolution, nicht nachsteht.“[13] Gericke zufolge sei die zweite Phase dieser „Revolution“ bereits im Gange, sei doch die erste mit dem Ende des „letzten Weltkrieges abgeschlossen“. Wie genau sich dieser Abschluss gestaltete, darüber lässt Gericke seine Leserinnen und Leser im Unklaren. Entscheidend für Gericke war jedoch ohnehin der zweite Abschnitt, in dem der Zusammenschluss einer „revolutionären Kampfgemeinschaft auf europäischer Ebene“ ausgelotet werden sollte. Vollendet wäre der Umsturz der „Nachkriegsdemokratie“ mit der ‚„Machtergreifung‘ einer neuen, revolutionären Führerschicht in ganz Europa“ und der „Herausbildung eines neuen Menschentypus“, der traditionelle Stände überwinden und im „einzigen neuen Stand, der Stand des Arbeiters“, aufgehen sollte.
Die Ideologie dahinter: Der „positive Wert“ des Nationalsozialismus
Gericke bediente sich gleich zweier bekannter Gedankenkonstrukte: Zum einen ist es das Ende der mythisch aufgeladenen sogenannten Kampfzeit der NSDAP im Januar 1933, die seitens der Parteispitze als revolutionärer Gipfel einer Periode der Unterdrückung und des Schmerzes durch die vermeintlich verräterische Sozialdemokratie propagiert wurde. Damit schreibt sich Gericke samt seiner geistigen Verbündeten in die Traditionslinie der frühen NSDAP ein. Zum anderen ist auch die Idee des anzustrebenden „Neuen Menschen“ nicht neu und bereits in zahlreichen anderen Revolutionsnarrativen wie etwa dem Französischen oder dem Sowjetischen begründet. Doch auch hier verbirgt sich eine Überlieferung, deren Kern im Nationalsozialismus ihren Ursprung findet: das Konzept der „Volksgemeinschaft“, dem auch die SRP nachhing.
Ist die Existenz des Konstrukts einer homogenen NS-Gesellschaft in der Vergangenheit auch innerhalb der Geschichtswissenschaft in die Kritik geraten, wie Ian Kershaw und Michael Wildt aufgezeigt haben, so ist deren ideologischer Ursprung, das Phantasma einer exklusiven deutsch-völkischen Mehrheitsgesellschaft, dessen ungeachtet in den Anfängen des Nationalsozialismus nachzuweisen. Darin, den Nationalsozialismus oberflächlich von seinen negativ konnotierten Attributen zu bereinigen und den vermeintlich harmlosen Programmatiken neuen Wind in die Segel zu blasen, manifestiert sich für Gericke der „positive Wert“ des Nationalsozialismus. Über die Exklusivität einer solchen Gesellschaft des „Neuen Menschen“ hüllt sich Gericke in Schweigen. Denn letztlich war die Idee der „Volksgemeinschaft“ ebenso Teil der NS-Gewaltherrschaft und damit gleichermaßen grundlegend für die nationalsozialistische Verfolgungs- und Diskriminierungspolitik. Auch zielte Gericke darauf ab, die seiner Meinung nach zu Unrecht verurteilten Zivilinternierten und NS-Verbrecher, zu denen er sich selbst zählte, zu rehabilitieren. Die Revolution sollte einen kathartischen Effekt auf die NS-belasteten Personen haben und ihnen die Chance ermöglichen, Teil einer neuen „Volksgemeinschaft“ zu werden. Gerickes Überlegungen kamen demnach einer eher müden Reform gleich, die keinesfalls „Jenseits des Nationalsozialismus“ stattfinden sollte.
Vom „Mythos der Verfolgung und Entrechtung“ von SS- und Wehrmachtsangehörigen getragen, fügte sich Gerickes „Manifest“ nahtlos in die politischen Positionen der Nachkriegsrechten ein. Gericke erkannte hierein die Chance, in der Nachkriegsordnung einen vermeintlich reformierten Nationalsozialismus als politischen Gegenentwurf zu den Programmen von SPD und CDU zu etablieren. Die Europäische Revolution ist ein antidemokratischer Protest gegen die Nachkriegsordnung. Wie es im rechtsextremen Milieu der Nachkriegszeit üblich war, distanzierte man sich dort formal vom Nationalsozialismus und konzentrierte sich innerhalb des politischen Programmes darauf, jene Gruppe der „Entrechteten“ zu binden, um sie im Kampf gegen die „als Fremdherrschaft empfundene liberale Demokratie“ zu mobilisieren. Doch glichen die Positionen vielmals Konzepten und Ideen, deren Ursprünge eindeutig in der NS-Ideologie zu finden sind. Auch knüpften sie an rechts-nationale Konzepte eines Europas mit Deutschland an der Spitze an und kontrastierten damit die historischen Entwicklungen hin zu einer demokratisch-pluralistischen Ordnung Europas.
Man versuchte so für die sogenannten Heimatvertriebenen aus den ehemals deutschen Ostgebieten, den früheren SS- und Wehrmachtsangehörigen, die sich zu Opfern der Entnazifizierung stilisierten, ein Identitätsangebot zu schaffen. Gericke wollte sich mit seinen Thesen in diesen Diskurs einschreiben. Die Europäische Revolution sollte das Versprechen auf einen unbelasteten Neuanfang für all diejenigen bedeuten, die sich von der „Siegerjustiz“ diskriminiert fühlten und Deutschland mithilfe der im übrigen Europa installierten Regime, es sollten ja europaweit „Machtergreifungen“ erfolgen, erneut zum Großmachtstatus verhelfen. Doch Gerickes Umsturzpläne endeten prompt. Ob die „beabsichtigte Disputation“ seiner Thesen jemals stattfand, ist nicht belegt.[14] Jedoch verließ Gericke kurz nach der Fertigstellung seiner Kampfschrift die SRP. Ohnehin befand sich die Extremrechte seinerzeit im Abwärtstrend: Das ‚Wirtschaftswunder‘ vermochte eine bundesweite Aufbruchsstimmung zu entfachen, sodass die Ambitionen der Nachkriegsrechten gewissermaßen delegitimiert wurden. Auch die verabschiedeten Amnestieerlasse für NS-Verbrecher nahmen der Rechten einen zentralen Programmpunkt ihrer politischen Agenda. Die Bundesrepublik bekleidete in Europa alles andere als einen Führungsposten, sondern orientierte sich vielmehr an der Politik der Westalliierten und konzentrierte sich auf den Wiederaufbau. Die SRP wiederum wurde im Jahr 1952 durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes verboten.
Dieser Entwicklung zum Trotz gründete Gericke mit der Nationalen Arbeiter Partei (NAP) im Jahr 1950, demnach kurz nach seinem Verlassen der SRP, eine neue rechtsextreme Partei.[15] Doch auch diese sollte nur für wenige Jahre bestehen und im Jahr 1957 in der Freien Demokratischen Partei (FDP) aufgehen. Mit der darauf erfolgten Gründung einer rechten Gewerkschaft hatte Gericke ebenfalls keinen Erfolg. Letztlich machte er innerhalb der Wolfsburger Stadtverwaltung Karriere, wo er als Leiter der Pressestelle und Archivar tätig war. Von der Idee einer Europäischen Revolution hatte sich Gericke offenbar ab einem nicht mehr rekonstruierbaren Zeitpunkt verabschiedet. Stattdessen widmete er sich ab 1966 einem fast zehn Jahre andauerndem Interviewprojekt.[16] Mit dem Ziel vermeintliche Lücken innerhalb der Stadtgeschichte zu schließen, eventuell sollte eine Stadtchronik erarbeitet werden, sprach er mit von ihm sogenannten Pionieren aus der Gründungszeit der „Stadt des KdF-Wagens“. Es befanden sich unter den Gesprächspartnerinnen und -partnern etwa ein früherer Kreispropagandaleiter sowie SS- und SA-Angehörige. Von seiner Faszination für den Nationalsozialismus wandte er sich demnach nie ab.
[1] Zur SRP und zu den Biographien ihrer führenden Funktionäre vgl. Henning Hansen, Die Sozialistische Reichspartei (SRP). Aufstieg und Scheitern einer rechtsextremen Partei. Düsseldorf 2007, S. 41, 47, 57–58.
[2] Hannelore Künne, Frauen in Wolfsburg. Einblick in ihre Geschichte. Wolfsburg 1998, S. 157.
[3] Siehe dazu „Gerhard Krüger“, in: Munzinger Online, online abrufbar [31.7.2024]; „August Finke“, in: Munzinger Online, online abrufbar [31.7.2024]; Hansen, Die Sozialistische Reichspartei (SRP), S. 57.
[4] IZS Wolfsburg, Az. 47 19 70 12, Bernhard Gericke, Die Europäische Revolution. Wolfsburg 1950, S. 13, Kopie aus apabiz, Sammlung ZI6. Im Wolfsburger Stadtarchiv sind lediglich einige Seiten des Manifests überliefert, deren Rückseiten Gericke für das Anfertigen von handschriftlichen Notizen verwendete. Siehe dazu StadtA WOB, B.1.2, Nr. 1537.
[5] Peter Dudek/Hans-Gerhard Jaschke, Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik. Zur Tradition einer besonderen politischen Kultur, Bd. 1. Opladen 1984, S. 39–40.
[6] Hier und im Folgenden „Bazillen. Das Untergründige in Herrn Ellersiek“, in: Der Spiegel, Nr. 9/1947.
[7] Peter Hammerschmidt, „Das V-43 118 SS-Hauptsturmführer war, schließt nicht aus, ihn als Quelle zu verwenden‘. Der Bundesnachrichtendienst und sein Agent Klaus Barbie“, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Jg. 59 (2011), H. 1, S. 333–348; ders., Deckname Adler. Klaus Barbie und die westlichen Geheimdienste. Frankfurt am Main 2014, S. 79.
[8] Perry Biddiscombe, Operation Selection Board: The Growth and Suppression of the Neo-Nazi ‘Deutsche Revolution’ 1945–47, in: Intelligence und Nation Security, Jg. 11 (Januar 1996), S. 59–77, hier S. 63; Luke Daly-Groves, The British and American Intelligence Divisions in Occupied Germany, 1945–1955. Cham 2023, S. 222f.
[9] Gericke, Die Europäische Revolution, S. 2.
[10] Ebd., S. 4.
[11] Ebd., S. 13.
[12] Hier und im Folgenden zitiert nach Norbert Frei/Franka Maubach/Christina Morina/Maik Tändler, Zur Rechten Zeit. Wider die Rückkehr des Nationalismus. Berlin 2019, S. 74.
[13] Hier und im Folgenden Gericke, Die Europäische Revolution, S. 11.
[14] Ebd., S. 1.
[15] Günter Riederer, „Bernhard, der Parteiengründer“ – Das Stadtarchiv Wolfsburg und sein erster Leiter, in: Das Archiv. Zeitung für Wolfsburger Stadtgeschichte, Jg. 2 (2017), Nr. 6, S. 6–7.
[16] Siehe dazu Maik Ullmann, Oral History von rechts. Einstige Eliten der „Stadt des KdF-Wagens“ im Gespräch mit Bernhard Gericke. Hannover 2022; Maik Ullmann, Bernhard Gericke und die Pioniere der „Stadt des KdF Wagens“ (AdM 07/2020), in: Das Archiv. Zeitung für Wolfsburger Stadtgeschichte, Jg. 5 (November 2020), Nr. 019, S. 13; Die „Erlebnisberichte“ des ersten Wolfsburger Stadtarchivars Bernhard Gericke als Zeugnisse seiner Demokratiefeindlichkeit. Maik Ullmann im Interview, in: Das Archiv. Zeitung für Wolfsburger Stadtgeschichte, Jg. 5 (Mai 2020), Nr. 017, S. 12–13.