Bergpanorama in den Südtiroler Dolomiten (2017). Eigene Aufnahme.
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Bergpanorama in den Südtiroler Dolomiten (2017). Eigene Aufnahme.

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Zwischen persönlicher Spurensuche und transnationaler Verflechtungsgeschichte

Der Podcast „Eisernes Schweigen“ von Traudl Bünger

 

Eine Tochter auf der Suche „nach der Wahrheit“

„Papa, hast Du das damals gemacht mit den Bomben?“ – mit dieser Frage, gestellt von einer mädchenhaften Stimme, startet der Trailer zum Podcast „Eisernes Schweigen. Über das Attentat meines Vaters“ von Traudl Bünger (WDR, April 2024). Der Podcast zeigt in acht Folgen eine historische Spurensuche einer Tochter „nach der Wahrheit“ über ihren 2016 verstorbenen Vater im rechtsextremen Milieu Europas im Kalten Krieg zwischen Anfang der 1960er Jahre und der Gegenwart. Dabei ist der Podcast als persönliche Reise durch ein bislang wenig bekanntes Kapitel deutsch-italienisch-österreichischer Geschichte inszeniert.

Die promovierte Literaturwissenschaftlerin und Autorin Traudl Bünger (*1975) untersucht die Vergangenheit ihres Vaters Heinrichs Bünger und ihres Onkels Fritz Bünger, die als junge Deutsche im Herbst 1962 in Südtirol (Verona, Trient und Bozen) Bombenanschläge verübten. Beide gaben an, dass sie durch diese Taten den „Freiheitskampf“ der deutschsprachigen Bevölkerung Südtirols unterstützen wollten. Die politisch motivierten Attentate hatten gravierende Folgen: In Verona starb ein italienischer Bahnarbeiter durch eine selbstgebaute Bombe, mehrere Menschen wurden verletzt, ein weiterer Sprengkörper wurde angeblich vor einer Schule in Bozen gefunden, bevor er detonierte.[1]

 

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ARD Audiothek. Eigener Screenshot. 

 

Rekonstruktion einer verdrängten Geschichte[2]

Ausgehend von ihrer langjährigen Auseinandersetzung mit dem rechtsradikalen Vater Heinrich (geb. 1935) und seinem „eisernen Schweigen“ über die eigene Vergangenheit rekonstruiert Bünger anhand von Kindheitserinnerungen, Zeitzeug*innenberichten – inklusive ihrer Mutter – Dokumenten und Gesprächen mit Historiker*innen, wie Vater Heinrich und dessen Zwillingsbruder Fritz u.a. über den „Bund Nationaler Studenten“ in die rechtsextreme Szene gerieten, was genau „in Südtirol in den 60er Jahren los“ war und welche Folgen die Attentate hatten. Traudl Bünger berichtet von Ermittlungen und Verfahren gegen die Beteiligten in Italien, Ost- und Westdeutschland und versucht, eine Antwort auf die Frage zu finden, warum ihr Vater Heinrich lebenslang über die Beteiligung an den Anschlägen über die Vorwürfe schwieg, während Bruder Fritz auch im Podcast bereitwillig Auskunft gibt.

Dabei schildert die Autorin eindrücklich ihren persönlichen inneren Konflikt, mit einem verlässlichen, fürsorglichen, aber politisch radikal denkenden und gewaltvoll handelnden Vater aufgewachsen zu sein, zu dessen rechtsextremer Haltung sowie revisionistischem und holocaustleugnendem Geschichtsbild sie schon früh in Widerspruch geriet; wobei sie allerdings erst nach dem Tod des Vaters versteht, wie tief er in rechte Netzwerke verstrickt war. Einen zentralen Punkt der Auseinandersetzung bilden Fragen nach moralischer Verantwortung und schwerer Schuld. Zugleich beleuchtet der Podcast die historische Dimension der Anschläge und ihrer polizeilichen, juristischen und politischen (Nicht-)Aufarbeitung, die Rolle von SED-Propaganda, des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR und Verfassungsschutz der BRD sowie das Versagen der westdeutschen Behörden bei der Aufarbeitung rechtsextremer Verbrechen der frühen Bundesrepublik und ihrer Nachwirkungen.[3]

 

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Blick auf die Dolomiten, genauer den Schlern (italienisch Sciliar, ladinisch Sciliër), vom Ritten aus (2016). Eigene Aufnahme. 

 

Historischer Kontext: Südtirols wechselhafte Geschichte

Die gewaltvollen Geschehnisse im Südtirol der 1960er Jahre sind Teil einer komplexen und kontroversen Geschichte der Region,[4] einschließlich umfassender transnationaler Verflechtungen, die im Podcast selbst vergleichsweise komprimiert dargestellt werden. Dabei spielen auch die engen historischen Beziehungen Südtirols zu Deutschland, einschließlich der unter deutschsprachigen Südtiroler*innen weit verbreiteten NS-Anhängerschaft, eine bedeutende Rolle. Wir werfen an dieser Stelle einen – zwangsläufig reduzierten – Blick auf diese Hintergründe, da die Attentate ohne eine historische Einbettung nicht historisch zu beurteilen sind.[5]

In Folge des Ersten Weltkriegs wurde Tirol geteilt und der südliche Teil Italien angegliedert. Um Bozen und Trient entstanden zwei insgesamt etwa 200.000 Personen umfassende sprachliche und kulturelle Minderheiten (deutschsprachig und ladinisch). Unter faschistischer Herrschaft gerieten diese durch massive Italienisierungsbestrebungen in Bedrängnis: Rom forcierte den Zuzug italienischer Arbeitskräfte v.a. in eine neue „Industriezone Bozen“, schuf neue Verwaltungsstrukturen und verfolgte eine konsequente Sprachpolitik mit Italienisch als Amts- und Unterrichtssprache, für Ortsbezeichnungen und sogar für Familiennamen. Angehörige der Minderheiten wurden weitgehend aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen.

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme im Deutschen Reich hofften viele Südtiroler*innen auf eine Rückangliederung an NS-Deutschland, doch Hitler bestätigte 1938 die bestehende Grenzziehung mit Mussolini. Die „Südtirolfrage“ sollte durch Umsiedlung gelöst werden: Bis 1939 mussten sich die Menschen zwischen dem Verbleib mit italienischer Staatsbürgerschaft ohne Minderheitenschutz oder der Umsiedlung ins Reich entscheiden. Für Letzteres „optierten“ zunächst 85 Prozent. Bis zum Einmarsch der Wehrmacht in Nord- und Mittelitalien 1943 verließen rund 75.000 Südtiroler die Region. Während das südliche Italien nach dem Sturz Mussolinis an der Seite der Alliierten kämpfte, blieb Südtirol als Teil der faschistischen „Republica Sociale Italiana“ mit NS-Deutschland verbunden. Deutsch wurde wieder Amtssprache, die nationalsozialistische „Deutsche Volksgruppe“ dominierte fortan das öffentliche Leben.

 

Südtirol nach dem Zweiten Weltkrieg: völkerrechtliche und soziale Situation

1945 geriet Südtirol unter amerikanische Besatzung und in den Fokus weltpolitischer Interessenslagen: Obwohl sich die Deutschsprachigen mehrheitlich für eine Rückkehr zu Österreich aussprachen, entschieden sich die Alliierten vor dem Hintergrund des aufkeimenden Ost-West-Konflikts für den Verbleib Südtirols bei Italien; dabei spielten auch die Westintegration und Sorgen vor einer drohenden Vergrößerung der kommunistischen Einflusszone im Mittelmeerraum eine Rolle.[6] Die Lage war komplex: Etwa ein Drittel Italienischsprachige standen zwei Dritteln Deutsch- oder Ladinischsprachigen gegenüber; unter ihnen als Folge der „Option“ ca. 130.000 „Staatenlose“, die bis 1943 noch keine deutschen Papiere erhalten hatten, aber auch keine italienischen mehr besaßen, sowie Rückkehrer aus Deutschland.

Im September 1946 schuf das „Gruber-De-Gasperi-Abkommen“ zwischen Österreich und Italien völkerrechtliche Rahmenbedingungen für die italienische Provinz Südtirol: Staatenlose und Rückkehrer durften die italienische Staatsbürgerschaft beantragen und den Minderheiten wurden einige Rechte zugesichert (u.a. Sprache und Bildung). Südtirol erhielt Regionalautonomie – allerdings nur als Teil der neuen Region „Trentino/Tiroler Etschland“. Diese Zusagen sollten sich für Südtirol als Scheinautonomie erweisen, die noch unter alliierter Besatzung stehende „Schutzmacht“ Österreich als schwacher Akteur. Der politische Einfluss der Minderheiten war in der mehrheitlich italienischsprachigen Gesamtregion gering. Inoffiziell verfolgte man für Südtirol weiter eine Politik der italienischsprachigen Majorisierung. Zentral- und Regionalregierung forcierten den Zuzug aus dem restlichen Italien, wohingegen es für viele Deutschsprachige kaum Perspektiven auf qualifizierte Arbeitsplätze und bezahlbaren Wohnraum gab, so dass sich die Spaltung der Gesellschaft verschärfte.

Mitte der 1950er erhoben sich vermehrt deutschsprachige Stimmen gegen die Diskriminierung. Die Mehrheit innerhalb der politischen Vertretungen der Minderheit drängte über Österreich auf dem Verhandlungsweg und in der Hoffnung auf internationaler Hilfe auf die Durchsetzung einer wirksamen Regionalautonomie. Im Widerspruch zu diesen politischen Zielen gründeten einige Radikale jedoch den „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS). Sie waren – auch ohne Rückhalt der Bevölkerung – bereit zum gewaltsamen „Widerstand“ und strebten die Loslösung von Italien an. Der BAS ist als eine heterogene, sich wandelnde, meist zellenweise agierende Untergrundorganisation zu charakterisieren, in der einheimische, bergerfahrene Landwirte und Kleinunternehmer auf österreichische Publizisten und Akademiker aus dem Mitte-Rechts-Lager sowie Burschenschafter aus dem neonazistischen Milieu in Österreich und Deutschland trafen: Letztere unterstützten die Südtiroler ideell, publizistisch, finanziell und logistisch. Als verbindende Elemente der verschiedenen Interessen wirkten besonders konservative und antikommunistische Grundhaltungen.

 

Bomben auf die Infrastruktur: die „Feuernacht“ 1961, Eskalation und staatliche Repression

Einen Höhepunkt ihres gewaltsamen Kampfes bildete die so genannte „Feuernacht“ im Juni 1961 mit fast 40 Sprengstoffanschlägen v.a. auf Strommasten in Südtirol, in der – wohl ungewollt – ein Todesopfer zu beklagen war. Es folgten Anschläge, die dem Italien-Tourismus schaden sollten. Der italienische Staat reagierte unnachgiebig und brutal mit massiver Polizei- bzw. Armeepräsenz und Repressionen: Schnell waren fast 90 Verdächtige verhaftet, einige mussten in der Haft erwiesenermaßen Gewalt und Folter erleiden – zwei Männer starben an den Folgen –, bevor 84 Südtiroler, sechs Österreicher und ein Deutscher 1964 in Mailand vor Gericht gestellt und zu Haftstrafen verurteilt wurden; 27 Personen wurden freigesprochen oder amnestiert. Von zehn 1963 der Folter angeklagten Carabinieri wurden acht trotz eindeutiger Beweise freigesprochen, zwei schuldig gesprochen, aber amnestiert.

Die Südtiroler BAS-Gründer waren verhaftet, ab Sommer 1961 überwogen unter den von einem Innsbrucker Professor geführten Attentätern österreichische und deutsche rechtsextremistische Studenten, die immer wieder Anschläge durchführten, oft mit Verletzten und Toten. In der italienischen Öffentlichkeit wurde dies durchaus als aus Österreich und West-Deutschland gesteuerte pangermanistische Bedrohung diskutiert, was die von Konrad Adenauer (CDU) geführte Bundesregierung als durch SED und Stasi gesteuerte Propaganda zur Diskreditierung der BRD abtat. Die Bundesrepublik hatte sich trotz aller historisch begründeten kulturellen und emotionale Nähe zu Südtirol – inklusive finanziell unterstützter deutschsprachiger Kulturpolitik in der Region – politisch zu strikter Neutralität verpflichtet; Italien war für die Westintegration ein zu wichtiger Partner. Die Bilanz der Gewalt zwischen 1956 und 1970: über 300 Anschläge mit mehr als 30 Todesopfern, zugleich ein repressives Vorgehen des italienischen Staates am Rande bzw. teilweise jenseits rechtsstaatlicher Regeln.

Mittlerweile gilt es als erwiesen, dass in den 1960er Jahren vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts zahlreiche Geheimdienste Südtirol als Betätigungsfeld nutzten; während u.a. die CIA auch dort antikommunistische Guerilla-Gruppen aufbaute, zielte der italienische Geheimdienst als gewaltbereiter Agent Provocateur auf Delegitimierung politischer Gegner und Destabilisierung, u.a. zur Rechtfertigung restriktiver Sicherheitspolitik. Wie u.a. der im Podcast interviewte Journalist Christoph Franceschini herausarbeitete, war der BAS spätestens ab 1961 von Spitzeln unterwandert. Wie sich diese Verstrickungen bei den Attentaten der Bünger-Brüder genau darstellen, vor allem hinsichtlich des möglicherweise fingierten Anschlags auf die Schule, den die Brüder immer leugneten, muss offenbleiben.

Und auf politischer Ebene? In Folge einer Intervention Österreichs vor der UNO sprachen ab 1961 Österreich und Italien endlich in langen, harten Verhandlungen direkt über die Umsetzung des Autonomie-Abkommens. Kleine Erfolge und Rückschläge wechselten sich ab, bis Ende 1969 ein Maßnahmenpaket für die Südtiroler Bevölkerung verabschiedet wurde, das schließlich 1972 in das 2. Autonomiestatut der Region „Trentino-Südtirol“ mündete, das den Minderheitenschutz als Ziel der Autonomie formulierte und zentrale Kompetenzen der Provinz Südtirol übertrug, also in die Hände der deutschsprachigen Minderheit legte.

 

Umstrittene Mittel – zur Deutung der Südtiroler Attentate

Es gibt wenige Stimmen, die die Attentate der „Aktivisten“ als Anstoß für ernsthafte Verhandlungen seitens Italiens bewerten. Bei allen Unterschieden in den Deutungen[7] beurteilen jedoch fast alle Historiker*innen die Anschläge insgesamt als illegitime, wenn auch zumindest zu Beginn erklärbare Gewalt, ohne breiten Rückhalt in der Bevölkerung. Die Attentate werden als kontraproduktiv bewertet, da sie über die Regionalautonomie hinausgehende Forderungen Österreichs oder der politischen Minderheitsvertretung diskreditiert und die Unterstützung bzw. verschleppte Strafverfolgung der Attentäter in Österreich dessen Verhandlungsposition geschwächt hatte. Vor allem die späteren Anschläge mit Verletzten und Toten spielten der repressiven Minderheitenpolitik Italiens tendenziell in die Hände.

 

Storytelling im Podcast – Zwischen True Crime und Geschichtsvermittlung

„Eisernes Schweigen“ zeichnet sich durch eine facettenreiche Kombination aus investigativer Recherche, Familiengeschichte und politischer Analyse aus. Damit ist der Podcast als komplexes Medium der Geschichtskultur ein Beispiel für serielles dokumentarisches Erzählen eines journalistischen Storytellings.[8] In der gängigen Ratgeberliteratur[9] zum Storytelling im Podcast wird empfohlen, den (historischen) Stoff in eine spannende und damit erst erzählenswerte Story zu verwandeln: Dies gelinge durch die Integration von Drama und emotional berührenden Elementen sowie durch „high stakes“ – je mehr auf dem Spiel steht, desto besser –, „bigger ideas“ – die Story steht exemplarisch für etwas Größeres – sowie „one-liner“ – die Geschichte lässt sich gut auf den Punkt bringen. Nicht fehlen dürften überraschende Enthüllungen. Dies alles gelte es in einer angemessenen Plotentwicklung dynamisch zu erzählen. Zudem seien „Wow-Elemente“ für die Hörer*innen von essentieller Bedeutung, um die Story ansprechend zu gestalten. Nicht fehlen dürften Flashbacks und an passenden Stellen auch Mut zur Intimität.

In diesem Sinne gelingt „Eisernes Schweigen“ die Überführung des historischen Stoffes in ein publikumstaugliches Storytelling, auch wenn das Produkt mit der Inszenierung seiner „bigger ideas“ und „Wow-Elementen“ an wenigen Stellen etwas über das Ziel hinausschießt, wie beispielsweise beim Cliffhanger am Ende von Folge 6: „Mein Vater ist bald wieder rausgekommen aus dem Klingelpütz, dem Kölner Gefängnis. Wie es dazu kam und warum ausgerechnet Willy Brandts Ostpolitik dann doch nochmal eine Wende in dieser Geschichte herbeiführen wird, das könnt ihr in der nächsten Folge hören.“ Auch wirkt die dramatische bis mysteriöse musikalische Untermalung bisweilen störend. Sie wird der seriösen journalistischen Arbeit nicht gerecht, erinnert sie doch an das Podcast-Genre „True Crime“, in dem der Podcast allerdings in der ARD-Audiothek auch einsortiert ist.

Inhaltlich sind die Rückbindungen der individuellen Familiengeschichte an prominente Personen und grundlegende Entwicklungslinien der deutsch-deutschen Geschichte durchaus stimmig, wenn auch in der Tendenz übertrieben. Bei einer historisch interessierten, aber nicht professionellen Zuhörerschaft könnte fast der Eindruck entstehen, nach den Recherchen Traudl Büngers müsse die deutsch-deutsche Geschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in großen Teilen neu geschrieben werden. Zudem geraten beim Erzählen der spannenden Story, die sich stark auf einzelne Akteur*innen und den persönlichen Zugang fokussiert, die übergeordneten politischen Verflechtungen zwischen grenzüberschreitendem Rechtsextremismus, Antikommunismus und Systemkonflikten im Kalten Krieg ebenso aus dem Fokus wie mögliche Fragen nach dem Zusammenhang zwischen der Nazifizierung der deutschsprachigen Minderheit in Südtirol und den Anschlägen der 1960er Jahre.

Doch insgesamt gilt: „Eisernes Schweigen“ kann belegen, dass der Aufbau einer Geschichtserzählung als spannende Story und die Seriosität eines geschichtswissenschaftlichen Narrativs sich keinesfalls ausschließen, auch wenn Storytelling und wissenschaftsorientierte Geschichtserzählung unterschiedliche Begriffskonzepte darstellen.[10]

 

Reflexion über Geschichte, Schweigen und Aufarbeitung

Die individuelle, persönlich-emotionale Involviertheit ist von Beginn an ein zu jeder Zeit transparent gemachtes tragendes dramaturgisches Element der Podcast-Erzählung. Aus geschichtsdidaktischer Sicht bietet dieses Public-History-Angebot dadurch Chancen für historisch-politische Bildungsprozesse, da das Produkt Einsichten in die Perspektivität und den Konstruktcharakter von Geschichte vermittelt. Dies geschieht nicht explizit mit einem intendierten didaktischen Ziel, sondern medien- und genrekonform implizit. „Eisernes Schweigen“ zeigt exemplarisch, wie Geschichte ausgehend von einer (historischen) Frage und der individuellen Suche nach Antworten in historischen Quellen und Darstellungen konstruiert wird, um zu einer kritisch-reflektierten Geschichtserzählung und einer Deutung zu gelangen, die im Sinne einer Kontroversität von Geschichte neben anderen Perspektiven auf die Vergangenheit stehen können. Mittels „Eisernes Schweigen“ können die Zuhörer*innen Traudl Büngers eigenständige Auseinandersetzung mit Ausschnitten aus dem Universum des Historischen als Prozess historischen Denkens und damit ihren Weg zu perspektivischer historischer Erkenntnis und Urteilsbildung miterleben.

Auch wenn viele Fragen vor dem Hintergrund der komplexen Verflechtungen zwangsläufig offenbleiben müssen, birgt der Podcast das Potenzial zur tiefergehenden Auseinandersetzung mit dem individuell-persönlichen sowie kollektiv-gesamtgesellschaftlichen Umgang mit dem Erbe der NS-Vergangenheit, mit antidemokratischen Ideologien und Netzwerken, mit radikalen Motiven und der Illegitimität von Gewalt als Mittel der Politik.

 


[1] Vgl. zu den Taten auch die aktuelle und umfassende Untersuchung zum Rechtsterrorismus in Westdeutschland Darius Muschiol, Einzeltäter? Rechteterroristische Akteure in der alten Bundesrepublik, Göttingen 2024 (DOI: https://doi.org/10.46500/83535724), hier S. 278–280, auch S. 65–77.
[2] Wir danken Paula von Petersdorff-Campen für die Unterstützung bei den Recherchen zu diesem Text.
[3] Vgl. ebd., v.a. S. 442f.
[4] Vgl. Michael Gehler, „…dass keine Menschenleben geopfert werden sollten – das war der Plan.“ Die Bozner „Feuernacht“ und die Südtirol-Attentate der 1960er Jahre, in: Ders., René Ortner (Hrsg.), Von Sarajewo zum 11. September. Einzelattentate und Massenterrorismus, Innsbruck u.a. 2007, S. 205–256.
[5] Vgl. im Folgenden Gehler, „Menschenleben“; Christoph Franceschini, Zwischen Rom, Wien und Langley. Die Geschichte der Südtirol-Attentate in den 60er Jahren und die Rolle der italienischen und amerikanischen Nachrichtendienste rund um den „Befreiungsausschuss Südtirol“, in: Michael Gehler (Hrsg.), Italien, Österreich und die Bundesrepublik Deutschland in Europa: ein Dreiecksverhältnis in seinen wechselseitigen Beziehungen und Wahrnehmungen von 1945/49 bis zur Gegenwart, Wien 2012, S. 431–453; Brigitte Mazohl, Rolf Steininger, Geschichte Südtirols, München 2020, S. 219–265; Rolf Steininger, Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, Innsbruck 2014, bes. S. 119-191: Hans Karl Peterlini, Feuernacht: Südtirols Bombenjahre; Hintergründe, Schicksale, Bewertungen 1961-2011, Bozen 2011. Spannend als mehrperspektivisches geschichtskulturelles Produkt ist das gemeinsame Schulbuch für alle Sprachgruppen in Südtirol: Stefan Lechner u.a., Übergänge und Perspektiven. Grundzüge der Landesgeschichte, Südtirol seit 1919, Bd. 3, Bozen 2013.
[6] Auch Österreich wurde durch die Alliierten befreit, bevor im April 1945 wieder die demokratische Republik Österreich ausgerufen wurde. Das Staatsgebiet wurde in vier Besatzungszonen aufgeteilt, die von den USA, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion verwaltet wurden. Der Osten des Landes, einschließlich eines Sektors von Wien, stand unter sowjetischer Kontrolle, während beispielsweise Tirol zur französischen Zone gehörte. Erst mit dem Staatsvertrag von 1955 wurde Österreich wieder ein souveräner und neutraler Staat.
[7] Vgl. Gehler, „Menschenleben“; Hans K. Peterlini, Methode und Urteil. Die Feuernacht in den Deutungen der Geschichtswissenschaft: eine Auseinandersetzung. GR/SR 20 (2011), 1, S. 135–154.
[8] Vgl. Sven Preger, Dokumentarisches Erzählen in Podcasts. Wenn Storytelling auf Journalismus trifft – Ein Praxisbericht, in: kommunikation@gesellschaft 21 (2020), Heft 2, S. 1–23; Till Krause, Klaus Uhrig, Journalismus zum Bingen. Potenziale und Funktionen serieller Podcasts für das digitale Storytelling, in: Vera Katzenberger, Jana Keil, Michael Wild (Hg.): Podcasts. Perspektiven und Potenziale eines digitalen Mediums, Wiesbaden, Heidelberg 2022, S. 445–460.
[9] Vgl. Sven Preger, Geschichten erzählen. Storytelling für Radio und Podcast, Wiesbaden, Heidelberg 2024.
[10] Vgl. Nicholas Beckmann, Digitales Storytelling – Doing Geschichte(n) im Zeitalter des Podcasts, in: Jürgen Büschenfeld, Marina Böddeker, Rebecca Moltmann (Hg.): Praktiken der Geschichtsschreibung. Vergleichende Perspektiven auf Forschungs- und Vermittlungsprozesse, Bielefeld 2023, S. 35–54.

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Zitation

Astrid Schwabe, Hannes Burkhardt, Zwischen persönlicher Spurensuche und transnationaler Verflechtungsgeschichte. Der Podcast „Eisernes Schweigen“ von Traudl Bünger, in: Zeitgeschichte-online, , URL: https://zeitgeschichte-online.de/themen/zwischen-persoenlicher-spurensuche-und-transnationaler-verflechtungsgeschichte

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